Nach langem Suchen fand ich endlich Nadel, Faden und etwas um den Schnitt abzudecken - ganz unten im Schrank. Ich machte mich daran den Schnitt zu nähen, was schwieriger war als gedacht. Selbst vor dem Spiegel gestaltete es sich alles andere als einfach - meine Hände zitterten, obwohl sie das sonst nie taten und ich kam nicht damit klar, alles spiegelverkehrt zu machen.
Irgendwann hatte ich es dann doch geschafft den Schnitt komplett zu nähen und abzudecken. Wut, Frustration und Müdigkeit machten sich in mir breit und ich wünschte ich könnte mich einfach hinlegen, einschlafen und wenn ich aufwachte befand ich mich an einem anderen Ort. Aber das ging nicht, also musste ich das Beste aus der Situation machen.
An Schlaf war trotz der Müdigkeit nicht zu denken, dazu war ich zu aufgekratzt. Zum trainieren war ich zu müde, außerdem wollte ich am liebsten keiner Menschenseele begegnen - schon gar nicht Kijan.
Die einzige gute Idee, die mir kam, war ein Ausritt. Die frische Luft würde mir gut tun und endlich mal wieder die Sonne zu sehen erfüllte mich mit Vorfreude.
Ich schnappte mir all meine Waffen und einen Umhang aus dem Schrank, zog mich fertig an und machte mich auf den Weg zu den Stallungen. Gleichzeitig hoffte ich, dass mir auf dem Weg niemand begegnen würde.
Meine Hoffnungen wurden zerstört, sobald ich die Stallungen betrat - Kijan stand bei seinem Pferd und liebkoste es. Doch ich versuchte ihn so gut es ging zu ignorieren, bürstete mein Pferd und machte es für den Ausritt bereit.
Gerade, als ich es aus dem Stall führen wollte, stellte sich mir Kijan in den Weg.
"Geh mir aus dem Weg."
"Wo willst du hin? Du weißt, dass du nicht einfach so von hier verschwinden kannst."
"Wo ich hin will geht dich überhaupt nichts an und ja - ich weiß, dass ich nicht einfach so verschwinden kann. Hatte ich auch nicht vor. Aber wenn ich weiter hier drin sitze schlage ich irgendjemandem den Kopf ein und im Moment bist du der Einzige in meiner Nähe, also rate ich dir, mir aus dem Weg zu gehen."
"Hast du deinen Schnitt wenigstens ordentlich versorgt?"
"Geht dich nichts an. Und jetzt geh mir endlich aus dem Weg." Ich versuchte, mich irgendwie an ihm vorbeizudrängen, doch er stellte sich mir immer wieder in den Weg. Die Wut, die ich sowieso schon auf ihn hatte, wuchs dadurch nur noch mehr und wenn ich nicht endlich hier rauskäme, könnte ich für nichts garantieren.
"Es geht mich sehr wohl etwas an. Was ist, wenn dir etwas passiert, während du durch den Wald reitest?" Er suchte meinen Blick, doch ich starrte stur geradeaus ohne darauf einzugehen. Er erwartete eine eine Antwort, doch ich gab ihm keine.
Frustriert schüttelte er den Kopf. "Du bist so stur."
Wieder gab ich ihm keine Antwort. Stattdessen beschloss ich, mich einfach auf das Pferd zu setzen. Doch ich kam nicht mal dazu, mich umzudrehen, Kijan hielt mich am Arm fest und drehte mich wieder zu sich.
"Vergiss es. Ich werde dich nicht allein da raus lassen. Du bist verletzt, wütend und suchst so sehr nach Ablenkung, dass dir alles recht wäre. Außerdem sucht dich das halbe Kaisserrreich."
In diesem Moment hasste ich ihn so sehr, dass ich ihm am liebsten den Hals umgedreht hätte. Stattdessen holte ich ein paar Mal tief Luft und versuchte die Wut zurückzudrängen.
Kijan streckte seine freie Hand nach mir aus doch ich schlug sie weg, noch bevor sich mich berührte.
"Wag es nicht." Gleichzeitig schüttelte ich seine andere Hand ab und ging einen Schritt nach hinten. "Er hatte es verdient zu sterben. Du hast mir meine Rache genommen. Du hast mich verraten. Du wusstest ganz genau, dass er mein Bruder ist, aber du hast nichts gesagt." Ich wollte nicht mit ihm darüber reden, ich wollte überhaupt nicht reden. Und bevor ich noch irgendwas Dummes tun konnte, drehte ich mich um und schwang mich auf's Pferd. Diesmal schaffte Kijan es nicht, mich davon abzuhalten. Vielliecht wollte er es auch nicht, mir war es egal. Alles was ich wollte war, auf der Stelle hier raus zu kommen.
Er schien endlich zu verstehen, dass er mich nicht hier festhalten konnte und trat beseite, sodass ich endlich den Stall verlassen konnte.
Draußen empfing mich strahlender Sonnenschein und frische Luft. Ich holte ein paar Mal tief Luft und ein kleines Lächeln schlich sich auf mein Gesicht. Meine Wut war in dem Moment verschwunden und ich fühlte mich frei. Genau was ich gebraucht hatte. Mein Pferd wieherte aufgeregt und ich trieb es an. Wir trabten durch den Wald und ich wünschte, dieser Ausritt würde nie enden. Die Bäume wiegten sich sanft im Wind, der durch meine Haare fuhr und ich schloss für einen Moment die Augen.
Eine Weile ritt ich einfach so durch den Wald und genoss die Ruhe, den Wind, die Sonne auf meiner Haut und die frische Luft in meinen Lungen. Bis es zu dämmern begann und ich mich auf den Rückweg machte.
Müde und glücklich kam ich in den Stallungen an. Auch mein Pferd schien den Ausritt sehr genossen zu haben. Ich putzte es und wuschelte ihm noch ein paar Mal durch die Mähne, bevor ich mich aufmachte - zurück in meine Höhle.
Auf dem Weg dort hin begegnete ich ein paar Soldaten, doch keiner von ihnen beachtete mich mehr als normal und ich war froh darüber. Kurz vor meiner Höhle beschloss ich, mir lieber gleich etwas zum essen zu schnappen und mich dann auf's Ohr zu hauen. Der Ritt hatte mich müde und hungrig gemacht.
Ich lief an meiner Höhle vorbei und steuerte den Speisesaal an. Dort waren erst wenige der Soldaten zu sehen, was mir lieb war und ich schnappte mir wahllos einige Sachen, die ich mit den Händen essen konnte und verließ den Speisesaal wieder. Jetzt ging ich wirklich in meine Höhle. Froh darüber, hier nicht wie üblich auf Kijan zu treffen setzte ich mich in den Sessel und aß, was ich an Essen mitgenommen hatte. Es schmeckte gut, wie immer und mein Magen freute sich. Satt und müde machte ich mich fertig zum schlafen und legte mich in mein Bett.