Höllenfahrt:
Sam klammerte sich mit beiden Händen an die Bügel und spürte, wie sein Magen rebellierte. Das Fahrgeschäft raste nach draußen und direkt hoch in den Himmel. Mit jedem Meter schien es kälter zu werden, bis Sam fürchtete, dass ihm der Atem in der Brust gefrieren konnte. Sein Knöchel dagegen pochte und brannte wie Feuer.
Neben ihm schrie Karo vor Angst, wann immer die Gleise über ihnen knirschten. Sam sah, wie Amy die Hand ihrer Freundin hielt.
Oben angekommen wurde der Wagen langsamer - und zwar so, dass die Gäste über Kopf hingen. Ein Schuh löste sich und segelte in die Tiefe. Er gehörte Amy, die mit den Schultern zuckte und auch den zweiten hinterher schickte. Tief, tief unter ihnen landeten die Schuhe auf einem freien Platz. Sam kniff die Augen zusammen. Die Schienen führten direkt über den Platz vor dem Freefalltower. Wenn sie rechtzeitig aussteigen könnten, würden sie sich viel Weg sparen.
Gleichzeitig spürte er das Gift durch seine Adern fließen, wärmer als sein Blut. Dadurch, dass er über Kopf hing, verteilte es sich schneller.
"Mira", sagte er und merkte, wie schwer seine Zunge war.
"Was?", fragte seine ehemalige Schülerin. Er hörte die Sorge und Angst in ihrer Stimme, als wäre sie nicht seit Jahren in diesem Leben.
"Aussteigen ... unten", brachte er hervor.
Mira nickte. Sam hörte, wie Karo ein entsetztes "Was?!" herauspresste.
Dann löste sich die Bremse des Wagens und dieser stürzte in die Tiefe. Der Wind, der ihnen entgegen schlug, war zu heftig, um überhaupt zu schreien. Immer näher kamen sie dem Boden, bis die Schienen einen Bogen schlugen und wieder nach oben führten.
Genau in diesem Bogen klappten die Haltebügel plötzlich auf. Automatisch hielt der Wagen. Durch den Ruck verlor Sam den Halt im Sitz und fiel auf den Platz, der etwa fünf Meter unter ihm war. Er landete auf Ellbogen und Knien und stöhnte vor Schmerz. Sein Körper reagierte kaum auf die Befehle, die vom Gehirn kamen.
Mira landete neben ihm, und Tobias auf der anderen Seite; erstere rollte sich allerdings ab und zog den Rollstuhlfahrer zur Seite.
"Luca, Amy, Karo: Springt!", rief Mira, während sie auch Sam zur Seite half. Er musste sich auf den Boden setzen. Seine Knie waren aufgeschlagen, und sein ganzes Bein fühlte sich inzwischen an wie nach einem Peeling in Salzsäure.
Amy sprang von alleine und gab einen unterdrückten Schmerzlaut ab, als sie mit dem Knöchel aufkam. Tapfer humpelte sie zur Seite und machte damit Luca Platz.
"Ihr sollt euch nicht verletzten!", fauchte Mira streng. Luca kam tatsächlich sehr gut auf und lief direkt zu Samstag.
"Alles in Ordnung?"
Sam nickte. Er war zu müde, um zu reden. Gleichzeitig merkte er, wie graue Gestalten am Rand des Platzes auftauchten.
Sie waren noch nicht entkommen.
"Karo!", rief Mira jetzt. Aber die Braunhaarige klammerte sich an den Bügel und schüttelte nur den Kopf.
"Lass einfach los, komm schon!", rief auch Amy. "Los!"
Karo zögerte. Und die Clowns am Rand des Platzes begannen zu rennen und zu heulen.
"Nicht schon wieder!", fluchte Sam und kämpfte sich hoch. Sein verletztes Bein wollte sich nicht beugen.
"Luca, schnapp dir Tobi", rief Sam und humpelte los.
"Aber Amy!", rief Luca.
"Sie können uns einholen. Los jetzt", rief Sam. Er hatte das Tor entdeckt, und tatsächlich, dahinter stand eine vertraute Limousine. Luca folgte ihm mit Tobias. Am Zaun angekommen, stemmte Sam die Füße in den Boden und den Rücken gegen den Zaun. Inzwischen war auch Karo gesprungen. Mira und Amy stützten sie und eilten auf sie zu.
"Luca, wie letztes Mal!", sagte Samstag.
Luca nickte und ließ sich von Sam auf den Zaun helfen, nachdem er Tobias vorsichtig abgesetzt hatte. Mira, Amy und Karo kamen an, als Luca gerade auf dem Zaun saß.
"Karo!", rief Sam und streckte die Hände aus. Sie zögerte wieder einen Moment, bevor sie auf seine Schultern kletterte. Luca zog sie herüber.
Sam deutete auf Amy, während Mira mit gehobenen Fäusten in Position ging, um sie zu verteidigen. Amy kletterte ungeschickt auf den Zaun und blieb gegenüber von Luca sitzen.
"Mira", sagte Sam und bedeutete ihr, Tobias anzuheben. Der Junge streckte die Hände aus, die jeweils von Amy und Luca ergriffen wurden. Tobias wurde über den Zaun gehievt.
Die Clowns waren angekommen, doch aus irgendeinem Grund hielten sie Abstand. Es waren viel weniger als beim letzten Mal, und sie bildeten nun bloß einen festen Ring, aus dem Sam und Mira nicht ausbrechen konnten. Sam sah sich verwirrt um. Worauf warteten die Clowns?
Mira kletterte über ihn und schwang sich über den Zaun, als Karo gerade noch Tobias annahm. Wie eigentlich zu erwarten gewesen war, stolperte Karo unter dem Gewicht, aber Mira fing beide auf.
Sams Bein hatte allerdings nachgegeben, als sie abgesprungen war. Jetzt kniete er halb auf dem Boden und starrte die Clowns an, die ihn umringten.
Die kleinen Härchen in seinem Nacken stellten sich auf. Etwas kam. Etwas mächtiges und sehr, sehr gefährliches.
"Sam!", schrie Mira voller Angst.
Er sah etwas Großes am Rand des Platzes auftauchen, das Monster dieses Bereichs. Inzwischen kribbelte auch seine Hüfte, und er empfand Angst. Das Gift breitete sich immer weiter aus, machte ihn langsam und träge. Konnte er überhaupt überleben?
Er hörte Miras Schreie wie durch Wasser. Dann ballte er die Fäuste. Er musste überleben! Wer aufgab, konnte auch genauso gut schlafen gehen – für immer.
Von irgendwoher nahm Sam genug Kraft, um sich in die Höhe zu schwingen. Er bekam den oberen Teil des Zauns zu fassen. Mit einer gewaltigen Anstrengung der Rückenmuskeln konnte er sich in die Höhe ziehen und dann über den Zaun werfen.
Er landete ungeschickt, doch Mira zog ihn sofort auf die Füße. Von der anderen Seite des Zauns näherte sich ein seltsames, schwarzes Wesen auf unzähligen Beinen und stieß so heftig gegen den Zaun, dass die Gitter sich bogen. Ein wütendes Heulen sagte Sam, dass sie trotzdem entkommen waren.
Die Clowns flohen in Todesangst vor diesem seltsamen Wesen, das Sams Gehirn aus irgendeinem Grund nicht richtig wahrnehmen konnte. Er wusste nur, dass diese Masse aus Beinen und roten Augen ihm furchtbare Angst machte.
Mira zerrte ihn zu der Limousine, an deren Tür der hochgewachsene Jason lehnte. Karo stürzte in seine Arme und er drückte sie tröstend an sich.
„Steigt ein“, sagte er dann.
Sam war erschöpft. Er ließ sich auf den Sitz fallen, in seinem Kopf war alles wie in Watte gepackt. Er konnte nicht klar denken.
Das Schlimmste lag noch vor ihnen. Und sie hatten versagt, denn der König der Clowns lebte noch.