19. Kapitel
Er war nun schon wieder einige Zeit vergangen, seit Nathalie in die Schweiz zurückgekehrt war und sie ging nun wieder ihrem alten Tagewerk nach. Dennoch es war nicht mehr dasselbe, nichts mehr war dasselbe. Es war der jungen Frau oftmals zu Mute, als wäre ein Teil ihrer Selbst in den USA zurückgeblieben. Sie hatte schreckliche Sehnsucht nach den weiten Ebenen, den wilden Hügeln und den freundlichen Menschen in South Dakota. Doch am allermeisten, sehnte sie sich nach einem besonderen Menschen und dieser, hatte sich bis heute, nicht mehr bei ihr gemeldet. Mit Wandernder Bär stand sie noch regelmässig in Kontakt und er berichtete ihr manchmal ein wenig von den aktuellsten Neuigkeiten und auch von Jonathans Zustand. Jonathan, so erzählte er, sei nicht mehr derselbe, seit er Nathalie verlassen hatte. Er war distanzierter, kühler und Nathalies Mentor meinte, dass er das Ganze wohl auch nicht so einfach wegstecke. Nun, wenigstens schien es Jonathan auch nicht gänzlich kalt zu lassen.
Dennoch, er hatte kein Interesse mit ihr zu sprechen und es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als einfach ihr Leben weiter zu führen. Zur Zeit hatte sie genug davon, sich mit irgendwelchen Animalrider Themen auseinander zu setzen. Der Kummer war noch zu gross und in gewisser Weise, gab sie auch diesem Animalrider Kram die Schuld, am Scheitern ihrer Beziehung mit Jonathan.
Gerade sass sie traurig zu Hause und stocherte lustlos in des Lasagne herum, die sie auf dem Heimweg noch kurz gekauft hatte. Sie musste sich noch immer zum Essen zwingen und hatte darum auch ein paar Kilo abgenommen. Da sie schon immer recht schlank gewesen war, wirkte sie nun beinah hager. Ihre Urgrossmutter Mondblume hatte ihr zum Glück eine Flasche ihrer selbstgebrauten Medizin mitgegeben, welche Nathalie wenigstens etwas half, ihr Gemüt zu stabilisieren. Ohne diese Medizin wäre sie vermutlich wieder in eine ihrer tiefen Depressionen verfallen. Sie fühlte sich zwar immer noch hundeelend, doch ohne die Medizin wäre es noch schlimmer gewesen, davon war sie überzeugt.
Sie nahm ihr Handy und surfte ein wenig auf Facebook und Instagram herum. Schon lange hatte sie nichts mehr gepostet. Sollte sie mal ein paar neue Bilder von ihrem Aufenthalt in South Dakota reinstellen? Ja warum eigentlich nicht, so konnte sie sich ein wenig ablenken.
Als sie Facebook öffnete schaute sie, was sich alles so getan hatte. Auch Jonathan besass einen FB Account, nur verwendete er ihn kaum. Sie blieb an seinem Profilbild hängen und spürte erneut tiefe Trauer in sich aufsteigen, als sie das braungebrannte Gesicht ihres einstigen Liebsten sah, umrahmt von seinen wunderschönen, langen und glänzenden Haaren. Seine dunklen Augen leuchteten und auch wenn es nur ein Foto von ihm war, drangen sie tief in Nathalies Herz. Sie schluchzte auf und Tränen liefen ihr plötzlich über die Wangen hinab. Zuerst weinte sie nur leise, doch dann immer lauter und verzweifelter. Ihr ganzer Körper wurde durchgeschüttelt. All das war so schrecklich, so unsagbar traurig! Sie wollte Jonathan wiederhaben. Sie konnte nicht begreifen, dass es vorbei sein sollte.
Und… in diesem Augenblick läutete das Telefon! Sie überlegte, ob sie überhaupt abheben sollte, denn gerade fühlte sie sich ausserstande, mit jemandem zu sprechen. Sie blickte auf das Display und sah, dass es Marc war, der sie anrief. Sie hatte seine Nummer einst eingespeichert, vielleicht damals, als sie sich das erste Mal getroffen hatten? Was wollte er von ihr? Sollte sie reagieren? Sie kämpfte mit sich. Einerseits hatte sie keine Lust, doch andererseits… vielleicht war es ja wichtig und es tat vielleicht auch ganz gut, mal mit einem anderen Animalrider zu sprechen. Ausserdem war es mit Jonathan eh vorbei. Er hatte es so entschieden und sie musste sich wieder dem Leben zuwenden.
So riss sie sich zusammen und hob ab. „Hallo Mac!“ sie versuchte unbeschwert zu klingen. „Hej Nathalie, schön dass ich dich erreiche. Ich wollte dich einfach mal fragen, wie es dir so geht.“ „Ganz gut… nun ja den Umständen entsprechend,“ gab sie ehrlich zu. „Also noch immer nicht so gut,“ Marcs Stimme klang mitfühlend. „Ja so schnell geht das nicht, aber lass und jetzt nicht darüber sprechen! Wie war dein Start so, nach deiner legendären Vision Quest?“ „Nun, so legendär war die auch wieder nicht, immerhin habe ich es geschafft, mich am Ende noch von einer Albino Schlange beissen zu lassen. Wenngleich dies viel zu meiner inneren Entwicklung beigetragen hat. Ich hatte während ich dem Tode so nahe war, ein sehr wichtiges Erlebnis, dass mir bis heute nachgeht. Ich würde gerne mal mit dir darüber austauschen und vielleicht magst du auch ein wenig von deinen Erlebnissen berichten. Ich frage, weil ich gerade wieder in St. Gallen, bei einem Freund bin und so dachte ich, ich könnte dich noch einmal zum Essen einladen, um ein wenig von meinem blöden Verhalten, dass ich damals nach unserem ersten Treffen, dir gegenüber hatte, wieder gut zu machen. Ich habe viel nachgedacht und ich bin wirklich ein anderer geworden.
Ich arbeite auch immer noch an mir. Snakeman und ich stehen weiterhin in Kontakt und er unterweist mich auch noch immer, wenn auch zur Zeit gerade über Skype oder Telefon. Ich werde baldmöglichst wieder in die USA zurückkehren, um meine Ausbildung zum Animalrider, dort weiter zu führen. Es ist noch lange nicht abgeschlossen. Es gibt noch so viel zu lernen. Dich mal wieder zu treffen und auszutauschen, wäre sicher ein Anfang. Was meinst du dazu?“ Nathalie dachte einen Moment lang nach, doch die Idee war gar nicht so schlecht. Sie musste ja nicht alles erzählen und es interessierte sie auch, was Marc so zu berichten hatte. Zudem war er eine Gelegenheit, um mal wieder etwas raus zu kommen, nachdem sie sich nur noch daheim verkrochen hatte. Sie wollte aufhören, ständig Trübsal zu blasen und das Leben wieder mehr geniessen, ein gutes Essen kam ihr da gerade recht.
So verabredeten sie sich in einem feinen Restaurant am Gallus Platz. Dieses war ziemlich edel eingerichtet und auf den Tischen lagen blütenweisse Tischtücher und Stoffservietten. Marc hatte es diesmal für sie ausgesucht.
Es gefielt Nathalie sehr und nach ein, zwei Gläsern des feinen Weines, der ihnen serviert wurde, vergass sie dann sogar etwas ihren Kummer und wurde richtig redselig. Sie berichtete, über ein paar ihrer Erlebnisse, auf ihrer spirituellen Reise und Marc hörte ihr gefesselt zu. Tatsächlich hatte sich seine Ausstrahlung sehr verändert, er hatte wohl wirklich viele Erkenntnisse gewonnen. Seine Augen begegneten den ihren immer wieder und es war offensichtlich klar, dass er mehr für sie empfand, als nur Freundschaft. Irgendwas hatte sich auch da verändert und Nathalie musste sich eingestehen, dass sie nicht unberührt davon blieb. Das nächste Glas Wein, sorgte wohl auch dafür, dass sie Jonathan wenigsten ein Bisschen aus ihren Gedanken verbannen und Marc offen und fröhlich begegnen konnte. Sie flirteten sogar ein Bisschen. Nathalie fand, dass sie, nachdem Jonathan sie so verletzt hatte, auch das Anrecht auf etwas Spass besass.
Schliesslich erzählte auch Marc von seinen Erlebnissen und die junge Frau war zutiefst bewegt davon. Seine Erfahrungen waren scheinbar noch intensiver gewesen, als ihre. Besonders die Geschichte, welche er nach dem Schlangenbiss erlebt hatte, war unglaublich.
Mit grossen Augen, folgte sie seinen Ausführungen und ohne, dass sie es wollte, fühlte sie sich mehr und mehr zu ihm hingezogen. „Das mit dem Blick in die Vergangenheit, das war ja gewaltig!“ sprach sie. "Du weisst also, dass du einst in einem früheren Leben, von Schlangen totgebissen wurdest? Und dennoch tauchte diese Regenbogenschlange, als einer deiner wichtigsten Lehrer auf. Hast du wirklich Teile von dir weggegeben, die dich behindert haben und nur noch jene behalten, die dich weiterbringen?“ „Ja, die mich weiterbringen und die auch wirklich zu mir gehören, jenseits aller Prägungen und destruktiver Muster.“ „Und ich war da und wurde auch von den Schlangen bedroht?“ „Ja, doch du konntest dich retten, auf einen Klippenvorsprung.
Was dann passiert ist, ich weiss es nicht. Aber eins ist mir durch all diese Dinge absolut klar geworden…“ Er nahm auf einmal ihre Hand und schaute ihr tief in die Augen. „Ich erkannte, dass du meine Sonne bist, dass du jene bist, die zu mir gehört und das kann ich einfach nicht vergessen.“ Er nahm ihre Hand, hob sie an die Lippen und küsste sie. Nathalie war schlagartig wieder nüchtern und zog ihre Hand erschrocken zurück. „Das führt jetzt aber zu weit Marc!“ sprach sie, auf einmal wütend geworden. „Du weisst, dass ich mit Jonathan zusammen war und ich… habe ihn noch lange nicht vergessen. Ausserdem habe ich noch Hoffnung, dass er es sich nochmals anders überlegt. Jetzt kommst du einfach daher und machst mir irgend so eine Liebeserklärung, nur weil wir mal in einem weit, weit zurückliegenden Leben, sowas wie ein Dualpaar gewesen sein sollen und ich zu dir gehöre, weil ich… deine Sonne bin? Aber so einfach ist das nicht! Ich habe da auch noch ein Wörtchen mitzureden und das ist nun wirklich der falsche Moment, sowas zu mir zu sagen. Es tut mir leid, wenn ich dir ein falsches Bild vermittelt habe, weil ich mich einfach sehr mit dir verbunden fühlte und mich deine Geschichten auch wirklich berührt haben. Doch mein Verstand ist noch hellwach und ich… werde jetzt gehen.“ Sie warf ihm ein paar Geldscheine hin, um klar zu machen, dass sie ihr Essen gedachte, selbst zu bezahlen und verliess wütend das Restaurant.