"Wo bin ich hier?", allmählich begann Felix wieder schärfer zu sehen.
Ein grauäugiges Wesen beugte sich über ihn und zuckte zurück, als er die Hand ausstreckte.
"Er ist wach", lachte es und wirbelte elegant um die eigene Achse. Schlagartig wurde er gewahr, dass es eine junge Frau in einem dunkelgrauen Bikini war, der sich von der hellen Haut abhob. Ein großer Sonnenhut zierte ihr Haupt und langes Haar quoll darunter hervor.
"WAAHHH!", er setzte sich ruckartig auf und blickte sich hektisch um. Das war nicht das Archiv, in dem er doch eben noch gewesen war. Er saß unter einer Palme und seine Finger berührten Sand.
"Wo bin ich hier?", er sah sich um. Erkannte Shanora, die ihr mehrfach geflicktes schwarzes Kleid gegen einen roten Badeanzug getauscht hatte, Zephyr, an dessen Arm eine dunkelhäutige Schönheit hing, deren Gesicht von einem großen Sonnenhut verborgen wurde und Finn, der in Badehose vor ihm stand und sich lässig auf einen Stecken stützte.
"Du hast dir den Kopf angestoßen", Finn zuckte mit den Achseln und zog eine enttäuschte Miene. Seine Schwester hatte ihn davon abgehalten, Felix weiter mit dem Stecken anzustupsen. Er hatte auch schon Pläne geschmiedet, was er alles noch tun könnte, wenn Felix nicht mehr aufgewacht war. All die schönen Experimente... Aber nein, dieser Kerl muss ja wieder zu Bewusstsein kommen. Ganz ohne seine Hilfe.
"Oh.", Felix kniff die Augen zusammen. Das Licht der Sonne blendete ihn und er war sichtlich verwirrt. Wie konnte auch in einem Gehirn die Sonne scheinen? Vielleicht halluzinierte er. Andererseits hatte er doch vorhin auch ein Feuer brennen sehen. Er schirmte seine Augen mit der Hand ab und sah sich eingehender um. Lachen erfüllte die Luft und er sah neben den bereits bekannten Gesichtern noch andere Leute. Wesen genauer gesagt. Sie alle schienen die Sommersonne zu genießen, die es hier gab und an seine Ohren drang das Rauschen des Meeres. Als Shanora beiseite trat, da sie merkte, wie er sich umsah, konnte er den blauen Streifen des Meeres erblicken und die Wellen, die über den Sand rollten. Sie waren tatsächlich an einem Strand.
"Ist alles in Ordnung?", fragte Shanora vorsichtig und ging neben ihm in die Hocke, "Es war so chaotisch im Archiv, dass wir dachten, wir bringen dich besser an einen sicheren Ort und das war der Erste, der uns einfiel."
"Mir gehts gut. Was genau ist passiert? Ich erinner mich an eine große Katze. Und daran, dass Kästen umfielen. Oh nein! Kästen! Kathys Erinnerungsvermögen. Ist alles in Ordnung mit ihr?", Felix sprang auf die Beine und packte Shanora an den Schultern, um ihr fest in die Augen zu blicken. Eine gute Antwort wäre ihm die liebste, aber er bezweifelte, dass es eine gab.
"Hey Junge", Zephyr berührte Felix' Schulter, "Es ist alles in bester Ordnung. Sie hat nur etwas Kopfweh, aber wir haben das Archiv schon aufgeräumt."
"Aufgeräumt? Wie lang war ich weg?", Felix ließ locker, als Shanora sich unter seinem Griff zu winden begann.
"Lang genug", erklärte das grauäugige Wesen und hielt ihm eine Flasche Wasser unter die Nase, "Trink mal und komm runter. Du redest wie meine Schwester, wenn die Skalaner vor der Haustür stehen. Also wirklich. So tragisch ist es nun auch nicht!"
"Schwester? Skalaner?", Felix nahm die Flasche, schraubte sie auf und nahm einen großen Schluck, bevor er die Frau genauer musterte. Graue Augen, dunkle Haare, blasse Haut und eine große Narbe, die sich vom Rücken über die Seite zu ihrem Bauchnabel zog. "Lad?"
"In Fleisch und Blut", kam es lächelnd von ihr und sie reichte ihm die Hand.
"Solltest du nicht... Ich weiß auch nicht, aber sie schreibt doch gerade an Aureniens Tale?", er schüttelte verwirrt ihre Hand, bemerkte wie auffallend kühl diese war, selbst bei der Temperatur, die an diesem Ort herrschte. Ihm war, je mehr er wieder Herr seiner Sinne wurde, schrecklich heiß.
Sie grinste schief und ließ die Hand sinken, "Wir brauchen auch ab und an Urlaub, Felix und dieses Jahr zog es uns irgendwie alle ans Meer. Willkommen auf der Insel."
Lad machte eine einladende Geste mit der Hand und fasste ihn dann unter, um ihn mit sich zu ziehen.
"Urlaub? Insel? Ich muss halluzinieren", murmelte er.
"Wir entspannen uns alles gerne mal. Manche mehr als andere", warf Zephyr erklärend ein, "Sherine und ich ziehen uns gern in unsere Privatgemächer zurück, wenn uns die ganzen Jungspunde zu lästig werden."
"Ich wander gern durch die Welten", Shanora verschränkte die Arme hinter dem Kopf, "Furias kommt hierher zum Angeln. Lad zum Schwimmen. Ladira kommt mit Keema her. Mari bevorzugt eigentlich einen blühenden Garten mit ihrem Teich, aber heute ist sie auch hier."
"Meine Schwester ist zum Glück ein Workaholic", lachte Lad auf, "Sonst wäre es wohl kaum möglich, dass Furias und Gwindor hier sind." Mit dem Daumen deutete sie auf zwei Dunkelelfen, die auf Felsen am Meeresrand saßen. Beide hielten provisorische Angelruten in der einen Hand und schüttelten die Fäuste gegen eine blaue Nixe, die sie mit Wasser bespritzte, während sie einem kleinen Elfenjungen das Schwimmen beibrachte.
"Nö. Sonst würden die beiden grillen", Finn gähnte und schob sich die Sonnenbrille zurück auf die Nase, "Sie kann sie echt nicht leiden."
"Wer kann das schon?", murrte Shanora, "Wenn Furias hier ist, dann ist kein Picknickkorb mehr sicher und man muss in ständiger Wachsamkeit verharren."
Lad blickte mit einem seeligen Lächeln hinüber zu den beiden Anglern und errötete bis zu den Haarwurzeln. Rasch ließ sie Felix' Arm los und tänzelte sich entschuldigend davon.
Ein Piepsen aus Zephyrs Hosentasche zog Felix' Aufmerksamkeit auf sich. "Was ist denn das?", er deutete auf das große Gerät, das Zephyr herausholte und einen Blick darauf warf. Es sah aus wie ein altes Funkgerät gepaart mit einem Smartphone.
"Feueralarm?", es war das erste Mal, das Sherine nun einen Ton von sich gab. Sie beugte sich mit ihrem Mann über das Gerät, "Ist Celles wieder Zuhause?"
"Sieht so aus", Zephyr drückte ein paar Knöpfe auf dem Gerät, "Partieller Gedächtnisverlust in der Fantasyabteilung. Scheint als wäre die Aufräumaktion nicht ganz so erfolgreich verlaufen, wie wir dachten."
"GEDÄCHTNISVERLUST?!", japste Felix, "Und ihr sagt das so als sei das nebensächlich??"
Zephyr hob den Blick vom Gerät. Seine Miene war ernst: "Nein, das ist kein gutes Zeichen, aber in Panik verfallen bringt nun auch nichts. Erst muss geschaut werden, was wirklich alles fehlt. Ich hoffe, die Insel ist sicher genug, dass hier zumindest nichts durcheinander wirbelt."
"Wo können wir denn schauen?"
"Du gar nicht. Du bleibst schön hier und passt auf, dass du uns nicht wegstirbst. Wir scheinen noch einen anderen Besucher zu haben."
"Aber... aber..."
"Kein aber! Kathy würde auch wollen, dass du in Sicherheit bist, wenn da draußen der Feuerteufel rumrennt und alles niederbrennt. Celles' Methode ist effektiv, aber ein wenig radikal. Sherine, Liebes, bitte hab ein Auge auf alle hier", Zephyr beugte sich vor und küsste seine Frau auf die Wange, bevor er das Gerät wieder in seine Tasche schob und sich zum Gehen wandte. Nach ein paar Schritten streckte er die Hand aus und machte die Bewegung, die man tat, wenn man eine Tür öffnete. Zu Felix Erstaunen öffnete sich tatsächlich eine Tür, durch die Zephyr verschwand.