Bengolf bei den Harathen
Frischer Wind blies Bengolf ins Gesicht. Es roch nach Seeluft. Langsam kehrten seine Sinne zurück. Er fühlte sich schwach. Die Erinnerung holte ihn langsam ein. Die Harathen. Der Drakbär! Ein schwerer Kampf. Dann gingen die Lichter aus....
Er schlug die Augen auf. Langsam versuchte er sich unter Stöhnen aufzurichten. Sein ganzer Körper schmerzte fürchterlich. Man hatte ihm ein Lager auf dem Schiffsdeck bereitet. Bengolf sah nach oben den Schiffsmast hinauf. Ein roter Drache auf grünen Grund. Er erkannte die Flagge. Er war bei den Harathen! Sie mussten den Lärm gehört haben und zurückgekommen sein. So schwach wie er sich fühlte, musste er viel Blut verloren haben. Vielleicht war es sein Glück, dass sie ihn gefunden hatten. Oder...Schicksal? Bengolf liess sich vorsichtig wieder zurück auf sein Lager sinken. Er schloss die Augen und hörte auf die Wortfetzen der Männer auf dem Schiff. Bruchstückhaft konnte er sich noch an das alte Harathisch erinnern. Dann hörte er eine kräftige Männerstimme sagen:" Geh' und sieh nach dem Bärentötermann, ob es ihm schon besser geht. Und behandelt ihn alle anständig, wie es sich für einen grossen Krieger gehört, habt ihr das alle verstanden?"
Zustimmendes Gemurmel war aus allen Ecken des Schiffes zu hören. Der Mann musste ihr Anführer oder der Käpitän sein. Bengolf hörte, wie ein Mann sich ihm näherte. Er berührte seine Stirn, wohl um festzustellen, ob er Fieber hatte. Dann strich er ihm mit einem feuchten Tuch durch sein Gesicht. Bengolf genoss die wohltuende Frische, liess sich aber zunächst nicht anmerken, dass er wach war. Als der Mann sich wieder entfernte, blinzelte Bengolf vorsichtig mit einem Auge zu ihm hinüber. Der Mann sah fürchterlich aus. Unzählige Narben zierten sein wettergegerbtes Gesicht und ihm fehlte sein rechtes Ohr. Doch Bengolf wusste, dass viele Narben und Verwundungen bei den Harathen als grosse Ehre galten, denn sie waren ein stolzes Kriegervolk und er vermutete, dass sie ihm zunächst freundlich gesonnen sein würden, ob seines Sieges gegen den Drakbären.
Er fühlte sich nun etwas besser und richtete sich erneut auf. Der Krieger, der ihm durch sein Gesicht gewischt hatte bemerkte ihn und kam sofort strammen Schrittes auf ihn zu, blieb aber in respektvollem Abstand vor ihm stehen und sah ihn an. "Geht es Dir besser, Bärentötermann?"
Bengolf nickte nur.
"Du verstehst meine Sprache?"
Wieder nickte Bengolf nur. "Wo bin ich hier," fragte er dann.
"Du bist auf einem unserer Kriegsschiffe, Bärentötermann. Wir sind vom Volke der Harathen und auf dem Weg in den Krieg." Er grinste und der Gedanke schien ihm sichtlich Freude zu bereiten. "Du musst ein grosser Krieger sein. Einen Drakbären allein zu töten, dazu gehört schon etwas. Bring ihm seine Waffen," rief er einem vorbei gehenden Mann zu. "Ein Mann ohne seine Waffen ist nur ein halber Mann." Sein zum Lachen geöffneter Mund gab mehrere Zahnlücken preis. Kurz darauf erschien derselbe Mann und reichte dem Krieger Bengolfs Waffen. Schwert sowie Pfeil und Bogen. "Du führst eine edle Klinge Bärentötermann, woher hast Du diese Waffe?" Respektvoll legte er die Waffen neben Bengolfs Lager.
"Ich habe sie von einem Lichtkrieger der Kristallstadt," antwortete Bengolf wahrheitsgemäss.
Der Krieger lachte verwegen. "Du meinst, Du hast ihn getötet und ihm die Waffen dann abgenommen. Bengolf griste nur. Der Krieger verstand dies als ein eindeutiges Ja und sagte: "Bleibe bei uns. Männer wie Dich können wir immer gut brauchen. Bald wirst Du Gelegenheit haben, noch weitere Lichtkrieger zu töten. So könntest Du Deine Schuld abtragen - schliesslich haben wir Dir das Leben gerettet."
"Ich werde darüber nachdenken, wenn ich wieder genesen bin. Wohin geht denn die Reise?", fragte Bengolf.
"Wir sind auf dem Weg zum Sternenwald. Dort werden wir uns mit den Truppen von Rincobal und seinen Verbündeten vereinen und danach ist unser Ziel die Kristallstadt. Die Zeit von Hatora ist abgelaufen und Rincobal wird der neue Herrscher unserer Welt sein. Er hat viele Völker versammelt und gemeinsam werden wir die Kristallstadt vernichten."
"Woher kommt dies so plötzlich, hat sie euch angegriffen oder geschadet?, fragte Bengolf.
"Sie hat Artron, den Anführer der Askadier getötet. Die Askadier sind ein verbündetes Volk der Harathen und der Mann, der ihn getötet hat, steht ganz oben auf unserer Liste."
"Und eure Rache soll nun folgen,?" fragte Bengolf.
"So wird es sein, Bärentötermann. Morgen werden wir anlanden und den Rest des Weges zu Fuss zurücklegen. Tags darauf werden wir in Rincobals Lager ankommen und die Angriffspläne schmieden."
Der Krieger entfernte sich und liess Bengolf allein. Auf keinen Fall wollte Bengolf mit Rincobal zusammentreffen. Er musste sich etwas einfallen lassen, um dem zu entgehen. Als die Dämmerung hereinbrach, war Bengolf immer noch mit seinem Plan beschäftigt, wie er die wilden Harathen ungesehen verlassen könnte. Das kräftige Mahl am Abend hatte ihm gut getan und ihn gestärkt, aber er war sich nicht sicher, ob er schon grösseren Anstrengungen gewachsen war. Er hatte gehört, dass sie bereits am Morgen ihr Ziel erreichen würden und musste sich in der Dunkelheit der Nacht davonschleichen, auch wenn er noch schwach war. Ein Zusammentreffen mit Rincobal wäre zu gefährlich. Der schwarze Magier würde ihn wahrscheinlich erkennen, das wäre zu gefährlich und würde seinen Tod bedeuten. Er musste unbedingt Hatora berichten, damit sie Vorkehrungen treffen könnte.
Bengolf bat darum, sein Bett etwas näher an die Bordwand zu stellen. Er gab vor, dass ihm das Schaukeln des Schiffes Probleme bereitet und er sich so notfalls an der Schiffswand festhalten könne. Sofort wurde seiner Bitte Folge geleistet und zwei Männer nahmen sich seiner Lagerstatt an. Bengolf sah mit Zufriedenheit, dass er nun ausser Sichtweite des Steuermannes war. Nach einer Weile wurde es ruhiger an Bord. Dunkelheit hatte sich ausgebreitet. Kein Stern war zu sehen. Der Himmel war heute Nacht von Wolken überzogen und kurz darauf begann es zu regnen. Bengolf hatte seinen Bogen in einem herumliegenden Jutesack eingewickelt und festgezurrt. Er hatte damit begonnen, seine Glieder zu strecken und zu dehnen, um sie wieder geschmeidiger zu machen und um sich an den immer noch aufkommenden Schmerz zu gewöhnen.
Kurze Zeit später hörte er, wie der Steuermann Gesellschaft bekam. Die Männer unterhielten sich angeregt und lachten manchmal laut auf. Wein kam hinzu und es dauerte nicht lange, bis ihre Aufmerksamkeit nachgelassen hatte. Bengolf sah seine Zeit gekommen....
Langsam setzte er sich auf. Er nahm sein Jutebündel und bewegte sich die Bordwand entlang weiter, bis er zu einem dicken Tau kam, an dem das Beiboot befestigt war. Er sah sich um. Die beiden am Ruder waren weinseelig ins Gespräch vertieft. Niemand war zu sehen. Bengolf hob ein Bein über die Bordwand. Mit schmerzverzerrtem Gesicht packte er das Tau und zog das zweite Bein nach. Als sein Körpergewicht an seinen Händen zog und er am Seil hing, glaubte er für einen Moment abzustürzen. Der Schmerz war so heftig, dass er ein leichtes Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Still verharrte er an der äusseren Bordwand. Doch niemand hatte ihn gehört. Langsam und unter grossen Schmerzen glitt er immer weiter hinab, bis er den Boden des kleinen Bootes unter seinen Füssen spürte. Er holte ein Messer hervor und schnitt das dicke Tau durch. Vorsichtig stiess Bengolf sich etwas von dem Schiffsrumpf ab. Sofort fiel das kleine Boot zurück und das Kriegsschiff der Harathen zog an ihm vorbei.
Bengolf legte sich flach auf den Boden des Bootes, um einer Entdeckung vorzubeugen. Nach ein paar Minuten war das Shiff ausser Sicht. Niemand hatte etwas bemerkt - bislang.....