Das zweite Hotel:
Tobias grinste wie doof, als Sarah ihn in die Vorhalle schob. Ein riesiges, aufgesperrtes Maul in grellen Plastikfarben dominierte die Halle. Die Gäste der Tour wurden von einer jungen Frau begrüßt, die die hellbraunen Haare zu einem hohen Zopf trug.
„Das hier ist Hotel Fear. Fürchtet euch, denn wenige werden diesen Ort lebend verlassen!“, deklarierte sie ohne große Überzeugung. Tobias freute sich trotzdem. Ein Abenteuer, Nervenkitzel, genau das, was seinem Leben sonst fehlte. Er liebte es.
Die junge Frau zeigte ihnen ihre Zimmer, bevor sie zum Abendessen durften. Während die anderen Gäste auf einem Gang waren, bekam Tobias ein Einzelzimmer, neben dem Sarah wohnte. Das Bett war besser an seine besonderen Bedürfnisse angepasst, und auch Dusche und Bad waren hier barrierefrei.
Tobias' Freude wurde dadurch gedämpft, dass er wieder der Außenseiter mit der Extrawurst war. Aber Sarah erstickte eine Phase mies gelaunter Grübelei im Keim, indem sie ihn in den Speisesaal schob. Hier lästerten die zwölf anderen lebhaft über ihre Zimmer, die offenbar Horrorthemen hatten: Hexentanz, Monsternacht und Vampirschloss.
„Hotel Fear ist aber ein dummer Name“, sagte ein altkluges Mädchen hochnäsig. „Hat keinen Klang.“
„Ich denke mal, es spielt auf die Gänsehaut-Reihe an“, sagte der Mann, der ihr gegenüber saß. Tobias merkte, das er Schwierigkeiten hatte, Namen und Gesichter seiner Mitreisenden zuzuordnen. Schweigend aß er seinen Kartoffelbrei und hörte nur zu.
„Sowas lese ich doch nicht!“, schnaubte die Hochnäsige.
„Das heißt, du kommst nicht mit in die Lesung?“, fragte ein älterer Junge und klang erleichtert.
Das Mädchen nickte und stand wenig später von ihrem Tisch auf.
„Was für eine Lesung?“, fragte Tobias. Es war beinahe traurig, wie wenig er über die Tour wusste, aber andererseits hatte er sich in der Hinsicht auch keine große Mühe gegeben.
„Na, die Gänsehaut-Lesung“, sagte der junge Mann wieder und klang ungehalten. Tobias starrte auf sein Essen.
„In jedem Hotel wird was vorgelesen, wusstest du das nicht?“, fragte ein anderer Junge freundlicher.
Tobias schüttelte den Kopf: „Nee.“
„Kommst du eigentlich bei allem mit?“, fragte eine mittelalte Frau und deutete mit einem Kopfnicken zu seinem Rollstuhl.
Tobias sank ein winziges Stück in sich zusammen. Jetzt war seine Krankheit schon wieder Gegenstand der allgemeinen Neugier.
„Ja, meine Eltern haben gefragt, die Tour soll barrierefrei sein“, leierte er herunter.
„Cool“, meinte ein Mädchen und lächelte. „Ich hab nämlich Gerüchte gehört, dass es in eine Miene geht oder zum Zelten. Kann wohl nicht stimmen.“
„Glück gehabt“, sagte ein zweites Mädchen, offenbar die Freundin der ersten. Für Tobias waren es zu viele fremde Gesichter, um sie sich zu merken, aber er stellte fest, dass ihm die Leute sympathischer wurden. Die Aufmerksamkeit wendete sich Sarah zu, die nun mit Fragen gelöchert wurde. Lächelnd wehrte sie alle ab: „Ich darf euch nichts verraten. Das würde euch nur die Spaß verderben!“
Das Mädchen, das nicht Zelten gehen wollte, beugte sich zu ihm herüber und flüsterte: „Falls sie irgendwelche Hinweise fallen lässt, sagst du uns Bescheid, ja?“
Froh, Teil einer Verschwörung zu sein, nickte Tobias eifrig.