An einem See in Schweden
8.März.2016
Wie gerne würde ich noch einmal mit dir runter zum Steg gehen, du weißt schon, der Steg unten am Wasser, wo unsere endlosen Spaziergänge endeten, weil vor unseren Füßen das Wasser begann.
Dort wo unsere endlosen Spaziergänge aufhörten und unsere endlosen Küsse anfingen, dort will ich wieder hin mit dir! Doch dieses Mal will ich nicht vor dem Wasser stehen bleiben, weil es zu kalt ist oder was weiß ich warum...
Ja heute möchte ich vom Steg ins Wasser springen und bis ans andere Ufer schwimmen. Und wenn ich nicht mehr schwimmen kann, dann tauche ich einfach weiter, bis zur anderen Seite, wo eine neue Welt anfängt!
Heute war ich alleine am Steg. Ein sonderbares Gefühl, denn es war das erste Mal, dass du nicht dabei warst und gleichzeitig das letzte Mal, das ich dort war. Es war auch das erste Mal, dass ich nicht vorne am Wasser stehen blieb, sondern schwimmen wollte, so schnell und so weit wie nur möglich.
Die grauen Wolken des Abends hingen über dem See. Sie weinten und ließen unendlich viele Kreise auf der Oberfläche entstehen. Meine eigenen Tränen waren längst schon getrocknet.
Nichts erinnerte mehr an die lauen Sommerabende, die wir auf dem Steg verbrachten. Jene Abende, die nie dunkel werden wollten, jene Abende an denen das Gold der Mitternachtssonne die ganze Nacht mit den kleinen Wellen tanzte. Der Wind strich sanft durch die Gräser am Ufer und wir lagen nebeneinander auf dem Steg und sahen in den glutroten Abendhimmel. Erinnerst du dich noch daran?
Der kühle Wind und die dichten Wolken des alt werdenden Jahres ließen aber nur noch ein fahles graues Licht zu, dass sich auf dem bewegten Wasser tausend Mal spiegelte und die gesamte Landschaft grau färbte. Heute wäre eigentlich ein Abend gewesen, an dem wir verliebt zuhause im Bett gelegen hätten und dann irgendwann gleichzeitig eingeschlafen wären.
Heute Abend war keiner zuhause und mein Bett war kalt und leer. An diesem Abend war alles anders, auch der See sah anders aus als sonst. Wie gern würde ich die Zeit zurückdrehen und noch einmal mit dir in den glutroten Abendhimmel blicken!
Heute war ich alleine unten am Steg und legte mich auf die nassen Holzplanken, um in den Himmel zu sehen- er war grau. Einige Zeit lag ich da und ließ mir mein Gesicht verregnen, mein Rücken war sowieso schon nass, aber heute war mir das alles egal. Ich konnte es nicht mehr ertragen und stand auf, um bis ganz nach vorne zu gehen, bis an die Stelle, an der unsere Spaziergänge endeten. Es waren noch immer unzählige kleine Kreise auf der Oberfläche zu sehen. Die Schatten der Landschaft wurden immer größer und dunkler. Die Sonne musste hinter den grauen Wolken wohl schon untergegangen sein, irgendwo am Horizont auf der anderen Seite des Wassers, da musste sie sein, ich war mir sicher.
Ich blickte eine Ewigkeit zum anderen Ufer und starrte wie gebannt in den Horizont. Dort drüben war der Horizont am hellsten, es war wirklich die hellste Stelle am ganzen Himmel!
Warum nicht rüber schwimmen?, dachte ich mir und bekam solche Lust auf die andere Seite zu schwimmen, dass ich die Kälte, den Regen und die Kreise der Regentropfen vergaß, meine Augen schloss und mit dem Kopf voraus in die Dunkelheit sprang. Das Wasser presste sich sofort durch meine Kleider und eine kurze Sekunde nach meinem Sprung spürte ich wie sich die Nässe erbarmungslos um mich hüllte und mich so fest umklammerte, wie es ein Adler mit seiner Beute getan hätte.
In meinem Wahn kraulte ich immer weiter durch das immer kälter werdende Wasser, so weit, dass unser Steg schon längst am Horizont hinter mir abgetaucht war. Als mein Arme immer schwächer wurden und ich mich mitten auf dem See vor Erschöpfung nicht mehr weiterschwimmen konnte, bemerkte ich, wie weit die andere Seite noch entfernt war, aber umkehren und zurückschwimmen, das hätte ich niemals versucht. Obwohl ich nicht genau wusste wie tief der See eigentlich war, spürte ich, dass unter meinen Beinen gar nichts mehr war, überhaupt nichts mehr, außer Leere. Der See musste an dieser Stelle unendlich tief sein. Ich erinnerte mich daran, was ich tun wollte, wenn meine Kraft zum Schwimmen nicht mehr reichen würde und holte noch einmal Luft. Ich atmete ein letztes Mal ein, um so tief zu tauchen, dass ich den Grund hätte berühren können. Mit dem Kopf nach unten machte ich meine letzten Arm- und Beinzüge um möglichst schnell zum Grund zu schwimmen. Das Wasser, dass dabei an meinem Körper entlang sprudelte, wurde immer kälter und immer dunkler. Umso tiefer ich kam, umso dunkler und kälter wurde es! Zunächst bemühte ich mich noch mit meiner letzten Kraft nach unten zu schwimmen, dann ging es ganz von alleine. Ich brauchte nichts mehr zu tun und sank trotzdem immer weiter herab. Meine Luft wurde immer knapper und ich vergaß die alte Welt...
---
Hörst du mich noch? Willst du nicht noch einmal mit mir runter ans Wasser gehen?
---
Du hörst mich nicht mehr, denn das Wasser hat mich und meine Worte für immer verschluckt.