Der Mittwoch war gekommen und mit ihm hatten sich Mirko und Mira angemeldet. Ich blieb etwas länger zu Hause um auf sie zu warten. Tommy war sofort nach dem Frühstück zu Moni gefahren, die auf die elektrochemische Behandlung nach Bücker zwar etwas bessere Blutwerte hatte, aber immer schwächer wurde.
Selina war auch schon in der Klinik. Besorgt rief sie mich an. "Michael, Monis Werte werden zwar schrittweise besser, aber sie wird immer schwächer." - "Meinst du...?" - "Ich weiß es nicht! Sobald das Mark typisiert ist, lass ich nach einem Spender suchen, aber Moni wird zusehends schwächer!" - "Glaubst du, dass ihr die Behandlungen zu stark werden?" - "Das befürchte ich fast!" - "Selina, wenn die Blutwerte aber besser werden, ist die Abfolge vielleicht zu schnell. Ich meine, das ist wie wenn sie die Heilung nicht überleben würde, weil es zu schnell geht und ihr Organismus nicht mit kann. Ich bin Techniker, ich weiß, dass ich wahrscheinlich medizinischen Blödsinn rede, aber vielleicht hilft es, die Dosis zu verringern und die Abstände zu verlängern." - "Das ist durchaus kein Blödsinn, Michael. Daran habe ich auch schon gedacht. Aber wenn sie im gleichen Tempo schwächer wird, verlieren wir sie!" - "Ach Gott! Das darf nicht sein!" - "Ich werde sie heute einmal nicht behandeln lassen und hoffe, dass sich ihr Organismus fängt! Das mit den längeren Abständen klingt logisch. Das ist unsere einzige Chance!" Der Tod dieses Mädchens wäre für Werner und Tom eine Katastrophe gewesen. Ich hoffte inständig, dass Selina das in den Griff bekäme.
Mirko und Mira waren angekommen. Ich führte sie in den Salon, wo die sommerliche Hitze nicht hinkam. Ich freute mich sehr und die Begrüßung fiel sehr herzlich aus. Eigentlich verrückt, dachte ich. Diese Leute muss ich einfach umarmen und bei ihnen wird mir ganz warm ums Herz! Gestern stand ich das erste Mal vor meinen leiblichen Eltern, was natürlich etwas hatte, aber bei Mira und Mirko stellte sich sofort dieses "endlich zu Hause - Gefühl" ein...
Ich erzählte den beiden, was alles vorgefallen war, seit wir sie vor eineinhalb Wochen verlassen hatten. "Ziehe am Besten gleich zu uns, bevor dich ein Herzinfarkt im besten Alter tötet, Micha!" So eine Meldung konnte nur von Mirko kommen. Ich liebte seine trockenen Kommentare. Georg war wieder gut zu Fuß und fragte, ob er uns etwas bringen dürfe, Maria hätte sicher eine kleine Stärkung für die Gäste parat. Sie lehnten nicht ab, denn sie waren so früh aus dem Haus gegangen, dass sie auf das Frühstück verzichtet hatten. Danach holte ich den Rover aus der Garage und fuhr mit den beiden in die Klinik. Seit ihrem letzten Besuch, hatte sich viel verändert. Als wir im Foyer ankamen saß Tom dort. Er wartete, bis er wieder ins Zimmer zu Moni durfte. Er erkannte die beiden sofort. "Mirko, Mira! ist das schön, euch wieder zu sehn!" Als Mira den Jungen sah, musste sie ihn einfach umarmen. "Ich freue mich so, dass ihr wieder klarkommt, Tommy! Ich hätte dich nicht erkannt!" - "Das glaub ich! Im Gegensatz zu dir habe ich mich verändert!" Auch Mirko begrüßte er herzlich. Tom durfte wieder zu Moni und wir gingen in mein Büro. "Guten Morgen Herr Montar! Die Post und die Unterschriftenmappe liegen auf ihrem Schreibtisch." - "Danke, Marion! Seien sie so gut und bitten sie meine Frau zu mir!" - "Gerne, Herr Montar!" wir gingen durch in mein Büro und Selina kam sofort nach und begrüßte die beiden. "Schade, dass uns ein so trauriger Anlass zusammen führt." - "Du hast recht Mirko, aber es hat auch sein Gutes, dass Horst endlich heimgehen durfte." - "Da hast du allerdings recht!"
Auch wenn ich ihn insgeheim ein Wenig gefürchtet Hatte, der Donnerstag schlich sich genauso unbarmherzig in mein Leben, wie jeder Vorangegangene. Wir frühstückten zusammen und Tommy meinte noch, er fahre nach Hause, weil er hier keinen Anzug dabei hätte, aber ich entließ ihn aus der Pflicht seines Versprechens. "Tom, ich weiß es zu schätzen, dass du mich auf diesem schweren Gang begleiten möchtest, aber du hast Horst nicht gekannt und in der Klinik hat jemand große Sehnsucht nach dir." - "Aber ich habe dir versprochen..." - "Es steht dir frei, zu Moni zu gehen, Tom. Der Wille geht fürs Werk!" - "Danke, Michael! Sie war gestern sehr schwach, weißt du? Es baut sie immer auf, wenn ich das Zimmer betrete." - "Dann tu das, mein Sohn!"
Begräbnisse und Verabschiedungen haben die Eigenschaft, mich ständig hoffen zu lassen, dass sie schnell vorbeigehen, doch wie befürchtet, war das wieder einmal nicht der Fall und wieder einmal weinte ich wie ein kleines Kind, obwohl ich doch so froh für Horst war, dass er nun in Frieden ruhen konnte. Alle verstanden, warum mir die Verabschiedung so nahe ging, hatte ich doch jahrelang an der Seite meines Mentors gelebt. Er war ein großartiger, großherziger Mann gewesen, der mir auch Alles hinterlassen hatte. Wir waren nur zu Viert gewesen. Selina, meine "Eltern" und ich. Als wir in der Wirtschaft saßen, hatten Mirko und ich noch allerhand Erlebnisse zu erzählen, die wir mit Horst gehabt hatten. Auf der Heimfahrt bat mich Mira, doch noch kurz in der Klinik vorbeizusehen, sie wollte meine Mutter kurz sehen. Natürlich kam ich ihrer Bitte nach und wir gingen zusammen hinein. Renate Montar war kurz davor, entlassen zu werden. Sie würde vermutlich wieder völlig genesen. Sie sah heute richtig gut aus. Sie saß mit Herbert im Foyer, als wir hereinkamen. "Mutter ich habe dir heute jemanden mitgebracht." Sie konnte es nicht glauben und wir hatten nicht mit ihrer Reaktion gerechnet. Sie sprang auf und fiel Mira um den Hals. Sie weinte bittere Tränen und entschuldigte sich für ihre Dummheit von früher. "Du weißt nicht, wie sehr du mir fehlst, Mira! Ich bin euch beiden unendlich dankbar, dass ihr meinen Michael so gut behandelt habt. Du warst die einzige echte Freundin, die ich je hatte und ich erkannte es erst, als du weg warst!" Auch Mirko umarmte sie nun. "Bitte verzeiht mir. Sogar Michael hat mir verziehen. Und ich heirate jetzt seinen Vater! Dann wird alles gut!"
"Ja, für dich Mutter!" dachte ich bei mir. Und ich gönnte ihr das auch. Aber ich machte mir Sorgen wegen Moni. Sollte es wirklich so sein, dass dieses junge Mädchen nicht mehr zu retten war. Dass mein armer Tommy, der erst seinen "neuen" Vater, dann seine Mutter verloren hatte, nun auch seine große Liebe verlieren sollte. Was konnte der Junge dafür, das das Leben so brutal ist? Einem Alles, dem Anderen gar nichts gibt? Konnte ich gar nichts für ihn tun? Und Werner, in dessen Schuld ich stand. Konnte es sein, dass wir, Selina und ich, die Hunderten verloren geglaubten Menschen schon geholfen hatten, diesmal versagten? Werner und Tom enttäuschen mussten? Auch dieses junge Mädchen dem Tod überlassen sollten, dem Tod, der den armen Horst solange nicht hatte haben wollen? Asche zu Asche, Staub zu Staub...? Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, gerade in diesem Fall absolut hilflos zu sein...