»Euer Süßholzgeraspel ist ja kaum auszuhalten«, schnarrte Don den beiden entgegen und tippte sich an die Stirn. »Habt ihr schon jemals etwas Jämmerlicheres gesehen als einen Mann, der sich einem anderen Mann gegenüber wie eine Frau benimmt?«, wandte er sich an seine Mitstreiter, die beide einen gehässigen Ausdruck im Gesicht hatten und den Kopf schüttelten.
Henry knurrte finster. »Umso besser, dass du das nicht tust und es somit ganz allein meine Angelegenheit ist, wie ich mich meinem Partner gegenüber verhalte, nicht wahr, Don?«
Der Angesprochene lachte und neigte leicht das Haupt. »Eigentlich meinte ich dein entzückendes Kerlchen da. Ist es wirklich ein Er oder sieht das nur so aus?«
Garrett lief rot an. Es fühlte sich wie ein böses Déja Vu an, eine Rückkopplung all der gemeinen Sachen, die seine ehemaligen Mitschüler über ihn gesagt hatten. Etwas, von dem er dachte, er wäre längst darüber hinweg.
»Deine Standards sind nicht das Maß der Dinge, alter Freund«, entgegnete Henry trocken. »Aber du bist doch bestimmt nicht den weiten Weg gekommen, um meinen Lebenspartner zu beleidigen, oder? Was willst du?«
Don machte ein paar Schritte auf den anderen Vampir und den jungen Mann zu, der versuchte, sich nicht ängstlich hinter dem Unsterblichen zu verstecken, obwohl ihm die Knie weich geworden waren. Garrett hatte seit der ersten Begegnung einst mit Allister und dessen Sippe Angst vor jedem Blutsauger, der nicht Henry oder einer von dessen Freunden war. Immerhin hatte er die schmerzhafte Erfahrung machen müssen - und zwar mehrmals - dass jeder andere Vampir ihn über kurz oder lang würde töten wollen.
Und Donnchadh, dessen Blick so kalt war, dass es den jungen Mann fröstelte, ließ keinen Zweifel daran, dass er, um Rache an Dionysos zu nehmen, zu allem bereit und fähig sein würde.
»Wenn meine Maßstäbe etwas zählten, würden Vampire, die ihresgleichen hintergehen, mit dem Tod bestraft werden. Es würde solche Verräter wie dich, die im Auftrag der Clans ihre eigenen Brüder und Schwestern vernichten, gar nicht geben. Ganz abgesehen davon, was ich mit Männern machen würde, die tun ... was du tust!« Die kalten, blauen Augen glitten mit einem Ausdruck der Verachtung erst von Henrys zu Garretts Gesicht. »Abartig«, fauchte Don.
»Weil du natürlich frei von Sünde bist, du Schwachkopf. Ich trage meine Verbrechen wie ein Mann, anstatt so zu tun, als trüge ich keine Schuld. Kannst du das auch von dir behaupten?«
»Welche Schuld? Das Töten von Menschen? Ich bitte dich ...«, Donnchadh schnarrte und machte eine wegwerfende Bewegung. »Wen kümmern sie denn?«
»Genau das ist der Unterschied zwischen uns beiden und der Grund, warum ich dich im Kerker gelassen habe«, entgegnete Henry.
»So? Weil du dein Gewissen für diese nackten Affen entdeckt hast, bist du jetzt etwas Besseres?«
»Nein. Weil ich mich erinnert habe, dass ich auch einmal einer war.«
Don lachte zynisch. »Du kannst von deiner Kanzel runtersteigen, Dionysos. Predigen und an mein Gewissen zu appellieren wird dir nichts nützen. Wir haben eine Rechnung offen und die wird beglichen, ob dir das gefällt oder nicht.«
»Nenn’ mich nicht bei diesem Namen«, fauchte Henry kalt.
»Wie? Warum nicht?«
»Die Zeiten sind vorbei!«
Der blauäugige Vampir zog eine Augenbraue hoch. »Ah, richtig, weil du jetzt ein Mensch bist ... oder zumindest so tust. So lange bis dein kleiner Freund da irgendwann den Löffel abgibt, denn das tun sie, weißt du? Menschen sterben!«
Henry konnte Garretts Fingernägel in seinem Rücken spüren. Der junge Mann hatte die Finger in das Hemd gekrallt und der Vampir konnte durch den Stoff fühlen, dass sie trotz der Sommerwärme eiskalt waren.
»Möglich. Aber nicht heute!« Blitzschnell hob Henry die Hand und in der nächsten Sekunde hallte ein vernehmliches Knacken über den leeren Parkweg. Donnchadh blickte erschrocken um sich und sah Leo mit gebrochenem Genick zusammensacken. »Verschwinde mit deinen Affen, oder das nächste Mal ist es nicht nur das Rückgrat, sondern der Kopf ist ab!«
»Du denkst, ich bin nicht darauf vorbereitet? Auf deine ... verfluchte Psychokinese?«, röchelte Don, als Henry ihn in den unsichtbaren Würgegriff nahm. Bevor er jedoch die andere Hand heben und John festhalten konnte, hatte der ein kleines Utensil aus der Tasche gezogen und an den Mund gehoben.
Henry zischte, als ihn etwas am Hals traf und Garrett, der wie gelähmt hinter ihm stand, sog erschrocken und vernehmlich die Luft ein. Eine kleine Nadel, wie man sie bei der Akupunktur nutzte, steckte in der Haut des Vampirs und die Wirkung der unbekannten Substanz setzte schlagartig ein. Henry begann zu wanken und ließ die Hände sinken.
Hustend und spuckend rieb sich Donnchadh den Hals, als die Umklammerung verschwand. Es hatte sich tatsächlich so angefühlt, als hätten sich die Finger Dionysos’ in seine Haut gebohrt. Eine teuflische Fähigkeit war das.
»Henry«, presste Garrett indes heraus und hockte sich neben den Unsterblichen, der in die Knie gesunken war und röchelte. Schweiß stand auf seiner Stirn und Schmerz verzerrte sein Gesicht.
»Dieser verdammte ... das kann doch nicht wahr sein«, knurrte der Vampir und hob schwerfällig den Kopf, als Dons gehässiges Lachen zu ihm und dem jungen Mann herüber wehte.
»Wie gesagt, mein lieber Dionysos. Du dachtest doch nicht, dass ich unvorbereitet auf jemanden zugehe, der diese Hexengabe hat, oder? Ich habe natürlich Vorkehrungen getroffen, weil ich mir sicher war, dass du mir meine Rache verweigern würdest.«
»Du ... bist ein ehrloses ... Stück Dreck, Lawrence Donnchadh!«, spuckte Henry. »Du weißt, dass du einen ehrlichen ... Kampf gegen mich verlieren würdest. Du bist ... ein Feigling. Wie du es früher ... schon warst ...«
»Feige? Ich nenne es zweckorientiert. Fühlt sich gut an, der Cocktail aus Tollkirsche und Silbernitrat, hab’ ich Recht?«
Mühsam nur konnte der angeschlagene Vampir sich aufrecht halten. Die Anstrengung, die es erforderte, sich auf seine Arme zu stützen, war immens und hatte ihn mittlerweile am ganzen Körper in Schweiß ausbrechen lassen. Doch er konnte nicht, er durfte nicht das Bewusstsein verlieren. Er wollte nicht in einen Belladonna-Fiebertraum abdriften und Garrett schutzlos mit diesem Monster zurücklassen. Der junge Mann sollte so etwas nicht noch einmal durchmachen müssen.
Wie durch Watte nahm Henry wahr, dass Garrett neben ihm aufgestanden war. Der Staub des trockenen Parkweges kitzelte den Unsterblichen in der Nase, als er den Kopf hob und erkannte, dass sein Freund sich vor ihn gestellt hatte, wohl wissend, dass er keine Chance hatte, gegen Don zu widerstehen, wenn der ihn angreifen sollte. Nicht ohne eine Waffe.
»Garrett, nein«, presste Henry matt heraus und der Schmerz in seiner Stimme kam sowohl von den Drogen als auch von der Angst des Vampirs, dass dem Anderen etwas zustoßen könnte.
»Hör’ auf deinen Loverboy, Menschlein, wenn du nicht gefressen werden willst«, schnarrte Donnchadh schadenfroh.
»Ich bin es leid«, spuckte ihm Garrett entgegen, »so verdammt leid, dass ihr verfluchten Blutsauger euer mickriges Ego immer so ernst nehmen müsst, dass ihr selbst nach Jahrhunderten noch Rache für etwas nehmen wollt, was schon längst über den Berg ist. Schon mal was davon gehört, Dinge einfach gut sein zu lassen? Habt ihr keinen anderen Lebensinhalt?«
Don zog die Augenbrauen hoch. »Du bist witzig. Nur ein Sterblicher mit seiner begrenzten Lebenszeit kann so reden. Rache hat etwas mit Ehre zu tun. Das lässt man nicht einfach so ziehen.«
»Rache«, erwiderte Garrett, »ist etwas für Leute, die zu schwach sind, etwas zu akzeptieren. Es bringt einem Verlorenes nicht wieder zurück, macht Geschehenes nicht ungeschehen und es kann auch den Schmerz nicht heilen. Ich weiß aus erster Hand, wovon ich rede!«
»Du bist ein Mensch. Was du sagst, ist mir gleichgültig. John, sorg’ dafür, dass der Junge die Klappe hält.«
Der angesprochene Vampir machte eine schnelle Bewegung und stand neben dem jungen Mann, ehe der überhaupt reagieren konnte. John packte Garrett und dieser sank in der nächsten Sekunde zu Boden.
»Was ... hast du ... getan?!«, presste Henry heraus, der inzwischen ebenfalls im Staub lag. Der Cocktail aus unverträglichen Substanzen hatte ihm die letzte Kraft geraubt und so gelang es ihm nicht, die Hand nach Garrett auszustrecken.
»Hör’ auf zu heulen. Du willst der große Dionysos sein? Es ist fast eine Schande zu sehen, was aus dir geworden ist. Mach’ dir keine Sorgen. Bald schon werdet ihr für immer zusammen sein. Ach nein, warte ... bei einem Vampir ist das ja etwas anders, nicht?«
Donnchadhs boshaftes Lachen war das Letzte, was Henry hörte, bevor um ihn herum alles in Dunkelheit versank.
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Schmerz wallte durch ihn. Es war nicht das erste Mal, dass Henry die Hölle durchlitt, die Belladonna einem brachte, doch dieses Mal war es anders. Die Angst und die Ungewissheit, was mit Garrett geschehen war, war um ein Vielfaches schlimmer als damals, als Allister ihn geraubt hatte. Da hatte Henry immerhin gewusst, dass er am Leben war.
Doch der Vampir hatte nicht gesehen, was John mit dem jungen Mann gemacht hatte und das ließ seine durch Drogen berauschte Fantasie noch grausamere Blüten treiben.
Nur langsam kämpfte sich sein Verstand wieder an die vernebelte Oberfläche und fing an, Dinge um sich herum zu registrieren.
Es war schneidend kalt und Henry glaubte, Salz und den Geschmack von Regen auf seiner Zunge wahrnehmen zu können.
Stöhnend öffnete er die Augen und als seine Sicht sich etwas geklärt hatte, erkannte er einen vage vertrauten Ort. An eine kalte und dunkle Steinmauer gelehnt konnte er über sich den Nachthimmel sehen, an dem sich Wolken türmten. Blitze zuckten unter diesen und erhellten das Firmament immer wieder schauderhaft. Es wehte ein starker Wind, der das Geräusch des Meeres mit sich trug.
Mühsam bewegte der Unsterbliche seine Finger und anderen Gliedmaßen, um auch den letzten Rest Lähmung zu vertreiben, bevor er den Kopf wandte.
Etwas griff kalt nach seinem Herzen, als er Garrett ein Stück von sich entfernt an der Wand lehnen sah. Der junge Mann wirkte gespenstisch blass in der farblosen nächtlichen Helligkeit, die die Augen des Vampirs erzeugten, und hatte Blut im Gesicht. Offenbar hatte jemand Garrett gegen die Schläfe geschlagen und verletzt.
Schwerfällig überwand Henry die Distanz zwischen sich und seinem Liebsten, bevor er ihn berühren konnte.
»Garrett«, flüsterte er und hätte am liebsten geweint, als dieser leise stöhnte. »Oh, Gott sei Dank!«
»Gott hat diesen Ort lange verlassen, Dionysos. Das waren deine Worte, erinnerst du dich?«
Donnchadh war, gehässig und arrogant grinsend, im Sichtfeld des Vampirs aufgetaucht. Der Mantel, den Don trug, wurde vom Wind herumgerissen.
Der Angesprochene wandte sich um und ein bösartiges Grollen drang aus seiner Kehle. Von Zorn getrieben, schüttelte er auch das letzte Bisschen Benommenheit ab und sprang auf die Füße.
»So. Du hast also nicht nur die Stirn, meinen Gefährten zu verletzen, du ziehst auch noch meine Vergangenheit in den Dreck?!«
Henry wandte den Blick kurz von seinem Gegenüber ab und ließ ihn über die alten Mauern streichen, die nun, in dem aufkommenden Gewitter, noch düsterer und bedrückender aussahen. Sie waren auf Mockridge Cliff.
»Deinen Gefährten verletzen?«, lachte Donnchadh auf, »Mitnichten. John hatte ihn mit einem K. O.-Griff außer Gefecht gesetzt. Konnte ja keiner wissen, dass der kleine Scheißer so schnell wieder wach wird und sich zu wehren anfängt. Wer nicht hören will, der muss fühlen. Du weißt doch, wie das ist. Hat man dir das hier an diesem Ort nicht beigebracht?«
»Woher weißt du hiervon?« Henry konnte sich erinnern, Don damals lediglich einmal erzählt zu haben, dass er bei Mönchen aufgewachsen war, bevor er zu einem Vampir wurde. Jedoch nicht, in welchem Kloster.
»Die Fotos auf der Kamera deines Freundes, die Navi-Daten auf deinem Handy - ich kann Eins und Eins zusammenzählen. Aber überall eure zuckerwattesüßen Pärchenbilder, yuk.«
Henry rollte genervt mit den Augen. »Ja, ich hab’s begriffen. Schwule sind eklig.«
»Ja, irgendwie schon. Und wenn wir mit dir fertig sind, lassen wir uns deinen kleinen Toyboy schmecken und schon sind es zwei weniger auf der Welt. Praktisch, nicht?«
»Wenn das der einzige Grund ist, warum du mir nach zweihundert Jahren an den Kragen willst, muss ich dir leider sagen, dass Garrett Recht hat. Hast du kein eigenes Leben?«
Donnchadh knurrte bedrohlich. »Du weißt, dass es nicht nur das ist! Du bist ein Verräter und ich habe ein Anrecht auf meine Rache. Die werde ich bekommen. Und selbst wenn ich dich nicht töten kann, weil du mächtiger bist als ich, ich kann dich zerstören. So oder so!«