„Nathalie!“ eine vertraute Stimme riss das Mädchen aus seinen Gedanken. Sie drehte sich erfreut um und vor ihr stand Jonathan! „Jonathan! Du bist da!“ rief sie überglücklich und fiel ihm um den Hals. Sie küssten sich lange und leidenschaftlich, als hätten sie sich schon Jahre nicht mehr gesehen. Nathalie fühlte tiefes Glück und Geborgenheit in den Armen ihres Liebsten. Nun war alles wieder in Ordnung!
„Ich habe dich überall gesucht,“ sprach der junge Indianer, der heute einen warmen, gefütterten Wildledermantel und eine sportliche, braune Wintermütze trug. „Marc ist aufgewacht, gerade vorhin. Ich wollte es dir noch sagen.“ „Er ist aufgewacht!“ rief Nathalie erfreut aus. „Dann gehen wir also zurück zum Haus?“ „Ja, Marc murmelte gleich als er aufwachte deinen Namen. Ich glaube er braucht dich jetzt.“ Als der Indianer das sagte, musterte Nathalie sein Gesicht. Doch sie konnte keine besonderen Emotionen darin erkennen. Wühlte ihn das Ganze vielleicht gar nicht so auf, wie sie befürchtet hatte? Jonathan lächelte leicht, als er ihren prüfenden Blick sah und nahm sie bei der Hand. „Komm! Wir schauen mal wie es ihm geht!“
Marc wusste noch nicht das Nathalie bereits auf dem Weg zu ihm war. Er hatte ihren Namen gesagt, als er gerade erwacht war, denn er wollte schnellstmöglich mit ihr sprechen. Zuerst hatte er sich noch nicht so gut zurechtgefunden. Er wusste nicht wo er war und wie er hergekommen war. Doch Snakeman erklärte ihm die wichtigsten Einzelheiten. Von Nathalie sagte er jedoch noch nichts. Die ganze Situation war nicht einfach zu erklären und Marcs Mentor wollte diesen nicht sogleich nach seiner Rückkehr mit Kummer belasten. All das würde sich sowieso bald von selbst aufklären, wenn Nathalie mit Jonathan hierher kam.
Als die Tür aufging und kalte Winterluft zu Marc vordrang, fühlte sich dieser einen Augenblick lang wieder in die dunkle Höhle zurückversetzt, wo ihn diese Schlange gebissen hatte. Er fröstelte, ob wegen dieser schlimmen Erinnerung, oder der tatsächlichen Kälte, die vom Eingang her wehte, konnte er nicht genau sagen.
Doch als er sah, wer da zur Tür hereinkam, machte sein Herz einen kleinen Hüpfer. Es war tatsächlich Nathalie! Zuerst glaubte er zu träumen, oder einem weiteren Fieberwahn verfallen zu sein, doch als sie zu ihm ans Bett kam und ihn freundlich anlächelte, wusste er, sie war real. Sie wirkte auf ihn noch schöner und strahlender als jemals zuvor. Bei ihr war ein junger, gutaussehender Indianer, der wohl etwas älter als er selbst war. Er machte einen freundlichen Eindruck, doch als er seinen Arm leicht um Nathalie legte, begriff Marc, dass dieser wohl etwas mehr für Nathalie sein musste, als nur ein Freund. Einen Moment lang, ergriff ihn ein tiefer Schmerz. Da hatte er nun endlich erkannt, wie falsch er sich Nathalie gegenüber verhalten hatte und wollte alles wieder gut machen und nun hatte sie scheinbar bereits einen anderen gefunden. Sogleich jedoch tadelte er sich selbst für seine Eifersucht, denn schliesslich hatte er sich dass ja selbst zuzuschreiben.
Nathalie beugte sich nun über ihn und sprach: „Ich bin sehr froh, dass es dir besser geht Marc. Wir haben uns grosse Sorgen um dich gemacht. Zum Glück haben Snakeman und der Arzt gewusst was zu tun ist. Sonst ginge er dir jetzt nicht so gut.“ Sie umarmte ihn leicht, doch er konnte die Umarmung noch nicht richtig erwidern, da sein Arm immer noch in der Schiene lag. Das ärgerte ihn ein wenig und er lächelte verlegen. „Bald werde ich dieses Ding los, aber zur Zeit bin ich noch etwas unbeweglich.“ „Das macht doch nichts, Hauptsache du wirst wieder ganz gesund,“ erwiderte Nathalie. Jonathan reichte Marc nun seine Hand und sprach: „Ich bin Jonathan Blackhorse, es freut mich auch, dass es dir besser geht.“ Um den fragenden Blick von Marc zu beantworten, sprach Nathalie. „Jonathan und ich, sind seit kurzem ein Paar. Ich habe bei ihm und seiner Tochter gewohnt. Einige Kilometer von hier entfernt, auf einer Pferderanch. Mein Mentor hat mich hergebracht. Er heisst Wandernder Bär. Scheinbar wurdest du auch von einem indianischen Mentor aufgesucht?“ „Ja,“ erwiderte der Angesprochene erstaunt. „Von Snakeman. Wo ist er eigentlich?“ „Er kommt gleich. Du und ich, wir scheinen ja dem selben uralten Geschlecht der Animalrider anzugehören. Eigentlich schon etwas verrückt das Ganze, aber ich glaube es ist etwas dran.“ Marc zögerte und sein Blick fiel prüfend auf Jonathan. Nathalie sprach „Er weiss davon. Wir können vor ihm frei reden. Er hat mich dabei unterstützt einen Mustang zu zähmen, das trug zum Ausgleich meines Medizinschildes bei.“ „Warst du auch schon auf Visionssuche?“ „Nein noch nicht, aber irgendwann werde ich das noch nachholen. Ich habe ja sonst schon genug erlebt in den Zeiten, wo ich hier bin.“
„Ich musste hinaus in die Wildnis und da hat mich die Schlange auch gebissen.“ „Ich weiss. Das musste ich bisher noch nicht.“ „Es scheint so, als hättest du das bessere Los gezogen als ich,“ grinste Marc. Snakeman hat mich ziemlich gefordert.“ „Ja, vermutlich weil du ein Mann bist,“ witzelte Nathalie und das Lächeln, das dabei auf ihrem Gesicht erschien hatte Marc schon von Anbeginn stets verzaubert. Sie wirkte glücklich, sehr glücklich und das hatte vermutlich mit Jonathan zu tun, der nun ebenfalls lächelte und sie liebevoll anblickte. Er schien auch von ihrem Lächeln verzaubert zu sein. Mann, warum war er nur so dumm gewesen? Wieder wühlte sich die Eifersucht durch seine Eingeweide, er riss sich jedoch mit aller Kraft zusammen und sprach etwas gepresst: „Ja, scheint so. Nun, dieser Vision Quest hat mir wenigstens eine Menge vor Augen geführt.“ „Wir haben sicher mal Zeit uns darüber ausführlicher zu unterhalten,“ gab Nathalie zurück „aber jetzt musst du dich noch schonen. Ich bin froh, geht es dir besser.“ Sie wandte sich zum Gehen. Marc widerstand dem Drang, sie an der Hand zurück zu halten. Doch er konnte ihr all das, was er ihr hatte sagen wollen, nicht mehr sagen, weil jetzt Jonathan da war. Er wollte sich keinesfalls vor selbigem eine Blösse geben. So hob er etwa unbeholfen die gesunde Hand zum Gruss und schaute wehmütig zu, wie seine grosse Liebe mit einem anderen Mann das Krankenzimmer verliess.