„Freust du dich? Oder hast du Angst vor morgen?” Quentin hatte sich neben mich auf die Couch fallen lassen und dabei sein Getränk wirklich gut gehalten, sodass er keinen einzigen Tropfen verschüttet hatte.
„Wie meinst du das, Morgen? Wegen dem Empfang? Der ist mir relativ egal, ich kenne die meisten Menschen da eh nicht und es kann mir am Arsch vorbeigehen. Ich hab große Angst, dass du und Mutter euch heute Abend beim Essen wieder in die Haare bekommt!” sprach ich meine Befürchtung laut aus. Ja, es war wirklich komisch, an das letzte Mal zu denken. Seitdem Quentin so mit unserer Mutter geredet hatte, war sie ihm aus dem Weg gegangen, was er nicht schlecht fand, aber generell war es nicht gut für die Stimmung in unserer Familie. Jeder hatte ihn schon gebeten, sich doch bei ihr zu entschuldigen, aber er sagte, er wolle nicht dastehen wie eine Pussy und zu ihr zurück kriechen. Deshalb blieb er hart und spielte den bösen Jungen äußerst überzeugend weiter. Gestern wäre Mutter fast ausgerastet als sie im dabei zugehört hat, wie er mit seiner Liebsten telefoniert hat, und sie dabei bei allen möglichen Namen genannt hat. Man hatte ihr angesehen, dass sie ihm am liebsten den Hörer aus der Hand gerissen und irgendeinen bösen Kommentar in den Hörer geschrien hätte. Aber ihre gute Erzeihung verbot ihr sowas und so war sie nur dagesessen und hatte ihre Wut später an uns anderen ausgelassen.
„Ach was! Wir werden uns schon nicht die Augen auskratzen!” er lachte und stieß mich ein bisschen an. „Komm schon Samuel, wir sind doch gar nicht so schlimm, und du musst zugeben, dass es lustig ist, wenn sie sich aufregt, oder?” ein paar Mal nippte er an seinem Getränk, dann schaute er auf die Flammen, welche im Holzofen flimmerten und die man durch die große Glasscheibe sehen konnte. „Ich denke nicht, dass ich unsere Mutter jemals so lieben kann, wie du es kannst, oder konntest. Sogar Elvira widersetzt sich ihr nur manchmal und auch nur ein bisschen, weil sie ihr nicht wehtun will. Dabei verstehe ich das alles nicht, sie ist so gemein zu ihr und verbietet ihr alles, was sie auch nur irgendwie glücklich machen könnte. Und bei dir war es genauso. Und langsam, denke ich, verstehst du auch, wie schrecklich es in der Zeit hier für dich war, und bist froh endlich hier ausgezogen zu sein. Immerhin ist mir anscheinend als einzigem aufgefallen, dass du sie nicht mehr Mama sondern Mutter nennst. Und das, glaub mir, ist ein riesiger und auch guter Schritt in Richtung eines erfüllten Lebens ohne deine Mutter!” versprach er mir uns klopfte auf meinen Oberschenkel.
„Ich weiß nicht so recht, ob ich wirklich ein Leben ohne sie will. Klar, sie ist ein wirklich schlimmes Monster, aber immer noch meine Mutter und sie hat mich geboren und großgezogen. Da kann ich sie doch nicht einfach so hassen, oder?” zweifelte ich Mal wieder an meiner Entscheidung, mich von meiner Mutter komplett abzuwenden.
„Hat sie. Aber sie hat es nicht verdient, deine Liebe zu bekommen. Du solltest sie mindestens so sehr hassen wie wir anderen. Weil sie auch versucht hat, dein Leben zu bestimmen und nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Und egal wie sehr deine Mutter dich liebt, sowas sollte niemand machen.” endete er seine hasserfüllte Rede, die zum Glück niemand gehört hatte, weil alle anderen heute Vormittag bei unseren Großeltern waren, die mit uns beiden nichts mehr zu tun haben wollten. Mit mir, weil ich schwul war rund mit Quentin, weil er gleich nach seinem achtzehnten Geburtstag aus der Kirche ausgetreten war. Und das waren für unsere Großeltern zwei der schlimmsten Verbrechen gegen Gott überhaupt.
„Anderes Thema, freust du dich schon darauf, dein Geschenk von mir zu kriegen? Und dieses Jahr hab ich sogar was von Vincent mitbekommen, dass ich dir unbedingt geben soll. Glaub mir, du wirst es lieben!” er zwinkerte mir zu und ich konnte nur grinsen. Schon ewig lange hatte ich nichts mehr von Vincent zu Weihnachten bekommen. Er war so distanziert zu jedem aus unserer Familie. Und das wahr vielleicht gar nicht falsch. Vincent liebte uns, und das wussten wir, aber er hielt sich trotzdem von jeder Verbindung zu unseren Eltern fern. Etwas tat es zwar weh, weil er uns somit auch aus seinem Leben ausschloss, aber es war seine Entscheidung. Das war also ziemlich schön von ihm, endlich Mal wieder etwas zu verschenken.
„Hat er dir auch etwas für Elvira mitgegeben?” wollte ich wissen und er nickte.
„Jap. Und Mutter würde ihn umbringen, wenn sie noch an ihn herankommen würde, glaub mir!” er lachte nur noch mehr und ich konnte nur die Stirn runzeln. Mutter würde sich doch sowieso nicht freuen, wenn Vincent uns irgendetwas schenken würde.
„Tun wir Mal so, als würde sie das nicht sowieso wollen.” gab ich zurück und er schüttelte den Kopf.
„Nicht so sehr wie bei diesem Geschenk. Glaub mir, dass wird sie so auf die Palme bringen. Vielleicht werde ich es ihr einfach nach unserer Familienzusammenkunft unter dem Tannenbaum geben. Dann bekommt wenigstens sie keinen Ärger und darf ihr Geschenk behalten. Bei dir wird Mutter bestimmt kaum Probleme haben.” langsam stand er auf atmete dann tief durch. „Wir sehen uns heute Abend und dann sehen wir schon, wie es ausgehen wird. Und bitte erwähn unser Gespräch niemals bei Elvira. Sie wird sich aufregen, wenn sie erfährt, dass ich wieder Kontakt mit Vincent habe.” er nickte und verließ mich dann, sodass ich alleine auf der Couch saß.
Lange saß ich einfach nur da und dachte über Vincent nach. Ob er glücklich war, ganz ohne seine Familie? Ob er wusste, was Valentin getan hatte? Irgendwie hatte ich das dringende Bedürfnis, mit ihm zu reden. Ewig starrte ich einfach nur auf das Handy in meiner Hand, auf dessen Display Vincents Handynummer angezeigt wurde. War das überhaupt noch seine Nummer? Hatte er meine Nummer vielleicht geblockt? Würde ich ihn überhaupt erreichen können? Oder konnte ich mich nicht mit ihm austauschen, selbst wenn ich wollen würde? Selbst wenn ich ihn anrufen würde und er meine Nummer noch nicht gelöscht hatte, dann war es immer noch nicht sicher, dass er überhaupt abnehmen würde. Vincent war wirklich nicht begeistert von mir. Ich war seiner Meinung nach ein Muttersöhnchen, welches kein Problem damit hatte, sein Leben von einer Psychopathin bestimmen zu lassen. Er hatte Null Komma Null Respekt vor mir und das tat mir ziemlich weh. Ich liebte meinen großen Bruder, er hatte mich mit aufgezogen und er war dafür verantwortlich, dass ich mich so gut mit meiner Sexualität fühlen konnte. Auch später, als er nicht mehr hier wohnte, sondern zum studieren nach München gegangen war, hatte er sich weiterhin für mich und die anderen eingesetzt. Er war ein wundervoller Mensch für uns, der sich immer gegen unsere Eltern aufgelehnt hatte, um uns so viel Spaß wie möglich zu bereiten. Aber jetzt konnte ich sowieso nicht mehr viel gegen den Stempel, den er mir aufgedrückt hatte tun, und so entschied ich mich dazu, ihn nicht an zu rufen. Das würde sowieso nur eine mittelschwere Katastrophe werden und ich wäre am Ende nur noch deprimierter als ich es jetzt gerade war. Also steckte ich mein Handy wieder weg und ging nach oben, um auf andere Gedanken zu kommen und zu duschen. Dann konnte ich mich vielleicht heute Abend ein bisschen darauf konzentrieren, mich mit meinen Eltern nicht allzu sehr anzulegen und meine Geschenke verteilen, bevor ich dann endlich ins Bett gehen konnte. Morgen war sowieso wieder ein Tag zum verschlafen, wenn die anderen wieder zu unseren Großeltern fuhren und Quentin und ich vielleicht eine Suppe oder sowas essen würden, damit wir auch irgendwas hatten.
„Wir sind wieder zu Hause, wie schön, du hast ja schon alles richtig vorbereitet, mein Kleiner!” freute sich meine Mutter darüber, dass ich den Tisch gedeckt und alles aus dem Kühlschrankgeräumt hatte, damit wir gleich anfangen konnten zu kochen, wenn sie wieder zu Hause waren und ich nicht verhungern musste. Den ganzen Tag hatte ich noch nichts gegessen, und es war wirklich nur noch schwer zu ertragen, bis wir endlich anfangen konnten, warten zu müssen.
„Ja, du hast dir richtig Mühe gegeben! Sogar mit den Weihnachtlichen Servietten!” Elvira nahm eine von diesem vom Tisch und faltete daraus ein kleines Bot. „Schau Mal, ich hab einen Hut gebastelt!” freute sie sich wie ein kleines Kind und wurde sofort von unserer Mutter mit scharfen Blicken zurückgewiesen. „Ich hör ja schon auf.” sie legte den Hut auf den Tisch und nahm Vater die Tüte ab, mit welcher sie sich ins Wohnzimmer verzog und sie wahrscheinlich unter den Baum legte. Sie bekam noch Geschenke von unseren Großeltern, welche sie aber erst zu Hause aufmachen durfte. Das war auch irgendwie bescheuert, so sahen die doch gar nicht, wie sehr sie sich über den neuen Pulli freute, den Oma ihr gestrickt hatte!
„Ich hohle nur schnell ein paar Plätzchen aus der Speisekammer, ja? Du kannst ja schonmal anfangen, ein bisschen was in die Pfanne zu werfen!” Mutter gab meinem Vater einen Kuss auf die Wange und dieser nickte nur grinsend, dann stellte er sich zu mir an den Herd.
„Ist schon komisch, wenn man ganz genau weiß, dass die Eltern wieder Mal gevögelt haben. Weiß auch nicht, warum man euch beiden dass so sehr anmerkt.” sagte ich zu meinem Vater als Mutter gerade aus dem Raum verschwunden war. In den letzten Tagen, nach unserem Gespräch war es wieder Mal etwas lockerer zwischen uns geworden und ich konnte wieder mit ihm reden, wie ich es gewohnt war. Er war etwas gechillter als Mutter und man konnte solche Wörter in seiner Gegenwart benutzen und auch gegen das Thema hatte er selten etwas einzuwenden.
„Samuel! Du kannst doch sowas nicht einfach sagen, du böser Junge!” scherzte mein Vater.
„Doch, kann ich. Elvira hat mir ja erzählt, dass es im Moment zwischen euch Beiden nicht so sonderlich gut im Bett läuft. Ist schön, wenn es eine Verbindung nach Hause gibt, die einen nie im Stich lässt, wenn es um die wichtigen Fragen innerhalb einer Familie geht!” lachte ich und er stimmte mit ein.
„Nein, sie hat recht, im Moment ist es in der Ehe etwas kompliziert. Einfach weil deine Mutter ein Mensch ist, der nicht damit klarkommt, dass ihre Kinder sie nicht mehr brauchen. Sie hat dieses Bedürfnis, sich um jemanden zu kümmern. Und das war auch der Grund, warum ich sie geheiratet habe, sie hat sich immer so gut um alles gekümmert. Dafür habe ich sie geliebt. Und jetzt, wo ihre letzten Kinder langsam immer selbstständiger werden und sich nicht mehr von ihr bemuttern lassen wollen, hat sie einfach das Gefühl, dass ich sie nicht mehr liebe. Was nicht stimmt.” erklärte er und wuschelte mir durch die Haare. „Nicht das du denkst, Mama und Papa werden sich trennen!” ein kleine Zwinkern, dann begann er damit, Würstchen in einer Pfanne anzubraten.
„Und deshalb, um ihr zu zeigen wie sehr du sie doch noch liebst, hast du sie betrogen?” hakte ich nach und er schüttelte den Kopf.
„Samuel, dass ist ein viel zu großes Thema, um mit dir darüber zu reden. Und es ist etwas für Erwachsene, da kannst du nicht mitreden.”.
„Wie bitte? Ich will ja nichts sagen, aber ich bin mittlerweile 22 Jahre alt! Und das ist sogar in Amerika alt genug, um erwachsen zu sein! Schließ mich gefälligst nicht so aus! Und sag sowas nicht nur, weil du es nicht rechtfertigen kannst!” beschwerte ich mich. „Ich gehe nach oben, du kannst mich ja rufen, wenn es Essen gibt.” beleidigt ließ ich alles stehen und liegen und ging nach oben in mein Zimmer, wo ich mich, wie so oft schon in dieser Woche, auf mein Bett warf, den Kopf im Kissen vergrub und mir wünschte ich wäre kein Mann, einfach nur damit ich weinen durfte, ohne dass jemand mich später blöd anschauen würde. Klar, ich hasste meine Mutter, aber Elvira musste hier wohnen. Sie musste das mitbekommen und aushalten, sie musste den Mund halten und sie würde auch am Ende den ganzen Streit mitbekommen, der sie komplett zerstören würde, weil sie an die wahre Liebe und auch an die Liebe unserer Eltern glaubte! Warum tat mein Vater sowas?
„Schmeckt wirklich gut, Josef.” meine Mutter kicherte und hielt sich gleich darauf die Hand vor den Mund.
„Dankeschön, Anna!” er gab ihr einen kleinen Kuss auf die Wange, woraufhin sie ganz rot wurde.
„Nicht vor den Kindern!” wies sie ihn leise und liebevoll zurecht.
„Ach was! Die sollen ruhig wissen, dass wir uns noch lieben!” er gab ihr gleich noch einen und sie strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Kein Wunder, dass mein Vater sie mochte, zu ihm war sie ja nicht wie eine Hexe. Nur bei uns wurde sie so wie sie eben war und dann wurde sie auch so bestimmend. Bei Vater versuchte sie sich so gut wie möglich zu benehmen, er sollte ja nur die guten Seiten von ihr mitbekommen. Auch wenn es irgendwie schön war, meine Mutter so zu sehen, war ich noch immer ihr Feind und ich wollte sie weiterhin nie wiedersehen. Aber im Moment sollte ich vielleicht genießen, wie gut es zwischen den Beiden lief. Dann ging es Elvira auch besser, und das machte mich dann glücklich. Meine kleine Schwester hatte das am meisten von uns alles verdient, nicht mehr im Mittelpunkt der Familie zu stehen und sich ein wenig sich selbst widmen zu können. Wenn es zwischen den Beiden, also unseren Eltern, nicht gut lief, dann wurde Mutter immer so aufdringlich und wollte sich nur noch mehr in das Leben ihrer Kinder einmischen. Und wenn es gut lief würde sie Elvira vielleicht in Ruhe lassen, sodass diese es einfacher hatte, hier zu wohnen.
„Und? Wollen wir uns langsam an die Geschenke machen?” fragte mein Vater und wir alle nickten leise und gingen voran während er und unsere Mutter, die ihm nicht von der Seite wich, uns folgten.
„Wollen wir nach Personen vorgehen?” schlug meine Mutter vor und nahm sich eines der Geschenke, auf dem Quentin stand. „Fangen wir doch mit meinem ältesten Sohn an.” sie lächelte und an dieser Stelle traute sich niemand, Vincent oder Valentin zu erwähnen. Langsam begann Quentin das Geschenkpapier von seinem Geschenk zu reißen und fand darunter eine kleine Box, in welcher sich ein wirklich schöner Ring befand.
„Wow, ein Ring! Wie wundervoll!” heuchelte er Freude vor und mein Vater lächelte ihn an.
„Ich dachte, da du letzte Woche so von dieser Dame geschwärmt hast, solltest du den Verlobungsring bekommen. Sollte sie wirklich die eine sein. Er muss vielleicht noch ein bisschen an ihre Größe angepasst werden.” er zwinkerte ihm zu und Quentin begann zu grinsen während unsere Mutter nur zwischen den Beiden hin und her schaute als hätten sie gerade den Untergang der Welt vorhergesagt.
„Ich dachte wir wären uns einig, dass diese Frau nicht in unsere Familie passt!” schimpfte unsere Mutter leise unseren Vater, aber wir hörten es natürlich alle und Quentins Augen hatten auch aufgehört zu leuchten.
„Ach was Anna! Wenn er sie heiraten will, sollten wir ihn dabei unterstützen. Und irgendwann wird auch sie noch zur Vernunft kommen und ihre Zukunft als Mutter einsehen.” er gab ihr einen Kuss auf die Hand und sie war noch immer nicht wirklich einverstanden oder begeistert von der Idee war, dass sie diese Frau zur Schwiegertochter bekommen sollte.
„Wenn du meinst. Wir werden ja dann sehen.” sie hatte sich an ihn gekuschelt. „Wer will als nächster? Also ich würde gerne mit eurem Vater weitermachen!” sie nahm sich eines der Päckchen und hielt es ihm direkt unter die Nase, während sich Elvira den Umschlag nahm.
„Oh, was könnte meine wundervolle Frau nur für mich besorgt haben?” er lachte und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, woraufhin sie wieder kicherte und ihm dabei half, das Geschenk auszupacken.
„Oh, dass ist aber wirklich süß von dir!” er nahm die Flasche aus dem Karton und schaute sie sich genau an. Es war Whiskey. Das einzige, was meine Mutter seit dem ersten Weihnachten an meinen Vater verschenkte und er hatte es mit Sicherheit schon kommen sehen. Allerdings würde er sich doch niemals nicht vor ihr überrascht geben.
„Was ist denn das?” er nahm noch einen kleinen Umschlag aus dem Packet und wollte ihn öffnen, aber meine Mutter hielt ihn davon ab.
„Nein! Erst wenn du wieder Mal lange nicht zu Hause bist, darfst du den aufmachen!” dann kicherte sie noch und Quentin machte leise Würgegeräusche, welche die Beiden aber gekonnt überhörten.
„Hier, dass ist von Samuel und mir, Papa.” Elvira hab ihm unseren Umschlag und er musste lachen.
„Denn darf ich aber schon vor meiner nächsten Reise öffnen, oder?” scherzte er und seine Tochter nickte, während man meiner Mutter den Schock ansah. Vielleicht gefiel ihr der Vergleich genauso wenig wie er uns anderen gefiel.
„Natürlich darfst du das! Am besten, du machst es gleich jetzt, und schaust was drinnen ist!” antwortete ich ihm und er machte vorsichtig den Umschlag auf.
„Das ist auch echt süß! Danke, etwas was ich wirklich Mal gebrauchen kann, mein alter ist ja schon wirklich kaputt und hässlich, nicht?” scherzte mein Vater als er den Gutschein gesehen hatte. Dann steckte er ihn in den Umschlag zurück und nahm das Geschenk von Quentin an, bei welchem es sich um eine Anstecknadel handelte. Sie war wirklich schön! Und bestimmt verdammt teuer! Mein Vater freute sich auch sichtlich darüber, während ich einfach nur müde war und gerne in mein Bett wollte. Außerdem war es wirklich beschissen wenn alle ihre Geschenke vor einem bekamen. „So, und jetzt kommen wir zu meinen kleinen Mäuschen!” unsere Mutter nahm zeigte auf die letzten Pakete unter dem Baum.
„Gar nicht! Wir haben meine wunderbare Frau vergessen!” beschwerte sich mein Vater und gab ihr dann einen Kuss.
„Ach was! Wir können gerne zuerst mit den Kindern weitermachen! Ich weiß doch, wie sehr sich Samuel schon auf seine Geschenke freut, nicht, mein Hübscher?” sie strich mir über die Wange und ich ließ es über mich ergehen. Für den Geist von Weihnachten und meine Ohren.
„Nein, ist schon Ok, wenn wir mit dir weitermachen, ich will doch nicht mehr hier sitzen und nichts tun, wenn ich meine Geschenke hab.” gab ich als Antwort und bereute es schon fast wieder, als meine Mutter auch schon anfing, die Schachtel zu entpacken, welche ich ihr in den Schoß gelegt hatte. „Oh Gott, dass ist aber ein schönes Armband! Wie lieb von euch beiden!” sie gab mir und dann Elvira einen Kuss auf die Wange und holte sich dabei gleich das nächste Geschenk von Quentin ab.
„Und eine Halskette, die auch nich dazu passt! Ihr habt euch aber viel Mühe gegeben!” freute sie sich und ich konnte im Geiste nur den Kopf über meine Geschwister schütteln. Elvira hatte wahrscheinlich keinen Cent gezahlt. So wie ich. Ein Glück das wir Quentin hatten!
„Und das hier ist von mir.” mein Vater hatte nur einen Umschlag für meine Mutter und darin befand sich ein Brief, welchen sie später lesen wollte, um Elvira und mich nicht länger auf die Folter zu spannen. Wie nett von ihr. Was ich wohl dieses Jahr bekam? Letztes Jahr war es ein neues I-Phone gewesen. Und Elvira hatte das bekommen, was sie sich gewünscht hatte, einen hübschen Blazer für die Arbeit und Geld, welches sie in ein Flugticket nach London und Musical Karten verwendete. Ich wäre zwar eingeladen worden, mit ihr zu kommen, aber ich hatte absolut keine Lust, mich in einen Flieger zu setzen.
„Oh, das ist ja richtig lieb!” Elvira hatte zuerst die Geschenke ihrer Großeltern ausgepackt, was hatte sich darin wohl befunden? Ja, ein selbst gestrickter Pulli. Wie jedes Jahr. Währenddessen hatte ich mir das Paket von Vincent geschnappt, welches ehrlich gesagt ziemlich groß war. Darin befanden sich weitere, noch mehr eingepackte Pakete und auf einem Umschlag stand vorne ganz fett drauf: ´Nicht vor den Anderen aufmachen!´, in der krakeligen Handschrift welche man von Vincent gewohnt war. Was für ein Vollidiot! Ich hatte den ganzen Abend nur darauf gewartet endlich sein Paket zu öffnen und dann musste ich jetzt noch länger damit warten, weil er etwas hineingepackt hatte, was keiner außer mir sehen durfte. Nett!
„Jetzt fragt sich nur, wer die besseren Geschenke bekommen hat!” Elvira und ich saßen in ihrem Zimmer auf dem Boden und schauten uns unsere Ausbeute an. Vincents Paket lag in meinem Zimmer, weil es nur für mich bestimmt war und auch Elvira hatte das ihre noch nicht geöffnet. Aber wenn es von Vincent kam, war mit einer Wahrscheinlichkeit von 99% ein Vibrator in der Box.
„Ich denke, wir sind beide ganz gut davon gekommen. Um den Pulli beneide ich dich wirklich nicht!” neckte ich sie.
„Stimmt doch gar nicht! Omas Pullover sind immer bequem und sie sind mit Liebe gemacht! Du bist verdammt nochmal neidisch!” dichtete sie mir an und zwinkerte mir dann zu. „Keine Sorge, du kannst dir gerne meinen vom letzten Jahr und dem Jahr davor und dem Jahr davor ausleihen!”.
„Nein, danke. Ich kann mir erstens meine Anziehsachen selbst kaufen und zweitens brauche ich keine Pullover mehr, ich habe nämlich genug!” gab ich zurück und schaute auf meine Geschenke. Von Quentin hatte ich eine Uhr bekommen. Eine sehr teure Uhr, wie ich nach einem kurzen Google Erlebnis bei Tiffanys herausgefunden hatte. Von unserem Vater einen Brief, wie meine Mutter und von dieser wiederum einen Gutschein über 2500 Euro von einem sehr bekannten Modehaus in welchem ich noch nie war. So erzwang sie also sogar jetzt noch, dass sie sich um meine Anziehsachen kümmern konnte. Über den Brief freute ich mich immer am meisten. Das hatte mein Vater schon immer so gehalten, er schenkte normalerweise jedem einen kleinen Brief in dem zwar eine gewisse Art von Geschenk versprochen wurde, aber welches genau, dass ließ er einen selbst aussuchen. Letztes Jahr stand in meinem Brief, dass ich ein neues Handy bekommen sollte, aber welches durfte ich selbst aussuchen. Ich fand das eigentlich ziemlich gut gelöst, so konnte man zumindest nichts falsches schenken. Und der Geist von Weihnachten, sowas gab es sowieso nicht wirklich.
„Bist du zufrieden mit einen Geschenken, Sam?” Elvira grinste mich an und nahm sich dann meine neue Uhr. „Sieht irgendwie aus wie eine Uhr für Frauen!” neckte sie mich und ich konnte nur Mal wieder den Kopf über sie schütteln.
„Ist es aber nicht, dass steht sogar im Internet dabei. Und jetzt gib mein Zeug zurück, sonst klau ich dir deine Schuhe!” drohte ich und sie warf mir die Uhr in die Hände.
„Lass bloß meine Schätzchen in Ruhe, du Monster! Die würden sich bei dir doch fürchten!” schimpfte sie, bevor sie den Karten schloss und ihn dann im Schrank verstaute. Dieser platzte sowieso schon aus allen Nähten und ich verstand nicht wirklich, warum sie sich nicht einfach einen größeren kaufen ließ. Ich kannte auch niemanden anderen, der so viele Klamotten, Schuhe und Schmuck hatte, wie meine Schwester. Ihr gefiel sowas. Und wahrscheinlich kannte sie sich damit bei weitem besser aus als ich und gab nur nicht an, weil sei wusste das ich mich nur wieder über sie ärgern würde. Es gab nicht viel, was mich mehr ärgerte als wenn Menschen mit irgendetwas angaben, seien es Fähigkeiten, Reichtum oder sonstiges. Mir war immer verboten worden, mit unserem Vater und dessen Geld anzugeben und ich würde dieses Verhalten auch gerne bei anderen beobachten, wenn ich es schon selbst tun musste. Aber nein, ich war meistens der einzige im Raum, der auch nur einen Funken von Erziehung genossen hatte. Ob es den Eltern einfach zu anstrengend war, ihren Kindern Manieren beizubringen?
„Du solltest jetzt langsam in dein Bett gehen, morgen ist doch ein wichtiger Tag, an dem du sicher wieder einige Dinge für Mama machen musst, für die ich und Quentin zu faul sind!” Elvira hatte alle ihre Sachen weggeräumt und sich auf ihr Bett gesetzt, jetzt lag nur noch die Schachtel von Vincent da.
„Du willst mich nur nicht hier haben, wenn du sie aufmachst, oder? Das ist schon Ok, ich kann damit leben, nur sag einfach die Wahrheit.” verlangte ich.
„Ja, ganz genau. Es ist mein Packet und du hast dein eigenes. Wir wissen beide wie viel uns diese Dinge bedeuten und Vincent hätte nicht diese Zettel geschrieben wenn er gewollt hätte, dass wir es uns gegenseitig zeigen. Ich höre gerne auf Anweisungen von ihm, die verhindern meistens Streit und sowas. Also könntest du dich bitte aus meinem Zimmer entfernen?” bat sie und ich streckte ihr die Zunge heraus bevor ich meine Geschenke nahm und ihr Zimmer verließ. Kaum war die Tür hinter mir zugefallen, konnte ich Elvira erleichtert ausatmen hören. Was für eine blöde Bitch! Wie konnte man nur so sein?
„Und? Wie gefallen dir deine Geschenke?” Quentin stand neben der Tür und hatte anscheinend gelauscht.
„Was machst du hier? Vollidiot!” schimpfte ich, woraufhin er nur lachen musste.
„Sag doch sowas nicht, ich bin nur neugierig und Vincent will sicher auch wissen, wie euch eure Geschenke von ihm gefallen haben, deshalb wollte ich eigentlich gerade zu deiner Schwester gehen, aber da du gerade herausgekommen bist, denke ich, sie hat es noch nicht ausprobiert. Wenn doch, würde ich nicht mehr mit dir reden.” entgegnete er und meine Augenbrauen zogen sich beinahe von selbst zusammen.
„Will ich wissen, was sie bekommen hat, oder würde mich das nur noch mehr verstören?” hakte ich vorsichtig nach.
„Ich für meinen Teil glaube, du wärst eifersüchtig auf sie, also solltest du es vielleicht für den Frieden in unserer Familie lassen!” er zwinkerte mir zu. „Du hast übrigens meine Frage noch nicht beantwortet. Ich habe einen Auftrag und ich werde ich ausführen! Also, wie gefallen dir deine Geschenke?” fragte er ein weiteres Mal.
„Ich finde alle eigentlich ganz toll. Aber das von Vincent habe ich noch nicht ausgepackt, ich musste ja jetzt ganz dringend zu Elvira kommen, um mir ihre neuen Schuhe anzuschauen und ihr zu sagen, zu welcher Hose sie am besten passen!” beschwerte ich mich bei ihm.
„Na gut, noch ein Grund ihr Zimmer zumindest im Moment zu meiden, komm, wir gehen lieber Mal in deines, sie wartet bestimmt hinter der Tür darauf, dass wir endlich weg gehen!” scherzte er und legte mir behutsam eine Hand auf den Rücken, mit welcher er mich ein bisschen nach vorne wegdrückte.
„Wenn du wieder Kontakt mit Vincent hast, wie geht es ihm so? Ich hab so lange nichts mehr von ihm gehört!” irgendwie war ich nervös als ich das fragte. Ging es meinem großen Bruder ohne uns vielleicht besser?
„Es geht ihm ziemlich gut. Er hat geheiratet. Glaub mir, ich hätte ihm am liebsten den Kopf abgerissen als er mir das einfach so ganz nebenbei erzählt hat!” Quentin lachte. „Aber er vermisst euch beide und er vermisst auch Valentin. Vor allem wäre er gerne etwas mehr für euch da und würde sich gerne vor unseren Eltern mehr für euch einsetzen, aber er hat viel zu tun und du weißt, dass er sich geschworen hat, nie wieder mit Mutter zu reden.” erzählte er weiter.
„Er hat geheiratet und es niemandem gesagt? Einfach so? Na, wenigstens hat er sich nicht verändert seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Er gibt wohl immer noch einen Fick auf die Meinung der anderen, oder?” diesmal musste ich lachen und Quentin nickte.
„Was hast du erwartet? Er wird sich doch nicht vom einen auf den anderen Tag ändern! Und auch nicht in den paar Jahren, die er nicht mehr hier war! Vielleicht hat er mittlerweile das ein oder andere Tattoo mehr, aber ansonsten ist er immer noch ganz der Alte.” beruhigte mein Bruder mich. Ich hasste es, wenn Menschen sich einfach so änderten. Und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Vincent nicht mehr der große Bruder war, an den ich mich noch so gut erinnern konnte.
„Ich würde ihn gerne Mal wieder sehen!” ließ ich Quentin wissen, während ich den Karten wieder aufmachte, welchen Vincent mir geschickt hatte.
„Das ist bestimmt ein Ding der Unmöglichkeit, er vermisst dich auch als seinen kleinen Bruder und bestimmt würde er dich gerne seiner neuen Familie vorstellen!” Quentin schaute mir die ganze Zeit über die Schulter und als ich das Geschenk endlich aus dem Karton genommen hatte, war er erst Mal genauso aufgeregt wie ich.
„Eine Motorradjacke? Was soll ich denn damit? Ich sehe da drinnen doch bestimmt unheimlich kacke aus!” beschwerte ich mich, bevor ich sie anprobierte. Sie roch nach Abgasen und ein bisschen nach Deo. Das heißt, mein großer Bruder hatte sie schon getragen!
„Vielleicht als kleines Erinnerungsstück. Kennst du sie nicht mehr?” Quentin rieb den Stoff zwischen den Fingern und lächelte dabei irgendwie glücklich.
„Das wird doch nicht seine Motorradjacke sein, die er immer getragen hat, die braucht er doch noch!”.
„Nein, er hat sich ganz viele neue Sachen gekauft, nachdem er jetzt nichts mehr mit seiner Familie zu tun haben will, denke ich er wollte einfach bis zu einem gewissen Teil abschließen. Schau mal.” in dem Karton hatte noch ein Umschlag gelegen, auf welchem mein Name stand und dieser war ziemlich dick. Vielleicht Geld? Nein, als Quentin den Inhalt daraus hervorzog, kam ein Stapel Bilder zum Vorschein. Ganz altmodisch entwickelt, solche, die man früher in seine Fotoalben eingeklebt hatte. Und es waren nicht wenige. Als ich einige davon in die Hand nahm, um sie mir näher anzusehen, wurde mir ganz warm ums Herz. Auf beinahe allen davon war mein großer Bruder zu sehen, wie er alle möglichen Dinge tat.
Da war eines, auf welchem er gerade ein Baby im Arm hielt und auf der Rückseite stand in der gewohnt hässlichen Handschrift: ´21.3.2017, Simon`.
„Du hast nicht erwähnt, dass er ein Kind hat.” war das einzige, dass ich dazu noch sagen konnte, bevor mir die Tränen in die Augen stiegen. Ich hatte Vincent selten so glücklich gesehen wie auf diesem Bild! Er lächelte das Baby direkt an und man konnte sehen, wie sehr er sich über das kleine Ding freute.
„Nein, hab ich nicht. Aber ich kennen den Keinen nicht. Sein Mann hat auch noch zwei, aber die sind auf keinem von den Fotos hier, glaube ich.” er schaute alle schnell durch, bis er eines gefunden hatte, welches ihm anscheinend am besten gefiel. „Schau Mal.” er gab es mir in die Hand und mein Bruder war wieder darauf zu sehen, mit Anzug und schön herausgeputzt, neben einem Mann, den man nicht erkennen konnte, weil die beiden sich gerade in den Armen hielten und sich leidenschaftlich küssten.
„Er sieht überall so zufrieden aus!” zog ich mein Fazit als ich mir ein paar der Bilder angesehen hatte, während mir immer weiter die Tränen über die Wangen rollten.
„Ja, nicht? Es geht ihm so gut ohne uns und das tut irgendwie weh. Aber er hat es doch auch verdient oder?” mein großer Bruder nahm mich sanft in den Arm und ließ die Bilder neben uns liegen.
„Ich weiß nur nicht ob ich mich für ihn freuen kann, wenn er das alles ohne uns erlebt! Wir sind doch auch seine Familie!” heulte ich und klammerte mich an meinem Bruder fest, welcher mir sanft durch die Haare strich.
„Wir sind seine Familie. Aber er hat jetzt eben auch noch eine andere und vielleicht braucht die ihn gerade mehr als wir es tun. Außerdem hat er seine Bedürfnisse in der Zeit in der er noch bei uns war immer hinter die unseren gestellt und ich verstehe, wenn er das nicht noch länger machen kann oder will.” versuchte Quentin weiterhin, mich zu beruhigen, aber das funktionierte nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Ich wollte meinen großen Bruder zurück! Nicht diese Jacke als Abschiedsgeschenk mit den ganzen Bildern, sondern ihn! Und ich wollte, dass er sich wieder um mich kümmerte! Mein Leben war so viel besser, als er noch bei uns war und er konnte doch nicht einfach alles auf einem abstreifen wie eine alte, beschissene Jacke!
„ICH HASSE DICH!” schrie ich, während ich gleichzeitig die Jacke in eine Ecke meines Zimmers warf und mach an Quentin festhielt, damit dieser meine Tränen nicht sehen konnte.
„Du hasst ihn nicht, sag doch sowas nicht, Sami. Er liebt dich doch auch noch!” redete Quentin mir gut zu und ich konnte mich nur noch mehr an ihn klammern, weil ich sonst wohl vollständig den Verstand verloren hatte.
„Diese Familie ist so beschissen!” weinte ich und mein menschliches Kissen konnte mir nur zustimmen:
„Ja, das ist sie. Sie ist einfach nur schrecklich. Wenn ich könnte, würde ich auch einfach weg und den Kontakt zu euch allen abbrechen, aber so weit bin ich noch lange nicht und ich habe auch keine Ahnung ob ich jemals dazu in der Lage sein werde, wenn es bei Vincent fast acht Jahre gedauert hat, bis er die Entscheidung getroffen hat. Und du weißt so gut wie ich, dass ich niemals den Willen dieses Menschen haben werde. Nicht im Ansatz.” er strich mit seiner Hand meinen Rücken auf und ab, während er redete und beruhigte mich so ein bisschen, bis mein ganzer Körper endlich aufgehört hatte, jedes Mal zu zucken wenn ich ausatmete.
„Ich vermisse ihn, Quentin. Es war alles so viel einfacher als er noch da war!” flüsterte ich leise, sodass mein Bruder es kaum hören konnte.
„Ich weiß. Vincent hat alles viel viel besser gemacht. Ich vermisse ihn auch.”.