MARIE
Ich freue mich, Tobias auf den Beinen zu sehen und kann meine Augen keine zwei Sekunden von ihm lassen. Wir sitzen noch immer in der Küche. Baal und er erzählen mir, wie sie sich gefunden haben. Besser gesagt, wie Baal, Tobias gefunden hat. Eva und Tobias wissen übereinander Bescheid und dennoch wirkt ihr Verhältnis etwas unterkühlt. Vielleicht auch, weil sich Tobias noch daran gewöhnen muss. Und Tobias erzählt mir, in welcher Hinsicht er sich verändert hat. Das er nur einen kleinen Teil der Erinnerungen zurückerhält. In bestimmten Momenten. In seinen Träumen. Doch es ist nicht Seth, obwohl manche Wörter von ihm so klingen, als würde sie Seth über seine Lippen gebracht haben. Und auch, wenn ich es nicht will, so schmerzt mein Herz beim Gedanken daran, dass ich Seth auf diese Art nicht mehr sprechen werde. Es ist noch immer kompliziert. Noch immer muss ich meine Gedankengänge anstrengen, um damit klar zu kommen. Doch ich versuche mich irgendwie damit abzufinden und mich auf unsere bevorstehenden Aufgaben zu konzentrieren.
„Die wichtigste Frage ist, was sie vorhaben. Warum tun sie das, was sie tun? Ich kann nicht glauben, da nicht noch mehr dahintersteckt. Nicht bei Adam. Er hatte immer einen Plan.“
Baal schüttelt seinen Kopf und Tobias versucht eine Anwort darauf zu finden.
„Es ist eindeutig, dass sie versuchen ein Mittel zu finden, um uns töten zu können. Doch ich verstehe nicht, warum sie alle, die sich ihnen nicht anschließen auslöschen. Besser gesagt, sie von der Decke baumeln lassen und ihnen Schläuche in ihre Körper stecken um ihre Essenz oder sonst etwas zu extrahieren.“
Nun meldet sich Eva zu Wort.
„Es muss definitiv ihre Essenz sein. Ihre Kraft.“
„Die Schläuche, die in ihren Körper steckten....“
Weiter komme ich nicht mit meiner Vermutung, als Eva zustimmend nickt.
„Ich war lange genug dort, um sie zu beobachten. Sie lassen durch die Schläuche eine Flüssigkeit in ihre Körper, und diese scheint etwas mit ihnen zu machen. Denn nach der Flüssigkeit zu urteilen, die aus ihren Kreislauf extrahiert wird, ist es nicht mehr ihr Blut. Es ist silber. So wie diese Flüssigkeit mit der sie uns gewaschen haben und somit meine Kräfte geschwächt haben.“
Bei einem Blick auf Tobias, merke ich, wie er bei dem Wort „gewaschen“ zusammenzuckt. Ich habe ihm noch nicht erzählen können, was uns passiert ist. Dafür war noch keine Zeit. Wir müssen Wichtigeres besprechen.
„Es dürfte die gleiche Flüssigkeit sein, die sie in ihren Kugeln verwenden. Tobias und ich haben eine von den Kugeln zu einer alten Bekannten gebracht. Sie hat mir zwar noch nichts Genaueres sagen können, aber sie ist sich auf den ersten Blick sicher, dass es sich dabei um etwas handelt, dass uns wirklich gefährlich werden könnte. Sie müssen ihre Essenz mit etwas kombinieren, denn eine Essenz alleine kann keinen Engel, Dämon oder etwas dazwischen töten.“
Baal spricht mit tiefer Stimme und nimmt damit erneut den ganzen Raum ein.
„Also, wir müssen herausfinden, was genau mit dieser Essenz vorhaben und wie wir ihre kranke Fabrik zerstören können. Wie stellen wir das an?“
„Ich weiß, wie ich herausfinden kann, was sie vorhaben.“
Nun blicken wir alle gespannt zu Tobias, der fest entschlossen klingt.
„Ich werde Kain um ein Treffen bitten, um ihn damit ablenken zu können, damit wir uns die Informationen beschaffen können.“
„Bist du verrückt. Du wirst dich sicher nicht mit ihm treffen!“
Jetzt bin ich wütend. Wütend, darauf, dass er so etwas vorschlägt. Ich will ihn nicht nochmal verlieren. Schon garnicht bei so einer törichten Aktion. Eva scheint ebenfalls nicht begeistert von seiner kranken Idee zu sein. Sie schüttelt ihren Kopf, ebenso wie ich und wirkt verzweifelt.
„Seth, das kannst du nicht machen. Er wird dich mit seinen neuen Waffen töten. Und was, wenn sie funktionieren? Ich kann dich nicht noch einmal verlieren.“
Er presst die Lider aufeinander und scheint uns zwar zu verstehen, doch ich kenne diesen Blick nur zu gut. Er hat seinen Entschluss gefasst.
„Ich habe bereits einen ihrer Wissenschaftler gequält und konnte nur herausfinden, dass sie die Essenz extrahieren. Mehr konnte er mir nicht sagen. Ich habe auch einen ihrer Lakeien versucht zu quälen und dieser hat mir dann einen verdammten Liuvakristall verpasst. Wir müssen einen Weg finden, um an ihre Unterlagen zu kommen und dafür brauchen wir eine Ablenkung. Sie haben Aufzeichungen darüber. Ich weiß es. Sie sind in einem bewachten Bunker unter dieser Fabrik. Wir müssen herausfinden, wie wir dort hineinkommen. Irgendjemand muss es versuchen, während ich ihn ablenke. Der Großteil seiner Lakaien wird bei ihm sein.“
Ball gibt ein zustimmendes Brummen von sich, bevor er ruhig und gelassen weiterspricht.
„Ich werde gehen. Nara kann uns mit Sicherheit dabei helfen, in diesen Bunker zu gelangen. Aber die Frage ist dennoch, ob auch Adam bei ihm sein wird? Er und Kain müssen unter einer Decke stecken. Wieso sollten sie es denn auf dich abgesehen haben?“
Tobias nickt und presst seine Lieder fest aufeinander, bevoer er weiterspricht.
„Ich weiß es nicht. Aber wenn, dann werden wir es herausfinden. Die Entscheidung steht.“
Baal nickt mit seinem Kopf und kratzt sich mit seinen Fingern an seinem Kinn, bevor er Tobias mit einem fragenden Blick betrachtet.
„Liuvakristalle?“
„Ja. Es war definitiv ein Liuvakristall. Es brannte wie die Hölle und ich konnte ihn nicht selbst entfernen. Darum habe ich Marie aufgesucht.“
Nun blickt er in meine Augen und obwohl ich noch immer verärgert bin, spüre ich seine Zuneigung. Sie beruhigt mich ein wenig. Auch, wenn die Erinnerung daran, wie er blutend in meinem Badezimmer gelegen hat schmerzt, so war dies der Tag, an dem ich ihn wieder zurückbekommen habe. Einen Teil von ihm. So, wie Alina ihren Vater kennengelernt hat.
Und plötzlich scheint es Baal zu dämmern, denn seine Augen vergrößern sich und er wirkt etwas nervös, was ich von ihm nicht gedacht hätte, dass er dieses Gefühl kennt.
„Ich muss Nara anrufen. Der Liuvakristall...die Kugel brannte ebenso auf unserer Haut. Was, wenn sie etwas geschaffen haben, dass den Liuvakristall zu einer tödlichen Waffe für uns Unsterbliche macht. Etwas, dass sich in Verbindung mit diesem Kristall zu unserem gefährlichsten Feind macht? Ich werde sie in unser Vorhaben einweihen.“
Baal geht in die Küche, um nach einem Telefon zu greifen. Er tippt die Nummer ein und verschwindet in ein Nebenzimmer, von wo ich seine Stimme nur dumpf wahrnehme. Wir anderen bleiben aufgewühlt in der Küche zurück. Ich nutze die Zeit, um Tobias davon zu überzeugen, dass er nicht gehen darf.
„Tobias. Du kannst nicht gehen. Er wird dich umbringen.“
Er schüttelt seinen Kopf, als auch Eva versucht auf ihn einzureden. Ihn davon zu überzeugen, dass es ein Selbstmordkommando ist, was er vorhat.
„Ich werde gehen. Ich muss.“
Am liebsten würde ich ihn anschreien. Würde am liebsten seine Hände nehmen und mich daran festklammern und sie niewieder loslassen. Doch sein plötzlich sanfter Ton lähmt mich. Seine flüchtige Berührung an meinem Handgelenk lässt mich erschaudern.
„Ich will nicht, dass Alina in so einer Welt aufwächst. Ich will, dass sie niemals Angst haben muss, dass jemand sie töten will. Ich will, dass sie ohne Sorgen aufwächst. Mit dir, als ihre Mutter.“
Tränen bahnen sich den Weg aus meinen Augenwinkel. Ich wollte sie zurückhalten, doch ich schaffe es nicht. Nicht bei der Erkenntnis, dass er Recht hat. Ich wünsche mir ein normales Leben für Alina. Doch ich wünsche es mir mit ihm.
„Was ist mit dir, als ihr Vater?“
Seine Augen wirken traurig, doch sein Blick enstschloßen.
„Ich werde gehen. Ende der Diskussion!“
Dann dreht er sich um und lässt uns einfach zurück. Meine Tränen versiegen aufgrund des Schocks, doch mein Herz schmerzt bei jedem Schlag. Wieso will er sich selbst umbringen? Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter. Es ist Eva. Sie hat ebenso den Glanz der Tränen in ihren Augen. Ihr Blick wirkt gequält.
„Du hast eine Tochter?“
Trotz der Trauer wirkt sie überrascht über diese Neuigkeit. Ich nicke.
„Tobias und ich haben eine Tochter.“
Plötzlich wirkt sie, als hätte ich ihr erzählt, dass die Erde doch eine Scheibe ist.
„Das ist nicht möglich.“
Doch bevor ich antworten kann, kommt Baal ins Zimmer und antwortet Eva.
„Ein Schlupfloch.“
Er blickt auf Eva hinab und sieht dann erneut mich an. Seine Augen wirken traurig und dennoch voller Stolz. Wieder habe ich das Gefühl, als würde ich ihn von irgendwoher kennen. Doch ich schüttle es wieder ab. Es kann nicht sein. Was mich hingegen mehr beschäftigt ist, dass er dieses Wort verwendet.
„Wieso ein Schlupfloch?“
„Wir haben einst einen Pakt geschloßen, dass unsere Kinder keine Nachfahren mit Menschen zeugen können. Doch irgendetwas scheint passiert zu sein, denn wie Tobias mir sagte, ist es wahr.“
Ich bin vewirrt und dies scheinen die beiden zu bemerken. Also erklärt mir Baal wieso Alina eigentlich nicht existieren dürfte. Er erzählt mir von Gott und seiner Seele, mit der er sie erschaffen hat. Er erzählt mir von Licht und Dunkelheit. Von Adam und seinen Söhnen. Von dem Pakt, den er, Lilith, Adam und Eva geschloßen haben, um zu verhindern dass sie Kinder mit der Menschheit zeugen können. Und am Ende starre ich die beiden an, als hätten sie mir gerade die verrückteste Geschichte aller Zeiten erzählt. Was wohl auch der Wahrheit entspricht. Denn ich weiß nicht, ob ich mit all dieser neuen Information klar kommen werde.
„Jetzt ist es an der Zeit, dass ihr euch ein wenig ausruht. Morgen werden Eva und Seth, also Tobias, dieses Ritual zu Ende bringen. Und Nara wird mich zurückrufen. Sie untersucht die Kugel auf Liuva und hackt sich in irgendwelche Baupläne über die Fabrik. Mach dir nicht allzu viel Sorgen um Seth. Er wird es schaffen. Er hat eine Chance gegen Kain. Auch, wenn ich selbst Angst um ihn habe, so weiß ich, dass er das schaffen kann. Habt Vertrauen in ihn.“
Dann zwinkert er mir zu, wobei ich erneut das Gefühl habe, ihn zu kennen. Doch ich verdränge dieses Gefühl.
„So, und jetzt ruh dich aus. Das obere Zimmer ist eures. Es gibt leider nur zwei Schlafzimmer in diesem Haus.“
Erneut heben sich seine Mundwinkel, bevor er seine Hand an Eva`s Schulter legt und sie sanft aus der Küche bugsiert.
„Komm, ich zeig dir das andere Schlafzimmer. Du bist noch immer schwach.“
Seine Stimme wird ein Flüstern und ich kann ihren Worten nicht mehr folgen. Ich sehe nur noch, wie sie im Türrahmen verschwinden. Für einige Minuten bleibe ich sitzen und versuche die neuen Informationen zu verdauen. Erst nach einer Weile bewege ich mich. Ich gehe die Treppen nach oben und hoffe, dass ich Tobias in diesem Schlafzimmer finden werde. Ich muss mit ihm reden. Ich muss ihm sagen, dass er Alina nicht im Stich lassen darf. Er darf sich nicht in solche Gefahr bringen, auch, wenn ich verstehe wofür er es machen würde. Doch ich bin mir sicher, dass wir eine andere Lösung finden. Wir müssen eine andere Lösung finden.
An der Tür angekommen, lausche ich nach einem Geräusch, dass mir sagen würde, dass Tobias im Schlafzimmer ist. Doch ich höre nichts. Also öffne ich dir Tür und starre in ein leeres Schlafzimmer. Ich hätte gehofft ihn hier vorzufinden, aber er scheint sich irgendwo zurückgezogen zu haben. Ich habe noch kein einziges Wort mit ihm unter Vier Augen wechseln können, seitdem er uns befreit hat. Ich vermisse ihn. Ich vermisse Seth. Ich vermisse Alina.
Da ich sowieso nicht einschlafen könnte, werde ich wenigstens versuchen, mir den Schmutz abzuwaschen. Ich fühle mich dreckig und hasse es mit dieser Kleidung an die Zeit in dieser Fabrik erinnert zu werden. Also öffne ich die helle Tür, die von diesem Zimmer aus in ein weiteres zu führen scheint, in der Hoffnung, dass es das Badezimmer ist. Es ist stockdunkel und ich taste mit meinen Fingern nach dem Lichtschalter. Nach langer Suche finde ich ihn und sofort erhellt ein warmes Licht den Raum, der tatsächlich ein Badezimmer ist. Mit einem kleinen Waschbecken und einer großen Dusche. Und mit einem Menschen? Ich stolpere in das Zimmer bei diesem Anblick. Stürze mich auf die breiten Schultern, die zu dem gekrümmten Körper gehören, der auf den blassgrauen Fliesen liegt. Sein Oberkörper ist nackt. Die Muskeln unter seiner Haut sind zum Zerreißen gespannt. Er trägt nur noch seine schwarze Hose. Ich fasse an seine Schulter und versuche ihm zu helfen, doch er zuckt unter meiner Berühung zusammen. Also steige ich über seinen Körper hinweg, um in sein Gesicht blicken zu können. Ein Gesicht, das schmerzverzerrt ist und über das sich ein Schatten gelegt hat. Seine Augen sind dunkel. Dieses Mal sind es beide. So, als würde Seth Überhand nehmen. Aber er ist bereits zu einem Teil Seth, also weiß ich nicht, was es zu bedeuten hat. Ich habe Angst. Zittere selbst.
„Tobias. Was ist los? Was hast du?“
Ich flüstere diese Worte und versuche ihn erneut zu berühren. Versuche ihn irgendwie aus diesen Schmerzen zu befreien. Diesesmal zuckt er nicht vor meiner Berührung zurück. Diesesmal lege ich meine Hand auf die kalte schweißnasse Haut, unter der die ganzen Muskeln auf Hochtouren zu arbeiten scheinen. Dann höre ich nur eine tiefe Stimme in meinen Ohren vibrieren. Zuerst verstehe ich die Worte nicht. Aber irgendwann wird es klarer und deutlicher.
„Erinnerungen. Erinnerungen.“
Ich fühle mich hilflos. Also will ich aufstehen und nach Baal rufen. Er wird wissen wie wir ihm helfen können. Doch als ich meine Hand von seiner Haut lösen will, höre ich erneut seine Stimme.
„Bleib. Du...bitte...bleib.“
Ich atme die Luft tief in meine Lungen. Versuche mich seinetwegen zu beruhigen. Dann setze ich mich zu ihm auf den kalten Fliesenboden. Streiche mit meinen Daumen über die Haut an seiner Schulter, in der Hoffnung ihn damit beruhigen zu können. Ihm damit seine Schmerzen nehmen zu können.
Ich weiß nicht wielange wir nun hier sind, doch irgendwann werden Tobias`s Atemzüge leiser. Sein Herzschlag unter meinen Fingerkuppen beruhigt sich und bei einem Blick in seine Augen erkenne ich die ungewöhnliche Farbe wieder. Eines dunkel, das andere grün mit grauen Sprenkeln darin. Dann höre ich seine Stimme, die zwar noch immer tief ist aber wieder menschlicher klingt.
„Danke.“
„Tobias? Geht es dir besser?“
Er nickt und seine Mundwinkel bewegen sich nach oben. Wie kann er mir jetzt ein Lächeln schenken. In dieser verqueren Situation? In meinem Körper herrscht noch immer die Angst und diese lässt meine Glieder zittern. Doch nur wenige Sekunden später setzt er sich auf. Ich versuche ihm mit einer stützenden Hand zu helfen, doch er scheint sich schnell wieder gefangen zu haben. Ich hingegen kann kaum einen klaren Gedanken fassen, so besorgt bin ich um ihn.
„Kann ich irgendetwas tun?“
„Könntest du mich nicht so ansehen?“
Jetzt verwirrt er mich noch mehr.
„Wie?“
„So, als würde ich sterben und du dein Leben für mich geben. Das macht mich auf eine kranke Art und Weise irgendwie scharf.“
Er lacht und dann zwinkert er mir zu. Fast schon glaube ich, Seth in ihm zu sehen, doch irgendwie ist es auch nur Tobias. Doch ich spüre, wie die Röte in meine Wangen schießt. Verdammt. Ich muss an etwas anderes denken. Die beste und effektivste Lösung die ich finde, ist Abstand zu nehmen. Also rapple ich mich auf und schüttle meinen Kopf bevor ich mich zum gehen wende.
„Du bist echt verrückt.“
Dann wende ich mich ab und will durch die Tür ins Schlafzimmer gehen, als er mich plötzlich an meiner Hüfte packt und ich mit meinem Rücken fest an seine Brust gepresst werde. Ich will mich befreien, doch er hält mich fest. Legt sein Kinn auf meine Schulter, sodass ich seinen warmen Atem an meiner Haut spüren kann. Seine Stimme kitzelt in meinen Ohren, wobei sich eine Gänsehaut auf meinem Körper bildet.
„Du wolltest doch gerade unter die Dusche.“
Diese Nähe lässt meinen Körper in Regionen reagieren, wo er definitiv nicht in so einer Situation reagieren sollte. Nicht mit ihm. Nicht mit einem verdammten Halbengel oder Engel oder keine Ahnung was er wirklich genau ist.
„Hab`s mir anders überlegt.“
Erneut versuche ich mich von seiner Umklammerung zu befreien. Zu meiner Überraschung löst er plötzlich einen Arm von mir und hält mich nur noch mit einem Arm. Ich denke, dass er mich los lässt, doch er zieht mich mit einer schnellen Bewegung zurück. Gleich darauf höre ich Wasser plätschern und atme die Luft in meine Lungen, als mich ein kalter Wasserstrahl trifft.
„Tobias! Nicht!“
Ich kreische mehr als ich will und kann meine Belustigung über sein Verhalten nicht zurückhalten. Er ist verrückt. So verrückt, wie früher. So verrückt, wie die Liebe die wir hatten. So verrückt, wie einst mein Tobias. Wie meine Liebe. Und dann passiert es. Ein Lachen kommt über meine Lippen. Ein ehrliches Lachen. Doch sofort bemerke ich es und fühle plötzlich Schuld. Schuld gegenüber dieser Situation. Gegenüber Alina, die ohne mich ist. Gegenüber meiner Familie, bei denen ich mich Ewigkeiten nicht mehr gemeldet habe. Gegenüber der Welt, die nicht weiß, dass sie in Gefahr ist. Gegenüber diesem Jungen, der in dieser Fabrik sein Dasein fristen muss. Und gegenüber Tobias. Denn er will gehen. Er wird sich mit diesem Treffen selbst umbringen. Erneut fließen Tränen über meine Wangen und vermischen sich mit dem mittlerweilen warmen Wasser. Dann spüre ich, wie Tobias seine Umklammerung etwas löst. Mit einer schnellen Bewegung dreht er mich so, dass ich nun in sein Gesicht blicke. Sofort schließe ich meine Augen und lege meine Handflächen darauf. Ich will nicht, dass er sieht, wie schwach ich bin. Ich will nicht, dass er meinen Schmerz sieht. Ich habe ihn so lange alleine ertragen müssen, dass ich kein Mitleid von ihm brauchen kann.
Und dennoch genießt mein verräterischer Körper seine warmen, rauen Handflächen auf meiner Hüfte.
„Ich habe dein Lachen vermisst. Ich habe fast schon vergessen, dass du noch schöner bist, wenn du glücklich bist.“
Ich schüttle meinen Kopf, will mich von ihm befreien. Doch er legt seine Finger um meine Handgelenke und zieht sanft meine Handflächen, die über meinen Augen liegen, nach unten.
„Sieh mich an. Bitte.“
Seine Stimme wirkt flehend. Ich weiß nicht, ob es diese Befehlsmasche ist, die auch Seth drauf hatte, oder mein Körper, der sowieso auf ihn reagiert, aber ich öffne langsam meine Lider. Mein Blick braucht einen Moment, damit er sich unter dem Wasserstrahl schärfen kann. Erst dann blicke ich in die Augen vor mir, die meine Knie weich werden lassen. In ihnen liegen so viele Gefühle. Doch ich kann nicht. Ich kann mich nicht von diesen Augen kontrollieren lassen.
„Du weißt, ich muss gehen. Es gibt keine andere Möglichkeit.“
Ich schüttle abwehrend meinen Kopf. Verzweifelt. Voller Trauer.
„Wir finden einen anderen Weg. Er wird dich töten.“
Ein Lächeln legt sich auf seine Lippen, dass nicht seine Augen erreicht. Es dient lediglich dazu, mich zu beruhigen. Doch er kann mich nicht beruhigen. Nicht, wenn die Angst um seinen Tod mich niederdrückt wie eine Tonne Gewicht. Seine Fingerkuppen legen sich auf meine Wangen und streicheln sanft über meine Haut. Ich hasse meinen Körper dafür, dass er mit einem wohligen Seufzer auf diese Berührung reagiert und ich meine Wange an seine Handfläche schmiege.
„Marie, hör mir jetzt zu und versuch mich zu vestehen. Die Zeit arbeitet gegen uns. Jede Minute, die wir nichts unternehmen, werden weitere von uns sterben. Qualvoll. Sie erschaffen weitere Maschinen, um uns aufzuhalten. Sie machen weiter ihre Experimente. Ich tue das auch für dich und Alina. Ich will nicht, dass ihr beide in Angst aufwachsen müsst. Alina soll frei sein. Sie soll nicht immer wieder geboren werden, ohne zu wissen, wer sie wirklich ist. Ohne Erinnerungen zu haben. Ich will, dass sie glücklich ist. Ich will, das du glücklich bist. Und vielleicht will ein egoistischer Teil von mir, dass WIR glücklich sein können.“
Seine Worte zerschmettern mein Inneres. Machen einen wirren Haufen aus Gefühlen daraus. Wut. Hass. Liebe. Trauer. Angst. Liebe. Liebe. Liebe. Er kann mich nicht mit diesen Worten besänftigen und dennoch tut er es. Er will mit UNS glücklich sein. Doch was bedeutet das wirklich?
„Ich habe Angst, Tobias. Ich weiß, ich habe dich nicht mehr, aber dennoch will ich dich nicht verlieren. Nicht ein weiteres Mal.“
Seine Finger streicheln noch immer über meine Wange, bevor er eine von ihnen in meinen Nacken wandern lässt.
„Ich weiß Marie. Ich weiß. Aber wir müssen das jetzt durchziehen und ich verspreche dir, dass ich alles versuchen werde, um wieder zu euch zurückkommen zu können. Ich habe nicht vor zu sterben. Es soll nur eine Ablenkung sein. Wenn nicht wir, Marie, wer sollte sie dann aufhalten?“
Resigniert nicke ich. Versuche, die erneuten Tränen zu unterdrücken, die sich bei der Erkenntnis, dass er Recht haben könnte, anbahnen. Und dann, als wüsste er, dass ich Angst habe, küsst er mich. Seine weichen, wasserbedeckten Lippen, treffen auf meine. Sanft. Leidenschaftlich. Zuerst bin ich wie erstarrt, doch seine Berührung, belebt mich. Lässt mich alles um mich herum vergessen. Es existiert nur noch er. Nur noch Tobias. Seine Fingerkuppen streicheln über die Haut in meinem Nacken. Doch plötzlich fühle ich eine Leere auf meinen Lippen. Ich öffne meine Augen und versuche zu vestehen, warum? Doch seine Hände sind schneller und schieben sich unter den Saum meines Shirts. Es klebt bereits an meinem Körper wie eine zweite Haut. Also schält er mich, mit meiner Hilfe aus dem Shirt und wirft es zu Boden. Da ich nichts darunter trage, spüre ich seinen Blick auf meinen Brüsten, bevor er sich vor mich kniet. Seine Handflächen steichen an meiner Seite entlang zum Bund meiner Hose. Er löst die Schlaufe, mit der ich sie enger gezogen habe und streift auch diese an meinen Beinen nach unten. Eigentlich sollte ich Scham spüren, doch ich fühle mich gerade so, als würde ich alles für ihn sein. Vielleicht ist es aber auch nur deswegen, weil er auch neben Alina, alles für mich ist und je war.
Nachdem ich aus meiner Hose gestiegen bin, richtet er sich ohne eine weitere Berührung an meinem Körper auf. Seine Hände legen sich auf seine Gürtelschnalle und mit einem Klicken öffnet er sie. Er scheint es absichtlich langsam zu machen, denn er lächelt. Er weiß, dass er mich damit in den Wahnsinn treibt. Langsam öffnet er den Reißverschluß seiner Hose und schiebt sie dann endlich mitsamt seiner Boxershort von seinen Hüften. Auch, wenn ich es schon gesehen und vorallem gespürt habe, so ist seine Errektion, die sich mir nun entgegenstreckt faszinierend. Dieser Anblick entfacht ein Feuer in mir und lässt meine Haut glühen. Ich versuche meinen Blick davon loszureißen, bevor er es bemerkt. Doch ich blicke bereits auf ein schelmisches Grinsen und dunkle Augen, die mich intensiv betrachten. Die Hitze wandert weiter in meine Wangen und auch noch an einen anderen Ort, der nur liebend gerne von ihm berührt werden möchte.
Doch wider Erwartens, greift er zu einer Tube, die auf einer der Ablagen in der Duschkabine steht. Er öffnet sie und drückt sich etwas von der Flüssigkeit in seine Handfläche. Dann stellt er sie wieder ab und kommt näher. Er verreibt die Flüssigkeit in seinen Händen, küsst mich auf meine Stirn und beginnt mit seinen Händen das Duschgel auf meinem Körper zu verteilen. Langsam und mit Bedacht, so als würde ich zerbrechlich sein. Meine Knie werden erneut weich unter seiner Berührung. Seine Finger, die langsam über meinen Körper streichen löst etwas in mir aus, dass mir bis jetzt unbekannt war. Das Gefühl, als würde seine Seele die meine sein. Das sein Herz für meines schlägt und mein Herz für ihn schlägt. Das meine Lungen für ihn atmen und seine für mich. Ich fühle mich Eins mit ihm. Etwas, dass ich auch in unserer Beziehung nicht gefühlt habe. Aber jetzt, hier, fühle ich es.
Als er jeden Zentimeter meines Körper gewaschen hat, stellt auch er sich nochmals unter den Wasserstrahl, bevor er mich noch einmal küsst und seine Berührung mich fast in den Wahnsinn treibt. Mein Verlangen, ihn zu spüren steigt ins Unermessliche. Mein Körper verzehrt sich nach ihm. Doch er scheint mich nicht auf diese Art uns Weise zu wollen. Auch, wenn seine Errektion etwas anderes sagt, dreht er den Wasserhahn zu und schnappt sich ein Handtuch, das an einem der Haken hängt. Doch anstatt wie erwartet, sich selbst damit abzutrocknen, legt er es um meine Schulter. Ich starre verwirrt zu ihm auf und warte auf irgendeine Reaktion. Irgendwelche Worte. Doch er schweigt. Betrachtet mich still. Seine Hände rubbeln sanft meine Haut trocken. Dann trocknet er sich ebenfalls ab und hängt das Handtuch wieder an den Haken. Seine Finger umschließen mein Handgelenk. Sanft zieht er mich nach sich. Über den kalten Fliesenboden, weiter in das angrenzende Schlafzimmer. Noch immer sind wir nackt. Noch immer spüre ich Verlangen.
Mit einer blitzschnellen Bewegung hat er erneut die Arme um mich geschlungen. Er scheint plötzlich wie ausgewechselt zu sein, denn seine Lippen pressen sich erneut auf meine. Leidenschaftlich. Verzweifelt. Als er sich kurz von mir löst, blickt er mit Verlangen auf mich herab.
„Ich wollte mich wirklich zurückhalten, aber ich muss dich ficken.“
Die Worte aus seinem Mund entfachen die Hitze zwischen meinen Beinen erneut. Mein Körper kann es kaum erwarten. Ich verdränge die Sorgen. Verdränge die Schuldgefühle. Denn ich kann mich mit ihm verlieren. Dieser Augenblick gehört uns. Nur dieser Moment.
Seine Hände packen mich hart an meiner Taille und mit einem Ruck hebt er imch nach oben, sodass sich meine Beine automatisch um seine Hüfte schlingen. Meine Hände lege ich in seinen Nacken und presse mich an ihn. Seine Handflächen legen sich heiß auf meinen Po. Seine Lippen wandern zu meinem Mundwinkel und zu meinem Nacken, wo er mich küsst und seine Zähne über die zarte Haut schaben lässt. Meine Finger wandern in seine Haare. Ziehen daran. Ich kann meine Sucht nach ihm nicht länger zurückhalten. Ein kaum hörbares Stöhnen kommt über meine Lippen. Ich bin wie Wachs in seinen Händen.
Dann lande ich mit einer weiteren unmenschlichen Bewegung auf der weichen Matratze. Tobias auf mir. Seine Erektion presst sich an die bereits feuchte Stelle zwischen meinen Beinen. Ich willl nicht länger warten. Ich muss ihn in mir spüren. Will alles um mich herum vergessen. Mit ihm.
Doch er erfüllt meinen Wunsch nicht. Er küsst sich seinen Weg immer weiter nach unten. An meiner Schulter entlang, über meine harten Nippel und weiter über meinen Bauch, bis er fast auf die Stelle trifft, die sich so sehr nach ihm verzehrt. Ich atme scharf ein, als er sich immer weiter dieser Stelle nähert, seine Finger meine Fußfesseln fest umschließen und damit meine Beine spreizen. Seine Zunge, die an meinem Oberschenkel entlangfährt, macht mich wahnsinnig. Ich glaube zu verbrennen, als er dann endlich seine Lippen zwischen meine Beine legt und mich dort küsst, wo mein Körper nur noch mit Stöhnen und Lust reagieren kann. Auch wenn das Verlangen meine Lider schwach werden lässt, so blicke ich dennoch hinab. Der Anblick entfacht weitere Lust und ein Gefühl in meiner Brust, dass mich fast erdrückt. Denn in diesem Moment gehöre ich nur ihm. Die Muskeln an seinen Schultern sind alle angepannt und pressen sich fest gegen seine Haut. Die Zeichen, die ich schon einmal gesehen habe, kommen zum Vorschein. Sie leuchten in einem hellen silber. Sein Kopf gräbt sich weiter zwischen meine Beine und dann erstarre ich, als er plötzlich mit seinen dunklen Augen zu mir aufsieht. In diesem Moment weiß ich es. Ich gehöre ihm. Habe ich immer.
Mein Höhepunkt bahnt sich an und ich kann meinen Blick noch nicht von ihm lassen. Das Verlangen in seinen Augen treibt mich in den Wahnsinn. Ich stöhne auf, werfe meinen Kopf zurück in die weiche Matratze. Spüren wie mein Körper bebt. Wie plötzlich sein Name über meine Lippen kommt. „Tobias.“ Doch dann lässt er mich einfach los. So, als hätte ich etwas falsches gesagt. Es dauert auch nicht lange, bis ich kapiere was los ist. Er ist jetzt ebenso Seth. Er ist nicht mehr nur Tobias. Ich richte mich auf. Suche nach seinem Blick, doch er hat sich von mir abgewendet auf den Rand der Matratze gesetzt. Seine nackten Füße am Boden. Seine Hände liegen auf seinen Oberschenkeln. Schnell, so als würde ich ihn retten müssen, bewege ich mich auf ihn zu. Noch immer geschüttelt von meinem Höhepunkt, der plötzlich so weit weg erscheint. Ich krabble über die Matratze nach unten. Knie mich vor ihn. Lege meine Hände auf seine, die auf seinem Oberschenkeln verharren. Ich habe damit gerechnet, dass er vielleicht meine Berührung nicht will und dennoch tut es weh, als er sich tatsächlich kurz unter meiner Berührugn anspannt. Doch ich lasse ihn nicht los. Ich kann nicht. Ich brauche ihn und ich muss ihm sagen, was ich denke. Was ich wirklich denke.
„Es ist nur ein Name. Es sind nur Namen. Seth...Tobias...tatsächlich ist es völlig egal, wie ich dich nenne. Ich mag euch beide. Ich habe mich in dich verliebt und das war meine erste große Liebe. Doch ich habe mich auch zu Seth hingezogen gefühlt, auch, wenn es dir nicht gefällt. Aber Seth bist jetzt ebenfalls du. Du bist der, den ich will. Ich will euch beide...ich will dich...so wie du jetzt bist.“
Er atmet tief ein. Seine muskulöse Brust hebt und senkt sich schwer. Dann blickt er zu mir herab. So etwas wie Hoffnung liegt in seinen Augen. Er ist wieder bei mir. Nicht in seinen Gedanken. Er ist wieder hier bei mir. Sein Daumen streicht sanft über meinen Handrücken und ich kann nicht anders, als meine Lippen auf seinen Oberschenkel zu legen. Ich küsse ihn. Immer weiter nach oben. Ich spüre, wie sich die Muskeln an seinen Oberschenkeln unter der Haut anspannen. Langsam lasse ich meine Finger nach oben gleiten. Ich will ihm zeigen, wie sehr ich ihn will. Wie sehr ich ihn brauche. Ob nun Seth oder Tobias, ich brauche beide. Ich brauche ihn. Den Mann, der er jetzt ist.