1. Teil
Auf der Spur
In dem engen Büro mit den kalten, von Schimmel befleckten Wänden stank es nach einer Mischung aus Zigarettenrauch und starkem Alkohol. William fühlte sich hier ganz wie zuhause - schließlich war es das zu einem gewissen Teil ja auch. Als Holly ihn verlassen hatte, war ihm nicht viel geblieben - gerade mal der schrottreifen Wagen und die Sachen, die er am Leibe trug. Er trank noch einen Schluck von dem Scotch und wandte sich dann seinen Unterlagen zu. "Reiß dich zusammen Will", murmelte er vor sich hin, "Konzentriere dich auf deine Arbeit und du wirst bald schon keine Finanziellen Probleme mehr haben." Zumindest redete er sich das Tag für Tag erneut ein. Mit mechanischen Bewegung öffnete er die Akte mit der Beschreibung des Opfers. Zumindest lief seine Detektei ganz gut. Und noch war er unabhängig. Das konnte nicht jeder von seinem Beruf behaupten. William rieb sich noch einmal über die Augen und begann, wie schon so viele Male zuvor die Fakten im Geiste durchzugehen. Die Opfer sind allesamt weiblich, oftmals junge Mädchen mit weißer Hautfarbe. Laut der Gerichtsmedizin liegen die Todeszeitpunkte der Frauen allesamt im Frühling, genauer gesagt stets zwischen 4. Februar und 28. April. Sämtliche Opfer weißen Schnittwunden am Hals und starke Blutungen auf, die zu einem Entblutungstod führten. Am Tatort werden stets die gleichen beiden Merkmale hinterlassen: Ein Keks und ein bemaltes Ei. Ansonsten konnten bisher noch keine gültigen Hinweise auf einen Täter gefunden werden. William hatte bereits viele der Familien befragt, und die einzige Mutter, die noch zu keiner Aussage bereit gewesen war, war Jennifer Lankford, eine geschiedene Angestellte mittleren Alters. Die Akte gab enttäuschender Weise keine genaueren Daten über ihre Tochter Ashley bekannt. Was seltsam war. Normalerweise gab es heutzutage so viele Daten über junge Leute, dass es zu gehörigen Schwierigkeiten führte, die wichtigen Informationen herauszufiltern. Möglicherweise sollte er diesem Umstand näher auf den Grund gehen.
Das schrille, nervtötende Geräusch eines Telefons riss William aus seinen Gedankengängen. Nicht ohne seine Trinkerei und die daraus resultierende Lärmempfindlichkeit leise zu verfluchen griff er nach dem Hörer und schob ihn sich zwischen Ohr und Schulter. "Privat-Detektei deChuck, Was ist Ihr Anliegen?"
"Hallo William," scholl die Stimme eines Mannes aus der Ohrmuschel. "gut, dass ich dich zu dieser Zeit noch erreiche."
Die Stimme war William gänzlich unbekannt. Doch wer auch immer dort sprach, schien einen vertrauten Umgangston als angemessen anzusehen. Wohl einer der Kunden, deren Stimmen übers Telefon bis zur Unkenntnis verzerrt wurden.
"Nun, ich bin natürlich stets erreichbar, wenn es um etwas wichtiges geht.", antwortete er und hoffte, der Anrufer würde sich noch zu erkennen geben.
Dieser jedoch schien andere Pläne zu verfolgen.
"Das trifft sich gut, Will. Ich brauche nämlich deine fachmännische Einschätzung bei einem neuen Tatort. Dritte Bolsover Street, an der Kreuzung zur Clipstone Street. Bitte beeil dich, bevor diese Paparazzi kommen und anfangen ihre Fragen zu stellen. Bis nachher." Der Hörer klickte vernehmlich.
Nun, das war zumindest eine Spur. William sammelte seine Gedanken, zog seinen Hut und Mantel an und machte sich auf den Weg.
Ohne dass William es mitbekommen hätte, war es Nacht geworden. Nicht, dass ihn das beunruhigt hätte - wenn er sich in einen Fall vertiefte, passierte es schon mal, das er rings herum alles andere nicht mehr wahrnahm. Ein weiterer Grund, warum Holly aus seinem Leben geschieden war. Was sie wohl gerade machte? Wahrscheinlich saß sie auf der Couch und sah sich eine dieser romanischen Schnulzensendungen an, die sie so sehr mochte. Das tat sie stets am Donnerstag. Heute war doch Donnerstag, oder nicht? William seufzte. Vielleicht sollte er mehr schlafen. Mit klammen Fingern kramte er in der Tasche seines Mantels nach seinem Schlüssel und öffnete die Fahrertür. Abgestandener Nikotingeruch wehte ihm entgegen. Das Rauchen im Auto sein zu lassen hatte er schon lange aufgegeben. Mit seinem speziellen Kniff, den nur er kannte, startete er den Motor. Er kannte viele solche Kniffe. Wenn jemand anderes jemals versuchen würde, seinen Lebensstil zu übernehmen, müsste diese Person zuerst einen dreijährigen Lehrgang mit abschließender Diplomprüfung auf Verhaltensweisen absolvieren, um überhaupt mit seinen Geräten umgehen zu können. Er zündete sich eine Zigarette an und nahm den ersten Zug. Sofort spürte er, wie die Müdigkeit einer eher positiven Entspanntheit wich, als der bleifarbene Nebel seine Lungen füllte.
Die Nacht war düster und verregnet. Zumindest hing kein Nebel mehr in der Luft. Wegen diesem Nebel hatte William schon des öfteren in Betracht gezogen, vielleicht von London fort und ins sonnigere Italien zu ziehen. Doch diesen Gedanken hatte er stets wieder schnell verworfen. Viel zu sehr hing seine britische Seele an seiner Heimat fest. An den Fenstern zogen verschwommen die Silhouetten der Stadt an ihm vorbei. Tausende von Blinklichtern und Reklametafeln, die im Regenwasser zu einheitlichen, immer wieder aufblitzenden Schlieren zusammengefügt wurden, nur um dann nach Sekundenbruchteilen wieder völlig zu verschwinden. Als er sein Wagen gerade über einen Bahnsteig manövrierte, fiel ihm etwas seltsames in Auge: links vor ihm, direkt am Rand der Straße, saß ein Feldhase mit einem dunklen Fleck auf einem seiner Löffel. Ein Feldhase mitten in der Innenstadt. Er saß vollkommen unbewegt da und starrte auf seinen Wagen. Nein, es war nicht der Wagen, den er beobachtete. Er starrte ihn an. William. Doch dann war er an ihm vorbei gefahren und hatte ihn aus den Augen verloren. "Ich bin wohl wirklich schon müde", murmelte der Detektiv vor sich hin und beschleunigte. Er wollte auf jeden Fall zu diesem Tatort gelangen, bevor diese Pressefritzen alle Beweise zertrampelten. An der nächsten Kurve war unübersehbar ein Graffiti an eine Hauswand gemalt worden: In großen Buchstaben prangerte dort die Nachricht "ICH WAR ES."
Was führ eine wahnsinnig aussagekräftige Botschaft für wen auch immer. Wahrscheinlich eine Botschaft von einem Gangmitglied an ein anderes. William hätte erwartet, dass die Polizei diesen Machenschaften inzwischen Einhalt geboten hätte. Plötzlich sah er wieder einen Hasen am Straßenrand. Und auch dieser hatte diesen dunklen Fleck am Ohr. War es etwa der selbe? Nein, dafür fuhr er zu schnell, es musste ein anderer sein. William drehte sich im Fahrersitz um, um zu sehen ob es das gleiche Ohr war - wurde er verrück? Auch dieses Tier saß vollkommen unbewegt da und starte auf sein Rücklicht. Verärgert schüttelte William de Kopf und drehte sich zurück zur Straße - und das keine Moment zu früh! Direkt vor ihm machte die Straße eine scharfe Linkskurve. Er riss das Lenkrad herum und trat mit aller Kraft auf die Bremsen.
Doch sein Wagen reagierte nicht.
"Was zum-" stieß er noch hervor, doch dann wurde es dunkel.
2. Teil
...mit einem Hauch Purpur
Sie nannten ihn Mümmel. Und er hasste es. Karotten haste er ebenfalls. Und auch diese schrillen Teenie-Girlies mit ihren pinken Freundschaftsbändern und labbrigen Salatblättern, mit denen sie ihn vollstopften. Salat hasste er ebenfalls. Überhaupt gab es nicht viele Dinge, die Timothy von Gralen leiden konnte. Seinen Beruf mochte er einigermaßen. aber ansonsten war er von sehr vielen Dingen einfach nur genervt. Besonders diese juckende Stelle am unteren Rücken, wo sich früher einmal seine Blume befunden hatte, ging ihm gewaltig auf den Keks.
Mit einem schiefen Grinsen ob der Ironie dieses Vergleichs blickte er auf eben jenen sprichwörtlichen Keks hinab, der sich, zum teil zerkrümelt, auf der Brust einer jener Nervensägen befand, um die Timothy sich kürzlich gekümmert hatte. Sie wahr ein wahres Dummchen gewesen. Naiv, unschuldig, mit einem süßen Lächeln und einem unfassbar lauten Stimmorgan. Ein richtiger kleiner, fröhlicher Engel an einem blumenreichen, sonnigen Frühlingstag.
Kurz: Eine perfekte Gelegenheit.
"...Süß so wie das rot auf deinen Lippen...." summte der gelernte Agent und professionelle Eierverstecker leise vor sich hin, als er dem Ei in seiner linken Pfote den letzten, Abschließenden Pinselstrich verpasste. Gemeinsam mit dem kontrastvollen Königsblau im Hintergrund machte sich das beinahe Kirschrot sehr gut aus. Dazu noch ein Huch von Purpur.... Genau richtig. Wie schade, dass er nicht direkt das Blut des Opfers benutze konnte. Es hätte den perfekten Farbton exakt getroffen. Doch es würde trocknen, dabei eine andere Farbe annehmen und das ganze Bild ruinieren. Timothy hatte gehört, dass das Blut von Blutern nicht so leicht gerann, und deshalb seine Farbe beibehielt. Timothy seufzte. Hätte sie denn nicht einfach ein Bluter sein können? Dass diese Kleingeister nie verstanden, wie wichtig gutes Ausgangsmaterial war, um Kunst zu erschaffen!
Mit ruhigen, eingeübten Bewegungen legte Timothy dem blutüberströmten Leichnam das Ei in die linke Hand und sorgte dafür, dass sich die Finger nicht darum schlossen. Schließlich war es ja frisch gestrichen. Was würde die Leute nur von im denken, wenn die Farbe abgewischt würde und - Gott bewahre - an de Fingern dieses Balgs festklebte? Nein, Nein, nein. Wenn man etwas machte, sollte man es auch richtig tun, wie Lady Auralia immer zu sagen pflegte. Mit diesen Worten im Geiste packte Timothy sorgfältig seine Ausrüstung zsammen und machte sich an die Arbeit, seine Spuren zu verwischen. Die Haare, die ihm hier ausgefallen waren, nahm er mit. Das Blut des Opfers hatte ihn nicht erwischt. Gut. So konnte er sich das lästige Auswaschen sparen und musst sich auch keine Gedanken über eine Flecken-spur machen. "...und so sanft wie die Berührung deiner Hand." schloss er das Lied ab. Seine Fingerabdrücke würde man nicht erkennen, da er ja auch gar keine Finger besaß. In Berührung war er mit dem Opfer sowieso erst gekommen, als er ihr das kleine Meisterwerk in die unwürdigen Finger gelegt hatte. Er würde seine Opfer zwar gerne nah und persönlich ausgeschalten, doch wollte er unnötige Spuren eines möglichen Kampfes vermeiden. Zwar machte sich Timothy keine Sorgen darüber, dass ihn jemand aufspüren konnte - der einzige, der ihm auch nur ansatzweise auf die Schliche gekommen war, war bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen. Er machte sich auf den Weg. Für heute war seine Arbeit vollendet.
(to be continued)