Die Stille war bedrückend. Schlurfend, erschöpft und durstig irrten Lisa, Gregor und Jan durch das grabartige Labyrinth, das sich unter ihrem Haus befand. Die Luft war stickig. Hoffnung hatten sie keine mehr.
Plötzlich durchdrang ein Kratzen das stetige Tropfen von Wasser. Lisa zuckte zusammen. Jan drängte sich eng an sie, Gregor umklammerte ihren Arm.
Dann hörten sie eine Kinderstimme. „Mama!“
„Amelie!“, rief Lisa aus und schluchzte vor Erleichterung. Ihre Tochter lebte!
Sie machte einen Schritt nach vorne, blieb aber gleich darauf wie angewurzelt stehen und richtete ihre Taschenlampe auf die Schwärze vor sich.
Da stand Amelie. Sie hielt eine geschwärzte, klauenartige Hand, die zu einer verschmutzten und in schwarz gekleideten Frau gehörte, die hinter dem Mädchen stand. Deren schwarze Haare standen wild in alle Richtungen ab, ihre Augen leuchteten wahnsinnig aus ihrem verdreckten Gesicht.
„Lassen Sie … sofort … meine Tochter los!“, presste Lisa mühsam hervor, während Angst und Wut in ihr tobten.
Die Frau lächelte und offenbarte schmutzig-gelbe Zähne mit schwarzen Flecken. „Ein Tausch. Kind … gegen Feuer.“
„Feuer?“, wiederholte Lisa verwirrt. Ihr Blick suchte Amelie, die die Szene aus ernsten Augen betrachtete.
Plötzlich fühlte sie etwas in der Hand. Sie sah an sich herunter und merkte, dass sie mit einem Mal auf unerklärliche Weise eine Fackel in der Hand hielt. Deren Spitze entzündete sich von selbst und Feuer erhellte den schmalen Gang, die Wärme schlug ihr gegen das Gesicht, das schon taub vor Kälte gewesen war.
„Feuer“, wiederholte die dreckige Frau. „Das Dorf … brennen.“
„Du brauchst unser Feuer? Wir … sollen das Dorf niederbrennen?“, stammelte Lisa. Sie waren nur wenige Mal in dem malerischen kleinen Dorf weiter unten am Hang gewesen. Waldförde.
Die Frau nickte.
Lisa machte einen Schritt nach hinten. „Nein!“
Die wilden Augen der Hexe verengten sich und sie legte eine Klaue an Amelies Hals.
„Nein!“; kreischte Lisa entsetzt. „Nein, nicht meine Tochter! Bitte!“
„Waldförde … brennen“, artikulierte die Hexe mühsam. „Oder Kind.“
Lisa straffte die Schultern. Dann nickte sie. „Du kriegst unser Feuer.“
Die Hexe streckte gierig die Klauen aus. Lisa trat vor, Schritt für Schritt, und heftete ihren Blick auf Amelies große, blaue Augen. Dann stand sie vor der Hexe und legte ihrer Tochter eine Hand auf die Schulter.
„Du Biest!“, schleuderte Lisa der Hexe entgegen und warf die Fackel gegen die schwarzgekleidete Frau, während sie Amelie an ihre Brust riss.
Die Hexe kreischte laut auf. Flammen schlugen in dem engen Gang heiß nach oben, nahmen Lisa den Atem. Sie hörte Amelie, Jan und Gregor schreien.
Die Erde um sie herum bebte plötzlich. Dreck fiel auf Lisas Schultern, aber sie drückte den Kopf ihrer Tochter weiterhin gegen sich und beugte sich schützend über Amelie. Die Steinwände zu den Seiten brachen ein.
Dann sah sie Licht – Tageslicht! Sie stolperte darauf zu, stürzte, warf sich auf die Seite, um Amelie nicht zu verletzen.
Eine Hand zog sie nach oben. Gregor, Jan neben sich.
Gemeinsam rannten sie auf das Licht zu, während Flammen aus dem Boden schlugen.
Sie verzehrten das malerische Traumhaus, und unter dem Knistern war ein Schrei zu hören, der Lisa durch Mark und Bein ging.
Dann, ganz plötzlich, brach der Schrei ab und die Flammen versiegten bis auf wenige Nester, die knisternd am Haus leckten.
Die Wände waren eingestürzt. Der Boden aufgerissen. Familie Thielmann stand vor einem rauchenden Trümmerhaufen. Doch sie fühlten es … es war vorbei.
„Es ist alles weg!“, stammelte Lisa fassungslos.
Gregor umarmte sie von hinten und legte seinen Kopf auf ihre Schulter. Sie hatte Amelie auf dem Arm und Jan stand neben ihr und klammerte sich an ihr Hemd.
„Hauptsache, wir sind noch da“, flüsterte Gregor und küsste sie.
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Das ist natürlich kein Zwang und du solltest das nur tun, wenn du gerade etwas entbehren kannst.
So oder so bedanke ich mich vielmals für's Lesen!