To the Rescue!:
Die Pferde donnerten durch den Wald, über Stock und Stein, wie es das Sprichwort wollte. Samstag beugte sich über den Hals von Samsung (wenn er schon unter einem Namen leiden musste, dann auch sein Pferd!) und fragte sich, wann er bloß zum letzten Mal geritten war. Das schien ewig her zu sein. Die Arbeit hatte ihn angelenkt. Er hatte die fünf Mädchen auszubilden, sich mit dem üblichen Weltenretten herumschlagen und schließlich hinter das Geheimnis der Hell-Hopping-Tour kommen müssen. Da war keine Zeit für einen fröhlichen Ausritt geblieben und auch seine Aufträge hatten niemals ein Pferd erfordert – es gab schnellere Transportmittel, die kein Heu brauchten, keine Pause und vor allem nicht im falschen Moment wieherten und durchgingen.
Jetzt, obwohl die Situation drängend war, das Risiko hoch, freute sich Sam, endlich wieder reiten zu können. Samsung folgte den anderen Pferden und der Wind rauschte in Sams Ohren.
Schließlich hob Anna van Helsing eine Hand und parierte ihr Kaltblut zum Schritt durch. Nach und nach hielten die Pferde an. Der dunkelbraune Luzifer tänzelte und warf den Kopf hoch. Das Pferd hatte Schaum vorm Mund. Xeri und Piek fluchten einstimmig über das temperamentvolle Tier.
„Öffnet das Tor!“, befahl Anna, deren sturmgraues Pferd Rea Silvia stoisch dastand.
Sam, Lizzy und Elaine sprangen von ihren Pferden und begannen, das Tor aufzubauen. Nach einer Weile gesellte sich Andy zu ihnen – er führte immer noch Matilde an einem Strick hinter sich her und war deshalb am langsamsten aus ihrer Gruppe.
Anna, sowie Piek und Xeri, blieben im Sattel sitzen und starrten aufmerksam in den Wald, lauschten auf jedes Geräusch. Sie rechneten nicht mit einem Angriff, aber den Wächtern war eine nie endende Wachsamkeit antrainiert worden.
Endlich surrte es in dem großen Rahmen aus Metall, den sie zu viert errichtet hatten. Andy trat zurück und rieb sich die schmierigen Hände am Hemd sauber.
Der Bogen, etwa zweieinhalb Meter hoch und einen Meter breit, leuchtete in einem klaren, blauen Licht auf – plötzlich konnte man nicht mehr sehen, was dahinter lag.
Mit einem leisen Stöhnen zog Sam sich wieder in den Sattel. Er merkte, dass sich ein Muskelkater ankündigte.
Samsung stellte die Ohren auf und legte sie wieder an. Dann schüttelte Sams Pferd schnaubend die Mähne.
Sam beugte sich vor und klopfte seinem gescheckten Begleiter den Hals: „Ich weiß. Mir gefällt das ja auch nicht.“
Anna van Helsing ritt zuerst, als die erfahrenste Jägerin ihrer Gruppe – und die Älteste von ihnen. Rea Silvia, das sonst so ruhige Kaltblut, legte vor dem Tor die Ohren an und stieß ein anhaltendes Wiehern aus, bevor das große Tier in dem Torbogen verschwand.
Direkt hinter Anna folgten Elaine und Nachtwind. Der Friese zuckte nicht einmal mit einem Ohr. Die anderen sahen eine Weile auf das Tor, lauschten auf etwaige Kampfgeräusche, warteten, ob nicht eine Warnung von der anderen Seite kam.
Nichts geschah.
Xeri und Piek trieben Luzifer gemeinsam durch das Tor. Das Vollblut buckelte und wollte ausbrechen, wich zurück, tänzelte, stieg auf die Hinterhand. Mit vereinten Kräften brachten die beiden Mädchen das Tier durch das Tor. Danach folgte Andy auf Pandora, die ähnlich ruhig wie Rea Silvia war – nur Matilde am Führstrick bockte, stand aber keine Chance gegen Andys Beharrlichkeit.
Jetzt, wo nur noch sie beide im Wald standen, tauschten Sam und Elizabeth einen kurzen Blick.
„Ich hatte ja geahnt, dass wir uns irgendwann um Iffy und ihren Bruder kümmern müssen“, meinte Lizzy, „aber ich bin immer noch nicht bereit dafür!“
„Das ist keiner von uns“, Sam versuchte sich an einem Lächeln. „Wir sehen uns auf der anderen Seite.“
Lizzy nickte und trabte durch das Tor. Sam wartete, bis sie verschwunden war – seine Aufgabe war es, Pferde einzufangen, die vor dem Tor durchgingen, denn Samsung war das Tier, das mit am wenigsten Probleme verursachen sollte – abgesehen vielleicht von Rea Silvia und Pandora. So trieb Sam sein Pferd als Letzter durch das Tor und drückte im Reiten auf einen Knopf, worauf der Metallrahmen in der realen Welt in sich zusammen sank. Im Wald blieb nun nur ein Metallhaufen zurück, der hoffentlich niemandem auffallen würde.
Sam blinzelte im hellen Sonnenschein und fand sich in einer flachen Welt wider, die keinerlei Abwechslung bot – wie eine Simulation ohne jedes Detail. Es gab nur einen grauen Streifen auf dem Boden, eine Art Autobahn. Die anderen hatten nicht auf ihn gewartet, sondern galoppierten bereits in einer langgezogenen Linie dem Horizont entgegen.
Mit einem Schrei trieb Sam sein Pferd an. Samsung verfiel gehorsam in den Galopp und versuchte, den Rest der Herde einzuholen. Sam beugte sich über den Hals seines Pferdes und genoss den Wind im Haar, die regelmäßigen Galoppsprünge, die Geschwindigkeit – doch das mulmige Gefühl blieb. Er hatte Angst vor dem, was sie hier erwarten konnte und am meisten fürchtete er sich, dass sie zu spät kommen würden, dass sie nur noch die Leichen ihrer Schüler finden würden.
„Schneller, Samsung!“, rief er leise, nah am Hals des Tieres. „Schneller!“