TOBIAS
Noch immer versuche ich dagegen anzukämpfen. Bündle meine ganze Kraft, meine Energien, um dieser Dunkelheit entfliehen zu können. Sogar nach Seth habe ich schon in meinen Gedanken gerufen. Doch ich spüre ihn nicht. Höre keine Antwort. Also liegt es alleine an mir. Ich muss mich selbst aus dieser Dunkelheit befreien, um Marie zu finden. Also bündle ich meine Energie im Zentrum meines Körpers. Doch ich schaffe es nicht. Diese Dunkelheit ist zu stark. Zu Machtvoll. Aber ich kann nicht aufgeben und so versuche ich es erneut. Es fühlt sich an wie eine Ewigkeit, die ich mich zu befreien versuche, als ich erneut die tiefe Stimme höre, die mich vorhin in diese Dunkelheit gebracht hat. Ich spüre Wut obwohl die Stimme es schafft mich erneut zu beruhigen.
„Du wirst dich noch selbst verbrennen, wenn du nicht aufhörst dich gegen meine Worte zu wehren. Und jetzt, wach auf du Sturkopf.“
Tatsächlich. Endlich schaffe ich es meine Lider zu öffnen. Ich brauche einen Moment, um mich an die Umgebung und das Licht zu gewöhnen und was ich erblicke, lässt mich verwundert in die grauen Augen vor mir blicken. Ein Mann, der aussieht als hätte ihn das Leben gezeichnet sitzt in einem Schaukelstuhl vor mir. Neben ihm ein Hund, der eher ein Wolf ist und dessen riesige Zunge aus seinem Maul herausragt, als dieser Mann seine Hand auf den Kopf des Hundes legt und ihn dort krault. Dann blicke ich wieder zu dem Mann, dessen grau melierten Haare am Hinterkopf zusammengebunden sind. Ein Bartschatten zieht sich über sein Kinn und die Fältchen an seinen Augenwinkeln lassen ihn wie Fünfzig wirken, obwohl hinter seinen Augen ein aufgeweckter, jugendlicher Geist zu erkennen ist.
„Wo bin ich und wo ist Marie?“
Meine Stimme klingt rau. Ich will meine Hände und meine Füße bewegen. Ich muss hier weg und ich werde keine Mühen scheuen gegen mein Gegenüber zu kämpfen. Bei diesem Gedanken höre ich ein Knurren und blicke daraufhin auf die gefletschten Zähne des Wolfes, der mich jetzt mit Argusaugen betrachtet. Dennoch versuche ich meine Arme zu bewegen. Doch es gelingt mir nicht. Irgendetwas hält meine Hände hinter meinem Körper gefangen. Verwunderung und Wut legt sich über mich. Was hingegen ein warmes Lächeln bei meinem Gegenüber auslöst. Verärgert lasse ich meinen Blick zu ihm schweifen.
„Eine Sicherheitsmaßnahme, da ich davon ausgegangen bin, dass du ein Sturkopf bist und mir ansonsten nicht zuhören wirst.“
„Was willst du?“
„Dir helfen.“
Jetzt sind es meine Lippen, über die ein dunkles Lächeln entweicht.
„Ich weiß ja nicht, wie ihr das sonst so macht. Aber wenn man jemanden helfen will, dann kettet man ihn nicht an einen Stuhl und entführt ihn. Wo wir schon einmal dabei sind, wie schaffst du es mich zu fesseln und mich auszuschalten?“
„Ketten der Adlenis. Einer sehr alten Bekannten.“, ein Lächeln legt sich auf seine Züge, als er weiterspricht. ,“Sehr wenige Dinge würden es mit deiner Kraft aufnehmen, aber diese Kettte tut es. Genauso wie diese Rune über dir, die dich zusätzlich an Ort und Stelle hält. Und natürlich meine Kraft der Worte, die es möglich machen, dich zu kontrollieren, was ich nicht vorhabe. Aber ich will nur ein paar Worte mit dir wechseln, da ich glaube, dir helfen zu können.“
Verärgert schüttle ich meinen Kopf und speie ihm die Worte wie Gift entgegen.
„Wenn du mich umbringen willst, dann tu es, aber vorher muss ich noch jemanden retten.“
Ich versuche erneut meine Arme gegen die Ketten zu stemmen und mir mit einem wütenden Schnauben Freiheit zu beschaffen. Doch die Ketten geben nur einen kleinen Zentimeter nach, bevor meine Hände wieder zurückgezogen werden.
„Woher hast du nur diese Sturheit?“, tadelnd aber dennoch mit einem warmen Lächeln im Gesicht schüttelt er seinen Kopf ,“Wie wäre es, wenn wir von Vorne anfangen, ich bin Baal und wer oder was du bist, weiß ich bereits. Ach ja, und damit ich nicht vergesse, ich weiß auch, dass dich Luzifer geschickt hat, um mich zu töten, was ich sehr schade finde, um ehrlich zu sein.“
Bei diesem Namen schreien alle meine Alarmglocken. Baal. Und ich Idiot habe es geschafft mich von ihm gefangen nehmen zu lassen. Gut gemacht.
„Da dir nun klar ist, dass ich Baal bin und ich dein eigentliches Ziel, möchte ich dich bitten mir zuzuhören. Ich will dir kein Leid zufügen und auch nicht Marie, über die wir später sprechen werden. Also, wirst du mir deine kostbare Zeit schenken und mir zuhören, Bitte.“
Auch wenn ich es nicht will und sich alles dagegen sträubt, beruhigt mich diese Stimme. Als würde ich sie erkennen aus einer längst vergangenen Zeit. Dennoch kann die Wut darüber nicht abflachen, was mit Marie ist.
„Was bleibt mir anderes übrig?“
Ein sarkastisches Lächeln legt sich auf mein Gesicht und er entgegnet mir erneut mit diesem freundlichen Ausdruck. So, als würde er tatsächliche Fürsorge für mich empfinden.
„Ich danke dir. Also lass uns beginnen.“
Er steht auf und seine Größe überrascht mich. Er ist um mindestens einen Kopf größer als ich und auch wenn er älter wirkt, so strahlt seine Statur Kraft und Macht aus. Was wohl auch daher kommt, dass er einst der Gott der Unterwelt war.
„Luzifer sagte, du müsstest mich töten, um deine Kräfte und Erinnerungen mit Seth zu vereinen. Aber er wollte mich nur aus dem Weg räumen. Er glaubt noch immer, er würde mich besiegt haben. Dieser kleine Bastard.“, er verdreht seine Augen, als würde er es für lächerlich halten,“Aber ich wäre nicht der Gott der Unterwelt, wenn ich nicht ein Schlupfloch gefunden hätte. Aber zudem später. Also du bist der Sohn von Eva, eines Engels, wie jeder glaubt zu wissen. Doch in Wirklichkeit waren wir Götter. Erschaffen durch Gott selbst. Gott gab dafür sein Leben. Er zerteilte seine Seele in Sieben Stücke. Er wollte damit sein Opfer für die Welt bringen. Aus einem Teil erschuff er die Menschheit. Aus dem zweiten Teil die Engel. Aus dem dritten die Dämonen und aus den Vier anderen Teilen Adam, Eva, Lilith und mich. Er erschuf Gut und Böse. Denn alles braucht seinen Ausgleich. Doch wenn das Böse überwiegen würde, dann wäre die Welt nicht mehr im Gleichgewicht. Denn die Reibung von Gut und Böse erzeugt Wärme und diese ist gleich Energie, die die Erde, das Leben, vorantreibt. Auch wenn viele wünschten, eine Seite würde gewinnen, so ist die Dämmerung das Einzige, dass auf Dauer funktionieren wird. Wobei die Dunkelheit immer mehr und mehr wird, bedenke man die Kriege, das Unrecht das getan wird. Der einzige Ort, andem eine Welt im Licht funktioniert ist in Eden. Doch auch Eden braucht seine Dunkelheit, um existieren zu können. Das wäre dann die Unterwelt. Meine einstige Heimat.“
Ein verbitterter Ausdruck erscheint auf seinen Zügen und ich weiß noch immer nicht, wieso mir, je länger seine Stimme zu mir durchdringt, seine Stimme so bekannt vorkommt.
„Was sollte ich dann deiner Meinung nach tun, um meine volle Macht zu erlangen? Es wäre nur logisch, dass du mir davon abraten würdest. Denn keiner möchte sterben.“
„Wähle die Worte mit Bedacht mein Junge. Denn ich sage dir, nach so vielen Jahrtausenden würdest du dir ebenfalls den Tod herbeisehnen, wenn die Einsamkeit dein ständiger Begleiter ist.“ Bedrückt schüttelt er erneut seinen Kopf, um wohl damit die Gedanken zu vertreiben, die bei diesen Worten in ihm aufkommen. Meinen nächste Frage kann ich trotzdem nicht zurückhalten. Sie schießen über meine Lippen, wie eine Kugel, die ihn eigentlich treffen sollte, damit ich hier endlich vorankomme.
„Wieso bringst du dich dann nicht einfach um?“
Ein lautes kehliges Lachen kommt plötzlich über seine Lippen. Es schwingt ein Hauch von Verbitterung darin mit. Dann kommt er auf mich zu und stellt sich vor mich. Er blickt in meine Augen und wieder habe ich das Gefühl, dass ich ihn von irgendwoher kenne.
„Meinst du nicht, ich hätte es bereits mehrmals versucht. Doch ich bin geschaffen um unsterblich zu sein. Und wer denkst du, hat den Tod erschaffen? Glaubst du wirklich er würde seinen Boss holen? Wo sollten sie mich hinbringen? In die Unterwelt? Zurück nach Hause? Luzifer würde es nicht zulassen, dass ich ihm seinen geliebten Thron abschlage. Was ich auch wirklich nicht will. Es war eine Qual, in dieser Welt festzusitzen.“
Ungläubigkeit mischt sich mit logischem Denken. Ich wusste nicht, dass es wirklich diese Art von Tod gibt, der dich holen kommt, obwohl ich dachte, ich hätte schon alles gesehen.
„Wie sollte ich dann zu meinen Kräften gelangen? Besser gesagt was macht es aus mir, wenn meine Mutter eine Göttin und mein Vater ein Gott war?“
Jetzt scheinen seine Augen zu leuchten, so als wüsste er die Antwort und würde pure Freude dabei empfinden, sie mit mir teilen zu können.
„Ihr wart die Engel und Dämonen. Gut und Böse. Lilith`s und meine Söhne die Dunkelheit und Adam`s und Eva`s Söhne das Licht. Ihr wart die Wächter dieser Seiten.“
„Also gab es immer nur Söhne des Licht`s oder der Dunkelheit?“
Er nickt und weicht meinem Blick aus, als sich Betrübtheit über seine Züge legt.
„Es war uns untersagt Licht und Finsternis miteinander zu mischen. Das war der letzte Wunsch Gottes. Doch irgendwann habt ihr begonnen euch mit Menschen einzulassen. Wir mussten etwas dagegen tun. Also haben wir Vier einen Pakt geschlossen, um diese Mischung zu unterbinden. Die Macht von unseren Söhnen war trotzdem noch größer als die der anderen. Ihr wart die mächtigsten Engel von allen. Wir haben dafür gesorgt, dass ihr keine Kinder mehr mit Menschen zeugen konntet. Eine Regelung für die gute Seite und eine für die dunkle Seite. Doch die anderen Engel und Dämonen, haben sich weiter mit der Menschheit gepaart. Wir hatten keinen Einfluss auf sie, denn sie wurden direkt von Gott geschaffen und nicht von uns. Also haben wir es zugelassen. Ihr wurdet wütend. Habt euch gegen unsere Sache gewehrt. Ihr habt Kriege deswegen angezettelt, bis ihr es verstanden habt. Somit ist mit unserem Pakt auch Dunkelheit auf das Licht gefallen.“
Ich kann den Worten, trotz meiner übermenschlichen Auffassungsgabe nicht folgen. Es ist schwer zu verstehen. Fast zu abgedreht um wahr zu sein. Doch dann spüre ich die Erkenntnis. Sie trifft mich wie ein Schlag und Verstand und Herz kämpfen gegen einander an.
„Aber ich habe eine Tochter. Wie ist das möglich?“
„Es ist nicht möglich.“ Er schüttelt seinen Kopf, als hätte ich ihm gerade etwas erzählt, dass nur in Büchern möglich ist.
„Es ist möglich. Ich habe in die Augen meiner Tochter geblickt und ich wusste, dass sie meine Tochter ist. Ich wusste es so sicher, wie ich weiß, dass ich hier angekettet unter einer Rune sitzend mit dem ehemaligen Gott der Unterwelt spreche.“
Alina ist meine Tochter. Ich habe es gesehen. Ich habe es gespürt und auch Seth ist sich sicher. Ich spürte seine Rührung, als er sie zum ersten Mal sah. Also bin ich mir sicher und nicht und niemand wird daran etwas ändern können. Schon garnicht Baal, der sich mit einer seiner Hand durch die Haare fährt und sich jetzt niedergeschlagen auf den Schaukelstuhl setzt. Dort wo sich der Wolf bereits nebenbei ausgebreitet, seine Lider geschloßen hat und schläft. Baal murmelt eher in sich hinein, als dass er mich dabei ansieht.
„Ein weiteres Schlupfloch“
„Wovon redest du?“
„Nichts. Du musst dich mit Seth verbinden. Das ist jetzt wichtig. Und du kannst dich nur mit ihm verbinden, wenn ich mein Blut mit deinem mische und die Worte spreche, die diesen Pakt mit meinem Blut brechen. Doch das ist nur die Hälfte. Wir müssen deine Mutter suchen und sie finden. Erst wenn du ihr Blut hast und sie die Worte spricht, wirst du deine Mächte vollkommen haben.“
„Luzifer sagte, ich müsste dich töten.“
„Luzifer redet viel, da er nicht weiß, was er tut. Er weiß nicht, dass ich die Worte in diesem Spruch umgeändert habe, sodass wir, deine Mutter und ich, alles wieder rückgängig machen können, wenn die Zeit gekommen ist. Und ich denke, die Zeit ist gekommen.“
„Wo ist meine Mutter?“
Ein trauriger Ausdruck huscht über seine Züge, als er sich wieder erhebt und auf mich zukommt.
„Ich weiß es nicht. Ich spüre nur, dass sie auf der Erde ist. Aber ich kann ihre Energie nicht lokalisieren. Es ist, als würde sie von einem Schutzfeld umgeben sein, was darauf hindeuten, dass sie irgendwer gefangen hält. Ansonsten wäre sie schon längst bei dir. Sie würde dich bis in den Tod beschützen, könnte sie sterben.“
Ich spüre ebenfalls diese Trauer. Auch wenn ich sie nicht kenne, so möchte ich gerne wissen, was für eine Person meine Mutter ist.
„Und wo ist Marie?“
Jetzt weicht er meinem Blick aus und das macht mich verdammt nervös. Wenn er nicht gleich eine Antwort auf diese Frage hat, dann brennen mir mit Sicherheit einige Sicherungen durch.
„Bevor du vollkommen durchdrehst, sie werden sie nicht töten. Sie brauchen sie, um dich damit in die Falle zu locken. Kain hat sie.“
Jetzt ist es zu spät. Meine Sicherungen brennen durch. Ich bündle meine Kraft und versuche sie auf die Ketten zu konzentrieren. Ich muss hier weg. Ich muss sie befreien. Ich muss einfach zu ihr. Doch die Worte von Baal scheinen mich erneut aus meiner Wut und Panik herauszureißen.
„Du wirst nichts ausrichten können, wenn du dich selbst verbrennst und deine Kräfte nicht hast. Kain ist stärker als du. Wir müssen zuerst meinen Teil des Paktes rückgängig machen und dann kannst du dich auf den Weg machen. Mit mehr Kraft und mehr Erinnerung.“
„Was hat Kain mit dieser Sache zu tun?“
Die Worte vibrieren in meinem Brustkorb. Sie lassen mich vollkommen unmenschlich wirken.
„Er ist der Bruder der noch lebt und er ist Adams Laufbursche. Er hat sich ebenso wie Adam gegen dich gewandt.“
„Warum? Warum hassen sie mich so? Ich habe gehört, dass ich Abel nicht getötet habe. Es war Kain.“
Er nickt und er wendet seinen Blick erneut ab. So als wolle er nicht, dass ich bei diesen Worten in sein Gesicht blicke.
„Es war auch Kain. Aber Adam will dich trotzdem tot sehen. Irgendetwas ist im Gange, ich spüre dieses Kribbeln, dass ich immer spüre, wenn eine erneute Katastrophe auf die Erde hereinbricht. Aber vergiss die Geschichten jetzt vorerst. Kann ich dich loslassen, ohne dass du gleich das Weite suchst und und mich töten willst?“
Mit zusammengepressten Lippen bringe ich ein Nicken zustande. Ich werde ihn nicht töten, schon garnicht, weil es nach seiner Aussage nicht funktioniert. Und ich werde mich auch auf dieses bescheuerte Ritual einlassen. Ich muss die Kräfte erlangen, damit ich eine Chance gegen die Gefallenen habe und Marie und meine Mutter befreien kann, die mit Sicherheit in diese Sache verwickelt ist. Die Geschehnisse überschlagen sich in der letzten Zeit und ich bin mir ebenfalls sicher, dass etwas im Gange ist.