Nathalie erging es ähnlich. Noch immer konnte sie nicht glauben, in was sie da Einblick erhalten hatte. Der Wolf war mit ihr in ihre Vergangenheit gereist, da war sie sich ganz sicher und doch...war da wie bei Marc immer wieder der Verstand, der das für unmöglich hielt. Wenn sie nämlich wahrlich in die Vergangenheit gereist war, in jene Zeit als sie noch zu den Allessehenden gehört hatte, gab es kaum mehr Zweifel, dass sie wirklich eine Animal Riderin war. Das erschien ihr immer noch so unfassbar, dass sie sich immer wieder fragte, ob sie sich dieses Erlebnis nicht nur eingebildet hatte. Allerdings war es so real gewesen... so eindrücklich, dass sie wiederum kaum glauben konnte, das sie solch eine Einbildungskraft besass. Irgendwie brauchte sie jemanden mit dem sie sprechen konnte. Doch sie war hier ja ganz alleine nur mit Blackfeet. Mit Blackfeet! Ja klar! Warum nicht mit ihm reden? Vielleicht gelang es ihr diesmal wieder, wenn sie es von Herzen wollte. Schon wieder beschlichen sie leise Zweifel. Und... wenn es nun doch nicht mehr ging? Ausserdem schlief ihr Pferd ja und sie wusste nicht, ob sie es wecken durfte. Dennoch sehnte sie sich nach der beruhigenden Nähe Blackfeets. So erhob sie sich leise und ging sachte zu ihm hin. Als sie dicht neben ihm stand, ging eine Bewegung durch den warmen Pferdekörper und sie glaubte im Dunkel seine Augen glänzen zu sehen. „Es tut mir leid... das ich dich wecke,“ sprach sie zu ihm und irgendwie fühlte sie sich den Tränen nahe. „Aber...ich weiss einfach nicht was ich tun soll, was mit mir passiert. Ich weiss einfach nicht mehr was ich mir einbilde und was Wirklichkeit ist...“ Blackfeet stupste sie sanft mit seiner weichen Nase an und sie spürte seinen warmen Atem. Und dann... glaubte sie seine Stimme ein weiteres Mal zu vernehmen: „Du quälst dich viel zu sehr. All das was passiert hat einen tieferen Sinn. Was immer du erlebst, es will dir etwas sagen. Nichts ist zufällig, auch wenn vor allem die Menschen gerne von Zufall reden. Für uns Tiere gibt es diese Zufälle nicht. Alles ist Einer grossen Ordnung unterworfen. Wir alle sind Teil dieser Ordnung, auch du. Wovor fürchtest du dich denn so?“ „Davor dass ich einem Hirngespinnst nachjagen könnte. Alle sagen mir, ich sei eine Animal riderin, alle reden davon, was für besondere Fähigkeiten ich habe. Gerade traf ich ein weiteres meiner innern Totem Tiere, ein Wolf. Er führte mich...in die Vergangenheit, in meine Vergangenheit als Allessehende, die zwischen der Welt der Tiere und der Welt der Menschen wandeln konnte. Alles was ich sah, scheint mir so unglaublich und... trotzdem habe ich irgendwie das Gefühl etwas müsse dran sein...Ach ich weiss auch nicht! Es ist so verworren!“ „Vielleicht machst du es verworrener als es wirklich ist,“ sprach Blackfeet. „Du willst immer Beweise, eine Bestätigung dafür, dass das alles stimmt, weil du es dir tief im Innern auch wünscht. Doch vielleicht solltest du dich darauf besinnen, was dir an Schönem zuteil wird. Nimm einfach alles an was dir begegnet, ohnen eine Wertung zu machen. Versuche weniger zu denken und mehr zu fühlen und aus diesem Gefühl heraus zu handeln. Vertraue dich dem Fluss des Lebens einfach an, dann wird er dich stets zu richtigen Ort tragen...“ Nathalie vernahm diese Worte voll Weisheit, die aber eigentlich keine Worte waren, wie sie sie kannte, sondern mehr Bilder, Gefühle die ihr von Blackfeet zuflossen und die ein verborgener Teil in ihr zu Worten formte. Immer wieder erstaunte es sie, welch klare Botschaften ihr die Tiere übermitteln und, wie es Marc bei dem Kojoten ergangen war, fühlte sie genau, dass irgendeine Mauer in ihr fiel.
„Du hast recht Blackfeet!“ sprach sie tief berührt. „Ich sollte einfach alles auf mich zukommen lassen. Ob ich nun wirklich diese Animal riderin bin, oder auch nicht, spielt doch eigentlich keine Rolle. Wichtig ist, was ich aus all dem mache, was ich erfahren darf. Ich danke dir! Ich bin so froh, dass du da bist.“ Es freut mich auch, dass du da bist. Doch nun wird es Zeit für dich endlich zu schlafen.“ „Darf ich bei dir in der Nähe bleiben?“ „Wenn du möchtest...“ Das Pferd ging in die Knie und legte sich zu Nathalies Freude so hin, dass sie gemütlich bei ihm anlehnen konnte. Sie zog die Decken näher heran und deckte sich damit zu. Den warmen Pferdekörper der sich unter dem regelmässigen Atem Blackfeets hob und senkte, im Rücken spürend, schlief das Mädchen dann selig ein.
Am nächsten Morgen, als die goldenen Sonne alles in wundersames Licht tauchte, erwachte Nathalie. Sie sass noch immer gegen Blackfeet gelehnt und ihr war, als wäre sie in dieser Nacht neu geboren worden. Alles erschien ihr wie ein wunderbarer Traum, der sie in den tiefsten Tiefen ihres Seins verändert hatte. Sie erhob sich langsam und ging zur Tür, deren oberer Teil wie ein Fenster geöffnet werden konnte. Es musste noch früh sein, denn die Stallungen lagen noch still da, noch kaum ein Mensch war zu sehen. Nathalie atmete tief auf, als wolle sie alles hier in sich aufsaugen. Ein kalter Wind blies, doch er wurde durch das Vordach des Stallgebäudes etwas gedämpft.
Blackfeet erhob sich ebenfalls und trottete neben das Mädchen. In seinen Augen lag irgendwie ein anderer Ausdruck. Es kam Nathalie vor, als hätte die gemeinsame Nacht sie und ihr Pferd wirklich mehr zusammen geschweisst. Sie tätschelte seinen Hals und meinte dann: „Ich glaube ich gehe dann mal zurück ins Haus. Wir sehen uns dann später wieder.“ Sie packte alles zusammen und trat hinaus auf den Hof, worüber nun die Bise in ihrer ganzen Stärke blies. Fröstelnd schloss sie ihre Jacke und ging hinüber zu Jonathans Haus.
Als sie dort ankam, empfing sie Wandernder Bär lächelnd. Schwarzes Pferd war nirgends zu sehen und Weisse Feder schlief noch. Nathalie freute sich ihren Lehrmeister wieder zu sehen und nahm nur zu gerne das einfache Frühstück entgegen, dass er selbst zubereitet hatte. Der warme Kaffee lockerte ihre steifen Muskeln und eine wohlige Wärme zog in ihren Körper ein. Sie glaubte noch nie bisher so glücklich gewesen zu sein und genoss nun alles doppelt so sehr. Sie fühlte sich von einer Last befreit und das...verdankte sie ihrem Pferd Blackfeet!
„Was war eigentlich gestern Abend mit Jonathan los?“ riss sie Wandernder Bär aus ihren schwelgerischen Gedanken. „Er war irgendwie vollkommen durcheinander, nachdem er dich zu Blackfeet gebracht hatte. Ich habe ihn noch nie so gesehen, jedenfalls erinnere ich mich nicht daran.“ Nathalie dachte an den magischen Moment, als sie und der Indianer sich fast geküsst hätten und ihre Bauchmuskeln zogen sich wieder zusammen, wie so oft wenn sie an ihn dachte, oder mit ihm zusammen war. Dennoch stellte sie sich ahnungslos, indem sie mit den Schultern zuckte. „Ihr versteht euch wirklich gut, nicht wahr?“ fragte Jack sie mit einem schelmischen Glitzern in den Augen. „Ja-a, wir mögen uns wirklich, das stimmt.“ „Wohl doch etwas mehr als mögen, denke ich.“ Nathalie grinste verlegen und nickte. „Nun...jedenfalls ist mein Sohn heute sehr früh aufgestanden, er sagte, er wolle noch etwas vorbereiten, für... dich.“ „Für mich?“ „Ja. Was auch immer das sein mag.“ Nathalies Neugier war angestachelt und sie fragte: „Aber was könnte er für mich vorbereiten? Weisst du es nicht?“ „Nein, er liess mich auch im Unklaren darüber. Doch etwas läuft da...“ Er rückte nun etwas näher zu ihr heran, wie ein alter Freund und meinte leise: „Jonathan ist wirklich ein guter Junge und... er verschenkt sein Herz nicht leichtfertig, auch wenn er stets auf alle einen sehr charmantern Eindruck macht. Viele Mädchen hatten schon Interesse an ihm, aber...er hat sich seit dem Tod von Windblume nicht mehr auf eine andere Frau eingelassen. Dich aber..., sieht er auf ganz besondere Weise an. Es erinnert mich an jenen Blick, den er erst einmal hatte und zwar eben bei seiner ersten Frau. Du bist drauf und dran sein Herz zu erobern Nathalie, sei dir dessen bewusst!“ „Er... ist auch daran mein Herz zu erobern,“ gab Nathalie leise zurück und senkte etwas verlegen den Blick.“ Ein Strahlen erhellte das Gesicht des alten Indianers. „Das freut mich sehr...wirklich,“ sprach er. Dann aber wurder er ernst: „Was ist mit... Marc?“ „Marc? Was hat jetzt der damit zu tun?“ „Denkst du nicht sehr oft an ihn?“ „Nein...kaum noch. Er hat seine Chance vertan. Er bedeutet mir nichts mehr, auch wenn ich eine Zeit lang glaubte er sei der Richtige. Doch seit ich Jonathan kenne... ist die Erinnerung an ihn verblasst. Ich glaube nun, das Jonathan der bessere Mann ist.“ „Nun ja... Marc ist auch kein schlechter Kerl.“ „Was soll das jetzt heissen Ate(Vater)? Schwarzes Pferd ist doch dein Sohn, was nimmst du Marc in Schutz?“ „Oh ich möchte nur, dass du ihm nicht feindlich gesinnt bist. Natürlich freut es mich ausserordentlich, dass mein Sohn dein Herz erobert...“
Er hielt plötzlich inne, denn ein wundersamer Musik drang an ihre Ohren. Sie stammte von einer indianische Flöte. Es klang zugleich wehmütig und doch erfüllt von Freude. Die Töne schwangen sich empor wie silberne Wellen, die tief in Nathalies Herz drangen. Es war, als wäre diese Melodie nur für sie bestimmt. Sie glaubte in ihr den Klang ferner Wellen zu vernehmen, das Rauschen eines Märchenwaldes, den Gesang der Vögel und das sanfte Auf-und Abfallen einer grünen Hügellandschaft. Es war ihr Wesen, das diese Melodie besang. Der der sie spielte, musste sie sehr gut kennen.
„Das ist Jonathan...“ flüsterte Wandernder Bär. „Er spielt nur für dich. Bei uns Indianern ist es Brauch, dass die Männer für ihre Angebetete spielen. Es ist ihm wirklich ernst mit dir!“ Nathalies Herz tat einen Freudensprung und sie wollte am liebsten gleich aus dem Haus laufen, um sich bei Jonathan zu bedanken, doch dann entschied sie anders. Sie ging zum Fenster und öffnete dieses. Ein Stück entfernt stand Jonathan. Tief in sich gekehrt spielte er auf der Flöte, seine Augen waren dabei geschlossen, als wolle er sich für die Inspiration öffnen, die ihm dabei half seine tiefsten Gefühle für Nathalie auszudrücken. Diese Gefühle waren so wundervoll, so voller Innigkeit, dass dem Mädchen Tränen in die Augen stiegen, während sie andächtig lauschte. „Er wird noch einmal für dich spielen,“ sprach Jack „und das dritte Mal, wird er eine Decke über den Schulten haben. Wenn du diese Decke nimmst und um dich legst, heisst dass, dass du bereit bist Jonathans Gefährtin zu sein.“ „Ist das eine Art Verlobung?“ fragte Nathalie nun doch etwas unsicher geworden. „Das muss nicht unbedingt sein, ihr habt ja noch etwas Zeit. Doch solltest du die Decke nehmen, seid ihr offiziell ein Paar.“ „Das... ist ein wunderschöner Brauch,“ flüsterte Nathalie. „Ja, das ist es. Nun lausche aber auf dein Lied. Es ist wirklich einzigartig!“ Ja, das war es wahrhaftig, noch nie glaubte die junge Frau etwas Schöneres gehört zu haben! Jonathan spielte nur für sie, für sie ganz allein, es war wie im Traum.
Schliesslich setzte der junge Indianer seine Flöte ab und schaute auf, als ob er selbst gerade aus einem Traum erwachen würde. Ihre Blicke kreuzten sich und wieder schienen ihre Herzen im Gleichklang zu schlagen. Als Jonathan dann wieder zurück ins Haus kam, sprach Nathalie leise: „Das war wunderschön.“ Der Indianer lächelte etwas verlegen , sagte aber nichts. Das Mädchen spürte den Impuls ihn zu umarmen und zu küssen, doch sie fühlte, dass sie nichts überstürzen durfte. Das Ganze war ein Ritual, mit dem ihr Schwarzes Pferd seine Liebe beweisen wollte. Es war Brauch, das sich die Frau anfangs etwas zurückhielt und eigentlich war das auch gut so. „Frühstück?“ fragte sie und der Indianer nahm dankend an. Weisse Feder war mitlerweile auch aufgestanden und schon bald war wieder ein munteres Gespräch im Gang. „Wie ist es dir eigentlich diese Nacht ergangen?“ fragte Jack und Nathalie erzählte, was sich alles zugetragen hatte. Die andern hörten gefesselt zu.
Schliesslich mussten sie sich wieder an die Arbeit machen. Nathalie ging mit Jonathan erneut zu den Stallungen, um Blackfeet zu holen. Immer wieder schauten sie sich an und lächelten sich zu. Bei der Arbeit berührten sich immer wieder ihre Hände. Flüchtig nur, doch wenn es geschah durchzuckte es Nathalie wie ein Blitz. Die Gefühle, die die beiden füreinander empfanden, hatten sich noch verstärkt. Sie wurden leidenschaftlicher, intensiver. Bei der Arbeit fehlte die Konzentration. Zum Glück war Blackfeet ein verständnisvolles Pferd. Nathalie glaubte in ihrem Bauch und ihrem Herz tobe ein Sturm. Sie schaute den eindrücklichen Indianer an ihrer Seite an, seine dunklen Haare glänzten in der Sonne, sein bronzebrauner Körper, weckte in ihr bisher ungekannte Gefühle. Sie dachte nun wirklich nicht mehr an Marc. Er wirkte blass, im Gegensatz zu diesem edlen, sanftmütigen, liebevollen Mann, der hier bei ihr war und... für sie allein auf der Flöte gespielt hatte. Es war eine Liebeserklärung gewesen, eine wundervolle Liebeserklärung, die ihr bisher nie jemandem gemacht hatte.