Sie hörten das Unheil nahen, konnten jedoch aufgrund der umstehenden Bäume die Richtung nur erschwert ausmachen. Einer der Palisadenwächter vernahm Schreie, als kämen sie von zankenden Katzen.
Es bedurfte weder Anweisungen gar Befehle. Das südliche Tor wurde geöffnet und die Reiter ließen ihre Tiere voranpreschen.
»Hast du dich entschieden?«
Verwirrt schüttelte der Schütze zu seiner Rechten den Kopf. »Was?«
Er reduzierte seine Stimme auf ein Mindestmaß. Er wollte vermeiden, dass andere ihr Gespräch unbedarft belauschten. »Auf wessen Seite du stehen wirst?« Seine linke Hand glitt von einem der hölzernen Stämme und ruhte auf dem Griff eines Dolches. Seine Finger nestelten vorsichtig und vergewisserten sich des lockeren Sitzes.
Aus dem Augenwinkel beobachtete er seinen Gefährten. Dessen Stimme klang gequält jedoch klar und selbstsicher. Dennoch, ihm verlangte es nicht nach Täuschungen, egal welcher Art. »Ich verlor meine Geliebte ... und meinen ungeborenen Sohn.« Er drehte sich und hielt ihm den eigenen Dolch, mit der Spitze voran an jene Stelle, wo keine zwei Fingerbreit das Herz schlug.
»Auch wenn es in deinen Ohren nach Verrat klingt. Ich will diesen Bastard am Boden sehen.«
Die Nasenflügel seines Gegenübers bebten und sein Atem ging Tief aber entspannt. »Wenn es der Tag ist, an welchem sich ein jeder zu entscheiden hat, so werde ich auf jener Seite stehen, welche unseres Landes Banner trägt.«
Bestätigend der Worte erschollen tosende Laute. Unzählige Flügelpaare erhoben sich hoch in die Lüfte und fächerten in alle erdenkliche Himmelsrichtungen auseinander. Es waren Hunderte, wenn nicht gar Tausende.
»Vier sind entkommen.«
Rondals Mundwinkel zuckten resignierend, nickte indes. »Es wird nicht lange dauern, bis die Männer des Weilers nahen. Lasst uns verschwinden.«
»Was ist mit ihm und was war mit den Vögeln?«
Der Grenzländer sah hinüber zu Kayden und ein bitterer Geschmack sammelte sich unter seiner Zunge.
Ein Junge mit gerade einmal sechzehn Jahren hockte dort, gekleidet in der Montur eines Schattenjägers und wiegte eine leblose Frau in den Armen. Ausgerechnet diesem hatten die seinen zu verdanken einheitlich aufzutreten.
Notwendige Materialien wurden in mühsamen Unterfangen zusammengeklaubt und zu etwas verarbeitet, welches in vielen Herzen einen Funken der Hoffnung schürte. Auch die Soldaten Falkenaus tauschten kurz darauf das ihre. Rondal wusste woher all dieses wertvolle und dringend benötigte Material stammte, konnte und durfte jedoch kein Wort darüber verlieren. Einige Wenige ahnten es, wurde all dieses Zeugs doch durch ihre Hände und Mühen herbeigeschafft und in Verstecken abgelegt wie weitertransportiert.
Er wusste nicht mit Bestimmtheit durch wie viele mitwissende Hände jede einzelne Metallplatte oder streifen Leder ging, ihm war nur eines wichtig. Er hoffte, eines Tages bedingt seiner Bestrebungen seine geliebte Frau und Knaben wieder umarmen zu dürfen.
Ungehemmt kniete ein Junge vor ihr und hielt Alna weinend in den Armen. Wissend runzelte sie die Stirn, als sie Kayden betrachtete und versuchte, die auferzwungene Situation zu begreifen. Die Art sich zu kleiden schien ihr seltsam bekannt. Eines Abends, als sie sich in einem verlassenen Dorf in Obhut wiegten, kamen Männer.
Sie unterhielten sich, leise zwar, weil sie vermuteten, sie schliefe. Die unentwegt unbekannten Geräusche der Natur jedoch ließen ihre Sinne nicht den dringend benötigten Frieden finden.
Sie verstand nur Zusammenhangloses, aber an eines konnte sie sich erinnern, etwas, das noch immer einen Schauder hervorrief. Ihre Mutter sprach von einem seltsamen Traum, in welchem die Verstorbenen des toten Landes Zwiesprache mit ihr hielten. Eben jene Worte waren es, die sie ihr ins Ohr flüsterte, als sie auf der Schwelle des Todes stand.
Wir wissen, derer andere vergaßen und verleugnen. Findet das Blut, derer ihr einst teiltet und beendet die Fehden längst vergangener. Erkennen beginnt im Herzen, erst dann im Geiste. Erst wenn ihrer Pflicht bewusst, bindet die Bande erneut.
Egal was diese Worte bedeuten mochten, sie schienen ihr wichtig.
Dem Jungen liefen Tränen über die Wangen und verschmierten sein unlängst beschmutztes Antlitz. Seine braunen Haare glichen jener Alnas und sie erkannte gewisse Ähnlichkeiten.
Er begann zu flüstern. »Ma'. Nein Ma'. Bleib bei mir, du darfst nicht sterben, hörst du?« Liebevoll streichelte er ihr Gesicht und legte seine Wange immer wieder an die ihre.
Das musste Kayden sein, Alna hatte ihr eines Abends von ihm und seinem älteren Bruder erzählt. Sie hatte sich so unendlich gefreut, als Klarich ihr zugestand, sie und ihre Mutter hinter den Wald bringen zu dürfen. Am Rand der Baumgrenze würde jemand auf sie warten und hindurchgeleiten - so seine Worte.
Ihre Mutter hatte unlängst befürchtet, dass Kopfjäger ihrer Spur andächtig wurden, um beide zurück nach Thule zu eskortieren. Die ›göttliche Herrscherin‹ selbst wollte sich ihrer entledigen, aus welchem Grund, verschwieg man ihr.
Sie saß nur da und konnte nichts weiter tun, als den weinenden jungen Mann mitfühlend zu beobachten.
Ein unglückseliger Pfeil traf Alna zwischen Brust und Bauch und steckte ihr bis zur Hälfte im Leib. Mit der linken Hand hielt sie den Schaft des Geschosses. Mit jedem Atemzug quoll roter Lebenssaft durch ihre Finger und sie glaubte, winzige Bläschen darauf erkennen zu könne. Zweifelsfrei, der Pfeil musste ihre Lunge verletzt, wenn nicht sogar durchbohrt haben.
Die rechte, auch mit ihrem Blut verschmiert, hob sie mit letzter Kraft an die Wange ihres Sohnes. Ihre Stimme klang heiser und kraftlos, dennoch schwang die Liebe einer führsorglichen Mutter darin. »Kayden, mein Junge. Ic... li...e di...«
Ihre Lieder begannen zu flattern und ihre Hand rutschte ihm haltlos vom Gesicht.
Kiraas Augen wurden wässern, als sie den Schmerz in den Kaydens las.
Er presste seine Lieder fest zusammen, dennoch sickerten Tränen hervor. Sein Mund stand mit verzogenen Lippen offen und sein Unterkiefer bebte vor bitterer Qual. »Maaa«, schluchzte er schmerzerfüllt.