ANNA
Nathan und die Jungs sind schon eine Zeit lang weg. Alex und ich sind hingegen noch in der großen Küche und er versucht gerade fluchend etwas in dem Hängeregal zu finden. Ich weiß nicht, was er sucht oder was er vorhat, aber ich will ihn nicht unterbrechen. Er ist sowieso schon gereizt und ich will es nicht noch schlimmer machen. Ich verstehe ihn. Ich wäre auch gereizt, würde eine Ex-Freundin von ihm auftauchen.
Seine Augen strahlen noch immer ein klein wenig in diesem Rot, als würde sich noch ein Teil seines Werwolfes darin befinden. Als er wieder zurück zur großen Kücheninsel kommt und etwas darauf legt, sieht er mich mit diesem durchdringenden Blick an. Ich kann seine Aufregung noch immer spüren. Mit dem Versuch meine Hände auf seine Wangen zu legen, versuche ich ihn zu beruhigen. Für einen Moment habe ich Angst, dass er sich gegen diese Berührung wehrt, doch seine Augen blicken nach einem Augenblick in meine und das Rot darin verschwindet nun gänzlich.
„Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht verärgern. Aber...wir konnten ihn auch nicht einfach zurücklassen.“
Ich will das er mir verzeiht. Auch wenn ich nichts Schlimmes gemacht habe, will ich, dass er wieder lächelt. Ich will dieses schöne Lächeln sehen. Obwohl ich weiß, dass ich das jetzt gerade nicht von ihm verlangen kann. Wir müssen seine Schwester finden. Mein Herz ist mir fast aus der Brust gesprungen, als er gesagt hat, dass sie nicht tot ist. Ich glaube ihm. Denn ich habe gesehen und auch gespürt, zu was David und ich in der Lage sind und ich weiß, Alex und Lexa sind ebenfalls dazu in der Lage. Er kann sie spüren und ich bin froh darüber. Froh darüber, dass diese Leiche nicht Lexa war. Obwohl, es mir trotzdem leid tut. Alle in dieser Bar tun mir leid. Denn keiner hat es verdient, so hingerichtet zu werden. Okay, meine böse innere Stimme ist mit mir nicht einer Meinung. Den sie würde Marius und Salivana gerne dasselbe zufügen. Sie hätten es verdient. Doch ich kann es nicht zulassen. Ich will nicht zulassen, dass ich mich auf das gleiche Niveau wie sie begebe. Also verdränge ich diese Gedanken, so schnell ich nur kann und widme mich wieder Alex. Dieser starrt noch immer in meine Augen und sein Blick fesselt mich.
„Anna, du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Es ist passiert und ich verstehe dich. Ich kann mich nur schwer zurückhalten, wenn jemand anderer dich anfasst. Das macht mich verrückt. Noch dazu er. Derjenige, der dir so viel Schmerz zugefügt hat. Versprich mir, dass du dich vor ihm in Acht nimmst. Auch, wenn er sich nicht zu erinnern scheint.“
Das Wissen, das er eifersüchtig ist, entlockt mir ein schiefes Lächeln. Es zeigt mir, dass er mich wirklich zu mögen scheint. Ich hoffe so sehr, dass es wirklich wahr ist. Dass er mich wirklich liebt. So wie er es gesagt hat. Doch ich habe wie immer Zweifel. Das ist meine Schwäche oder auch meine Stärke. Ich zweifle in letzter Zeit einfach an allem und das hat mir schon einige Probleme bereitet. Doch ich will ihn nicht noch mehr auf die Folter spannen und nicke ihm zu.
„Gut. Dann wäre das geklärt. Jetzt müssen wir Lexa finden. Dazu brauche ich deine Hilfe.“
Wieder nicke ich und er wirkt vollkommen konzentriert, als er das gefaltete Papier aus dem Schrank entfaltet und vor uns auflegt. Eine seiner braunen Haarsträhnen hängt in seine Stirn und seine Lippen pressen sich zu einer schmalen Linie, als er wieder zu mir blickt. Ich blicke auf die Fläche und bei genauerem hinsehen, kann ich erkennen, dass es sich um eine Karte handelt. Nur hat es keine Ähnlichkeit mit den üblichen Karten, die ich kenne. Es sieht aus wie eine Landkarte, doch nur sind darauf verschiedenste Zeichen gemalt. Sie sehen ähnlich aus, wie die Zeichen auf Alex’s Haut.
„Das ist eine Art magische Karte. Ich weiß es hört sich idiotisch an. Aber es ist wirklich eine magische Karte.“
Jetzt ist es wieder in seinem Gesicht. Dieses sanfte Lächeln, das mich schwach werden lässt. Und ich spüre wieder diese Schmetterlinge in meinem Bauch.
„Ich werde dir zeigen wie es funktioniert.“
Er holt einen Hocker und stellt ihn vor die Kücheninsel. Mit seinem Kopf bedeutet er mir, dass ich mich darauf setzen soll. Also setze ich mich und mein Blick wandert zu dieser Karte, die nun ausgebreitet vor mir liegt.
„Leg deine Hände hier hin.“
Er steht nun hinter mir und legt seine großen Hände über meine, um sie jeweils rechts und links von der Karte zu platzieren. Sein Kopf ist dabei so nahe an meinem Nacken, dass ich seinen Atem an meinem Hals spüren kann. Mein Körper beginnt bei dieser Berührung wieder zu kribbeln und ich spüre, dass er es spürt. Er weiß, dass er mich damit verrückt macht. Verrückt nach ihm. Und als würde es nicht schon reichen, kommt er mit seinen Lippen näher an meine und seine Finger streichen langsam über meinen Unterarm, sodass sich gleich nach dieser Bewegung meine Härchen aufstellen und eine Gänsehaut seiner Berührung folgt. Sein gut riechender Atem drängt sich noch näher an meine Lippen und ich kann es förmlich Knistern hören. Ich kann es kaum erwarten, seine Lippen auf meinen zu spüren. Und dann nach ewig erscheinenden Sekunden ist es soweit. Mich überkommt wieder dieses Gefühl und ich würde mich jetzt am liebsten in diesem Kuss verlieren, wenn ich nicht schon lange verloren wäre. Verloren an Alex. Wenn ich in seiner Nähe bin, ist alles plötzlich so klar und ich weiß, dass ich nur ihn will.
Langsam löst er sich von diesem Kuss. Seine Lippen streifen an meinem Ohr, als er sich zurückzieht und seine Finger dabei weiter an meinen Oberarmen entlangfahren.
„Du bringst mich völlig durcheinander.“ Flüstert er in mein Ohr, als er es streift. Dieser Gedanke sitzt auch in meinem Kopf fest. Er bringt mich ebenfalls völlig durcheinander. Er verwirrt mich und macht mich verrückt nach ihm. Als sich das Knistern wieder legt, höre ich etwas hinter mir. Ich kenne das Geräusch und ohne dass ich es sehen muss, weiß ich, dass es seine Zähne sind, die sich aus seinem Kiefer hervorheben.
Er nimmt seine rechte Hand von meiner und gleich darauf höre ich, wie sich seine Zähne in sein Fleisch bohren. Keine Sekunde darauf, wandert seine Hand, die jetzt zu einer Faust geballt ist, über die Karte. Unter seiner Handfläche bildet sich ein Tropfen seines Blutes, dass auf das gelbliche Papier tropft und sich davon auffällig abhebt.
„Du musst dich auf Lexa konzentrieren. Es ist mein Blut und Lexa hat es ebenfalls in sich. Also werden wir sie auf diesem Weg ausfindig machen können.“
„Alex, wie soll ich das anstellen?“
Sanft spüre ich seine Handflächen auf meinen Schultern und eine leise Stimme, die mir ins Ohr flüstert.
„Du schaffst das. Du hast keine Ahnung, was du alles schaffen kannst. Du bist so stark und du kannst alles schaffen, wenn du nur willst. Und jetzt schließe deine Augen und denke einfach an Lexa. Versuch es.“
Seine Worte wirken so beruhigend. So ehrlich. So liebevoll. Sie helfen mir. Machen mich stärker. Er macht mich stärker. Und so schließe ich meine Augen und versuche es. Ich versuche, an Lexa zu denken. Versuche an diesen silbernen Wolf mit den weißen Augen zu denken. An die besorgte Lexa. An die Lexa mit den langen schwarzen Haaren und diesen dunklen, fast schwarzen Augen. Es sind einige Minuten die vergehen. Es ist still und ich kann unsere Atemzüge hören und als ich Alex’s Stimme höre, bin ich aufgeregt was mich erwartet, wenn ich meine Augen öffne.
„Anna, es hat geklappt!“
Ich höre Begeisterung in seiner Stimme und spüre einen festen Kuss auf meinen Hinterkopf. Ich öffne meine Augen und kann sehen, dass sich der Blutfleck bewegt hat. Er ist nicht mehr dort wo er war. Sein Blut ist jetzt an der rechten oberen Ecke, der Karte angelangt. Genauer gesagt auf einem Zeichen, das ich nicht entziffern kann. Ich habe keine Ahnung, wie wir so Lexa finden sollen. Doch Alex scheint es zu wissen. Denn er greift schnell nach seinem Telefon und zieht mich mit einer Hand nach sich.
Er scheint es eilig zu haben und ich spüre die Nervosität, die von ihm ausgeht.
„Wo ist sie?“
„Dort wo sie immer gewesen ist. Immer wenn es ihr nicht gut ging. Ich hätte es gleich wissen müssen. Ich glaube, sie ist verletzt. Ich konnte es spüren. Darum müssen wir uns beeilen.“
Verwirrt folge ich ihm nach draußen, wo er nach John ruft. Dieser war die letzten paar Tage nicht hier und ich weiß bis jetzt nicht, wo er war oder was er gemacht hat. Aber ich denke, er hat auch noch ein anderes Leben und er wird sich darum gekümmert haben. John kommt angerannt und trotz diesem Druck den Alex ihm macht, hat er immer ein kleines Lächeln für mich bereit. „Hy Anna.“ Begrüßt er mich und ich erwidere das Lächeln. Dann widmet er sich wieder Alex, der John irgendetwas von einem Wagen erklärte, den er fertig machen soll, da die Jungs mit seinem Wagen Nathan zurückgebracht haben.
John wirkt gestresst und macht sich mit Laufschritten auf den Weg. Er verschwindet um die Ecke und ich und Alex bleiben auf dem großen Platz vorm Haus stehen. Ich bewundere dieses Haus jedes mal wieder aufs Neue. Es sieht so riesig aus und so gepflegt. Ich frage mich, wer dieses Haus wohl so gepflegt hält, wenn Alex die meiste Zeit über nicht hier ist. Ich denke dass Alex wohl nicht so der „Blumen-Typ“ ist und ich kann mir ein kleines Grinsen bei diesem Gedanken nicht verkneifen. Er muss wohl mein Grinsen bemerkt haben und sieht mich verwirrt an, während er nervös neben mir hin und her läuft. Und schon fühle ich mich wieder schuldig. Wie kann ich nur Grinsen, wenn Lexa in Gefahr ist und er sich Sorgen macht? Schnell versuche ich meine Gedanken wieder zu ordnen und schenke ihm einen entschuldigenden Blick.
Doch er kommt auf mich zu. So als würde er sagen wollen: Ist schon okay. Er nimmt meine Hände und verschränkt seine Finger mit meinen. Dann zieht er mich fest an sich und ich drücke meinen Körper fest an seinen Brustkorb, der sich langsam hebt und senkt. Ich spüre Verzweiflung die von ihm ausgeht und er legt seinen Kopf in meine Halsbeuge. Ich spüre wie sich sein Herzschlag verlangsamt und wie er meinen Geruch in sich aufzusaugen scheint. Er macht mich verrückt. In der einen Sekunde ist er so wütend und in der anderen so sanftmütig. Doch bevor ich mir noch weiter darüber den Kopf zerbrechen kann, höre ich ein tiefes Schnurren und Reifen, die sich auf dem Kies abrollen.
Er hebt seinen Kopf und ich richte ebenfalls meinen Blick auf den Wagen, den John um die Ecke fährt. Würde sich nicht meine Arbeit um Autos drehen, würde ich jetzt wahrscheinlich unbeeindruckt einfach einsteigen. Aber das ist genau das, was ich nicht kann, als ich diesen Wagen sehe. Es ist ein Aston Martin DBS und ich bin fasziniert von dem Geräusch, das dieser Wagen von sich gibt. Überraschung lässt mich weiterhin wie erstarrt auf der Stelle verharren, bevor Alex meine Hand ergreift und sich ein selbstbewusstes Grinsen auf seine Lippen legt.
„Wir müssen uns beeilen.“
Ich setze meine Füße in Bewegung und ohne den Blick von diesem Wagen zu lösen, steige ich auf der Beifahrerseite ein. John steigt aus dem Wagen, um Alex Platz zu machen, der sich mit einem freundschaftlichen Schulterklopfen von ihm verabschiedet.
Keine Minute später fahren wir los. Alex fährt zwar in einem schnellen Tempo über die Straße, seines Grundstücks, aber als wir an der Hauptstraße ankommen, spüre ich, welche Kraft in diesem Wagen steckt, als ich in den Sitz gepresst werde. Alex scheint nun nicht mehr auf irgendjemanden Acht geben zu müssen und brettert los.
Die Minuten vergehen und ab und an spüre ich seinen Blick auf mir. So wie ich ihn gelegentlich anblicke und seine Panik spüre. Wir müssen es rechtzeitig schaffen. Ich mache mir Sorgen. Vorwiegend um Lexa aber auch um Alex. Was, wenn wir es nicht schaffen? Ich werde jedoch von meiner Sorge abgehalten, als er den Wagen mit quietschenden Reifen auf einen Waldweg lenkt. Zum Glück habe ich den Sicherheitsgurt angelegt, ansonsten würde ich jetzt auf Alex’s Schoß liegen. Nach dieser Aktion brauche ich ein paar Sekunden, bis ich es realisiere. Ich kenne diesen Weg, jetzt weiß ich auch, wo Lexa ist. Es ist der Weg zu Alex’s Hütte. Wie ein Wahnsinniger lässt er den Wagen über den Weg fliegen. Ich kann hören, wie die kleinen Steinchen am Unterboden des Wagens abprallen und spüre bei jeder Erhebung und jedem Schlagloch, dass der Boden des Wagens manchesmal den Weg berührt und ein grässliches Geräusch von sich gibt.
Ich bin froh, als ich die Hütte vor uns sehe und Alex mit einer Vollbremsung anhält, bei der sich der Sicherheitsgurt um meinen Oberkörper spannt. Ich habe noch nicht einmal realisiert, dass der Wagen zum Stillstand gekommen ist, als Alex bereits aus dem Wagen springt. Ich befreie mich so schnell als möglich von dem Gurt und stürze mich ebenfalls aus dem Wagen um keine Zeit zu verlieren.
Ich versuche seinen schnellen Schritten zu folgen, doch ich kann kaum mithalten. Erst als er vor der Tür anhält, schließe ich zu ihm auf. Die Tür steht einen spaltbreit offen und überall sind Blutspuren zu erkennen. Ich will ins Innere der Hütte, doch er streckt seine Hand vor mir aus, um mich zurückzuhalten. Verwirrt blicke ich zu ihm auf, doch er legt den Finger an seine Lippen und gibt mir damit zu verstehen, dass ich leise sein soll.
Erneut überkommt mich Panik. Vielleicht ist noch Jemand anderes hier? Oder es ist eine Falle von Salivana und Marius? So folge ich seiner Anweisung und platziere mich hinter seinem Rücken. Er legt seine Hand an das Holz und drückt die Tür nun auch noch den letzten Weg auf. Ein leises Knarren erklingt und lässt meinen Körper für einen kurzen Moment erstarren. Alles in der Hütte wirkt düster. Die schweren grauen Vorhänge sind geschlossen und es ist, als würde hier nur die Dunkelheit existieren. Mit leisen Schritten folge ich Alex. Mein Herz schlägt schneller und mein Körper ist bis zum Zerreißen gespannt.
Ich hoffe so sehr, dass Lexa wirklich hier ist und es ihr gut geht.
Ich folge weiter Alex’s Schritten und jeder dieser Schritte wird von einem leisen ächzenden Geräusch begleitet, dass der Holzboden unter unseren Füßen macht. Jedes Geräusch wirkt lauter als es tatsächlich ist, da ich ständig darauf warte, dass gleich etwas passieren wird. Somit schrecke ich hoch, als wir vor der Tür zur Küche stehen und ich ein Geräusch höre. Alex macht daraufhin eine schnelle Bewegung und drängt mich hinter sich. Nun stehe ich mit dem Rücken zu der geöffneten Tür in das Wohnzimmer und irgendwie wird mir etwas mulmig dabei, dass hinter mir ein dunkler offener Raum ist. Aber ich weiß auch, dass wir ein Geräusch aus der Küche gehört haben. Also versuche ich dieses Gefühl zu verdrängen, dass etwas in diesem Raum hinter mir sein könnte.
Alex öffnet die Tür zur Küche und noch bevor er hineintritt gibt er mir mit seiner Hand zu verstehen, dass ich hier bleiben soll. Ich tue es nur ungern, aber ich befolge seine Anweisungen. Ich habe Angst hier alleine, aber ich will ihn auch nicht in Gefahr bringen, indem er sich auf mich konzentriert und dabei abgelenkt ist. Er verschwindet hinter der Tür und ich blicke ihm nach.
Ein beklemmendes Gefühl legt sich über meinen Körper. Es lässt mich erschauder. Lässt meinen Körper mit einer Gänsehaut reagieren. Meine Nackenhaare stellen sich auf und ein Kalter Schauer zieht über meinen Rücken. Ich habe Angst davor, mich umzudrehen. Ich kann etwas spüren. Ganz nah an meinem Körper und ich bin wie erstarrt. Will ich es sehen? Will ich mich dieser Gefahr stellen? Was ist, wenn wirklich etwas hinter mir ist? Ich bilde es mir nur ein. Es ist nur ein Hirngespinnst. Nur ein Gefühl, dass mich in dieser Situation täuscht. Dennoch spüre ich die Anspannung. Die Angst. Beides scheint sich in mein Fleisch zu fressen.
Also drehe ich mich langsam um.
Meine Augen sind vor Schreck geweitet. Mein Atmung versagt. Mein Körper versagt. Ich spüre den feuchten Atem der Kreatur, in dessen schwarzen Augen ich jetzt blicke. Mein Körper ist wie gelähmt. Mein Herz klopt so stark, dass es gleich aus meiner Brust springt, wenn diese Kreatur es nicht schon vorher herausreißen wird.
Ich blicke auf blutrünstige, gefletschte lange Reißzähne, bevor sich die Augen in ein Feuerrot färben und ich mich erneut zum Sterben bereit mache. Die Hoffnung, das alles würde nur ein Alptraum sein, lässt mich meine Augen schließen. Doch ich spüre seine Anwesenheit noch immer. Spüre den kalten Atem auf meinem Gesicht. Höre das Knurren und sehe förmlich dieses riesige Maul vor mir, dessen Zähne bereit sind, sich in mein Fleisch zu bohren. Doch plötzlich verschwindet es. Ich kann es nicht mehr fühlen. Kann es nicht mehr hören. Langsam öffne ich meine Augen, in der Erwartung, dass ich mich täusch und dieses Ding mich noch immer anstarrt. Doch es ist nichts als dunkle Leere vor mir. Zuerst will ich es nicht glauben, doch nach ein paar Sekunden spüre ich, wie die Anspannung von mir fällt und ich endlich wieder atme.
Also schließe ich meine Augen. Dann kann ich spüren wie sich die Kreatur weiter auf mich zu bewegt und kann diesen feuchten Atem auf meinem Nacken spüren. Die Geräusche des gefletschten Mauls drängen an mein Ohr und plötzlich verschwindet es. Ich kann es nicht mehr fühlen. Kann es nicht mehr hören. Langsam öffne ich meine Augen in der Erwartung, das diese Kreatur noch immer vor mir steht. Doch nichts. Es ist nichts hier und ich spüre wie die Erleichterung mich überkommt und die Anspannung von mir abfällt.
Vielleicht habe ich mir das nur eingebildet? Aber ich habe es doch gespürt. Ich stehe hier. Verwirrt und voller Fragen. Voller Angst und Neugier. Doch ich werde von einem schmerzvollem Stöhnen unterbrochen. Ich drehe mich zur Tür und blicke auf eine geschwächte Lexa, die in Alex’s Armen liegt. Die Augen zu kleinen Schlitzen gezogen und ihr ganzer Körper mit Blut bedeckt. Ich kann ihren Schmerz spüren, wie er durch meinen Körper schießt.
Ich freue mich so sehr, dass sie lebt. Doch ich bin auch besorgt. Sie sieht fürchterlich aus. Bei jedem Blick, den ich auf sie werde, hab ich das Gefühl, sie würde gleich aufhören zu atmen. Ich spüre, wie sie um jeden Atemzug kämpft. Ich kann spüren, dass sie schwach ist. Sehr schwach.
Schnell laufe ich zur Tür und öffne sie für Alex. Draußen angekommen, öffne ich ebenfalls die Tür des Wagens und er lässt Lexa vorsichtig auf den Beifahrersitz nieder. Dann höre ich, wie sich seine Zähne in sein Fleisch bohren. Blut quillt heraus und er legt die Hand auf Lexa’s Lippen. Ich kann sehen, wie schwer es ihr fällt das Blut hinunter zu schlucken. Doch sie schafft es und schließt danach völlig erschöpft ihre Augen.
Daraufhin schließt Alex die Wagentür und greift nach dem Schlüssel. Er umfasst mein Handgelenk mit der einen und mit der anderen legt er den Wagenschlüssel in meine Handfläche. Sein Blick ist starr auf mich gerichtet und ich erkenne Angst darin. Ein Ausdruck der nur selten, wenn garnicht auf seinen Zügen Platz findet.
„Anna, du fährst. Bring sie nach Hause. Ich muss zurück, um etwas zu suchen. Warte zu Hause auf mich und bring sie in Sicherheit.“
Sein Blick wirkt gequält und ich spüre die Sorge um ihn, die sich in mir aufbaut. Doch er blickt nur noch ein letztes Mal in meine Augen, bevor er sich umdreht und sich auf den Weg zurück in die Hütte macht. Erst dann reagiere ich und bringe leise die Worte über meine Lippen, die mich erschaudern lassen.
„Du meinst, du musst noch nach Jemanden suchen?“
Diese Worte lassen ihn so plötzlich stoppen, dass der Boden unter seinen Füßen zu erbeben scheint. Seine Hände ballen sich zu Fäuste und seine Muskeln spannen sich unter seinem Shirt an, bevor er sich langsam zu mir dreht.
„Was hast du gesagt?“
Ich weiß, dass er es weiß. Aber ich weiß nicht, was dieses Ding ist und warum Alex es mir nicht sagen will. Ich weiß nur, dass ich es wissen will und ich will es jetzt wissen. Ich hatte Todesangst und er hat es gespürt. Er muss es gespürt haben. Aber wieso hat er mir nicht geholfen? Mit Nachdruck und etwas Ärger in meiner Stimme, werfe ich ihm nochmals meine Frage entgegen.
„Du musst noch nach JEMANDEM suchen, nicht wahr?“