Geisterbahn:
Amy rannte, so schnell sie konnte. Sie folgte dem Aufblitzen von Wild Childs rotem Haarschopf. Die junge Frau war wenige Meter vor ihr, doch sie waren vor der grauen, kichernden Horde in eine Geisterbahn geflüchtet. Ein enges Labyrinth aus Spiegeln zeigte Amy nur ihr eigenes, verängstigtes Gesicht. Ihre Wangen waren gerötet. Ihr eigenes Gesicht, oft durch gesplitterte Spiegel verzerrt, klagte sie an.
Warum hatte sie sich nur entschieden, die Tour mitzumachen? Wie hatte sie so dumm sein können? Und warum fand sie keinen Ausweg?
Sie hörte Schritte hinter sich. Hohes Kichern. Eine Clownsfratze tauchte auf. Die Verfolger kannten sich in dem Labyrinth aus, während Amy nur gegen Scheiben rannte.
"Hier lang!", rief eine Stimme. Amy sah Wild Child und rannte auf sie zu. Die Ältere ergriff ihre Hand: "Schnell!"
Der Weg vor ihnen war versperrt. Eisenstangen ragten aus dem Boden, zu eng, um hindurch zu schlüpfen. Doch Wild Child rannte darauf zu - und bog das Metall zur Seite!
Eine Schrecksekunde später, als Amy durch die Stangen gezogen wurde, erkannte sie, dass es sich um eine Täuschung handelte. Die Stangen waren nicht im Boden verankert und ließen sich bewegen.
Sie folgte Wild Child um zwei weitere Ecken.
Dann wurde es schwarz um sie.
Amy stolperte über eine Stufe. Die beiden Frauen kletterten blind eine enge Wendeltreppe nach oben. Wind blies ihnen aus der Wand ins Gesicht, sie verfingen sich in Spinnweben. Irgendetwas kreischte laut, als sie einen Bewegungsmelder auslösten.
Sie stolperten in einen Gang. Der Boden bewegte sich unter Amys Füßen. Sie tastete nach den Wänden, verlor beinahe das Gleichgewicht.
Plötzlich hielt Wild Child an: "Hier geht es nicht weiter!"
Amy rannte wieder zurück. Wild Child packte ihre Schulter, damit sie einander nicht verloren.
Amy fand eine Öffnung in der Wand und lief hindurch. Sie prallte zurück, als plötzlich ein Hexenkopf irre lachend aus der Wand sprang. Die Requisite war einmal an einer Feder befestigt gewesen, jetzt brach der Kopf ab und kullerte noch immer kichernd zwischen Amys Füßen hindurch.
"Weiter!", drängte Wild Child.
Amy hörte Stimmen: "Sie sind oben! Hoch! Hoch!"
Die Clowns hatten den Hexenkopf also auch gehört.
Die beiden flüchteten weiter. Amy sah einen Lichtschein vor sich.
Etwas strich über ihr Gesicht, wie Fledermausflügel. Wild Childs Hand verkrampfte sich, als das unsichtbare Ding auch die junge Frau traf. Danach rannte Amy nur noch gerade aus, stolperte über unsichtbare Hindernisse und in Spinnweben hinein, beachtete die Monster nicht, die von der Seite auf sie zu sprangen. Wild Childs Finger bohrten sich schmerzhaft in ihre Schulter, aber der Griff gab Amy genug Kraft, um weiter zu fliehen.
Sie rannte wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
Dann stolperte sie in blenden helles Tageslicht und schluchzte vor Erleichterung laut auf.
"Wir haben es geschafft!"
Sie sah den Weg vor sich. Es ging beinahe geradeaus zu dem Turm, der das Ende markierte.
Sie drehte sich um, doch Wild Child war nicht mehr hinter ihr.
Amy erstarrte.
Sie spürte doch noch die Hand auf ihrer Schulter! Zögerlich tastete sie danach. Sie traf auf die schlanken Finger und löste deren kräftigen Griff zitternd.
Dann hielt sie einen Arm in den Händen. Knapp vor dem Ellbogen war das Fleisch aufgerissen und Blut tropfte auf den Boden. Der Knochen ragte gesplittert aus der Wunde. Amy konnte Sehnen und Muskelstränge sehen. Mit einem Schrei ließ sie den Arm fallen.
Eisiges Grauen kroch über ihren Rücken. Wild Child hatte nicht einmal geschrien!
Was auch immer sie getötet hatte, es war schnell gewesen, ungemein stark - und es musste noch in der Nähe sein.
Amy hetzte über das Drehkreuz am Ende der Geisterbahn und rannte los, über das Kopfsteinpflaster und die Augen direkt auf den hohen Turm gerichtet. Die Angst verlieh ihr neue Kraft.
Hinter sich hörte sie ein dröhnendes, lautes Lachen.