„Wie steht es eigentlich gerade um dich?“ Wie sieht es in dir aus? Sprach er mit einer ungewöhnlich klaren Stimme die ihr unter die Haut ging.
„Ich weiß es nicht. Es ist schwer das Chaos zu beschreiben wenn man den Überblick verloren hat. Über das was man fühlt und über das was man tatsächlich Fühlen und Denken sollte. Das Wollen und das Müssen, dazwischen liegt ein so schmaler Grad. Ebenfalls wie zwischen dem Hass und der Liebe. Soll man lieben, soll man hassen soll man kämpfen oder aufgeben? Ich frage mich ständig was richtig und was falsch sein könnte. Das Problem ist eigentlich gar nicht die Tatsache zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. Eigentlich ist es nur die Hoffnung die einen immer in Versuchung bringt es nochmal zu riskieren, es noch mal zu wagen. Das schlimmste allerdings ist dass man ihr recht gibt. Immer wieder aufs Neue. Jedes Ende ist ein Anfang. Aber wieso tut es dann trotzdem jedes Mal aufs Neue so weh? Wenn Vergangenheit vergangen sein soll? Vielleicht ist der wahre Grund dahinter ganz einfach zu verstehen. Vielleicht ist die Vergangenheit eine andere Form der Gegenwart.“
„Willst du ihn umbringen?“.
„Wie könnte ich ihn nur umbringen? Ich werde nie in der Lage sein ihn umzubringen. Natürlich hasse ich ihn manchmal, und das so richtig. Manchmal werde ich sogar so verrückt, dass ich im Internet nach Möglichkeiten suche, wie man eine Seele umbringen kann… Aber nein, die Antwort ist nein. Ich will ihn nicht umbringen. Verstehst du… ich liebe ihn, auch wenn er nicht perfekt ist und viel, sehr viel falsch macht. Aber ich könnte ihm nichts antun, weil ich 2 Dinge weiß. Erstens, liebe ich ihn. Ja ich liebe ihn. Würde ich ihn töten, weiß ich, ich würde es bereuen. Weil ich ihn vermissen würde, auch wenn ich manchmal wirklich dazu in der Lage wäre. Ich würde es bereuen, ich würde ihn vermissen. Wie jeden Tag übrigens.“ Emmas Lippen formten sich leicht zu einem Grinsen das jedoch mit Trauer gefüllt war. Sie senkte ihren Kopf und sprach weiter.
„Was er mir mit unserer Tochter angetan hat, war nicht schön, auf keinen Fall. Manchmal kommt es mir so vor als würde er das extra machen. Er hat sich das letzte Mal vor 5 Monaten blicken lassen. Als ich dann wusste, dass sie in mir ist, war er erstmal weg. Ich habe nichts mehr von ihm gehört. Immer nur mal was mitbekommen und diese Informationen waren alles andere als schön zu hören. Wie er sich mit anderen Mädchen vergnügt hat. Das hat schon ziemlich, wobei, wenn wir ehrlich sind, das hat sehr wehgetan. Eines Tages dann jedoch wachte ich auf und merkte sie ist weg. Ihre Seele ist gestorben. Sie hat keinen Körper bekommen und ist daran gestorben. Natürlich kann ich verstehen wie dumm sich das anhört wenn ich sage ich habe sie wie mein Kind geliebt. Immerhin war sie noch nie lebendig und aus Fleisch und Blut. Sie hat niemals die Chance bekommen geboren zu werden und zu leben. Ich denke oft an sie. Es ist unglaublich wie sehr sich das alles eingespielt hat. Manchmal stand ich mitten in der Nacht auf wegen ihr. Sie hatte einige komische Angewohnheiten an die ich mich zuerst gewöhnen musste. Nachts kam es vor, dass sie keine Ruhe gab, weil sie einen Jogurt essen wollte. Natürlich musste ich ihn dann essen, auch wenn ich eigentlich nicht wollte. Aber diese Art von Befehlen kamen in meinen Kopf geschossen. Ich konnte unter anderem nicht auf dem Bauch schlafen. Und sie hatte es gern, wenn ich auf der linken Seite schlief. Es war so als hätte sie keinen Platz wenn ich rechts schlafen würde. Aber sie ist nun fort. Und sie wird nie wieder kommen. Das weiß ich auch. Leider.“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen aber sie wollte nicht aufhören zu sprechen, besonders jetzt nicht.
Luis ist ein spezieller Geist. Er ist eigentlich immer noch 6,7,8 Jahre alt. „Wie alt war er als der Unfall passiert ist?“ 7 oder 8 Jahre denke ich, ja das sollte hin kommen. Er ist immer noch ein Kind. Geister werden nicht älter, sie haben kein Zeitgefühl. Und dass ist auch gut so. Aber bei ihm ist das alles etwas anders. Er ist mit dir weiter gewachsen. Er hat sich als eine Art Uhr an dir orientiert. Er wusste dass er zwei Jahre jünger ist als du. Auf diese Weise konnte er älter werden. Er lernte mit dir, er aß mit dir, er spielte mit dir, er war immer mit dir.“ Dina atmete tief durch. „Es tut weh, ja. Aber irgendwie gefällt es mir auch. Es ist komisch das zu sagen und wahrscheinlich auch schwer das zu verstehen. Auch wenn er manchmal ein Arschloch ist, er muss auch mal ein Arschloch sein.“ Sie lächelte und er ebenfalls. Er rutschte auf dem Bett immer näher an ihren Körper. Er legte seinen Kopf auf ihr Kissen und kuschelte sich unter der Decke an sie. Er guckte sie mit glänzenden Augen an und wartete bis sie weiter sprach. „Ich liebe ihn einfach. Egal was er macht.“ Sie lachte. „Er kommt immer wenn ich meinen Eisprung habe. Immer dann wenn ich schwanger werden kann. Und ich bin mir mehr als sicher, dass er im endfernsten nicht daran denkt zu verhüten. Und noch schlimmer ist, dass ich das auch nicht tue.“ Sie streichelte sich über den Bauch. „Es ist ein unbeschreibliches Gefühl wenn du es spüren kannst, dass eine Seele entsteht. Ich wünschte, du könntest das auch fühlen. Es tut zwar weh, aber der Schmerz ist unglaublich. Meine Adern tun weh. Siehst du? Das war die von unserer Tochter. Ich hab das Prinzip dahinter verstanden. Sie wächst über meine ganze Hand und wenn sie am Ende angekommen ist, dann stirbt sie, wenn sie keinen Körper bekommt.“
Er legte zögernd seine Hand auf ihren Bauch und fühlte ganz vorsichtig. „Ich spüre nur hier oben etwas.“ Sagte er. „Ja, noch kann man von außen nichts spüren. Innerlich ja, äußerlich nein. Sagte sie. „Weißt du was auch unglaublich ist? Zu wissen das er da ist und mir gerade in diesem Moment zuhört und man trotzdem in der dritten Person redet.“ Emma wurde rot, doch sie blickte ihm tief in seine Augen. Er nahm ihre Hand und legte sie um seinen Hals. Er drückte sein Bein in ihren Schritt und richtete sich über ihr auf. Er guckte ihr tief in die Augen und ließ seinen Körper über ihr fallen. Emma führte schnell eine Hand auf ihren Bauch um dem Gewicht entgegenzuwirken. Er sah sie an und sagte: Da passiert nichts“. Sie vertraute ihm und zog ihre Hand langsam zurück. Er legte sich auf sie und begann sie zu küssen. Überall küsste er sie.
„Ich könne verstehen, wenn er mich nicht als sein einziges ansehen würde. Selbst wenn dies absurd klingen mag. Ich bin nicht in der Lage seine Gelüste zu befriedigen, dass ist mir wohl bewusst. Und selbstverständlich beschämt es mich selbst, da mir wohl bewusst ist, zu was ich eigentlich fähig wäre. Doch ist bei ihm alles anders, als bei all den anderen Verehrern und Liebhabern. Es ist mir Ernst. Das ist das Problem. Es ist der Moment der innigen Sprachlosigkeit die mich immer wieder aufs Neue übermannt. Es ist wie eine Besessenheit. Ja, um bei der Wahrheit zu bleiben, ich bin besessen von seiner selbst. Denn eigentlich existiert er gar nicht. Dennoch fühlt sich seine Nähe so echt an. So nah ist er mir eigentlich gerade, in diesem Moment, doch immer noch an einem Ort, an den ich momentan nicht gehen kann. Ein Ort den ich zu Lebzeiten nicht erreichen werde.“ Er war es. Daran bestand kein Zweifel. Doch wie lange würde er dieses Mal bleiben?