„Idiot!“ fluchte Marc Keller, als ein anderer Autofahrer ihn auf der Autobahn Richtung St. Gallen übeholte, viel zu schnell wieder einfädelte und ihm so den Weg auf gefährliche Weise abschnitt. „Na dem werd ich‘s zeigen!“ Angestachelt von seinem Ärger, drückte Marc das Gaspedal seines roten Opels durch, zog an dem rücksichtslosen Fahrer vorbei und schnitt diesen ebenfalls. Der andere hupte und schien sich auf einen Machtkampf einlassen zu wollen, doch diesmal siegte bei Marc die Vernunft und er wechselte auf die rechte Spur. „Mercedes- Fahrer!“ murmelte er noch etwas verächtlich vor sich hin, dann konzentrierte es sich wieder auf die Fahrbahn.
Marc war ein schlanker, hochgewachsener junger Mann, mit dunkelbraunem, ziemlich langem Haar. Dieses band er meist zusammen, zumindest im Alltag. Seine Augen glänzten in einem tiefen Braun, seine Nase war markant wie die eines Römers und sein voller Mund ziemlich breit. Das störte aber nicht weiter. Er sah gut aus, hatte auch ein ganz besonderes Charisma. Eigentlich war er friedliebend, ausser es gingen ihm wie eben, die emotionalen Pferde durch. Beim Autofahren passierte das noch öfters. Wenn er wütend war konnte Marc ziemlich unerbittlich sein und wenn man ihn angriff, blieb er selten etwas schuldig. Eigentlich war es eher seine Art verbale Schlachten zu führen, doch das brachte ihm öfters als gewollt, ziemlichen Ärger ein. So kam es schon mal vor, dass er ein blaues Auge kassierte, oder dann gar selbst eins hinterliess. Danach schämte er sich aber meistens und fragte sich, wie er es nur so weit hatte kommen lassen können. Er verfiel dann meist in eine melancholische Stimmung und zerfleischte sich selbst, weil er wiedermal nicht den Mund hatte halten können. Sein Gerechtigkeitssinn war aber nun mal stark ausgeprägt.
Ruhe fand er wieder, wenn er sich seiner grossen Leidenschaft den Indianern widmen konnte. Er hatte das ganze Bücherregal voll mit Werken über dieses Volk und bewunderte vor allem deren Handfertigkeit im Herstellen von Waffen und Instrumenten. Er fertigte sogar selbst verschiedenste Gegenstände an, natürlich genau nach indianischem Vorbild. Daneben joggte er auch noch etwas und machte leichtes Krafttraining. So besass er auch einen ansehnlichen Körperbau.Gerade richtig, fand wohl das weibliche Geschlecht, denn die meisten Frauen, bekundeten grosses Interesse an dem 26-jährigen, den stets ein Hauch von Abenteuer und Magie zu umgeben schien.
Allerdings hatte er es bisher nie lange bei jemandem ausgehalten. Oder die Frauen hielten es nur kurz bei ihm aus, denn er war trotz seines guten Herzens eine zwiespältige Persönlichkeit, welche viele Gegensätz in sich trug. Marc war auf der einen Seite ein Mann, der sich viele Gedanken machte und sich sehr gut in das einfühlen konnte, was andere empfanden. Andererseits brachten ihn sein Freiheitsdrang und seine oftmalige Taktlosigkeit nicht selten in Teufels Küche. Wie bereits erwähnt, war er auch oft melancholisch und dann konnte er sich in Abgründe begeben, die den meisten unheimlich vorkamen. Marc wollte alles am eigenen Leibe erfahren. So hatte er sich in jüngeren Jahren schon zu einigen Dummheiten hinreissen lassen. Doch so langsam wurde er etwas abgeklärter.
Seine Stärke war es, aus allem was ihm begegnete eine Lehre zu ziehen, was ihm schon zu erstaunlichen Entwicklungschritten bewegt hatte.
Er wohnte eigentlich im Züricher Oberland in einem kleinen Städchen namens Rüthi, doch diesmal wollte er nach St.Gallen zu einem alten Freund. Dieser hatte ihm erzählt dass gerade eine sehr schöne Indianerausstellung im Völkerkundemuseum St. Gallen stattfand. Das wollte sich der indianerbegeisterte Marc natürlich nicht entgehen lassen und da er gerade etwas Urlaub hatte, nutzte er die Gelegenheit.
2.Kapitel
Nathalie würde auch bald Urlaub haben. Nur noch die kommende Woche und dann konnte sie dem Museum eine Weile den Rücken kehren. Auch wenn sie gerne hier arbeitete, gab es doch Tage, da fühlte sie sich etwas unterfordert, besonders wenn es kaum Leute hatte. Das war am Sonntag aber nicht der Fall. Es fanden dann auch Führungen statt, die sie sogar leiten durfte. Das gefiel ihr besonders.
Heute waren viel Familien gekommen, um an der ersten Führung teilzunehmen. Einige Einzelpersonen waren darunter. Wie üblich liess Nathalie ihren Blick über die Anwesenden schweifen, um in etwa ihre Anzahl abzuschätzen.
Auf einmal blieben ihre Augen an einer Person hängen. Es war ein junger Mann, etwa in ihrem Alter. Als sie ihn ansah und er ihren Blick erwiderte, durchzuckte es sie wie ein Blitz. So einen besonderen Mann war ihr noch nie begegnet! Jedenfalls erschien es ihr so, weil sie sich sofort tief mit ihm verbunden fühlte und er in ihr Gefühle zum Klingen brachte, die sie bisher noch nicht kannte.
Ihre Erfahrungen mit Männern waren eher dürftig. Sie hatte bisher erst zwei Freunde gehabt. Den ersten als sie 16 war und den zweiten mit 22 Jahren. Beides waren keine schlechten aber auch keine besonders guten Partnerschaften gewesen. Nathalie's Ansprüche waren mit den Jahren auch gestiegen.
Darum ärgerte sie sich fast darüber, dass dieser Mann sie so aus der Fassung brachte. Doch da war etwas, etwas Unerklärliches zwischen ihnen, eine tiefe Vertrautheit, fast als würden sie sich schon lange kennen. Ihn schienen ähnliche Gefühle zu bewegen, was sie aus seinem Blick lesen konnte. Gewaltsam riss sie sich von seinem Gesicht los und sprach an alle Museumsgäste gewandt: „Ich heisse sie herzlich willkommen zu unserer Indianderaussellung, mein Name ist Nathalie Egghalder...“
Souverän führte die junge Frau die Gäste durch die Ausstellung. Marc musste zugeben dass er beeindruckt war, obwohl er schon sehr viel wusste.
Dieses Mädchen gefiel ihm sowieso. Es hatte eine ganz besondere Wirkung auf ihn. Sie strahlte so etwas aus... er konnte es nicht richtig beschreiben. Als ob sie ihm schon lange vertraut wäre. Irgendwie glaubte er eine verwandte Seele in ihr gefunden zu haben.
Er wollte sie unbedingt näher kennenlernen. Darum sprach er sie am Ende des Rundganges an: „Eine sehr interessante Führung, vielen Dank. Ich bin ein grosser Indianerfan. Ich fertige selbst Indianerbogen und Tomahawks. Auch Trommeln habe ich schon gemacht.“ Nathalie blickte den gutaussehenden Mann etwas misstrauisch an. War das nun eine geschickte Anmache? Sie kam aber schnell zum Schluss, dass sie ihm das was er sagte, abnehmen konnte. Er sah ja selbst fast wie ein Indianer aus und seine Augen blickte absolut aufrichtig. So liess sie sich von seiner offensichtlichen Begeisterung anstecken und erwiderte: „Wirklich? Das finde ich toll. Leider fehlt mir jegliches handwerliche Geschick. Mich fasziniert einfach die Kultur. Bedauerlicherweise wurde sehr Vieles von den weissen Einwanderern zerstört. Es ist schrecklich was da alles passierte. Manchmal glaube ich tief im Herzen mitzuempfinden was die Indianer durchmachten. Es ist oft...als würde ich in der Zeit zurückversetzt, besonders jetzt, da diese Ausstellung hier ist...“ Marc hing gebannt an ihren Lippen. Was sie sagte berührte ihn tief. Dass sie gerade ihm das anvertraute...Nathalie trat nun an die Vitrine mit dem Kalumet. „Vor einiger Zeit,“ flüsterte sie „passierte mir hier etwas Eigenartiges. Ich sah auf einmal einen weissen Büffel vor mir. Es war... so real, eben als würde ich in die Vergangenheit zurückreisen...“ „Die weisse Büffelkalbfrau!“ rief Marc erstaunt aus. „Was meinst du?“ „Die weisse Büffelkalbfrau brachte den Indianern, laut der Legende, das Kalumet. Es ist eigentlich Symbol für das Vereinen der männlichen und weiblichen Kräfte und des Friedens. Die weisse Büffelkalbfrau soll einst zwei Männern auf einem Hügel erschienen sein. Der eine Mann war böse, der andere gutherzig. Der Böse wurde von seinen Gelüsten überwältigt und lief auf das schöne Mädchen zu. Sie warnte ihn, aber er hörte nicht. So senkten sich Wolken auf ihn hernieder und als diese wieder verschwanden, war nur noch das Skelett des Mannes zu sehen. Die heilige Frau gebot dem Gutherzigen, seinen Stamm zusammen zu rufen und dann lehrte sie die Menschen die verschiedensten Zeremonien. Schliessliche enthüllte sie die heilige Pfeife und sprach: Wenn ihr als Stamm aufhört diese Pfeife zu verehren, werdet ihr aufhören eine Nation zu sein. Mit diesen Worten verschwand sie und die Menschen sahen nur noch eine weisse Büffelkuh über die Prärie laufen...“