Neue Teufeleien:
Sie schlugen einen weiten Bogen. Während sie durch den leeren Park joggten, sank die Sonne unter den Horizont. Es wurde eisig kalt und dunkel. Kein Licht brannte in dem Park, und es stand auch kein Mond am Himmel. Sie hatten keine Taschenlampen.
"Vor uns!", wisperte Mira irgendwann. Sie hielten, Luca spähte in die angegebene Richtung. Tatsächlich bewegten sich dort schattenhafte Gestalten.
"Verdammt!", zischte Sam, der neben Luca stand.
Sie hatten versucht, den Geistern der Vergangenheit auszuweichen, doch der Weg zum Freefalltower wurde scharf bewacht.
"Da kommen wir nicht durch", stellte Mira fest. "Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Sam, wir müssen kämpfen!"
"Unmöglich", sagte der. "Ich will keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Wir haben keine Chance!"
Luca sah wieder nach vorne. Eine Gestalt hatte angehalten. In dem spärlichen Licht war es schwer zu erkennen, doch offenbar drehte sich der Unbekannte. Sein Gesicht hatte eine seltsame Form, vielleicht war er einer der Maskierten, die sie schon beim letzten Mal bekämpft hatten.
"Wir sind entdeckt", flüsterte Luca, als kein Zweifel mehr daran bestand, dass sich die Gestalt näherte.
"Lasst uns eine Abkürzung nehmen", schlug Sam plötzlich vor. Luca sah seinen Meister verwirrt an und riss dann die Augen auf: Sam deutete auf den Eingang zu einer Achterbahn mit Dschungelthema.
"Nach dem, was letztes Mal passiert ist?", schnappte Luca: "Auf keinen Fall!"
"Das war ein Ja!", grinste Sam und trat durch den Eingang, der einer strohgedeckten Hütte nachempfunden war. Etwas knurrte so grollend, dass der Boden erzitterte.
"Sam!", quietschte Mira und sprang nach vorne.
"Nur ein Bewegungsmelder!", kam es aus dem Dunkel zurück, dann tauchte Sam wieder auf. Erneut dasselbe Knurren.
"Seht ihr?", fragte Sam.
Luca nickte. Das Knurren hatte sich nicht ein bisschen geändert, wie von einer Tonbandaufnahme. Trotzdem war das Lachen aus Sams Gesicht verschwunden. Angespannt betrat ihre kleine Gruppe den Weg. Luca warf noch einen Blick zurück.
Inzwischen waren mehr Gestalten aufgetaucht, die auf sie zu hielten. Und sie wurden schneller!
"Wir müssen uns beeilen!", erkannte er.
"Gut, dann laufen wir", sagte Sam und stürmte die gewundenen Gänge entlang, die eine Schlange von tausenden Menschen fassen sollten. Die Wände waren mit Bäumen und Schlingpflanzen bemalt, dazwischen zeigten sich wilde Tiere: Tiger, Schlangen, Bären.
Von hinten hörten sie hohes Gekicher. Die Verfolger waren auf ihrer Spur.
"Scheiße!", sagte Sam, der am Fuß einer langen Treppe angehalten hatte. Er wandte sich zu Tobias um, der blass geworden war. "Ich hoffe, du hängst nicht allzu sehr an deinem Rolli."
"N-nein", sagte Tobias mit schwacher Stimme.
Ohne viel Federlesen fasste Sam unter Beine und Rücken des Jungen und hob ihn hoch. Tobias klammerte sich an Sams Schultern.
"Weiter", sagte Mira, als Sam begann, sich die Stufen hinauf zu kämpfen. Karo und Amy versuchten, den Rollstuhl hinterher zu tragen, doch die Treppe wurde immer enger und enger, bis sie das Gefährt schließlich im Geländer verkeilt zurücklassen mussten.
Die Geräusche hinter ihnen wurden lauter. Sam rannte mit Tobias voraus, Mira hatte sich zurückfallen lassen. Luca merkte, dass ihm der Atem ausging, auch, weil es in den Gängen stickig war.
Plötzlich hörte er einen Schrei von Samstag, der eben hinter einer Biegung außer Sicht geraten war. Luca stürmte vor, dicht gefolgt von Mira.
Sie fanden Sam auf dem Boden liegend, halb unter Tobias begraben. Mira wollte ihm hoch helfen.
"Tötet sie!", schrie Sam. "Tötet sie!"
"Wen?", fragte Mira.
Luca aber entdeckte Blut an Sams Knöchel, das von zwei Einstichen rührte.
"Schlange!", rief Sam und bestätigte Lucas Befürchtungen. In dem düsteren Gang sah er sich um.
Da waren unzählige Schlangen, in bunten Farben an die Wände gemalt. Lucas Herz raste, sein Atem rauschte in seinen Ohren. Dann bemerkte er eine Bewegung.
Ehe er überhaupt nachdenken konnte, sprang er vor und griff zu. Er berührte einen glatten, kräftigen Körper mit rauen Schuppen. Im nächsten Moment hielt er eine geringelte Schlange von vielleicht einem halben Meter Länge in den Händen, die ihn angrifflustig anfauchte. Luca konnte nicht reagieren, als ihr Kopf nach vorne schoss. Etwas zischte durch die Luft, dann fiel der Kopf zwischen Lucas Füße.
Der Schlangenkörper zuckte noch. Als Luca auf sah, stand Mira vor ihm.
"Das war sehr unklug", belehrte sie ihn, dann drehte sie aber sofort ab, um Sam und Tobias zu helfen. Sam konnte sich an der Wand hochziehen und seinen Knöchel vorsichtig belasten. Aber als er die Hose hochkrempelte, sah Luca, wie sich die Haut um die Wunde lila verfärbte. Er schluckte.
"Gehen wir weiter", sagte Sam und machte ein paar unsichere Schritte.
Mira fasste Sams Arm und zog ihn über ihre Schultern.
"Nein!", sagte Sam.
"Du kannst nicht laufen!", protestierte Mira. Die anderen standen als nervöses Knäuel hinter ihnen, die Geräusche der Clowns wurden lauter und lauter.
"Du musst sie anführen", sagte Sam zu Mira. "Karo, du kannst mich stützen. Luca, schaffst du es, Tobias zu tragen?"
Luca nickte, seiner Stimme vertraute er plötzlich nicht mehr. Amy half ihm, Tobias huckepack zu nehmen, dann taumelte ihre Gruppe vorwärts, verfolgt von dem wahnsinnigen Gekicher der Clowns.
Endlich erreichten sie den Part der Bahn, wo sie in die Wagen steigen konnten. Luca bemerkte nervös, dass es wieder Wagen waren, deren Riemen sich von oben schlossen. Eine weitere Bahn, die Salti schlagen würde. Er setzte Tobias in eine Sitzschale und sich selbst keuchend neben ihn. Schon das kurze Stück hatte ihn erschöpft.
Die Wagen waren genau für sechs Personen gebaut, was ihnen nun zugute kam. Mira setzte die Bahn wieder in Betrieb und sprang im letzten Moment in den Wagen, wie auch schon beim letzten Mal. Dann zogen sie alle die Bügel nach unten.
Mit einem Ruck fuhr der Wagen an und trug sie in eine schwarze, muffige Dunkelheit, die nach Regenwald roch.