Die Beerdigung fand zwei Tage später bei Einbruch der Dämmerung statt.
Yodda vermisste das Sonnenlicht bereits jetzt, dabei war sie ein Dämmerungsvampir und konnte somit einige Minuten im Licht überleben. Tagsüber musste sie sich in dunklen Höhlen verbergen und darauf warten, dass die Dunkelheit zurückkehrte. Doch Izcun war bei ihr und das machte dieses Schicksal etwas erträglicher. Nylian und Kat hatten einiges zu tun gehabt, doch auch sie hatten sie häufiger besucht. Zum Glück waren die Nächte in Amrais lang. Seit dem Kampf hingen immer noch schwere Wolken über dem Tal, die abends früh die Sonne verdeckten und sich morgens erst spät auflösten.
Kiirions Körper war wieder eingekleidet und in schwere Vorhänge aus der Burg gewickelt worden. Colum hatten Yodda und Izcun gemeinsam nach unten tragen müssen, in der vorherigen Nacht. Nun lagen beide in zwei tiefen Erdlöchern. Einer nach dem anderen trat vor und warf einige Blumen auf die Körper ihrer verlorenen Freunde.
Nylian sprach ein paar Worte, doch es waren leere Worte. Sie schaufelten die Gräber zu und zogen weiter. Es gab drei Massengräber: In der alten Zeltstadt, im Lager der Krieger und im Lager der Wissenschaftler, wo auch unzählige Magier lagen. Als sie endlich fertig waren, war es schon fast morgens. Sie suchten eine große Höhle im westlichen Berghang, die ihnen Platz bot. Azmaek hatte sein großes Zelt eingepackt, Nylian hatte Aidalos eingefangen.
In dieser Nacht schliefen sie alle schlecht und am frühen Abend kam ein Wolf zu ihnen, ein Werwolf in menschlicher Gestalt, doch Aoi roch die Wahrheit und fauchte ihn an.
Der Mann hob beide Hände. „Ich komme in Frieden.“
„Was willst du?“, fragte Izcun misstrauisch. Kat hatte das Schwert gezogen, Nylian den Bogen gespannt.
„Ich wurde als Vertreter der Rudel gesandt, um euch zu danken“, sagte der Werwolf. „Ihr habt uns von einem mächtigen Tyrannen befreit. Ich weiß, ihr habt keinen Grund, uns zu vertrauen, doch wir Geschöpfe der Dunkelheit haben unsere Prinzipien.“
Und danach ging er wieder, wurde von der Dunkelheit verschluckt.
„Warte!“, rief Nylian. Der Werwolf blieb stehen, in der Nacht kaum noch zu sehen. „Was werdet ihr jetzt tun?“
„Wir werden euch nicht verfolgen. Wir bleiben wohl in diesem Tal, für's erste. Diese dunklen Wolken haben sich noch nicht verzogen, vielleicht finden Werwölfe und Vampire hier genug Zeit, um sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Es ist besser als nichts.“
„Die Wolken können auch für immer bleiben“, sagte Azmaek und machte eine kurze Bewegung. Draußen rumpelte Donner.
Der Werwolf riss die Augen auf und starrte perplex in den Himmel, wo sich die Wolken mit einem Mal verdichteten. Dann neigte er den Kopf zum Dank und ging diesmal endgültig in die Dunkelheit.
Am nächsten Morgen fanden sie die Stelle, wo Yrsa Cirdrim noch am Felsen lehnte, so, wie Kat ihn verlassen hatte. Auch der alte Magier bekam ein Grab und darauf einen weißen Grabstein. Niemand sagte etwas über ihn. Kat weinte.
~ ⁂ ~
Schließlich lag Helmsieg vor ihnen. Sie zogen nachts in das Dorf ein, doch man hatte sie bereits kommen sehen und so wurden sie von einer kleinen Gemeinschaft erwartet. Nylians Eltern, Kats Mutter und sogar ein paar Cousins von Yodda gehörten zu der kleinen Gruppe, die sie am Dorfeingang empfing.
Ihr Einzug wurde neugierig beobachtet. Yodda und Izcun trugen beide Mäntel mit großen Kapuzen. Während der Reise hatten sie die Tage in Azmaeks Zelt verbracht. Auf Kats Schulter sah eine kleine, braungetigerte Katze mit zweifarbigen, intelligenten Augen und neben ihr ging ein fremder Magier mit terrakottafarbener Haut und blutroten Haaren. Nylian, der Aidalos am Zügel führte, bildete das Ende dieser seltsamen Gruppe.
Fünf waren vor knapp einem Monat losgezogen, doch die, die zurückkehrten, wirkten erwachsener und wie Fremde. Noch dazu fehlten Yrsa Cirdrim und Colum. Die neuen Freunde der Gruppe waren den Dorfbewohnern unheimlich.
Zur Begrüßung wurden sie mit Fragen bestürmt. Einige Wettkämpfer, die zu spät aufgebrochen waren, hatten sich vor verschlossenen Pässen wiedergefunden und die Kunde in Lirhajn verbreitet. Und obwohl die müde Gruppe nur wortkarge Antworten gab, verbreiteten sich die Gerüchte schnell im Dorf. Bald wusste es jeder: Ein gefährlicher Magier unbekannter Herkunft, der allerlei Monster zur Mithilfe gezwungen hatte und selbst mehr als eines war, hatte fast alle Wettkämpfer getötet, ehe man ihn besiegen konnte.
Nur der Familie erzählten die drei die volle Wahrheit, und Nylians Eltern waren zutiefst erschüttert. Dass ihr jüngerer Sohn überlebt hatte, war der erste Schock, seine Taten der zweite, und dass er nun ermordet worden war der dritte. Nur über Colums Beteiligung schwiegen die drei Freunde weitestgehend.
Eine Woche später kehrte wieder Alltag ein. Izcun, Aoi und Azmaek machten keine Anstalten, weiterzuziehen. Wohin auch?, fragten sie und Izcun lächelte bei diesen Worten Yodda an. Azmaek schrieb ein paar Briefe an hohe Stellen und das Amrais-Tal wurde großflächig abgesperrt, denn ein Fluch schien über den Bergen zu lasten. Niemals wieder schien die Sonne in dem Tal, trotzdem gediehen dort Tiere, die sich von den kargen Pflanzen ernährten, die kein Sonnenlicht brauchten. Fernab der Menschen, Elfen und Zwerge führten sie ein friedliches Leben, doch sie mussten sich in Acht nehmen vor den Schatten, die bei Nacht und Vollmond auf die Jagd gingen.
~ ⁂ ~
Im allerersten Tageslicht befand sich Yodda auf dem Rückweg von ihrer Arbeit bei den Mechanikern. Als sie zu ihrer Hütte kam, sah sie, dass die Tür offenstand.
Sie eilte ins Innere. „Izcun? Izcun, wo bist du?“
Keine Antwort. Sie suchte alle drei Räume ab, doch sie waren leer.
„Oh nein!“, flüsterte sie. Die schrecklichsten Gedanken rauschten ihr durch den Kopf. Nicht alle Nachbarn waren von ihrem Verlobten begeistert. Yoddas wurde trotz ihrer Verwandlung noch geduldet, denn viele kannten sie, doch Izcun wurde mit Misstrauen bedacht.
„Izcun!“ Sie würde zu gerne laufen, um ihn zu suchen, doch die Sonne stand bereits am Himmel. Da klopfte es von unten gegen die Falltür, die zum Keller ihres Hauses führte.
„Sag bloß, du hast dich wieder eingesperrt!“ Yodda seufzte erleichtert. Dann erstarrte sie, als nicht Izcun, sondern Kats heller Schopf unter der Tür zum Vorschein kamen. Im Keller herrschte warmes Kerzenlicht.
„Was machst du in meinem Keller?“, fragte Yodda verwirrt.
„Komm runter!“, erklang Nylians Stimme irgendwo hinter Kat.
„Beeil dich!“ Die Menschenfrau lächelte. „Wir warten schon alle.“
Izcun war ebenfalls im Keller. Er saß Nylian gegenüber an einem reich gedeckten Tisch, der unter zahlreichen süßen Teilchen ächzte. Kerzen erhellten den ganzen Kellerraum, der einmal trostlos gewesen war – doch nun hatten fleißige Hände die Wände mit bunten Farben bedeckt. Bilder von grünen Wiesen, Wäldern und Bergen im Sonnenschein zogen sich über die Steinwände. Yodda staunte mit offenem Mund.
„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Yoddaelda.“ Azmaek verneigte sich mit einem Lächeln und wies ihr den Platz am Kopfende des Tisches zu. Dieser war festlich gedeckt und Stühle für ihre Freunde standen um ihn herum. Neben dem Kuchen saß eine getigerte Katze, den Kopf bis zu den Ohren in eine Schüssel mit Fisch getaucht..
Izcun zog Yodda an sich und hauchte ihr einen Kuss auf die Lippen. „Gefällt es dir?“
„Wie … wie habt ihr das alles geschafft?“, stammelte Yodda, die die wundervollen Gemälde betrachtete. „Wann?!“
„Die ganze letzte Woche.“ Nylian grinste. „Ich hab mir frei genommen.“ Inzwischen war der Elf Teil der Miliz von Helmsieg, einer kleinen Gruppe freiwilliger Wachen, deren höchst edle Aufgabe eigentlich darin bestünde, Helmsieg vor Angriffen zu schützen. Da sie nicht angegriffen wurden, holten die Wachen Katzen aus Bäumen (Aoi war der Grund, warum Nylian überhaupt mit der Miliz ins Gespräch gekommen war) oder jagten Füchse aus Hühnerställen. Seltener gingen sie mal einem Diebstahl nach.
„Und ich habe meinen Meister überredet, mir ebenfalls frei zu geben“, sagte Kat.
„Sie hatte allerdings keinen Erfolg.“ Azmaek lächelte selbstgefällig.
„Nein, er hat eine Lektion daraus gemacht.“ Kat seufzte schwer.
Yodda hörte kaum zu. Sie verlor sich in der Betrachtung der Landschaften. Die Farben waren so lebendig, so klar und strahlend … als würden die Sonnen endlich wieder scheinen! Sie ließ sich grinsend am Kopfende des Tisches nieder. Vor ihr stand ein Glas mit roter Flüssigkeit, vor Izcun auch. Die anderen hatten Saft oder Wasser vor sich stehen.
„Auf dich!“, rief Nylian und sie hoben die Becher und Gläser.
Kat stieß Aoi an. Das Katzenkind sprang vom Tisch, verwandelte sich, um sich ordentlich auf seinen Stuhl zu setzen, und hob sein Glas mit Milch.
„Und auf die besten Freunde der Welt!“, erwiderte Yodda den Prost.
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Das ist natürlich kein Zwang und du solltest das nur tun, wenn du gerade etwas entbehren kannst.
So oder so bedanke ich mich vielmals für's Lesen!