Seid wachsam und erwartet den Ruf
Das Sehnen wird nicht vergeblich sein
Das Hoffen eine neue Wirklichkeit
Denn es lauert ein Fuchs,
lautlos und still,
erreicht er im Sprung der Sterne großer Zahl
Hofft und seht in freudiger Erwartung
Die Tage der Freiheit und Freude kommen
Aus der inoffiziellen Nationalhymne Servinas
Es war ein merkwürdiger Moment, als sich Hiskijar und Linovèn so gegenüber standen. Über die letzten Wochen waren sie Verbündete und vielleicht auch so etwas wie Freunde gewesen und Linovèn wusste mehr über ihn, als jeder Mensch außerhalb seiner Familie. Nun sollten sich ihre Wege trennen und Hiskijar vermochte es nicht die richtigen Worte zu finden, um diesen Abschied in Worte zu fassen.
Jedoch war dieser Ort ein schöner Ort um Abschied zu nehmen – mehr als ein anderer.
Die mächtigen Bergketten des Schattengebirges hinter ihnen, verströmten einen Gedanken von Ewigkeit. Schnee glänzte auf den fernen Gipfeln, strahlend im Licht der aufgehenden Sonne. Ein roter Feuerball schob sich im Westen über den Himmel, eine Flut von goldenem und rotem Licht ergoss sich über den Horizont. Fern unter ihnen hing der kalte Morgennebel, nur durchdrungen von einigen grünen Spitzen, welche die Wälder von Machir ankündigten.
In der Luft hing der Geruch von nasser Erde, durchsetzt von den Samen des Frühlings, dem würzigen Duft der Bäume und jungen Blüten. Es blieb nur ein ferner Gedanke an Schnee, der nun längst Vergangenheit war. Nun war der Winter auch hier verschwunden, aus den Höhen des Schattengebirges, hoch über den Wäldern Servinas.
Servina. Es war lange her, seitdem Hiskijar den Duft seiner Heimat vernommen hatte. Damals hatte er ein anderes Gesicht, doch den gleichen Namen getragen. Fünfzehn Jahre, die ihm vorgekommen waren wie die Ewigkeit. Lange Zeiten der Trauer und des Winters. Doch nun herrschte der Frühling mit seiner vollen Pracht und Schönheit, einer Zeit des Erwachens und des Neuanfangs und es war Zeit sich zu erheben.
Als er dies wahrnahm, schien die Person des Rittmeisters zu wachsen. Er richtete sich auf und für einen Moment konnte man in seinem Gesicht seine einstige Jugend erblicken, neben der Würde und dem Stolz all der alten Könige, die nun nur noch in Stein gebannte Erinnerung waren. Die letzten Schatten eines alten Seins, welches er die letzten Jahren übergetragen hatte, verblassten in der strahlenden Sonne und nun war er wieder der, der dieses Land vor fünfzehn Wintern verlassen hatte. Ein wenig anders vielleicht, reifer, erfahrener und noch gefährlicher.
„Siehst du es?“, fragte er Linovèn leise mit geschlossenen Augen. „Riechst du es?“.
Einen Moment schwieg die Elbe, dann erwiderte sie: „Ja. Ich rieche den Frühling und mit ihm bemerke ich die kommende Hoffnung. Eine Hoffnung, welche nun noch so klein ist, die bald aber schon zu einem Sturm werden kann.“.
„Ja.“, wisperte er und für einen Moment sah er wieder den Fuchs, gefesselt auf der vom Tau nassen Wiese. Doch dieses Mal sah er ebenfalls das Schwert, das in naher oder ferner Zukunft diese Ketten zersprengen würde. Und vielleicht besaß auch er in diesem Moment einen Funken von Hoffnung.
„Es ist Zeit.“, fasste Linovèn endlich den Beschluss in Worte, der die ganze Zeit wie unsichtbar zwischen ihnen gehangen hatte.
„Ich hoffe, dass wir uns eines Tages wieder sehen werden und dass es ein schöner Tag sein wird.“, meinte sie und lächelte ihn an.
Hiskijar nickte nur.
Die Elbe neigte den Kopf, während ein Strom von Silber über ihren Rücken floss.
„Möge deine Suche vom Glück beschienen sein und deine Wege vom Hüter geleitet sein.“.
Einen Moment wusste er nicht, was er erwidern sollte. Für ihn war es unverständlich, dass es einen übermächtigen Herrn geben sollte, wo es doch so viel Leid gab. Jedoch hatte es seine Mutter zeit ihres Lebens glücklich gemacht und so hatte er gelernt, es zu akzeptieren.
„Auf Wiedersehen, Linovèn.“.
Ein letztes Lächeln strich um ihre Mundwinkel, dann verschwand die Elbe in einem Wirbel aus Licht.
Einen Moment stand die einsame Gestalt des Wanderers und des Pferdes dar, doch dann wandte er sich um, stieg auf seine Stute und machte sich auf den Weg in die tieferen Gefilden dieses Gebirges.
Die Wälder von Machir hatten sich nicht verändert. Hohe Rotbuchen begleitet von kleineren Weißtannen prägten diese Wälder. Junges Gras bedeckte die Erde und an einigen Stellen fand man Waldgerste und Haselwurz.
Doch waren es nicht diese Kräuter, welche Hiskijar interessierten. Einen Moment hielt er inne, ob er irgendwo das Geräusch fließenden Wassers vernahm, doch blieb es still.
Nach einiger Zeit fand er jedoch einen Tümpel und erreichte damit sein Ziel. Andächtig verharrte er an dem stillen Gewässer und lauschte dem Quacken der Frösche und betrachtete den schnellen Tanz der Mücken, für die es nun wieder warm genug war. Aus den Augenwinkeln beobachtete er dabei jedoch stetig eine Pflanze mit großen, fleischigen Blättern, welche in einem dunklen Grün schimmerten. Noch auffälliger waren die Blüten, die dicht der Blätter auf kurzen Stängeln saßen, winzige Abbilder jener Sonne, die nun in vollem Glanz am Himmel stand. Selbst in der erwachenden Frühlingskulisse fielen diese leuchtenden Farben auf. Mehrere Bienen schienen dies zu bemerken und in der Hoffnung auf Nektar setzten sie sich auf die Blumen. Doch mit einer blitzschnellen Bewegung schlossen sich die grünen Blätter um die Biene, die nun eine Gefangene war.
„Immer noch so gefräßig?“, murmelte der Soldat und trat näher.
Für Menschen war das Gift diese Pflanze in der Regel nicht tödlich, doch schmerzte es stark und so ließ er die Handschuhe an.
Vorsichtig bog er die Unterseite der Blätter nach oben und siehe da, gut verborgen unter Schichten von Grün hingen winzige Wesen. Ein leises Lächeln zierte nun seine Mundwinkel, denn hatte er sich nicht getäuscht
Ein leiser Pfiff kam über seine Lippen und sofort war er umringt von einer Bande kleiner Gestalten, winziger als seine Füße. Sie tauchten aus dem Tümpel auf und mit einer Geschwindigkeit, die man ihnen aufgrund ihrer geringen Größe nicht zutrauen konnte, waren sie um ihn.
Iaskans hatte Linovèn sie genannt und Hiskijar hatte keinen Namen für sie, doch nannten sie selbst sich Jiphis, was für sie „Das kleine Volk der See-Land-Wesen“ bedeutete.
Wenn man sie erst einmal kannte, waren sie drollige Gesellen, auch wenn sie auf den ersten Moment nicht so wirken mochten.
Ihr Gesicht war schmal und wirkte ein wenig nach hinten gezogen, wenn man es mit einem Menschen verglich. Noch merkwürdiger mutete ihre Gestalt durch die Tatsache an, dass sie weder Ohren noch Nase besaßen. Ihr Oberkörper wirkte menschlich, nur unterschieden dadurch, dass er insgesamt kleiner war. Dagegen waren ihre Arme ausgesprochen kräftig und besaßen sie ausgebildete Hände, wenn auch mit sechs Fingern. Der Unterkörper wirkte wie aus einer anderen Zeit, einer Zeit, in der noch Nixen in den Gewässern Anthars gelebt hatten. Denn wie die Nixen waren auch diese winzigen Wesen - zumindest teilweise – Wasserlebewesen. Somit lief ihr Körper in eine Schwanzflosse aus, die jedoch erstaunlich kräftig war und ihnen unter Wasser zur Fortbewegung verhalf. An Land bewegten sie sich vorwärts, in denen sie mithilfe ihrer Schwanzflosse robbten und sich dabei mit den Armen abstützten. Die östlichen Verwandten dieser Lebewesen, welche an der Küste lebten, waren eine wahre Plage der Seeleute. Mit ihren geschickten Fingern klaubten sie alles zusammen, was ihnen in die Hände fiel, mit Vorliebe, solche Dinge, die glitzerten. Dies war die ungefährlichere Variante, dann gab es noch die wirklichen Bewohner der Meere. Diese waren größer und kräftiger und das Übel jedes Schiffes, das ihnen begegnete. Mit Vergnügen lockten die kleinen Wesen Seeleute in den Untergang, indem sie menschliche Gestalten annahmen, die den Seeleuten nahe standen.
Diese Waldbewohner jedoch mieden Menschen in der Regel und kamen nur in Zeiten der Gefahren mit ihnen in Berührung. Doch war ihnen die gleiche Gabe gegeben wie ihren Verwandten. Wenn es zu der Situation kam, dass ein Raubtier die schmackhafte Beute entdeckte, nahmen sie die Gestalt eines größeren Tieres an und vertrieben die Jäger so. Allein ihren Jungen war die Gabe nicht gegeben und somit schützten diese Verwandlungskünstler ihren Nachwuchs, indem sie ihn zwischen den Blättern der Riliinas-Pflanze versteckten, gegen deren Gift sie immun waren. In der Regel war das Finden dieser Pflanze auch die einzige Methode, um die Jiphis aufzuspüren
„Ah.“, seufzte einer der Jiphis.
Und ein weiteres schrie: „Du schon wieder.“.
Ein drittes rief: „Genug. Du hast genug.“.
„Ich habe eure Jungen gerettet, zweimal.“, meinte Hiskijar ruhig.
„Wenn ich nicht das Zählen komplett verlernt habe, hast du mehr als zwei Verwandlungen erhalten.“, plapperte eines der Wesen.
„Es waren auch mehr als zwei Kinder.“, entgegnete er gelassen.
„Immer noch so diskussionsfreudig, was?“. Ein Jiphis drängelte sich zwischen den anderen hervor. „Doch haben sie Recht, eine Verwandlung bekommst du noch, dann ist es der Gestalten genug.“.
Hiskijar nickte. „Ich wünsche allein, dass ihr mir meine ursprüngliche Gestalt wiedergebt und die Schatten mit euch nimmt.“.
„Ist das dein Ernst?“, piepste ein winziges Tier.
„Hast du es dir auch gut überlegt?“, fragte der Sprecher und vernünftigste der Jiphis.
„Sicherlich, ansonsten wäre ich nicht hier.“.
„Dann sei es so.“.
In wahnwitziger Geschwindigkeit bauten die Wesen einen Turm aufeinander und der Sprecher legte Hiskijar seine winzige Hand auf die Stirn.
Dann begann sich seine Gestalt zu verändern. Hiskijar war ein wenig größer als Heled, doch auch kräftiger, auch wenn sein Körper mindestens genauso von Narben überseht war wie der alte Leib, den er nun hinter sich ließ.
Sein Gesicht hatte sich wohl am meisten verändert. Seine Haare waren immer noch grau, durchzogen von einzelnen Strähnen reines Silbers. Jedoch waren seine Augen nicht mehr dunkelbraun, sondern strahlten in einem leuchtenden hellgrün. Hiskijars Gesicht war vernarbt und jede einzelne erzählte ihre eigene Geschichte. Eine Geschichte von Kämpfen und Abenteuern, Leid und Schmerz.
Doch nun war diese Geschichte wieder ganz allein die seine und niemand würde sie ihm wieder nehmen können, am allerwenigsten er selbst.
Die Wächter hatten sich gut hinter Felsen verborgen, doch nicht gut genug für Hiskijars wachsame Augen.
Er zog seinen Säbel und wog die Klinge prüfend in der Hand.
„Ich habe euch gesehen.“, meinte er leise und hob den Kopf, den er zuvor gesenkt gehalten hatte.
„Wir dich auch.“.
Drei junge, bewaffnete Männer stellten sich ihm in den Weg.
„Wohin willst du?“, fragten einer der drei und hielt dabei sein Schwert vor sich hin.
Hiskijar seufzte.
„Das wisst ihr genauso gut wie ich. Und außerdem –“, er musterte den Sprecher aufmerksam „ist deine Klinge schartig.“.
„Wenn du der bist, der zu sein verlangst, dann nenne das Losungswort.“, verlangte der junge Mann selbstbewusst, auch wenn der Krieger diesem Jungen die Verunsicherung ansehen konnte.
Hiskijar kannte das Losungswort nicht, doch konnte er es sich vorstellen.
„Es erhebt sich ein Volk.“, antwortete er und als die Jungen, die Soldaten sein wollten, sich Blicke zu warfen, wusste er, dass er richtig geraten hatte.
Sie traten zur Seite und gaben den schmalen Bergpfad frei.
Als er Malèhlti schon wieder antrieb, platzte aus einem die Frage heraus: „Kämpftet Ihr einst in der Revolution?“.
Hiskijar wandte sich um und blickte den jungen Mann mit der roten Lockenmähne an.
„Ja.“.
Dann versetzte er sein Pferd in einen schnellen Trab und folgte dem Pfad, der sich tief in das Schattengebirge grub.
Berge, grau und dunkel, schartig vom Alter, erhoben sich links und rechts von ihm und die hohen Spitzen thronten wie die alten Elbenkönige hoch über ihnen.
Vor ihm eröffnete sich ein Tal. Tosend und brausend floss ein Strom, an dessen Ufern sich ein Feldlager erhob. Es war ein kleines Heer, doch war Hiskijar geneigt dies zu vergessen, denn waren es Männer und auch einige Frauen seines Volkes, dem Volk der Ástilos.
Einen Moment verharrte er, den Anblick genießend, der sich ihm bot. Sein Blick wanderte zu den Fahnen, die in dem heftigen Wind knatterten. Der Fuchs laufend auf grünem Grund, über ihm das blaue Band des Lidebir und über dem Fluss die grauen Gipfel des Schattengebirges.
Es war ein gutes Gefühl, über ihm den Fuchs anstatt den Bären zu sehen. Und vielleicht war dieser Tag der Anfang der Freiheit Servinas.
Hiskijar lächelte und die Trauer verschwand für einen Moment aus seinen Augen. Ein Moment, der so viel verändern konnte.
In dem Zelt, über welchem der Fuchs am höchsten lief, versammelte sich der Generalstab.
Asahel, der Prinz Servinas, stand am Kopfende des gewaltigen Tisches, auf dem Karten und Bücher lagen. Ein schmaler Silberreif lag auf seinem rotbraunen Haar, als Ersatz für jene Krone, die Servina von Artherg nach der Revolution geraubt worden war. Seine hellgrünen Augen leuchteten voller Hoffnung und dem Wunsch nach Veränderung.
Ein wenig hinter ihm stand der vernarbte und alte Tarear, auch seine Augen blickten freudig, doch zugleich lag in ihnen auch der kaum fassbare Schatten einer dunklen Sorge.
Weitere Männer waren um sie herum, die Hände auf ihren Waffen ruhen, die Gesichter stolz, voll mit ungebrochener Hoffnung.
„Einen offenen Krieg können wir nicht gewinnen, wir müssen aus dem Verborgenen kämpfen wie beim Beginn der Revolution. Ein offener Kampf gegen die arthergischen Heere ist uns nicht möglich.“, meinte Tarear.
„Ihr vergesst die Geschichte der Revolution.“, entgegnete Asahel mit einer gefährlich ruhigen Stimme. „Am Anfang mochte Ìsiven den Hinterhalt zu seiner Waffe gemacht haben, doch schlug er große Schlachten gegen die vereinten Heere Arthergs und gewann viele von ihnen.“.
„Ja, mein Prinz. Doch war das damalige Heer deutlich größer und…“. Eigentlich hatte er sagen wollen, dass sie einen genialen Feldherrn gehabt hatten, doch war der Prinz allzu schnell beleidigt.
„…wir hatten einen König.“, fügte er schnell hinzu.
Asahel lächelte und legte seinem Beschützer seine Hand auf die Schulter. Mit Besorgnis stellte Tarear fest, dass der Prinz ihn bald überragen würde.
„Ihr habt Recht, wir hatten einen König. Doch dieser König und mit ihm die Würde seines Geschlechtes wurde uns geraubt und wir werden kämpfen, um sie zurückzuerobern.
Wenn Tarear seine Meinung nun ausgesprochen hatte, dann hätte er wohl gesagt: Wir kämpfen um unserem Volk die Freiheit zurück zu geben und nicht um einer Krone willen.
Doch war nicht er es, der diese Worte aussprach, sondern eine Frau. Sie schob den Zelteingang beiseite und stand auf einmal mitten im Raum. Ihre Hand ruhte auf dem Schwertgriff und ihre kräftige Gestalt war in einen Harnisch gehüllt.
Mit schweren Schritten ging sie zum Prinzen und blieb ihm gegenüber stehen.
„Wir kämpfen, um diesen Menschen da draußen eine Perspektive zu geben.“. Mit einer energischen Handbewegung deutete sie nach draußen. „Nicht um die Krone eines Königsgeschlechtes zurückzuerobern, dessen letzter Vertreter sich einen Dreck um seine eigenen Leute schert.“.
Mit offenem Mund starrte Asahel diese Frau an, die Empörung deutlich auf sein Gesicht gemalt.
„Ich will nicht bestreiten, dass Euer Vater ein guter Mann war. Er hatte seine Fehler, aber hat er seine Stärken zum Wohle dieser Nation gegeben.“.
Sie bohrte Asahel den Zeigefinger in die Brust.
„Ihr dagegen wollt von Eurem Volk verlangen, dass es den Weg eines sicheren Todes geht, indem es einen Kampf beginnt, den es unmöglich gewinnen kann.“.
Zum ersten Mal schien sie die anderen Menschen im Raum zu bemerken und somit erklärte sie: „Es ist zu früh und Ihr habt zu wenig Männer. Lasst es bleiben oder reißt diese Männer da draußen in den Tod. Diese Revolution wie ihr sie nennt, wird scheitern. Ich kämpfte an der Seite Ìsivens und glaub mir, ich weiß wie die Strategien eines Genies aussahen und ich sage euch, dies sind die Werke eines Trottels.“.
„Ihr wagt es.“, schrie Asahel mit schriller Stimme. „Wache! Entfernt diese Person aus meinem Zelt.“.
In diesem Moment wirkte er wie ein Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hatte und Tarear hatte ihn aufhalten wollen, denn wusste er nun, wer diese Person war.
„Jael.“, flüsterte er leise.
Doch Jael hatte gute Ohren, denn drehte sie sich zu ihm um.
„Und von dir Tarear hätte ich wirklich besseres erwartet.“.
Die Veteranin spuckte aus und verließ das Zelt.
Ihre Verachtung schmerzte, denn einst hatten Tarear und Jael Seite an Seite gekämpft.
„Endlich ist diese schreckliche Person fort.“, meinte Asahel in die regierende Stille herein. „Solche Personen sollte man einsperren.“.
Langsam wandte Tarear sich zu seinem Schützling um.
„Dies war Jael, Stabschefin von Ìsiven in den Zeiten der Revolution. Eine der größten Kriegerinnen, die unser Volk je hervorgebracht hat.“.
„Dann ist es gut, dass sie fort ist.“, entgegnete der Prinz und hob den Kopf. „Denn Personen, die mir nicht die Treue schenken, können nicht für mich und dieses Land kämpfen.“.
„Vielleicht kämpft sie für unser Land – nur auf ihre eigene Art.“, murmelte einer der Versammelten und auf seinem Gesicht glühten offene Flammen des Zweifels.
Doch seine Idee wurde aufgegriffen und ein weiterer antwortete: „Stimmt. Man kann für die Freiheit seines Landes auch dienen, ohne einem König zu folgen.“.
Asahel hieb mit der Faust auf den Tisch.
„Ich verbiete jeglichen Zweifel an meiner Person. Ich bin euer zukünftiger König und ihr habt mir die Treue geschworen.“.
„Das stimmt.“, erklärte der erste Zweifler, „Doch ist die Treue an unserem Land gegenüber wohl höher einzuschätzen als unserem Land gegenüber.“.
„Ich bin Servina.“, knurrte Asahel.
„Nein, das seid ihr nicht.“, rief ein dritter. „Servina sind die Berge, die Flüsse und die Wälder. Und die Menschen da draußen, die Ihr in den sicheren Tod schicken wollt. Mein König seid Ihr nicht.“.
Mit diesen Worten verließ der Sprecher das Zelt und ihm folgten fünf weitere.
Asahel ließ seinen Blick über den merklich geschrumpften Generalstab schweifen.
„Es ist besser man sondert Verräter früher als später aus. Jetzt war der richtige Moment, später wäre es zu spät gewesen und hätte die ganze Unternehmung gefährden können.“.
Tarear musterte seinen jungen Prinzen und zum ersten Mal kamen ihm Zweifel. Zweifel an den Fähigkeiten Asahels, dieses Volk zu leiten. Er war nicht sein Vater und noch weniger war er ein Ìsiven.
Ìsiven war ein erfahrener Mann mit einem unglaublichen strategischen Talent und einem Herz für diesen Volk gewesen. Asahel war ein Junge an der Schwelle zum Erwachsenwerden, der nun die Bürde eines ganzen Volkes zu tragen hatte und dennoch nur an sein eigenes Wohl und seine Krone dachte.
In diesem Moment wusste Tarear nicht länger, was er tun sollte und Zweifel waren der Tod eines jeden Sieges.
Hiskijar führte Malèhlti durch das Feldlager. Er genoss es, Menschen seines Mutters Volk und nun auch seines Volkes um sich zu haben. Das Klingen der Schwerter, für ihn süßer als jeder Gesang, die leisen Unterhaltungen der Männer, die sie führten, der Eintopf, der über den Feuern kochte, all dies gefiel ihm. Es war Hoffnung und Zuversicht, die er in den Gesichtern dieser Männer las, eine glückliches Bewusstsein, das der Kampf bald folgen würde. Zweifel waren ebenfalls dort, Zorn und Wut, Verunsicherung und Angst waren ebenfalls da, die jedoch die Hoffnung nicht beeinflussen und erdrücken konnten.
Der alte Veteran erreichte das Zelt, in dem der Generalstab tagte und vor welchem sich so viele Menschen versammelt hatten, dass die Wachen Schwierigkeiten hatten, sie von dem Betreten des Zeltes abzuhalten.
In diesem Moment verließ jemand das Zelt. Zornig stürmte eine Frau heraus, das Gesicht von Wut und einem unaussprechlichen Schmerz verzogen.
„Jael.“, flüsterte er und Tränen der Freude glänzten in seinen Augenwinkeln, denn hatte er nicht zu hoffen gewagt, dass diese Legende der Revolution überlebt hatte.
Wie sie ihn inmitten all der Menschen wahrnahm, verstand er nicht. Doch blieb sie vor ihm stehen.
Jael war ungewöhnlich groß und kräftig für jemanden aus dem Volk der Ástilos, doch hatte sie sich den fünfzehn Jahren, seitdem Hiskijar sie zuletzt gesehen hatte, kaum verändert. Es waren immer noch die gleichen roten Locken, die ihr vom Kopf abstanden und in ihren graugrünen Augen funkelte noch dieselbe Entschlossenheit und unbändige Lebensfreude wie damals. Vielleicht waren einige Narben dazugekommen, doch die gespaltene Nase war dieselbe geblieben.
„Habt Ihr damals gekämpft vor fünfzehn Jahren?“, fragte sie und in ihrer Stimme schwang immer noch eine zornige Erregung mit.
„Ja.“, antwortete er, „Ich kämpfte bei der Schlacht am Lidebir und bei denen in den Sümpfen von Debir, ich war bei der Eroberung von Sukkot dabei und versteckte mich nach der Schlacht von Astarot im Hochland von Talma. Und ich lebe noch und meine Finger jucken danach, einigen Arthergern den Kopf abzuschlagen.“.
„Ah.“. Sie lächelte und seufzte. „Endlich ein wirklicher Veteran, der die Ideale, für die wir damals kämpften, noch nicht verraten hat.“.
„Und der bereit ist, für dieselben wie damals zu kämpfen.“.
„Ja, doch ist dies nicht der Ort, an dem Ihr sie verwirklichen solltet.“. Ein dunkler Schatten der Sorge zog sich über ihr Gesicht.
„Ist es wegen Kronprinz Asahel? Ich hatte schon befürchtet, dass er nicht der Richtige sein wird, um dieses Volk in die Freiheit zu führen.“.
Ein dünnes Lächeln zierte ihre Mundwinkel.
„Dann seid Ihr klüger als manch anderer.“. Sie seufzte. „Zu viele gute Männer sind in der Zeit gestorben und die Jungen können ihren Platz nicht einnehmen.“.
„Sie können.“, widersprach Hiskijar ihr, „Wenn sie die richtigen Lehrer und den richtigen Führer haben.“.
„Nur wer sollte das sein? Asahel wird fallen, so tief wie er jetzt hinauf will. Tarear hat sich klar auf seine Seite gestellt und ist zu blind, die Schwächen seines geliebten Prinzen zu erkennen. Und außer mir und ihm ist von den großen Führern der Revolution keiner mehr übrig.“.
„Tarear lebt?“, wiederholte er.
Ein wenig verdutzt aufgrund der Unterbrechung sah sie auf. „Ja.“, erklärte sie ungeduldig, „Er lebt.“.
Hiskijar lächelte erneut. Tarear war damals ein guter Mann gewesen und würde es heute hoffentlich immer noch sein.
In diesem Moment kam erneut ein Mann aus dem Zelt. Er stellte sich vor die Menge und erklärte: „Der verehrte Prinz Asahel wird in wenigen Minuten eine Ansprache vor den Soldaten Servinas halten.“.
„Nun da bin ich gespannt.“, murmelte Jael und Hiskijar stimmte ihr stumm zu.
Wie angekündigt trat Asahel wenige Augenblicke später vor die Soldaten. Seinen Silberreifen trug er wie ein König, doch konnte dieser nicht über seine Jugend hinwegtäuschen. Nur ein dünner Bartflaum bedeckte sein Kinn und er war keineswegs ausgewachsen, auch wenn er groß für sein Alter war.
„Mein Volk! Meine Brüder und Schwestern!“.
Anerkennend nickte Hiskijar, reden konnte der Junge schon einmal.
„Seid willkommen an diesem Tag, der die Geschichte unseres Volkes nachhaltig verändern wird. In Jahrhunderten wird man sagen, dass an diesem Tag der Kampf der Freiheit für unser Land, für Servina, begonnen hat. Und ihr werdet euren Enkeln erzählen können, dass ihr an diesem Tag dabei ward.
Um der Gerechtigkeit willen werden wir Artherg niederringen, so wie es einst uns niedergerungen hat. In glorreichen Schlachten werdet ihr kämpfen und über diese wird man sagen, dass dort das Schicksal des Bären besiegelt worden ist.
Jetzt lasst uns marschieren für Freiheit! Für unser Land! Und für euren König!“.
Jubelrufe wurden laut, doch weder riefen Hiskijar und Jael mit, noch richteten sie die Hände gen Himmel.
Sie schwiegen nur, doch war es dieses Schweigen, das ihre Entscheidung offensichtlich werden ließ.
Stumm nickten sich der Krieger und die ehemalige Generalin zu.
Sie würden kämpfen, aber nicht an diesem Tag und nicht unter diesem Anführer.