Mist – Nebel des Grauens:
Sie sahen sich um und schluckten. Mortimer spürte, wie sich eine Gänsehaut über seine Arme zog. Der Nebel kroch von allen Seiten auf sie zu. Wenn er die Augen zusammenkniff, glaubte er, schattenhafte Gestalten im Nebel zu sehen, große Wesen, die sich dort bewegten.
Es klickte, als Kassie ihre Waffen entsicherte. Darauf riss sich auch Blaze aus seiner Angststarre und wechselte in den Kampfmodus des Enthinderers.
Mortimer wünschte sich irgendeine Waffe. Doch alles, was er besaß, war der seltsame Seilwerfer, und der klang mehr nach etwas, das bei einer Kletterpartie von Nutzen sein könnte.
„Verdammt – könnt ihr den Freefalltower noch sehen?“, fragte Kassandra.
„Nope“, erwiderte Mo und versuchte, cool zu klingen. „Aber die grobe Richtung kennen wir doch. Wenn ich nochmal hierhin zurückkehren muss, dann würde ich den Weg sogar mit verbundenen Augen finden!“
„Ich könnte wetten, in dem Nebel da würden wir uns auf der Stelle verlaufen“, brummte Kassie. Sie hielt die Waffen unsicher vor der Brust. „Da bewegt sich was drin, oder?“
„Ausschließen würde ich es nicht“, kommentierte Blaze und der Enthinderer röhrte leise auf. „Ich würde mich gerne irgendwo befinden, wo ich Rückendeckung habe.“
Die anderen stimmten nickenderweise zu. Mo versuchte, sich an die zahlreichen Lektionen von Samstag zu erinnern. Ihm fiel nichts ein, dass er auf die aktuelle Situation anwenden könnte.
„Wir können zum Gebäude der Achterbahn“, sagte Karo mit zittriger Stimme. „Also, wenn ihr Rückendeckung wollt.“
„Stimmt. Los, bevor der Nebel dichter wird!“, befahl Kassie und sie fielen in einen langsamen Trab. Mo wäre gerne schneller gelaufen, doch er wollte nicht das Risiko eingehen, sich aus der großen Gruppe zu lösen. Ein Blick nach hinten zeigte ihm, dass der Nebel sich weiter verdichtete und immer mehr des Parks verschluckte.
Sie erreichten die Wand des Hauses und stellten sich in einem lockeren Halbkreis auf. Karo stand in ihrem Rücken, Blaze rollte vor sie, Mo und Kassie übernahmen die Seiten.
„Karo?“, rief Blaze über die Schulter. „Hinten auf meinem Rolli sollte eine Kamera sein, die den Park von Oben zeigt – kannst du mir berichten, wenn du was Auffälliges siehst?“
Karo strich sich nervös eine Haarsträhne aus dem Gesicht und nickte.
„Sie meint ja“, sagte Mortimer, denn Blaze konnte Karos Nicken nicht sehen.
Dann verfielen sie in abwartendes Schweigen. Der Nebel wurde dichter und dichter, ein weißes Monster, das alle Welt verschluckt hatte. Mortimer suchte die konturlose Welt mit den Augen ab, suchte nach einer Bewegung. Er kaute nervös auf seiner Unterlippe. Als Waffe hatte er nur die Fäuste, und das kam ihm herzlich wenig vor.
Plötzlich mache Mortimer eine Gestalt aus, die durch den Nebel wankte. Es schien ein Mensch zu sein. Der unbeholfene, schwankende Gang machte es unwahrscheinlich, dass es einer der schnell rennenden, wahnsinnigen Clowns war.
„Stehen bleiben!“, rief Kassie und hob ihre Pistolen. „Stehen bleiben, oder ich schieße!“
Die Gestalt blieb stehen, jetzt nah genug, dass sie ein junges Mädchen mit dunklen Haaren erkennen konnten. Das Mädchen hob den Kopf.
Ihr Gesicht war totenblass, die Augen milchig. Trotzdem erkannte Mortimer sie. Eine eisige Hand schien nach seinem Herz zu greifen und fest zuzudrücken.
Das Wesen öffnete den Mund und ein Schwall Maden fiel heraus. Dann streckte sie eine Hand aus, die bereits von Fäulnis gezeichnet war.
„Aaaaaaammyyyy!“, stöhnte das Wesen, das aussah wie Evelyn Berg.
Kassie ließ die Waffen sinken und wurde blass. Mo quetschte sich zwischen Karo und Blaze hindurch, schnappte sich eine von Kassies Waffen und schoss in die Luft neben Zombie-Eve.
„Verschwinde!“, brüllte er. „Du bist nicht real! – naja, oder so.“
Evelyn schlurfte langsam rückwärts und wurde vom Nebel verschlungen.
„Scheiße“, sagte Kassie erschüttert. „Nicht schon wieder.“
Mortimer hob den Blick in den Himmel und schrie: „Ihr seid nicht besonders einfallsreich!“
Er wusste nicht, ob Ifrit und Asmodai ihn hörten, und es war ihm auch egal. Er hob seine Pistole. „Wir dürfen nicht hier bleiben. Sie wollen uns zum Aufgeben bringen.“
Kassie nickte. „Aber wie sollen wir durch den Nebel kommen?“
„Blaze?“, fragte Mo. „Du fährst vor. Hast du nicht irgendein tolles Infrarotgerät an deinem Enthinderer?“
Blaze schüttelte den Kopf. „Leider nicht, nur die normale Kamera.“
„Egal. Du rollst vor, am besten lässt du den Finger über dem Panzer-Knopf. Wir müssen einen Weg zum Freefalltower finden, und ich denke nicht, dass der Nebel sich irgendwann verzieht. Am besten, wir fassen uns alle an den Händen, und der vorderste hält sich an deinem Rolli fest.“
Karo war blass geworden. „I-ihr wollt wi-wirklich da durch?“
Kassie nickte. Sie hatte sich wieder gefasst. „Karo, nimm meine Hand. Mo, behalte die Pistole, du bist das Schlusslicht.“
Sie zogen los.