„Ich glaube, er liebt dich mehr als ich dachte,“ sprach Jonathan, als er und Nathalie ausser Hörweite waren. „Er hat dich so angeschaut... Es ist nicht zu übersehen.“ „Das kümmert mich aber nicht,“ gab Nathalie zurück. „Ich habe meine Entscheidung getroffen. Du bist meine grosse Liebe und er wird daran nichts mehr ändern können. Egal was er mir sagen will, oder was er tun mag. Egal was man uns über diese angeblich einstige Seelenverwandtschaft zwischen Marc und mir erzählt, ich spüre, dass ich dich will.“ „Aber wir werden lange getrennt sein, das weisst du. Du musst in die Schweiz zurück und vielleicht kommen du und Marc, euch dann wieder näher.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ „Ich habe ehrlich gesagt doch ziemliche Angst Nathalie…“ meinte Jonathan und lehnte sich nachdenklich gegen ein Scheunentor. Darüber lag ein Dachvorsprung, an welchem Eiszapfen hingen, die im Sonnenlicht funkelten. „Eure Liebe ist wie diese Eiszapfen, strahlend, schön und einzigartig. Ich glaube ich kann da nicht auf Dauer mithalten…“ „Denk aber daran, sobald es zu warm wird, schmelzen die Eiszapfen. Eiszapfen sind nicht sonderlich beständig mein Liebster. Doch das was uns verbindet ist es.“ „Ach ich weiss nicht…“ „Bist du dir etwa meiner Liebe nicht mehr sicher?“ fragte Nathalie traurig. „Ich weiss zwar, dass ich dich mehr als alles liebe Nathalie, ich würde für dich sterben, ich würde durch tausend Höllen für dich gehen. Doch eure Beziehung ist schon viel älter.“ „Wir sollten uns wirklich nicht immer an der Vergangenheit aufhalten, das Jetzt zählt ja schliesslich. Ich habe einfach das Gefühl, dass auch wir schon einen sehr langen Weg zusammen haben und darauf vertraue ich.“ Jonathan schaute schweigend auf seine Schuhe, welche von Schnee leicht überpudert waren. Er schien sehr bekümmert. Nathalie spürte tiefe Traurigkeit in sich und legte ihre Hand auf seinen Arm. „Hab doch einfach etwas Vertrauen, ok?“ sprach sie. „Ich versuche es, aber es ist nicht leicht! Kannst du mir denn ganz klar sagen, dass du nichts mehr für Marc empfindest?“ Nathalie zögerte wohl etwas zu lange, denn ganz verneinen konnte sie eine gewisse Zuneigung für Marc nun doch nicht. In Jonathans Augen tauchte Verbitterung auf. „Ich wusste es doch… du liebst ihn doch noch immer!“ „Nein! Das stimmt nicht!“ erwiderte Nathalie verzweifelt. „Ich mag ihn zwar, mehr ist da aber nicht mehr!“ „Ich kann das nicht!“ Die Stimme des Indianers zitterte leicht. Er konnte einfach nichts gegen seine Unsicherheit tun. Er konnte es nicht ertragen, hier auf Nathalie zu warten, während sie mit ihrer einstigen, grossen Liebe im selben Land lebte und darauf hoffen, dass alles gut werden würde. Marc würde sie zweifellos versuchen zurück zu erobern und irgendwann würden ihre Gefühle für selbigen wieder die Oberhand gewinnen. Er dachte wieder an die Worte von Wandernder Bär zurück, die ihn ermahnt hatten, nicht zu viel Hoffnung in die Beziehung mit Nathalie zu setzen: „Ich würde es mir von Herzen wünschen, dass ihr zusammenbleibt, doch ich möchte einfach nicht, dass du zu tief verletzt wirst, sollte sich Nathalie doch einst für Marc entscheiden. Jener hat wohl seinen Weg verloren, hat viele Fehler gemacht, doch Snakeman sagte mir auch, dass er erstaunliche Fortschritte macht und das sehr schnell. Er hat schon eine Vision gefunden, im Inipi. Das hat Grosses in ihm ausgelöst. Wenn er sich einst so verändert hat, dass er wieder sein tiefstes Wesen entdeckt, wird er Nathalie anders begegnen und...vielleicht kommen dann die uralten Gefühle wieder hoch. Ich will dich einfach vor zu grossem Schmerz bewahren, auch wenn du mich im Augenblick dafür hassen magst…“ Vermutlich hatte er recht gehabt. Damals jedoch, war Jonathan noch nicht direkt mit Marc konfrontiert worden. Nun aber, sah es anders aus. Der junge Schweizer hatte eine ganz besondere, anziehende Ausstrahlung und es würde ihm bestimmt gelingen, Nathalie über kurz oder lang zurück zu erobern. Davon war Jonathan überzeugt. Denn er selbst lebte einfach zu weit weg. So eine Distanz, machte oft mehr aus, als man dachte. Er wollte diese Schmach auf keinen Fall erleiden. Er liebte Nathalie unsagbar, doch die Umstände waren ihm nicht günstig gesonnen. Die junge Schweizerin, hatte schliesslich nicht deutlich verneinen können, dass sie für Marc noch Gefühle hegte. Sein Herz raste und er begann sich alles auszumalen, was passieren konnte, während er hier in Amerika auf eine Frau wartete, die vermutlich eh nicht zu ihm zurückkehren würde. Und wenn sie auch einst zurückkehren würde, es war schwieriger als man dachte, ganz auszuwandern. Vor allem an einen Ort wie diesen, wo es noch viel zu viel Elend gab. Sie war glücklicher in der Schweiz und Marc war die gleiche Nationalität wie sie und ausserdem selbst ein Animalrider. Das verband die beiden mehr als es mit Jonathan, je der Fall sein konnte. Es war nur logisch, dass er zurücktrat und sie ihren Weg weiter verfolgen liess. Er war nur ein Hindernis für Nathalies vollständiges Erwachen zur Animalriderin. Marc konnte sie in jeglicher Hinsicht besser unterstützen und hatte wie gesagt, viel mehr mit ihr gemeinsam.
Er richtete sich abrupt auf und stiess ihre Hand weg. „Nein! Das hat keinen Zweck! Ich muss dich gehen lassen, damit du deinen Weg ungehindert fortführen kannst!“ Nathalie blickte ihn erschrocken an. „Was… meinst du damit… mich gehen lassen? Willst du etwa…“ Tränen stiegen ihr in die Augen „willst du etwa… Schluss mit mir machen?“
Ein Schmerz den Jonathan noch nie bisher erlebt hatte, überkam ihn und er rief verzweifelt: „Ja, wir beide wissen, dass es das einzig Richtige ist!“ „Was… aber...?“ Nathalie erstarben die Worte auf den Lippen und auch ihr Herz wurde von unsagbarem Schmerz zusammengepresst. Es war ihr als würde eine tonnenschwere Last auf ihr liegen. Sie konnte kaum noch atmen. Das alles kam so vollkommen überraschend. „Es muss so sein!“ schrie Jonathan und lief davon.
„Nein! Jonathan! Warte!“ Nathalie lief ihm hinterher und wollte ihn festhalten, doch er hob abwehrend die Arme. „Lass mich einfach! Mach es doch nicht noch schwerer, als es sonst schon ist. Es ist besser so.“ „Das kannst du doch nicht einfach machen!“ Nathalies Stimme schwoll an. „Gerade noch waren wir so glücklich und nun… überreagierst du in solchem Masse? Das ist doch Blödsinn!“ „Besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende! Ich will nicht so lange auf dich warten, um dann vielleicht zu erleben, dass du dich trotzdem für Marc entscheidest! Das würde ich nicht ertragen!“ „Aber deswegen gleich Schluss machen! Bisher war das doch gar kein Thema.“ „Es hat sich einiges verändert! Ich habe Marc nun gesehen und ich weiss dass er dich versuchen wird zurück zu erobern. Ihr gehört nun mal zusammen. Das hat schon mein Vater gesagt. Er hat damit wohl recht.“ „Was redest du bloss für einen Blödsinn! Wir bestimmen doch unser Schicksal selbst, das hast du doch selbst gesagt!“ „Ja, aber da ist etwas zwischen dir und Marc, das einfach stärker ist, als ich dachte! Ich will das nicht, ich kann das nicht! Bitte akzeptiere das. Es ist schlussendlich besser für uns alle.“ „Was gibt dir das Recht zu bestimmen, was für uns alle das Beste sein soll? Ich will mich nicht von dir trennen, versteh das doch!“ „Aber ich mich von dir. Bitte lass mich einfach!“ Jonathan stapfte schnellen Schrittes durch den Schnee davon. Nathalie aber blieb wie paralysiert zurück.