Dieser blieb einen Augenblick lang ratlos stehen. Er wusste nicht was er genau tun sollte. Schliesslich entschloss er sich, alles für die kommende Nacht herzurichten. Er suchte Feuerholz, das er unter der Öffnung in der Höhle aufschichtete und schnitt sich drei Stäbe, zwei längere und einen etwas kürzeren zurecht. Diese Stäbe sollten als Stützpfähle für ein kleines dreieckiges, auf einer Seite abfallendes Dach dienen, das er aus einer der Decken bildete. Als er dieses im hintern Teil der Höhle aufgestellt hatte, richtete er sich in dessen Schutz ein Nachtlager ein. Es bot einfach etwas mehr Geborgenheit, als wenn er einfach so in der Höhle geschlafen hätte. Ausserdem würde durch die Öffnung in der Decke doch stets ein ziemlich kühler Wind blasen, das provisorische Dach schütze ihn dagegen.
Als alles fertig war, setzte er sich hinaus vor die Höhle und blickte über das, an eine Mondlandschaft erinnernde Umland. Die Badlands waren faszinierend. Sie fielen eigentlich von der Landschaft der Great Plains ab, anstatt daraus empor zu steigen. Es war Marc als hätte er ein anderes Reich betreten, ein Reich das auf der einen Seite an ein Totenreich erinnerte, auf der andren Seite aber doch eine unbeschreibliche Lebendigkeit und besondere Heiligkeit besass. Immer mehr begriff er, warum den Indianern dieses Reich heilig war, es schien als verbinde es zwei Welten miteinander, die Sichtbar und Unsichtbare.
Was sollte er hier nun also tun? Snakeman hatte gesagt er sei hier um mit dem Grossen Geist sprechen. Doch was sollte er diesem sagen? Was für Antworten galt es zu finden? „Suche deine Sonne!“ hatte Frank gesagt. Doch wie sollte Marc das bloss anpacken? Er begann zu grübeln und zu grübeln und kam doch nicht zu einem richtigen Ergebnis.
So entschloss er sich einfach etwas die Natur zu beobachten.
Weit über ihm kreiste ein Weisskopfadler, an einem der gegenüberliegenden Hügel, erblickte er sogar eine Herde Dickhornschafe. Eine Schlange schlängelte sich zwischen den nahen Felsen hindurch, auf der Suche nach etwas Sonne. Marc wusste nicht was für eine Schlange es war. Ihre Schuppen glänzten in den unterschiedlichsten Braun-tönen. Sie war sehr schön gezeichnet. Der junge Mann beobachtete sie mit einer Mischung aus Ekel und Bewunderung. Er war diesen Tieren immer sehr zwiespältig gegenüber gestanden. Er mochte sie nicht besonders, aber trotzdem faszinierten sie ihn irgendwie.
Vor seinem Innern Augen tauchte auf einmal eine Szene auf, eine Szene worin eine braune Schlange eine wichtige Rolle gespielt hatte. Sie kam tief aus seinem Unterbewusstsein, wo die Erinnerungen längst vergangener Zeiten schlummerten. Doch er dachte nicht weiter darüber nach, denn seine Aufmerksamkeit wurde plötzlich von etwas anderem in Anspruch genommen. Ein fuchsähnliches Tier mit einem schwarz- beige-schwarz meliertem Fell war auf einmal ganz in der Nähe aufgetaucht. Marc verhielt sich ganz still und beobachtete es. Es war ein Kojote!
Der junge Mann staunte über die Zutraulichkeit des Tieres und machte eine Bewegung. Der Kojote wich etwas zurück, verschwand aber nicht. Er fixierte Marc mit seinen braunen, samtenen Augen, als wolle er ihm etwas sagen. Der junge Mann holte etwas Dörrfleisch hervor und warf es dem Tier hin. Dieser zögerte einen Moment und machte einen Schritt auf das Fleisch zu. Dann jedoch hielt er erneut inne. Es schien als wolle er sich vorsichtig antasten, um ganz sicher zu gehen, dass ihm keine Gefahr drohte. „Ich tu dir nichts,“ sprach Marc. „Nur keine Angst!“ Er liess dem Tier die nötige Zeit, bis es sich entschloss den Happen, allen möglichen Gefahren zum Trotz, doch zu fressen und freute sich wie ein Kind darüber. Der Kojote wohl selbst erschrocken über seine Kühnheit, drehte sich blitzschnell um und lief davon. Etwas traurig schaute ihm Marc nach. Sowas hatte er noch nie erlebt.
Nach einer eher unruhigen Nacht allein in der Höhle, wollte Marc hinunter zum Bach gehen, um sich zu waschen. Er zog sich ganz nackt aus, denn hier war er ja ganz mit sich allein. Als er seine Arme unten beim kleinen Becken in das kühle Nass tauchen wollte, hielt er auf einmal inne. Da war er wieder, der Kojote! Er trank ein Stück weiter oben aus dem Bach. Als er Marc sah, blickte er ihn erneut tiefgründig an, verschwand aber nicht. Der Junge bedauerte, dass er nichts zu essen bei sich hatte. Doch er musste es sowieso einteilen, wenn es ihm für die restlichen Tage reichen sollte. Er verspürte jetzt schon eine unangenehme Flauheit im Magen, denn er hatte seit seiner Ankunft hier kaum etwas zu sich genommen. Der Kojote schien jedoch anderes im Kopf zu haben. Er kümmerte sich nicht mehr um den Menschling der ihn beobachtete, sondern begann Jagd auf die kleinen Fische im Bach zu machen. Es war lustig mit anzusehn, wie er manchmal mit allen Vieren in die Luft sprang und die Fischlein zu packen suchte. Nicht selten verlor er dabei auch mal das Gleichgewicht und landete dann mit dem Bauch im kühlen Nass. Dann schüttelte er sich und Wassertropfen spritzten nach allen Seiten. Es kam Marc vor, als betrachte das Tier das Ganze mehr als ein Spiel, als eine Jagd. Manchmal musste er herzlich lachen, wenn er die wilden Possen des Kojoten beobachtete. Irgendwie schloss er dieses Tier immer mehr ins Herz. Was ihn besonders berührte war das Vertrauen, dass dieses ihm entgegenbrachte. Es liess sich durch ihn gar nicht stören, das war schon einzigartig.
Den ganzen Tag blieb der Kojote dann in der Nähe der Höhle, immer mal wieder erschien es irgendwo. Als Marc draussen vor der Höhle ein Feuer machte, kam er herbeigetrabt, liess sich eins Stück weit weg vom Feuer nieder und beobachtete Marc unverwandt. Sein Blick drang bis tief in Marcs Herz vor und brachte etwas in seinem Innern zum Klingen. Auf einmal fühlte er sich als Teil dieser Umgebung, als Teil der ganzen Welt. Während er diesem Kojoten so gegenüber sass und sie sich gegenseitig musterten, schien eine weitere Grenze in ihm zu fallen. Er hatte plötzlich das Gefühl verwandt mit diesem Tier zu sein. Und aus seinem Herzen stieg eine Stimme empor: Alles ist Eins, es gibt keine Trennung! Doch schon meldete sich wieder sein Verstand: Unsinn, Tier und Menschen sind vollkommen verschieden! Dieser Kojote will nur etwas zu fressen, nur deshalb ist er hier! Doch diesmal gebot Marc der Stimme seines Verstandes Einhalt. „Alle sind Eins,“ flüsterte er und dachte bei sich: „Das spüre ich deutlich. Für mich ist dieser Gedanke nicht fremd. Er ist mir sogar sehr vertraut. Aber warum nur? Kann es doch sein, dass ich ein Animal Rider bin, wie Snakeman es sagte?“ Wieder wollte der Verstand aufbegehren, doch hier war kein Ort des Verstandes, es war ein Ort der Seele. Marcs Seele barg tiefes Wissen in sich, Wissen das er nun immer mehr zu ergründe glaubte. Das alles hatte einen tieferen Sinn, nichts geschah zufällig. Ohne es bewusst zu tun, trat er in inneren Dialog mit seinem Verstand. „Du nimmst dich immer viel zu ernst,“ sprach er zu ihm. „Du bist es, der mein Leben viel zu sehr prägt.“ Und der Verstand gab ihm eine erstaunliche Antwort: „Tja, da könntest du recht haben. Doch du bist es der mich stets nährte und pflegte.“ „Das werde ich in Zukunft nicht mehr in so ausgeprägter Weise tun,“ gab Marc mit seltsamer Entschlossenheit zurück. „Es wird Zeit das ich meine Seele mehr pflege. Lass mich also in Ruhe, wenn ich dich nicht brauchen kann!“
„Ein guter Entschluss,“ vernahm Marc nun auf einmal eine andere Stimme. Er schaute sich um woher sie kam und sein Blick blieb an dem Kojoten hängen, der immer noch da sass und ihn unverwandt anblickte.“ „Was um alles in der Welt...! erwiderte er auf telepathischem Wege. „Hast du etwa mit mir geredet?“ Es war als würde ein verschmitztes Lächeln über das Gesicht des Tieres huschen. Doch... das musste eine Täuschung sein. „Ja,“ kam die promte Antwort, die zweifellos von Seiten des Kojoten herrührte. „Ich habe schon länger versucht mit dir zu sprechen, doch du hast mich nicht gehört.“ „Du... hast versucht mit mir zu sprechen? Aber... du bist doch ein wildes Tier!“ „Das stimmt. Normalerweise bin ich auch sehr scheu, doch an dir habe ich ein Zeichen wahrgenommen, das in mir ein Gefühl der Vertrautheit wachrief. Ich habe dieses Zeichen bisher nur an wenigen Menschen gesehen. Es scheint... als wären wir irgendwie verwandt, als würden wir uns schon ewig kennen. Es erinnert mich an eine Zeit, die weit, weit zurückliegt. Damals als die Erde noch jung war und meine Vorfahren noch frei durch die Wildnis streiften, ohne Furcht vor den Menschen...“ „Es ist seltsam, doch so ein ähnliches Gefühl hatte ich auch.“ „Ich weiss. Ich habe deine Gedanken gesehen. Du hast dich entschlossen dem Herz mehr Raum zu geben. Das ist sehr gut so.“ Marc erwiderte „Ich muss einfach mal einen Schritt weitergehen. Mein bisheriges Leben... war irgendwie nie wirklich erfüllend. Hier in diesem Land habe ich etwas gefunden, das ich schon längst glaubte verloren zu haben.“ Der Kojote blickte über das weite, bizarre Land der Badlands und es war, als würde er weit in die Vergangenheit schauen, wo sein und auch Marcs Ursprung lag... „Dieses Land ist erfüllt vom Atem unserer Vorfahren, deiner und meiner;“ hörte der junge Mann die Stimme des Tieres in seinem Innern. „Hier liegen unsere Wurzeln, unsere Seele...“ „Auch meine Seele?“ fragte Marc. „Ja, auch deine. Du spürst es doch auch.“ „Ja und doch ist es schwer zu glauben.“ „Du musst es nicht glauben, sondern fühlen!“ gab der Kojote zurück. „Das Leben besteht nicht nur aus dem Denken, es ist viel mehr als dass...“ Er erhob sich nun und wandte sich zum Gehen. „Wirst du wiederkommen?“ fragte Marc. „Ganz bestimmt.“ „Also bis dann!“ Der Kojote erwiderte nichts mehr und verschwand hinter dem nächsten Felsen... Marc aber blieb fassungslos zurück...