Stille herrscht in dem riesigen Saal, obwohl sich tausende Menschen darin aufhalten. Weder sie noch ihre Stifte auf dem Pergament machen irgendein Geräusch. Das leise Knistern der Kerzen und Öllampen ist überall zu hören. Die Fenster sind geschlossen, langsam wird es stickig. Die Kerzen brennen alle, obwohl die Sonne am Himmel steht und ihr Licht durch die Fenster scheint und von dem polierten Marmor und Mahagoni zurückgeworfen den Saal erleuchtet.
Heute - in dieser Stunde - gibt es keine dunkle Ecke und keinen versteckten Winkel im Haus des Rechts auf der höchsten Klippe von Aitlyn-LaKitan.
Vorne ist eine Bühne, auf der fünf Menschen stehen wie auf einem Präsentierteller. Drei Männer, eine zierliche blasse Frau und Velaa Luminor. Diese fünf sind die Kandidaten der einzelnen Parteien. Ihnen gegenüber sitzen die Parteien selbst, die fünfgeteilten Ränge sind bis auf den letzten Platz belegt und einige stehen zwischen den Reihen. Jeder kritzelt eifrig einen einzigen Namen auf ein Stück Pergament. Aus Tradition werden die komplizierten Alt-Kartingischen Runen benutzt - es dauert lange, bis die ersten abgeben können. Die ganze Zeit ist es still, als würde die Welt den Atem anhalten. Bis schließlich die Mitglieder des Rates aufstehen und ihre Zettel in die Urne in der Mitte der Bühne stellen. Die fünf Kandidaten schweigen. Vier von ihnen langweilen sich, denn ihnen ist klar, dass sie unmöglich gewinnen können. Die Unbestechlichkeit und nun auch der Kampfwille von Velaa Luminor ist überall bekannt. Velaa ist diejenige in der Mitte der Bühne. Manchmal lächelt ihr jemand zu, bevor er seinen Zettel abgibt.
Praktisch wird nur noch entschieden, welche zwei Kandidaten als Velaas Stellvertretet fungieren werden. Dass sie gewinnt, ist klar, seit die Geschichte mit der Entführung ihrer Familie öffentlich wurde.
Endlich ist auch der letzte Zettel abgegeben. Die Versammelten verlassen die Halle. Die fünf Kandidaten werden in ein seperates Zimmer gebracht. Stunden vergehen, fünf Personen warten traditionell schweigend auf die Verkündung der Ergebnisse.
Schließlich öffnet sich die Tür. Der bisherige Höchste Minister, Jarks Fidschi, tritt herein, hinter ihm seine beiden Stellvertreter. Er geht auf Velaa zu und schüttelt ihre Hand: "Herzlichen Glückwunsch, Höchste Ministerin Velaa Luminor."
Velaa nickt ihm feierlich zu. Die anderen vier brechen in spontanen Jubel aus und klatschen. Auch die beiden Stellvertreter gehen auf ihre gewählten Nachfolger zu. Einmal die blasse Frau und dann der hochgewachsene, uralte Gwendor Rymond. Die beiden nicht gewählten Männer geben höfliche Glückwünsche ab. Stimmengemurmel kommt aus der Halle - den Abgeordneten und ebenso allen Bürgern LaKitans wurde Eintritt gewährt. Die drei neuen Minister werden auf die Bühne geführt. Die Vereidigung wird sofort vorgenommen. Lauter Jubel empfängt Velaa an der Spitze der Politik. Doch einer ihrer Vertretet tritt leise an sie heran:
"Angeblich haben Sie trotz ihrer Wahl bereits viele Gegner. Sie haben die absolute Mehrheit nur knapp erreicht. Das Ergebnis ist sehr viel schlechter ausgefallen als erwartet.", flüstert Gwendor Rymond. Auf seiner anderen Seite steht Jasminda Ulmenhain, schwach und blass, aber mit einem vorwitzigen Grinsen: "Das wird ein hartes Jahr - für unsere Gegner."
Velaa nickt beiden zu, ohne zu antworten. Sie lächelt unbeirrt der bunten Masse vor sich zu.
Und auf der Bühne schüttelt die drei sich gegenseitig die Hände. Natürlich werden Gwendor und Jasminda auch ihre eigenen Ziele verfolgen. Doch sie machen deutlich, dass sie hinter Velaa stehen, über Parteigrenzen hinweg.
Die Abgeordneten klatschen, manche begeistert, andere monoton. Aus den Reihen der einfachen Bürger kommen böse Blicke genauso wie zustimmende Rufe. Misa steht in der ersten Reihe, einen kleinen, braunen Hund an ihrer Seite und Marc Luminor neben sich. Ihre Augen leuchten hell.
Velaa schließt die Haustür und lehnt sich erschöpft dagegen. Endlich zu Hause, nach einem scheinbar ewig langen Tag. Sie will sich den Schweiß von der Stirn wischen, da trifft sie etwas in Magenhöhe und umklammert sie: "Herzlichen Glückwunsch, Mami!"
Etwas unbeholfen tätschelt Velaa das Haar ihrer Tochter. Marc umarmt sie etwas förmlicher und drückt ihr einen Kuss auf die Wange: "Das hast du gut gemacht." Er würde sie wohl auch umarmen, wenn er sich nicht noch ein wneig auf seine Krücken stützen müsste.
Phosphor steht schüchtern da, fährt sich durch die Haare und reicht ihr eine Hand: "Herzlichen Glückwunsch, Frau Luminor."
Velaa grinst: "Ich habe euch zu danken. Ohne euch wäre mir das nie gelungen."
"Jetzt übertreibst du aber!", sagt Misa streng. Marc hilft Velaa aus der Jacke: "Ich habe das Essen fertig. Wir haben früher mit dir gerechnet."
"Ich musste mehr Interviews führen, als mir lieb war.", ächzt Velaa.
"Das werden wir morgen in der Zeitung sehen!", spottet Marc, als würde seine Frau übertreiben. Doch er drückt sie noch einmal an sich: "Wir stehen hinter dir.", flüstert er ihr ins Ohr. Velaa gibt ihm einen flüchtigen Kuss. Misa zieht beide Eltern ins Wohnzimmer. Phosphor läuft vorraus und deckt schnell den Tisch zu Ende. Wenig später prosten sich die Luminors und Phosphor am Tisch mit Sekt zu: "Auf Velaa!"
"Auf meine Mutter!"
"Auf Velaa!"
"Auf die beste Familie der Welt!"