Per Anhalter:
Die beiden Gruppen hatten sich schnell angefreundet. Mara, Jack, Paula, Fiona und Kevin waren Jugendliche in Liams Alter, die ihr Abitur mit einer kleinen Zelttour durchs Land feierten. Jeder außer Fiona hatte einen Führerschein, mit dem sie angeben wollten, deswegen fuhren sie mit drei Autos und einem Motorrad. Außerdem würden sie Platz für die Zelte brauchen, sie waren unterwegs zu dem Fachgeschäft.
Entsprechend hatten sie viel Raum für die verängstigen Anhalter. Liam, Eve und Milo drängten sich auf dem Rücksitz von Kevins grüner Schrottkarre und Amy saß vor ihnen auf dem Beifahrersitz. Für Samstag und vier der fünf Mädchen war in Jacks Wagen Platz gefunden worden, Luca saß mit Samira und Dimitri hinter Paula und Fiona. Nur Mira saß hinter der übergewichtigen Mara auf dem Motorrad und winkte aufgeregt, wann immer sie an den Wagen vorbei kam.
Liams Gruppe erzählte Kevin nur wenig über den Grund, warum sie hier waren. Sie deuteten an, dass sie eigentlich eine Rundreise durchs Land machten und behaupteten, sich beim Wandern verlaufen zu haben - die Idee kam von Amy. Sie logen nicht, aber sie verrieten auch nicht die ganze Wahrheit. Denn es war schon ein verrückter Zufall, dass auf der beinahe unbefahrenen Straße genau dann, als sie es brauchten, Autos mit genügend Platz für 13 Leute vorbei fuhren.
Kevin erklärte ihr Glück indirekt damit, dass er ihnen ein paar Geschichten über die langgestreckte Straße erzählte. Sie war als Umgehungsstraße konzipiert worden und führte durch größtenteils unbesiedeltes Gebiet. Eigentlich sollte sie zwei Kleinstädte verbinden, die jedoch kurz nach Fertigstellung der Straße aufgegeben worden waren. Nun verband die Kurzstrecke zwei Geisterstädte, und allerlei unheimliches Gerede über die Straße wurde laut. Kevin, ein gutaussehender, junger Mann mit blonden Haaren, lachte über diese Geschichten. Die Mitfahrenden schwiegen.
Amy versuchte, unauffällig herauszufinden, wo sie sich genau befanden. Kevins Akzent nach zu urteilen, waren sie in Hessen. Aber wo genau, das fragten sie nicht, denn es wäre vielleicht auffällig, sich diese Blöße zu geben.
Die kleine Gruppe hielt gegen Mittag an einem kleinen Rasthaus. Es war nur ein kleines Haus, das mehr oder weniger im Nirgendwo stand. Das einzige Haus in der Gegend war das Wohnhaus des Pärchens, dem der Rasthof gehört, sowie die anliegenden Äcker. Liam saß mit den anderen zusammen und redete wenig. Ihre Fahrer zogen sich bald zurück, um gemeinsam die Route zu besprechen und vielleicht auch, um sich den Kopf über die seltsamen Anhalter zu zerbrechen. Die 13 Flüchtigen besprachen sich leise darüber, was sie ihren Fahrern verraten hatten, doch Niemand hatte Aussagen gemacht, die denen eines anderen widersprachen. Sie tranken und aßen. Irgendwann entschuldigte sich Liam, um auf die Toilette zu gehen.
Es gab nur eine einzige Toilette mit zwei Kabinen und ohne Pissoir. Liam schloss sich in einer Kabine ein und gähnte, während er Wasser ließ. Er ließ den Blick über die verschmierte Wand wandern, die von unzähligen Sprüchen geziert wurde, wie die Toiletten in seiner Schule.
Dabei fiel ihm ein Spruch ins Auge. Liam musste sich vorbeugen, um die winzig geschriebenen Buchstaben zu lesen. Er zog seine Hose wieder zu, bevor er die Schrift entziffert hatte.
"Haben 13. Bringen morgen."
Liam runzelte die Stirn, aber ein Schauer lief über seinen Rücken. Die kurze Botschaft gehörte nicht zu den sonstigen Kritzeleien. Sie war mit zwei Hs unterzeichnet.
Liams Hände zitterten, als er sie wusch und er schwitzte. Betraf die Botschaft sie?
Er kehrte zu seinen Freunden zurück und setzte sich blass an ihren Tisch. Amy musterte ihn besorgt: "Liam?"
"Ich - i-ich glaube, wi-wir sind ni-nicht frei", flüsterte er entsetzt.
Samstag sah auf, denn in genau diesem Moment kamen ihre fünf Fahrer auf ihren Tisch zu, die Arme verschränkt und mit düsterem Blick.
Liam machte einen Schritt auf die Tür zu, Fiona und Mara begannen, zu rennen.
Samstag warf einen Tisch um und in den Weg der anstürmenden Fünf. Die 13 Geflüchteten flohen erneut, hinter ihnen schrie Kevin: "Ihr könnt nicht entkommen!"