Es ist ihre Formation, die das arthergische Heer so herausragend macht. Es zählen nicht länger die Fähigkeiten des Einzelnen, sondern die geballte Kraft der Gesamtheit. Kaum einem Gegner gelingt es die arthergischen Reihen zu durchbrechen, solange die Formation des Heeres Bestand behält.
Aus „Das arthergische Heeressystem“ von Dedan
Der Reiter am Horizont wirbelte eine Staubwolke auf und war so schon aus der Ferne erkennbar.
Jasreel warf einen Blick zu Alemet und Laedan, die an seiner Seite ritten, dann trieb er seinen Hengst an und jagte dem Boten entgegen. Dieser verneigte sich, die Hand auf dem aufgenähten königlichen Wappen auf seiner Uniform ruhend, vor seinem Kronprinzen und erklärte dann: „Mein Rittmeister hat am anderen Ufer Reiter entdeckt, die keine Flaggen trugen.“.
„Wie viele?“.
„Drei oder vier Hundertschaften, Hoheit.“.
Jasreel nickte dem Boten zu, dann wendete er sein Pferd und ritt zu dem langen Heereszug zurück.
Drei oder vierhundert Mann waren nicht viel, angesichts der Größe des arthergischen Heeres. Auch wenn nur eine Division auf dieser Route marschierte, waren die siebentausendfünfhundert Männer den Reitern deutlich überlegen. Doch die Überquerung eines Flusses unter feindlichen Beschuss war tödlich und mühsam. Einer Handvoll Bogenschützen mochte es an einer geeigneten Stelle mehrere Stunden vermögen, eine ganze Armee aufzuhalten.
„Neuigkeiten?“, fragte Laedan, sobald Jasreel sie erreicht hatte.
„Es scheint so, dass feindliche Reiter sich am anderen Flussufer aufhalten.“.
Alemet riss sein Pferd hart an den Zügeln. „Wozu haben wir Festungen an den Grenzen bauen lassen und sie mit Männern bestückt, wenn diese es nicht vermögen, ihre Aufgaben zu erfüllen und sich somit feindliche Reiter in unseren Ländern herumtreiben?“, fluchte er, „Wenn dieser Feldzug beendet ist, werde ich ein ernstes Wort mit Herzog Machir reden, dass er seine Grenzen besser schützt.“.
Jasreel bedauerte den jungen Herzog von Garyt schon jetzt, denn wenn Alemet Fehler sah, konnte man ihn nur schwer wieder beruhigen. Doch saß Herzog Machir erst seit wenigen Monaten auf dem Thron, war noch jünger als Davror und dementsprechend unerfahren.
„Ach, Machir.“, seufzte Laedan, „Ich hatte das Vergnügen seine Schwester kennen zu lernen. Sie hat mehr Selbstbewusstsein und Entschlossenheit als ihr gut tut, während ihr Bruder viel zu wenig davon hat.“.
„Welche Schwester?“, fragte Jasreel, „Meiner Kenntnis nach hat er zwei.“.
„Tesina.“, antwortete Laedan, als wäre es eine Unerhörtheit solch eine Frage zu stellen. „Die Frau von Herzog Beeras ältesten Sohn Reaja.“.
Alemet wandte sich zu ihnen um und funkelte sie an.
„Es ist keine Zeit über Frauen nachzudenken. Es gilt eine Furt zurückzuerobern.“, knurrte er.
Der Husai war ein breiter Strom, der sich jedoch mit nur einer geringen Kraft fortbewegte. Die Furt nördlich von Awisto lag ruhig dar und am anderen Ufer war nichts zu erkennen, was auf eine Gefahr hinweisen könnte. Großes, grünes Gras wog sich in einer sanften Brise hin und her und einige Büsche, deren Art Jasreel auf diese Entfernung nicht erkennen konnte, trugen in einem dunklen Kleid leuchtende Blätter.
Der Kronprinz blickte zurück zu dem Heer, das hinter ihm in der warmen Frühjahrssonne wartete. Alemet saß neben ihm auf seinem Falben.
„Sie verstecken sich hier irgendwo.“, erklärte er leise und Jasreel nickte zustimmend. Niemals hätten die Zwillingsreichler ihre Position aufgegeben.
„Bogenschützen?“, fragte er.
Alemets Blick richtete sich auf das gegenüberliegende Ufer, dann nickte er.
„Wir schicken die schwere Kavallerie vor, damit sie das Ungeziefer hervor treiben und lassen dann die Bogenschützen von diesem Ufer auf sie schießen.“.
Laedan schüttelte den Kopf. „Ist es klug, die Ritter in Gefahr zu bringen? Wir können sie wahrlich noch in späteren Zeiten gebrauchen.“.
Insgeheim stimmte Jasreel Laedan zu. Es gab nur wenig schwere Kavallerie im arthergischen Heer, denn waren die Plattenrüstungen schwer herzustellen und extrem teuer. Selten gerieten die Ritter in Gefechte, sondern sie galten der Furchteinflößung der Gegner und der Beeindruckung der eigenen Leute. Nur in Ausnahmesituationen wurden die adeligen Reiter in den Kampf geschickt. Vielmehr setzten die Artherger auf ihre fantastische Infanterie, die vor allem aufgrund ihres gemeinsamen Vorrückens in ihren Formationen so gefürchtet wurde. Doch in einem Fluss konnten sie diese Formationen nicht einsetzen, vor allem nicht unter feindlichem Beschuss.
„Oder wir schicken Magier mit.“, versuchte der Prinz von Noriom sich nun selbst an einem Vorschlag.
Magier, eine neue Waffe Arthergs zur Unterwerfung ihrer Nachtbarvölker. Der Vorteil hierbei war, dass sie in den Zwillingsreichen, Oleon und Morliv kaum vorkamen, da die Elben dort nie gesiedelt hatten und diese Völker aus dem Norden eingewandert waren. Schwierig bei den Magiern war nur, dass ihre Kräfte sehr unterschiedlich waren und es deshalb kaum möglich war, ihnen eine einheitliche Ausbildung zukommen zu lassen. Es gab Magier, die sich unsichtbar machen konnten, welche, die im Dunkeln sehen konnten. Menschen, die Waffen schneller beherrschen konnten als jeder andere.
„Wir schicken die Ritter.“, entschloss sich Alemet, nicht willens die kostbaren Magier zu opfern, und Jasreel nickte zustimmend, denn widerstrebte es ihm, Alemet zu widersprechen.
Doch Laedan ließ sich nicht so leicht zufrieden stellen wie sein Cousin.
„Ich würde leichte Kavallerie der schweren vorziehen und sie über die Brücken weiter südlich schicken, damit sie dem Feind in den Rücken fallen, während unsere Männer über die Furt vorrücken und wir Pfeile regnen lassen.“.
Diesem Plan konnte Alemet wahrlich nicht ablehnen und auch Jasreel hatte keine Bedenken. Die Brücken weiter südlich waren in einem schlechten Zustand, doch sollten sie die Kavallerie tragen, wenn sie nacheinander ritt. Es war für beide Seiten eine prekäre Situation, denn wollte sich die Kavallerie der Zwillingsreiche nicht über den Fluss wagen, um sich einer vollständig formierten Infanterie gegenüber zu sehen, während Artherg seine Infanterie, deren Formation sich im Fluss auflösen würde, nicht den Kavallerieattacken aussetzen wollte.
Also musste die leichte Kavallerie den Feind ablenken, während die arthergische Armee den Fluss überquerte.
Die Befehle wurden den Rittmeistern übermittelt, die ihre Schwadrone gen Süden schickten, um den Zwillingsreichlern in den Rücken zu fallen. Die Zaumzeuge klirrten und die Flanken der stolzen Tiere erbebten, als sie sich in Bewegung setzten. Der gekrönte Bär flatterte über ihnen im Wind und erhob brüllend seine Pranken.
Dann entschwanden die Banner und ihre Führer, um den Arthergern einen Sieg zu bringen.
Jasreel wandte sich von den fernen Punkten der Reiter ab und blickte zu seinen Begleitern.
„Bogenschützen?“, fragte er.
Alemet sah über den Fluss in die fernen Grasländer des Herzogtums Garyt.
„Der Wind weht von Westen, gegen uns.“, gab er zu bedenken, „Doch sollte es zu schaffen sein, wenn er nicht auffrischt.“.
Der Kronprinz nickte. Die arthergischen Bogenschützen waren nicht vergleichbar mit dem Geschick der Zwillingsreichler oder den tjarolischen Steppenvölkern, doch würden sie den Feind aufschrecken.
Ein Horn wurde geblasen und die müden Infanteristen, die ihre Rucksäcke abgelegt hatten, erhoben sich mit hörbarem Gemurre wieder, um die Bogenschützen vortreten zu lassen. Die Regimenter der Bogenschützen traten geordnet vor und ihr Befehlshaber ritt zu der Dreiergruppe der Oberbefehlshaber.
„Die Männer sind bereit.“, berichtete er, nachdem er sich verneigt hatte.
„Sehr gut.“, entgegnete Alemet.
„Ihr dürft angreifen.“.
Der Herzog von Keriso runzelte die Stirn, als der Mann nicht reagierte, sondern über seinen Kopf hinweg starrte.
Jasreel dagegen wandte sich um und fluchte, als er die dicken Rauchschwaden entdeckte, die vom Wind über den Fluss getrieben wurden. Der Geruch von Feuer stieg ihm in die Nase und er begann zu husten.
Alemet riss sein Pferd an den Zügeln herum und starrte zornig zum Fluss.
„Könnt ihr angreifen?“, fragte er den Oberbefehlshaber der Bogenschützen.
„Sicherlich.“, entgegnete dieser rasch, als er Alemets Zorn erkannte, auch wenn er nicht sonderlich überzeugt aussah.
„Dann beeilt euch.“, scheuchte der Herzog den Mann fort, der sogleich zu seinen Männern zurückeilte und den Befehl zum Angriff gab.
Ohne, dass er an den Erfolg dieser Unternehmung glaubte, sah Jasreel ihnen zu. Männer wandten sich hustend ab und wurden von ihren Befehlshabern angeschrieen, sich wieder in die Reihen zurück zu begeben. Mit tränenden Augen schossen sie einen Pfeil nach den anderen in die Rauchschwaden, die ihnen jegliche Orientierung nahmen und den Zwillingsreichlern am anderen Ufer Schutz boten.
Dann senkte sich eine Welle von Pfeilen über die Bogenschützen. Männer wälzten sich schreiend am Boden und hielten sich durchbohrte Körperteile, während Feldwebel befahlen, die Reihen zu schließen und Tote hinfort zogen, um Platz für die Lebenden zu machen.
„Es hat keinen Sinn.“, meinte Laedan. „Wir opfern nur unsere eigenen Männer.“.
Alemet grunzte. „Doch haben sie nicht ewig Holz, um die Feuer zu ernähren.“. Er deutete um sich. „Dies sind Steppen keine Wälder.“.
Laedan runzelte die Stirn. „Und dennoch hat es keinen Sinn, die Männer sterben zu lassen. Sie werden vielleicht ein, zwei Reiter treffen, doch können sie kaum etwas ausrichten, das ihre Verluste ausgleicht.“.
Alemet zögerte, nicht willens seine Niederlage zuzugeben.
Dann nickte er.
„Lass zum Rückzug blasen.“, befahl er dem Trommler neben ihm. Dieser gab den Befehl durch einen bestimmten Rhythmus an andere Trommler weiter, so dass die Bogenschützen sich außerhalb der feindlichen Reichweite in Sicherheit brachten.
„Und jetzt warten wir.“, meinte Jasreel leise, denn würde nichts geschehen.
Die Zwillingsreichler würden den Fluss niemals überqueren und konnten nichts tun, bis sich das arthergische Heer wieder in die Reichweite ihre Bögen bewegte. Sie dagegen würden warten, bis sich der Rauch gelichtet hatte, um dann den Fluss zu überqueren.
Und genauso geschah es.
In tadelloser Ordnung marschierte die arthergische Infanterie auf den Fluss zu. Am anderen Ufer konnte sie die Reiter erkennen und die jungen Rekruten murmelten nervös. Feldwebel befahlen ihnen, ruhig zu sein und die Veteranen vergangener Feldzüge lachten über ihre Ängste.
Dann durchlöcherten Pfeile die herrlichen Banner und die Ordnung brach in den vorderen Regimentern auseinander. Die Männer mussten den Toten ausweichen und zugleich versuchen im Wasser das Gleichgewicht zu behalten, während sie ihre schweren Schilde über ihre Köpfe erhoben, um sich vor den feindlichen Waffen zu schützen.
Alemet stöhnte, als ein Regiment sich komplett verteilte und mehrere Männer im Wasser niedersanken.
„Krähenfüße.“, erkannte Jasreel und zollte dem Gegner still Respekt. Die Zwillingsreichler verhielten sich klüger, als er gedacht hatte. Selbst Alemet verzog das Gesicht zu einer widerwilligen Anerkennung der feindlichen Leistung.
Auf offenen Feld hätte das arthergische Heer die Reiter in ihrer Formation niedergeworfen, doch an diesem Fluss besaßen die Zwillingsreichler einen klaren Vorteil durch ihre Bögen und ihre Tiere.
Krähenfüße und unter der Wasseroberfläche verborgene, spitze Pfähle bohrten sich durch Stiefel und Fleisch, so dass die Schreie noch lange über das Wasser hallten.
Jasreel fragte sich, wie viel Zeit vergangen war, seitdem sie den Fluss erreicht hatten und stellte mit einem Blick zur Sonne fest, dass es vielleicht drei Stunden waren. Wenn die Kavallerie also schnell gewesen war und die Brücken tatsächlich unversehrt vorgefunden hatte, dann konnten sie bald mit ihr rechnen.
Also wandte er sich um, beobachtete den Tod weiterer Männer und wartete auf die erscheinende Hoffnung der Pferdehufe.
Die ersten Männer erklommen das Ufer und scheiterten kläglich daran, die vom Wasser voll gesogenen Schilde zur ihrer Verteidigung zu erheben. Einige Zwillingsreichler ritten heran und ihre Speere versanken in Blut und Fleisch und beendeten das Leben der ersten Soldaten. Der Großteil zog es jedoch vor, aus der Ferne Pfeile regnen zu lassen und jeglichen Versuch eines Sammelns schon im Ansatz scheitern zu lassen.
Ein Offizier, über dessen Kopf ein Standartenträger die drei Feuerblumen Norioms hielt, erreichte das Ufer mit einer kampfbereiten, formierten Kompanie. Die Männer erhoben ihre Schilder über die Köpfe, so dass die Pfeile ihnen nicht länger etwas anhaben konnten. Einige Reiter lenkten ihre Tiere heran, doch wandten sie sich ab, als sie die Speere erblickten, die ihnen entgegen gestreckt wurden. Lieber wandten sie sich der leichten Beute verstreuter Männer zu, die ihren zielsicheren Speeren sogleich zum Opfer fielen. Doch immer mehr Männer rannten auf die verheißende Sicherheit der formierten Kompanie zu und die, denen es gelang, eröffneten mit nach außen gerichteten Schilden neue Reihen.
„Ein mutiger Mann.“, verlieh Jasreel seiner Bewunderung über diesen Offizier Ausdruck.
Laedan grinste.
„Was erwartest du?“, fragte Laedan, „Er ist ein Mann Norioms und meines Blutes.“.
„Eures Blutes?“, wiederholte der Kronprinz und überlegte, wer dafür in Frage kam. Laedans einziges Geschwisterkind war eine Schwester und auch wenn beide Geschlechter in Noriom relativ gleichberechtigt waren, bezweifelte er, dass sie gemeint war, ganz davon abgesehen, dass von einem Mann die Rede gewesen war.
„Wenn mich meine Augen nicht vollkommen täuschen, ist dies Jihram, der einzige Sohn meines Vatersbruders.“.
„Ich hörte schon von ihm. Überbringt ihm mein Lob, wenn Ihr ihm das nächste Mal begegnet.“.
Laedan nickte und dann starrten sie beide wieder zum jenseitigen Ufer hinüber, genau rechzeitig, um das Eintreffen der vorausgeschickten Kavallerie zu beobachten.
Zuerst war es nur eine Staubwolke, kaum erkennbar in der Hitze des Gefechts. Doch dann gesellte sich das gleichmäßige Dröhnen der Pferdehufe zu dem Schlachtensang. Die Zwillingsreichler, für die das Ganze bisher nicht mehr als ein einziges Abschlachten gewesen war, formierten sich zu einer Linie. Pferde schnaubten, Leder knarrte neben den Schreien der Sterbenden.
Pfeile regneten weiterhin auf die arthergische Infanterie, doch besaßen sie längst nicht mehr dieselbe Kraft und die Reiter der Zwillingsreiche konnten nicht länger den Zusammenschluss weiterer Regimenter am Ufer stören und verhindern.
Zwar war die Gefahr der nahenden Kavallerie bemerkt geworden und hatte somit die Wucht eines Überraschungsangriffes verloren, nur erhielt die Infanterie nun die so dringend benötigte Möglichkeit, sich zu formieren.
Jasreel trieb sein Pferd an der Seite des restlichen Generalsstabs in die sanfte Strömung des Husai. Das Wasser zerrte am Fell des Hengstes, doch konnte es der Stärke des Tieres auf Dauer nichts entgegensetzen.
Blut färbte das Gras des Ufers rot und Leichen bedeckten die sanfte Böschung. Blicklose Augen beobachteten ihn und sein Tier trat auf abgetrennte Gliedmaßen. Ein Trommlerjunge, nicht älter als zwölf Jahre, saß mit einem abgebrochenen Speer im Bauch neben einem Toten und hielt weinend seine Hand.
Auch Jasreel empfand die Last des Krieges und des Todes. Er bedauerte diese Opfer, doch wusste er zugleich, dass sie notwendig gewesen waren. Wenn sie keinen Angriff gewagt hätten, hätten die Feinde Verdacht geschöpft und nun standen sie einem Zweifrontenangriff entgegen. Aus Süden griff die arthergische Kavallerie an, die zwar von geringer Zahl war, doch durch die Massen an Infanterie, die nun ans Ufer strömte, mehr als ausgeglichen wurde. Gegen gut ausgebildete, formierte Infanterie konnten selbst die besten Reiter wenig ausrichten, denn scheuten die Pferde vor den nach außen gerichteten Speeren und die Kompanie Bogenschützen, die jedes Bataillon besaß, holte aus dem Schutz der Mitte einer Formation so manchen Reiter aus dem Sattel.
Nicht mehr länger durch feindliche Kavallerie behindert, schlossen sich die Bataillone zu Karrees zusammen.
Als sie die Übermacht der Artherger erkannten, wandten sich die Zwillingsreichler ab. Eine letzte Welle von Pfeilen senkte sich über die Infanterie und so mancher Mann, der noch nicht den Schutz eines Karrees erreicht hatte, sank schreiend zusammen. Ebenfalls bewiesen die Zwillingsreichler erneut die fantastische Handhabung ihrer Bögen, als sie trotz der hohen Reichweite mehrere Reiter zum Sturz brachten.
Dann galoppierte die feindliche Kavallerie gen Westen, in Richtung der Heimat. Auch wenn sie sich sicherlich mehr erhofft hatten, konnten sie mit ihrem Tageswerk zufrieden sein: Sie hatten das arthergische Heer für mehrere Stunden aufgehalten und ihrer Heimat somit wertvolle Zeit geschenkt, sowie einige arthergische Tote hinterlassen, deren Blut den heimatlichen Boden tränkte.
Jasreel dagegen lehnte sich im Sattel zurück und gähnte. Es mochte einige Verluste gegeben haben, doch war es nur ein Gefecht gewesen. Die wahren Schlachten, die ihm den Schlaf rauben würden, folgten noch.
Jasreel sah von seinem Tisch auf, als jemand hereinstürmte. Schwer atmend und mit zornig blitzenden Augen stand Laedan vor ihm und sofort wusste der Kronprinz, dass der Sturm hereingebrochen war.
Er warf einen Blick zu Alemet, der sich über einige Karten gebeugt hatte und sie beide tauschten einen stummen Blick aus.
„Ich verlange, dass die erste Division an einen anderen Befehlshaber geht.“, forderte er.
Jasreel seufzte leise. Er hatte schon so etwas befürchtet, als er die Aufteilungen gesehen hatte.
„Was ist der Anlass für Eure Forderung, Prinz Laedan?“, fragte er mir ruhiger Stimme.
„Wie Ihr wisst wurde Simei der Befehl über die Vorhut gegeben und er veranstaltete als Rache für die Furt ein Gemetzel an Zivilisten der Zwillingsreiche.“.
Unwillkürlich stöhnte der Kronprinz auf. Dieser dumme, stolze Idiot Simei. Sie wollten die Zwillingsreiche zwar schlagen, aber dies allein auf militärischer Ebene. Immerhin wollten sie die Bevölkerung als einen Vasallenstaat ruhig halten und ein Gemetzel unter Zivilisten war nun wahrlich kein gutes Zeichen.“.
„Drei Dörfer.“, fuhr Laedan mit unverblümter Härte fort, „Männer, Frauen und Kinder.“.
Alemet sah von den Karten auf, mit denen er sich noch bis eben beschäftigt hatte.
„Vielleicht solltet Ihr Eure Generäle besser unter Kontrolle haben, Laedan.“.
„Ich war es nicht.“, knurrte dieser mit offenen Zorn, „Der sich dafür aussprach, Simei den Befehl über die Vorhut zu übertragen.“.
„Wir werden diese Angelegenheit prüfen.“, beschwichtigte Jasreel.
Einen Moment musterte Laedan ihn, dann schnaubte er.
„Es wird nicht das erste Mal sein, dass ihr mit dem Probleme bekommen werdet.“, warnte er sie vor.
Dann machte er auf dem Absatz kehrt und verließ das Zelt mit schnellen Schritten.
Jasreel wartete, bis der Herzogssohn außer Hörweite war, dann wandte er sich mit gerunzelter Stirn zu Alemet um.
„Ihn zu provozieren, war nicht sonderlich klug.“.
Sein Schwiegervater zuckte mit den Schultern. „Asriel zu kränken, indem wir seinem Sohn das Kommando entziehen, wäre noch dümmer.“.
„Das mag so sein.“, stimmte Jasreel ihn zu, „Doch das heißt nicht, dass wir Herzog Setam zusätzlich beleidigen müssen, indem Ihr seinem Sohn dumme Kommentare an den Kopf werft.“.
Alemet nickte. „Vielleicht habe ich mich unklug verhalten. Doch ist es unmöglich, dass wir Simei das Kommando entziehen. Wir können es uns nicht leisten, Herzog Asriel zu verlieren.“.
„Herzog Setam sollten wir auch nicht verlieren, dafür ist er zu mächtig und einflussreich.“.
„Doch ist Asriel ein Kurfürst, während Setam allein die Herzogswürde trägt.“, entgegnete Alemet.
Jasreel winkte ab. Setam und Asriel waren alte Rivalen, aufgrund von Geschehnissen, die nunmehr neunzig Jahre zurücklagen, bis in die Gründungszeit der beiden Herzogtümer Asea und Noriom. Beide Länder waren aus dem Kurfürstentum Asiom entstanden. Der letzte Herzog von Asiom war gestorben, ohne einen männlichen legitimen Nachfolger zu hinterlassen. Daraufhin war ein Erbfolgestreit zwischen der Tochter des Herzogs, Jarniska, und seinem unehelichen Sohn Akimei ausgebrochen. Die Krone hatte Akimei Recht gegeben und ihm die Kurfürstenkrone seines Vaters übertragen. Im Gegenzug dazu war das Land Asiom geteilt worden. Der nördliche Teil, Noriom, ging an die Familie der Tochter Jarniska und der südliche Teil an den Sohn Akimei. Bis heute herrschte deswegen Zwist und Uneinigkeit zwischen den beiden Herzogtümern und Noriom war das einzige Herzogtum Arthergs, in welchem immer das älteste Kind erbte, egal welches Geschlecht es war. Eine Tatsache, die im Rest Arthergs undenkbar war. Es kam zwar vor, dass Frauen auf den Thron stiegen – wie in Alsras Fall -, da es keine männlichen Nachkommen gab, doch oblag jegliche Verantwortung ihrem Ehemann und sie durfte sich allein mit dem Titel schmücken. Jasreels Meinung nach war das schade, denn mochten Frauen zwar nicht in den Krieg ziehen, doch konnten sie mindestens genauso klug wie das männliche Geschlecht sein. Zwar war der Gedanke einer Frau auf dem Thron durchaus befremdlich, jedoch hatte es in alter Zeit einige Königinnen gegeben und wieso sollte es heute anders sein?
Jasreel blickte erneut zu Alemet hinüber, der sich wieder seinen Karten gewidmet hatte und den vorherigen Streit wohl schon vergessen hatte. Es war eine Sache, die Jasreel am arthergischen Militärsystem verachtete. Zwar mochten die Soldaten zur Disziplin gezwungen werden, doch war dies bei den Offizieren nicht möglich. Einem jungen Adeligen standen häufig nur zwei Möglichkeiten zur Hocharbeitung möglich, dies war zum Einen der Dienst am Königshof oder der Dienst im Heer. Die meisten entschieden sich für zweite Möglichkeit, jedoch blieben sie ein Spross ihres Hauses. Dieselben Konflikte, die zwischen den Adelshäusern herrschten, waren dementsprechend auch im Heer vorhanden und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Heeresteilen scheiterte nicht etwa an den Soldaten, sondern an ihren Führern. Dem einfachen Soldaten mochten Freundschaft und Solidarität noch etwas bedeuten, für den Adeligen zählte nur das Erreichen von mehr Macht und Einfluss.
Es war ein Problem, das er gedachte anzugehen, sobald er als König Jasreel III die Macht in den Händen halten würde.