So nun gehen wir aber rein! Mein Sohn und seine Tochter „Weisse Feder“ werden sich freuen...“ „Dein Sohn hat eine Tochter?“ „Ja, von ihr ist der Medizinschild rechts neben der Tür mit der weissen Feder, daher ihr Name. Sie fand einst diese Feder an einem See. Wir vermuten, dass sie von einem der Frühlingsbringer- dem Schwan stammt. Weisse Feder, bei den Weissen nennt man sie Ellie Blackhorse, ist sehr klug. Sie geht auf eine Schule der Weissen. Sie wird mal weit herumkommen, das zeigt die Feder des Zugvogels (Schwäne sind von Natur aus Zugvögel, suchen aber mildere Lagen auf und verbleiben auch oft in Menschennähe, wo sie Futter bekommen). Darum nennen wir sie so.“ „Wie alt ist sie denn?“ „Sie ist jetzt zwölf Jahre alt. Mein Sohn wurde mit 18 Vater. Er war mit einer Indianerin namens „Windblume“ zusammen. Leider starb sie vor kurzem an einer Krankheit...“ Ein Schatten legte sich über das Gesicht des Mentors als er das sagte. „Das tut mir leid. Wie kommt „Schwarzes Pferd“ damit klar?“ „Natürlich hat er es nicht leicht. Eine Weile lang fürchtete ich gar, er würde an seinem Kummer sterben, doch jetzt hat er sich wieder gut gefangen. Seine Tochter und auch seine Arbeit hier gibt ihm Kraft.“ „Wie alt ist er?“ „Er wurde am 10. Okt. diesen Jahres dreissig. Du wirst ihn bestimmt mögen. Komm!“
Nathalie folgte dem Schamanen zum Eingang des Hauses. Noch einmal warf sie einen kurzen Blick auf die Medizinschilde und registrierte die weisse Feder, von der Wandernder Bär gesprochen hatte. Der Schild von Schwarzes Pferde, war mit einem Büschel schwarzen Pferdehaars geschmückt...
Auf einmal ging die Türe auf und ein hochgewachsener, schlanker Mann trat mit einem Mädchen in die gerade aufleuchtenden Abendsonne hinaus. Sofort fühlte sich Nathalie den zweien verbunden. Sie waren beide sehr hübsch. Das Mädchen hatte ihr nachtschwarzes, glänzendes Haar zu zwei Zöpfen geflochten und ein sehr schönes Perlen- Stirnband, schmückte ihr Haupt. Sie trug ein edles Hirschledergewandt, mit weiten Ärmeln, einem mit Perlen bestickten Brustteil und langen Fransen am Saum. Ihre Wangenknochen waren ziemlich rundlich im Gegensatz zu jenen des Mannes, der ein eher schmales Gesicht besass. Dieser hatte ein Teil seines glänzenden Haars ebenfalls zu Zöpfen geflochten und eine handgefertigte Perlenrosette mit einer Adlerfeder steckte an seinem Hinterkopf. Er trug eine Hirschlederhose, seitlich mit Fransen verziert und ein dazupassendes Hemd ebenfalls mit Fransen und türkisblauen Perlenbändern über Schultern und Rücken. Seine Nase war kühn geschwungen, doch seine dunklen Augen besassen einen warmen Ausdruck. Auch sein Mund gefiel dem Mädchen. Er war voll und wirkte sinnlich. Auf einmal wurde sie verlegen. So stellte sie sich einen Indianer ihrer Träume vor. Irgendwie zog sie dieser Mann an. Sie wusste nicht, ob er der Reiz des Unbekannten war, oder sonst etwas. Jedenfalls besass Schwarzes Pferd zugleich eine stolze und doch sehr verbindliche Ausstrahlung. So ging er auch sogleich lächelnd auf sie zu und entblösste dabei seine schneeweissen Zähne, die durch seinen kupfernen Teint noch mehr zur Geltung kamen. Er schüttelte ihr warm die Hand und legte die andere dabei auf ihre Schulter. „Hokahe han maské!“ sprach er in der Sprache der Lakota und übesetzte es gleich ins Englische: „Das heisst: Willkommen Freundin!“ Nathalie war sehr berührt, von der Freundlichkeit und dem einnehmenden Wesen dieses Mannes. Intuitiv erfasste sie, dass der Ausdruck Freundin nicht einfach nur so dahin gesagt wurde. Der Indianer musste sich ebenfalls besonders mit ihr verbunden fühlen, vermutlich wegen ihres Indianerblutes und wohl auch, wegen ihrer scheinbar edlen Abstammung von den Animal ridern. Weisse Feder war ebenfalls ein sehr nettes Mädchen. Sie reichte Nathalie die Hand und sprach : „Hokahé!“ Dann fügte sie in gebrochenem Englisch hinzu: „Es ist schön dich zu treffen.“ „Ganz meinerseits,“ gab Nathalie in Englisch zurück. Sie überlegte einen Moment und sprach dann zögernd: „Hau han... mis...“ dann kam sie ins Stocken. „Mis éya!“ ergänzte der Sohn ihres Mentor lachend. „Das heisst : Gleichfalls. Nathalie lachte befreit auf und meinte auf Englisch: „Ich kann noch nicht so gut Lakota, aber ich bin am Lernen.“ „Das kommt schon noch. Nun komm aber rein- Tima hiyu wo we pope!“ Das liess sich das Mädchen nicht zweimal sagen und folgte ihren Gastgebern ins Haus. Es musste eine grosse Ehre sein, wenn man auf diese Weise eingeladen wurde. „Mein Sohn und meine Enkelin freuen sich sehr dich kennenzulernen,“ flüsterte ihr Wandernder Bär zu. „Sie wissen, dass du eine Nachfahrin der Allessehende bist, das ist eine grosse Ehre auch für sie. Darum haben sie auch extra ihre Festgewänder angezogen. Er zwinkerte ihr zu: „Ich glaube... du gefällst meinem Sohn.“ Nathalie wurde bei diesen Worten sehr verlegen und auf einmal tauchte vor ihr das Gesicht Marc's auf. Sie scheuchte es aber wie eine lästige Fliege wieder weg, denn sie nahm es Marc ziemlich übel, dass er sich nie mehr gemeldet hatte. Das mit ihm wurde wohl doch nichts... Oh nein! Sie war noch vogelfrei und musste sich keineswegs schämen, wenn sie sich einen andern Mann zugetan fühlte. Das war bei Schwarzes Pferd der Fall und ihre Intuition sagte ihr, dass auch er sich ihr tatsächlich zugetan fühlte... Das würde in den kommenden Tagen noch mehr zum Ausdruck kommen, denn Schwarzes Pferd würde sie einiges über das Einssein allen Lebens lehren. Er war als Rabe- Geborener (indianisches Sternzeichen für Waage) im Element Luft zu Hause und das Element Luft war es, mit dem sich Nathalie zuerst befassen musste. Warum ausgerechnet mit diesem Element... das würde sich noch herausstellen...
...Wieder sah sie vor sich das Bild, das sie im Motel vor ihrem geistigen Auge gesehen hatte: „Es war ein schwarzes Pferd, das sie auf dem Rücken trug und sie auf einen unbekannten Horizont zureiten liess...
6. Kapitel
Das Haus der Blackhorse- Familie war einfach, aber gemütlich eingerichtet. An den Wänden hingen Fotos von traditionellen, indianischen Festen und zwei gewobene Wandbehänge mit bunten Mustern darauf. Jedes dieser Muster hatte seine eigene Bedeutung, was Nathalie später erfuhr. Ein braunes Bärenfell lag vor einem russgeschwärzten Kamin, in dem ein wunderbar- wärmendes Feuer brannte. Der Wohnraum war durch einen farbigen Vorhang vom Schlafbereich abgetrennt. So entstand der Eindruck von zwei seperaten Räumen und dennoch konnte die Wärme in jeden Winkel des Hauses gelangen. Zwei Feldbetten, ein breiteres und ein schmales, mit weichen Schafsfellen darauf, bildeten die Schlafstellen.
Nathalie fragte sich, wo man sie wohl unterbringen wollte. Doch diese Frage wurde ihr ziemlich bald beantwortet, als Schwarzes Pferd sie auf eine Leiter aufmerksam machte, die auf eine Art kleine Galerie führte. „Hier oben schläfst du, wenn es dir recht ist,“ sprach er und deutete auf ein, doch recht konfortables Bett mit einem Reisigkissen, einer indianischen Wolldecke und ebenfalls zwei grossen Fellen darauf. Das Bett stand direkt unter einem kleinen Dachfenster. Es war eine sehr gemütliche Nische. Das neu erwachte Sonnenlicht, fiel durch die farbigen Gardinen, die vor jedem Fenster hingen. „Die Vorhänge, Decken und Wandbehänge haben meine verstorbene Frau und Weisse Feder zusammen gewoben,“ erklärte Schwarzes Pferd, als er sah wie Nathalies Blick bewundernd daran hängen blieb. „Natürlich kannst du die Vorhänge jederzeit öffnen, wenn du willst. „Oh nein danke...“ stotterte das Mädchen, irgendwie seltsam bewegt. „Es ist schön, so wie es ist. Die Vorhänge sind wunderbar!...“ „Dann...gefällt es dir?“ fragte Schwarzes Pferd mit fast kindlicher Unsicherheit. „Aber...natürlich sehr. Danke!“ Die Blicke der beiden begegneten sich und auf einmal glaubte Nathalie, das Schmetterlinge in ihrem Bauch tanzten. „Dann...sollten wir mal etwas essen!“ wechselte der junge Indianer das Thema. „Wir kochen über dem Feuer, es ist ein einfaches Leben hier. Eine Dusche und die Toilette ist übrigens gleich neben dem Hintereingang in einem kleinen Schuppen.“ „Ich zeig sie dir!“ meinte Weisse Feder spontan und nahm Nathalie zu deren Erstaunen bei der Hand. „Die Toilette ist sehr modern und ich achte immer darauf, dass sie sauber ist. Meine Mama sagte immer: „Etwas vom wichtigsten, wenn man Gäste hat ist eine saubere Toilette. Sie arbeitete lange im Haushalt von europäischen Leuten, die nach Amerika ausgewandert sind. Dort hat sie viel über deren Kultur und Lebenssicht gelernt. Sie hat mir alles beigebracht. Wir leben jetzt ja auch schon eine ganze Weile hier auf der Farm von Mr. Smith. Er ist ein sehr netter Mann und kommt manchmal auch zu uns auf Besuch. Vater ist sein bester Mann, wenn es um Pferde geht. Dad's Pferd „Shining star“ (Glanzstern) befindet sich übrigens hinter dem Haus in einer Koppel. Er ist über Nacht immer hier, unter Tags lassen wir ihn meist auf die grosse Koppel mit den andern Pferden...“
Weisse Feder führte Nathalie mit diesen Worten zu einer schmalen, hölzernen Hintertür. Als sie diese öffneten, wehte ihnen ein kalter Wind entgegen. Es war Nacht geworden, nur noch ein dunkelroter Steifen erhellte den Horizont. Nathalie atmete tief auf und...auf einmal fühlte sie, wie vertraut ihr dieses Land doch schon war. Die anfängliche Angst vor dem Unbekannten war einem Gefühl tiefer Geborgenheit und innerem Frieden gewichen. Sie hörte in der Stille der Nacht, das ferne Schnauben der Pferde und das leise Plätschern eines Brunnens und...auf einmal fühlte sie sich zu Hause...
Der genannte Schuppen, war gleich an die Hausfassade angebaut. Als sie ihn betrat, staunte Nathalie sehr. Die Toilette war wirklich so wie sie es sich von der Schweiz her gewöhnt war, sie war sehr sauber geputzt. In einem Becken lagen heisse Steine, die eine angenehme Wärme verströmten. Darauf lagen einige Holzstücke, die einen feinen, harzigen Duft verbreiteten. Neben der Toilette befand sich eine kleine Dusche, mit separatem Boiler, was das Mädchen ziemlich erstaunte. Sogar an weiche Handtücher und Waschlappen hatte man gedacht. Es war richtig heimelig. „Dad und ich haben das nur für dich gemacht,“ sprach weisse Feder und der Stolz in ihrer Stimme war nicht zu überhören. „Wir wollen dass du dich wohl bei uns fühlst. Vater sagt, du habest noch eine harte Zeit vor dir, denn du musst deine Wurzel und deine Vision finden. Das kann sehr anstrengend sein. Grossvater wollte, dass du hier darauf vorbereitet wirst. Darum arbeitest du eine Weile mit den Pferden, sie helfen dir dabei, deine Kraft zu finden...Willst du jetzt noch „Shining star“ sehen?“ „Ja gerne.“ „Er ist gleich da hinten!“ Weisse Feder führte Nathalie zu einem Zaun. Dort befand sich ein dunkles Pferd. Wegen dem schwachen Licht konnte die junge Frau nicht erkennen, ob es schwarz oder d'braun war. Sogleich als sie sich der Koppel näherten, spitzte das Tier, das vorher reglos und mit gesenktem Kopf dagestanden hatte die Ohren und trabte leise schnaubend auf sie zu. Nun erst sah Nathalie warum dieses Pferd den Namen „Shining star- Glanzstern“ erhalten hatte. Es hatte nämlich einen weissen Fleck auf der Stirn, der sich wie ein Stern vom dunklen Fell abhob. Weisse Feder streichelt das Tier liebevoll und sprach: „Glanzstern war einst ein wilder Mustang. Vater hat ihn gezähmt und zugeritten. Er ist nur ein sehr gutes Pferd, das sogar mich auf seinen Rücken lässt.“ Nathalie betrachtete die stattliche Grösse des Tieres, seinen muskulösen Körperbau und stellte sich vor, wie klein die zierliche Gestalt des Indianermädchen auf seinem Rücken wirken mochte. Sie streckte ebenfalls die Hand aus und liess Glanzstern erst ausgiebig ihre Hand beschnuppern, bevor sie ihm über das weiche Fell streichelte. Das Tier liess es geschehen. Eine Wärme zog in Nathalies Herz ein, während sie die geschmeidigen Halsmuskeln unter ihren Fingern spürte. Sie hatte Pferde schon immer ausserordentlich geliebt und sie freute sich sehr mit diesen edlen Geschöpfen zu arbeiten. Sie dachte an Schwarzes Pferd und ihre Freude wurde noch verstärkt, wenn sie daran dachte, dass er ihr erster Lehrmeister auf der Suche nach ihrer Bestimmung sein würde...