Ich habe zu viel Angst um mich umzudrehen, ich bin wie zu Eis erstarrt, aber als ich das Klingeln erneut höre, merke ich, wie sich etwas in mir umdrehen will.
Etwas in mir will meinem Gehirn nicht gehorchen.
Als ich mich langsam umdrehe, bin ich zuerst verwirrt, dann geschockt und dann entsetzt.
Vor mir steht ein Engel.
Also ich meine ein echter, richtiger Engel!
Es ist ein Mädchen, etwa in meinem Alter. Wie ich, trägt sie eine Schuluniform.
Aber als Zusatz hat sie noch ein Paar echt krasse Flügel. Im Licht schillern sie regelrecht.
Sie funkelt mich wütend an und zischt:
„Was ist nun? Willst du dich gar nicht verwandeln? Oder willst du lieber gleich sterben!? Das lässt sich auch machen! Dann werden meine Flügel zwar nicht größer, aber auch egal!“
„Was?... Wieso sollten deine Flügel größer werden? Moment mal, was willst du überhaupt von mir? Was soll das alles!?“
„Kämpfen! Was sonst! Komm schon ich muss stärker werden!“
„Was? Wovon redest du bitte?“
Verwundert kneift sie die Augen zusammen.
„Du weißt wirklich nichts?“ Als ich verneine, wird ihr hämisches Grinsen noch breiter.
„Gut, falls du gegen mich gewinnst, verrate ich dir was du willst. Wenn nicht. Nun, dann gehört dein Kopf mir.“
Sie sieht mich auf eine Weise an, die mir gar nicht gefällt.
Aus Neugier frage ich:
„Und wie soll ich das schaffen? Ich meine mich verwandeln und dich besiegen?“
„Das ist dein Problem und nicht meins! Fangen wir an!“
Bevor ich auch nur über die Bedeutung der Worte nachdenken kann, fliegt sie mit voller Wucht gegen mich gegen.
Ich fliege so etwa zehn Meter weit und pralle dann auf sehr schmerzhafte weise gegen die Wand.
Bei nur der kleinsten Bewegung schmerzt mein Knöchel höllisch.
Der Engel sieht mich kopfschüttelnd an und meint:
„Was hat er sich nur dabei gedacht dich in den Wettbewerb mit einzubeziehen.“
„Das hat er nicht!“
„Aber wie kann es dann sein, dass du es hören kannst? Ich meine das Klingeln?“
„Ich weiß es nicht, aber bitte, lass mich bitte einfach nur in Ruhe, okay?“
„Nein!“
Sie fliegt wieder auf mich zu, aber trotz meiner Schmerzen schmeiße ich mich nach links in Richtung Tür.
Das Mädchen fliegt an mir vorbei und fragt:
„Wer bist du Mädchen? Warum bist du ihm so wichtig?“
„Mein Name ist Angel und jetzt verschwinde endlich!“
Als ich meinen Namen sage, reagiert sie fast so wie Blue.
Leider nur fast.
„Das ist perfekt! Du heißt wie der Urengel! Du musst wirklich stark sein und weißt nicht einmal wie du dich verwandeln kannst! Das ist fast schon lächerlich. Durch deinen Tod werde ich so unendlich viel stärker werden! Ich bin mir sicher! Das muss Vaters Wille sein!“
Okay das läuft echt aufs Falsche hinaus.
Ich versuche so schnell ich kann zur Treppe zu krabbeln, schaffe es aber auch nur bis zum Treppenansatz.
Danach komme ich auch nicht weiter. Im Nachhinein frage ich mich echt, wie ich hier raufgekommen bin. Vor mir befinden sich Tausende von Stufen die ich in meiner jetzigen Verfassung niemals bewältigen könnte.
Hinter mir kommt der Engel wieder angerauscht und ich kann ihr nicht einmal mehr ausweichen, da werde ich schon von hinten gepackt und nach oben gezogen.
Das Mädchen hält mich am Kragen gepackt und fliegt mit mir über das Dach der Schule hinaus.
Unter uns geht es jetzt an die zwölf Meter runter.
„Mal sehen ob du fliegen kannst!“
Auf den Punkt genau am Ende ihres Satzes lässt sie mich los und ich falle schreiend nach unten.
Bis ich auf einmal mitten in der Luft stehen bleibe. Aber ich weiß gleich, dass das nicht mein Verdienst ist. Auf dem Dach der Schule steht Helia und hält mich mit ihrer Magie in der Luft.
Ich sehe sie zum ersten Mal verwandelt.
Sie sieht ganz anders aus als sonst.
Und ihre Flügel sind im Vergleich mit denen von dem Mädchen schneeweiß. Und nicht grau.
Das Mädchen sieht mich zuerst geschockt an, weil sie denkt, dass ich selbst ohne Flügel fliegen kann, doch dann sieht sie Helia und geht sofort auf sie los.
Sobald Helia abgelenkt ist falle ich wieder.
Als ich Helia schreien höre, versuche ich mich in der Luft umzudrehen. Ich sehe gerade noch wie Helia von einem Schwert durchbohrt wird.
Aber anstatt mit mir hinunter zu fallen, löst sie sich einfach nur auf. Das Schwert leuchtet einmal kurz auf und danach ist Helia verschwunden.
Erst jetzt wird mir bewusst, dass ich gleich sterben werde. Ich schreie so laut ich nur kann und versuche verzweifelt mich zu retten.
Aber wie? Festhalten kann ich mich nirgends und auch fliegen kann ich nicht.
Ich bin so gut wie tot.
Genau wie Helia, auch wenn sie nicht meine richtige Schwester war, war sie mir doch sehr sympathisch. Sie war die einzige, die mir überhaupt etwas erzählt hat. Gerade als ich etwas herausgefunden habe und jetzt werde ich sterben.
Der Engel sieht von oben auf mich herab und lacht hämisch, genau wie Kevin.
Oh man, würde mich überhaupt wer vermissen? Würde jemand bemerken, dass ich genau wie Helia einfach verschwinde?
Ich meine Nolan und Marco, nun sie kennen mich noch nicht lange aber sie würden mich doch bestimmt vermissen, oder? Sie würden bemerken, dass ich auf einmal fort bin, oder?
Es ist zwar nicht meine Art einfach aufzugeben, aber in diesem Fall habe ich gar keine andere Wahl.
Plötzlich taucht neben mir ein weiterer Engel auf, blond mit weißen Flügeln, genau wie Helia und fragt mich:
„Du weißt es nicht oder?“
Ich schüttle den Kopf, auch wenn ich nicht so recht weiß was sie meint. Anscheinend ist das aber die richtige Antwort, denn sie schließt ihre Arme um mich und trägt mich auf das Dach zurück. Als ich mich schnell umdrehe, sehe ich, das ich fast zwei Meter über dem Boden bin.
Pures Glück kann ich da nur sagen.
Der Engel mit den grauen Flügeln schreit wütend:
„Was bitte schön soll das?! Warum muss sich hier jeder einmischen!?“
Der blonde Engel sagt nichts, sieht mich entschuldigend an und hebt die Hand.
Ein Rabe kommt angeflogen und setzt sich kurz auf ihre Hand, fliegt aber nach wenigen Sekunden zum grauen Engel weiter.
Der blonde Engel sieht dem Mädchen in die Augen und sagt entschlossen:
„Verschwinde!“
Mir scheint wohl irgendetwas entgangen zu sein, denn der graue Engel starrt entsetzt den Raben an und ist nach wenigen Sekunden spurlos verschwunden.
Der blonde Engel sieht mich wieder an und bittet:
„Bitte entschuldige ihr verhalten, vergebe ihr, Schwester.“
Wie immer habe ich keine Zeit zu antworten, denn sie läuft zum Rand des Daches und springt hinunter.
Ich hätte sie so gern noch so viele Sachen gefragt.
Aber jetzt muss ich erst einmal verdauen was eben passiert ist.
Ich meine ich bin fast gestorben und bin zudem noch drei Engeln auf einmal begegnet. Fassungslos starre ich ihr hinterher.
Was für ein verrückter Tag. Und um mich noch mehr zu verwirren und zu überfordern, kommen in genau diesem Moment Nolan und Marco auf das Dach gestürmt.
Als sie mich sehen ziehen beide erschrocken die Luft ein.
Anscheinend habe ich mich irgendwo verletzt, was mich nicht wundern würde.
Nolan bittet Marco meine Krücken zu holen, während er mich auf seine Arme nimmt und mit mir anfängt die Treppe hinunter zu gehen.
Marco geht direkt hinter uns und fragt mich:
„Was ist da oben passiert, Polo?“
„Nichts wieso?“
„Weil es nicht nach nichts aussieht klar? Du bist voller Schrammen und Striemen.“
Danach schweige ich einfach und er versteht wohl, dass ich nichts mehr sagen werde, zumindest nicht zu ihm und nicht über dieses Thema.
„Wie habt ihr mich gefunden?“
„Das war richtig krass. Du warst schon einige Zeit weg und als dann der Lehrer kam, mussten wir ja die Klasse verlassen.
Nolan ist sofort losgelaufen, als sei eine Meute tollwütiger Hunde hinter ihm her. Und als er endlich stehen geblieben ist, waren wir hier oben und du saßt verletzt auf dem Boden.“
„Ich bin verletzt?“
Nolan sieht mich nachdenklich an und murmelt:
„Das ist nicht gut. Ich werde dies ihrem Vater berichten müssen Angel.“
„Warum siezt du sie?! Und wer bitte ist Angel?!“
Moment mal bitte wie kann er das gehört haben, ich konnte Nolan ja kaum verstehen und er geht hinter ihm und liegt nicht in seinen Armen!
Nolan antwortet kalt:
„Das geht dich nichts an!“
„Das geht mich sehr wohl etwas an!“
„Nein das tut es nicht!!! Du weißt gar nichts über Sie.“
Mit sie bin dann wohl ich gemeint. Nett wie sie so über meinen Kopf hinweg über mich reden. Aber ich will eigentlich nur noch in mein Bett und erst einmal richtig lange schlafen.
Die Jungs streiten immer weiter bis ich sie unterbreche und frage:
„Wohin gehen wir überhaupt?“
Zu meiner Überraschung antworten beiden einstimmig:
„Nach Hause.“
Nolan sieht Marco überrascht an und sagt stur:
„Du bleibst schön hier!“
„Nein werde ich nicht!“
„Doch wirst du!“
„Magrit sag doch auch mal was dazu!“
Zuerst reagiere ich auf diesen Namen gar nicht, doch als ich merke wie mich beide beobachten frage ich:
„Was?“
Marco runzelt die Stirn und fragt:
„Was ist hier eigentlich los?! Erst nennt er dich Angel und dann reagierst du nicht einmal mehr auf deinen eigenen Namen! Also was wird hier gespielt?“
„Ich bin dafür, dass du erst einmal mitkommst und dann sehen wir weiter, okay?“
Mein Versuch ihn abzulenken funktioniert wunderbar, denn seine Mine hellt sich sofort auf. Bloß Nolan sieht mich verstimmt an.
Warum um alles in der Welt will er nicht, dass Marco mit uns nach Hause kommt. Es ist doch schließlich nichts dabei, oder?
Im Auto will Marco sich schon nach hinten setzen aber ich sage:
„Nein, geh du bitte nach vorne, ich leg mich hinten ein wenig hin.“
Ohne Wiederspruch setzt er sich auf den Beifahrersitz.
Nolan hilft mir ins Auto und reicht mir meine Krücken. Dann sieht er mir eindringlich in die Augen und schließt die Tür.
Kurz danach startet auch schon der Motor.
Ich wache erst wieder auf, als wir beim Haus ankommen. Ich kann hören wie Marco scharf die Luft einzieht.
Entgeistert fragt er:
„Hier wohnt ihr?! Ich dachte hier wohnt so ein verrückter Wissenschaftler mit seiner Tochter aus dem Irrenhaus.“
Kalt erwidere ich:
„Das stimmt auch, nur das er nie da ist und ich noch neun Adoptivgeschwister habe!“
Marco dreht sich im Sitz so herum, sodass er mich sieht und fragt:
„Warum warst du da?“
„Wegen meinem Stiefvater. Mehr werde ich dir vorerst nicht sagen, okay? Bitte es ist wirklich nicht leicht zu verstehen.“
Marco überlegt kurz und sagt dann:
„Okay ich vertraue dir. Du würdest es mir doch sagen, wenn du eine gestörte Mörderin wärst oder?“
Zuerst bin ich geschockt, weil er der Wahrheit sehr nahe kommt doch dann muss ich lachen, weil es einfach nur dämlich ist. Nolan hilft mir aus dem Wagen und zusammen gehen wir alle ins Haus.
Kurz bevor wir drinnen sind, flüstere ich Marco zu:
„Nein, ich würde es dir nicht sagen.“