Im Foyer:
Amy trat gerade in das Foyer, als ein lauter, heller Gong erklang, der so kalt und mechanisch klang, dass er vermutlich künstlich erzeugt war. Auf der weißen Wand über den verschiedenen Schaltern flackerte plötzlich ein Bild auf. Zuerst glaubte Amy, das Gesicht sei an die Wand projiziert worden, doch bei genauerem Hinsehen entdeckte sie die Rahmen, in die die Fernseher eingelassen waren.
Das Gesicht eines Mannes bewegte sich und aus versteckten Lautsprechern kam eine Ansage: "Das Abendessen ist jetzt bereit. Ihre Tische sind den Nummern Ihres Zimmer zugeordnet. Bitte nutzen Sie nur Tische, die zu Ihrem Zimmer gehören. Unsere Bedienung am Buffet steht Ihnen gerne bei Fragen zur Verfügung. Das Abendessen ist jetzt bereit ..."
Die Ansage wiederholte sich. Im Foyer wimmelte es bereits vor Menschen, die zu den Türen des Speisesaales strömten. Das Bild über den Schaltern wechselte und zeigte die selbe Menschenmasse, die sich im Esssaal auf unzählige, schick gedeckte Tische verteilte. Amy schauderte. Wie Schafe, fand sie. Es war nicht lange her, dass sie im Englisch LK "1984" hatte lesen müssen, und die Szene erinnerte sie zu sehr an die dystopische Geschichte. Fehlte nur noch, dass sie bei jedem Schritt überwacht und für Gedankenverbrechen verhaftet wurden.
Amy kämpfte sich durch die Flut, die schließlich ausdünnte, und fand ihre Freunde bei einer kleinen Sitzgruppe. Amy saß auf einem weißen Sofa, Milo stand hinter ihr, die Ellbogen auf die Lehne gestützt, und massierte ihren Nacken. Liam stand vor dem niedrigen Beistelltisch, die Hände in den Taschen vergraben. Amy kam zu ihnen: "Keine Spur von Luca?"
Ihre Freunde schüttelten mit unglücklichen Gesichtern die Köpfe.
"Ich hoffe ehrlich, dass das nur ein dummer Scherz ist", meinte Amy und ließ sich in einen freien Sessel fallen. Ihre Haare waren nass von dem leichten Nieselregen, der draußen eingesetzt hatte. Sie hatte das übermächtige Bedürfnis, sofort einen Plan zu schmieden, aber alles, was ihr einfiel, war, direkt zur Küche zu laufen und dort nach Luca zu suchen.
Zu riskant, dachte sie. Was, wenn wirklich etwas Ernstes passiert war? Das Hotel war unheimlich genug, um sie mit allem rechnen zu lassen.
Sie knöpfte den nassen Mantel auf und ließ ihn achtlos auf den Sitz rutschen: "Gehen wir die Optionen durch: Was kann Luca aufhalten."
"Er ist bestimmt entführt!", meinte Eve unglücklich.
Milo beugte sich vor und meinte: "Vielleicht ist nur sein Handy aus. Oder es ist wirklich ein dummer Scherz."
"Dass sein Handy leer ist, ist wirklich wahrscheinlich", sagte auch Liam.
"Es reicht vielleicht, wenn wir in der Küche nachfragen, ob ihn jemand gesehen hat", meinte Amy.
"Hab ich schon gemacht!", sagte Liam schnell: "Als wir auf dich gewartet haben. Sie haben ihn gesehen, aber dann ist er mit irgendeinem Mädchen losgezogen."
"Irgendein Mädchen?", wiederholte Amy: "Jemand, den wir kennen."
Liam zuckte mit den Schultern: "Blond, klein, wirkte relativ jung, trug Handtücher."
"Vielleicht Fay", überlegte Evelyn.
"Stimmt, die fünf haben geduscht", sagte Amy und erntete einen überraschten Blick von Eve, weshalb sie hinzusetzte: "Nachdem ihr weg wart."
Sie wollten noch weiter überlegen, aber sie hörten Schritte, die in dem leeren Foyer laut widerhallten. Als sie sich umdrehten, kamen mehrere Menschen in uniformer, weiß-blauer Kleidung auf sie zu. Jeder der fünf Männer und Frauen trug ein äußerst professionelles Lächeln zur Schau.
"Warum sitzen Sie hier? Haben Sie keinen Hunger?", fragte ein Mann mit kurzen, dunklen Haaren. Offenbar gehörten die fünf zum Personal.
"Nicht wirklich", wehrte Eve ab, aber die Fünf umkreisten sie mit freundlichen Gesichtern: "Unser Essen hat mehrere Auszeichnungen gewonnen, das dürfen Sie sich nicht entgehen lassen."
Eine junge Frau schaffte es irgendwie, Amys Jacke an sich zu bringen. Sie klopfte sie trocken und reichte sie zurück, aber inzwischen hatten sich Amys Nackenhaare aufgestellt. Sie stand langsam auf und nahm ihre Jacke entgegen: "Danke."
Mehr oder weniger gegen ihren Willen wurden sie in die Mitte genommen und zum Speisesaal gebracht. Jemand schnappte sich Eves Karte und fand dabei irgendwie ihre Zimmernummer heraus, jemand anderes öffnete ihnen die Tür und dann wurden sie zu ihrem Tisch geführt.
Und obwohl das Personal die ganze Zeit lächelte und höfliche Komplimente machte, fühlte sich Amy wie eine Gefangene. Als sie auf ihrem Stuhl saß, ein Tablett mit irgendeiner Entschuldigung darauf, damit ihre Wachhunde endlich verschwanden, kam sie sich vor, als würde sie eine Gittertür zuschlagen hören.
Am Tisch saßen bereits Dimitri und Samira, die ziemlich vergnügt wirkten, und Samstag mit nur vier Begleiterinnen, die auf den ersten Blick genauso laut scherzten und lachten wie alle anderen Gäste. Amy bemerkte, dass Fay fehlte. Das Personal blieb im Raum und schien sie im Auge zu behalten. Doch als die Beobachter außer Hörweite waren, tauschten Samstag und die vier Mädchen besorgte Blicke mit ihnen.
Mira senkte die Stimme zu einem Flüstern, aber trotzdem hörte jeder am Tisch wie sie fragte: "Wo ist euer Kumpel, Luca?"
Amy zuckte mit den Schultern. Liam berichtete verstohlen von ihrer Suche nach Maya und der abgebrochenen Nachricht. Sie warteten, bis ein Kellner vorbei gegangen war - sie wussten längst nicht, wem sie vertrauen sollten - dann beugte Samstag sich nach vorne: "Irgendwas stimmt hier nicht."
Amy spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam. Eve wurde blass: "Ich wusste es!"
"Maya ist nicht hier", flüsterte Tee-jo, die sich umgesehen hatte: "Aber wir werden beobachtet. Besser, wir tun, als würden wir uns keine Sorgen machen."
Amy nickte und beugte sich wieder über ihren Teller. Wie war eigentlich der Brokkoli darauf gelandet? Sie mochte doch überhaupt kein Gemüse, erst recht nicht in der Menge. Aber sie war beim Beladen des Tellers auch unaufmerksam gewesen.
Samstag, Mira, Tee-jo, Wild Child und Lily lachten und scherzten weiter. Samira und Dimitri, die ihre Diskussion schweigend verfolgt hatten, redeten weiter über irgendwelche Menschen, die sie kannten. Amy zwang sich, Interesse für die Witze der Anderen aufzubringen.
Es fiel ihr schwer, denn die Sorgen ließen sich einfach nicht vertreiben. In was war sie hier nur hineingeraten?