Bengolfs Ritt
Er wollte ans Wasser. Etwas zog ihn dort hin. Bengolf wusste nicht warum oder was es war, aber er wollte seiner Intuition folgen, wie er es stets tat. Er hatte viel Zeit auf seinem Zweitagesritt und oft musste er an die Schlacht um die Kristallstadt denken. Mikkel war ein aussergewöhnlicher junger Mann, von dem man noch viel erwarten durfte. Und Bengolf hoffte, dass es viel Gutes sein würde. Mutig hatte er sich dem Anführer der Feinde entgegen gestellt und durch seinen Sieg weiteres Blutvergiessen verhindert. Er war sehr stolz auf seinen Schüler und Hatora war es sicher auch, von Alturin mal ganz zu schweigen.
Als er die Küste erreicht hatte, sog Bengolf genussvoll tief die wohltuende Meeresluft ein und ritt ein Stück am Strand entlang. Die Meeresluft tat gut und der weite Blick übers Meer streichelte sein Gemüt. Es dämmerte und als er ein kleines Waldstück erreichte, beschloss er dort sein Nachtlager aufzuschlagen. Nachdem er noch eine Kleinigkeit gegessen hatte, legte er sich zur Ruhe und schlief schnell ein. Eine flatternde Fahne durchkreuzte immer wieder seinen Schlaf. Ein Symbol befand sich darauf, aber durch den Wind bewegte sich die Fahne so heftig, dass er das Symbol nicht erkennen konnte. Trotz aller Anstrengungen im Traum blieb ihm der Blick auf das ganze Symbol verwehrt.
Der laute, dunkle Ton eines Hornes liess ihn aufschrecken. Die Morgendämmerung war gerade heraufgezogen. Da! Wieder war das Horn zu hören. Bengolf sprang auf. Es kam vom Meer herüber. Im Schutz der Deckung des Waldes lief Bengolf in Richtung Küste. Dann sah er sie! Ein Dutzend Schiffe. Sie fuhren an der Küste entlang. Und dann sah er auch die Fahne aus seinem Traum wieder. Er erkannte sie. Das Symbol der Harathen. Ein roter Drache auf grünem Grund. Das kriegerische Volk aus dem Norden war hier zuvor noch nie gesehen worden. Was hatte das zu bedeuten?
Vorsichtig beobachtete Bengolf die Szene im Schutz der Bäume. Zwölf Schiffe mit geschätzten zweihundert Mann Besatzung. Das ergab eine stattliche Kriegsmacht. Sie fuhren in Richtung Süden. Je nachdem wo sie anlandeten, könnten sie den Wald erreichen in dem sich Rincobal mit seinen Schergen aufhielt oder, wenn sie an der Flussmündung ins Landesinnere weiterzogen.... die Kristallstadt. Bengolf beschlich das Gefühl, dass sich hier etwas Schlimmes zusammenbraute. Er musste Hatora davon berichten und das so schnell wie möglich. Er wartete, bis die Schiffe ausser Sichtweite waren und eilte zu seinem Lager zurück. Rasch sattelte er sein Pferd, packte seine Sachen zusammen und verstaute alles.
Gerade als er aufsteigen wollte, hörte er das Geräusch hinter sich. Ein tiefes Grummeln gefolgt von einem markerschütternden Gebrüll. Langsam drehte Bengolf sich um. Keine zehn Meter hinter ihm stand er. Er hatte ihn nicht gehört. Ein Drakbär! Vier Meter gross, wenn er sich aufrichtete - was er gerade tat - und mit seinem weit aufgerissenen Maul wäre es ein Leichtes für ihn, Bengolfs Kopf mit einem Biss abzutrennen. Wütend brüllte er Bengolf an und seine rot glühenden Augen funkelten gefährlich. Seine riesigen Pranken fuchtelten wild durch die Luft. Ohne es zu wissen, war Bengolf in sein Revier eingedrungen. Es gab hier im Drakland nicht viele von ihnen und sie beanspruchten ein recht grosses Jagdrevier für sich. Bengolf hatte das Pech, in seines hineingeraten zu sein.
Fieberhaft überlegte er, welcher Waffe er am schnellsten habhaft werden konnte. Noch stand der Bär und beobachtete ihn. Wäre sein Pferd nicht noch angebunden gewesen, hätte es wohl längst die Flucht ergriffen, doch es konnte nicht weg und wieherte wie verrückt. Unruhig sprang es hin und her, was den Bären noch zorniger machte. Sein Schwert steckte seitlich auf der ihm zugewandten Seite des Pferdes in der Scheide und war festgebunden. Auf der anderen Seite war die Waffe, die er für am besten geeignet hielt: Pfeil und Bogen. Doch der Weg dorthin war etwas länger. Wütend liess sich der Drakbär auf seine Vorderprnken fallen und stapfte auf den Boden. Es würde nicht mehr lange dauern, bis er ihn angreifen würde!
Bengolf hatte seinen Entschluss gefast. Blitzschnell sprang er auf die andere Seite seines Pferdes und griff Pfeil und Bogen aus der Halterung. Gleichzeitig griff der Drakbär an! Er war sehr schnell. Jetzt rasch einen Pfeil aus dem Köcher! Gerade als Bengolf den Pfeil eingelegt hatte und auf den Bären anlegen wollte, war er bereits über seinem Pferd. Er versetzte dem Tier einen Schlag mit seiner entsetzlichen Pranke und sprang über dessen Rücken auf Bengolf zu. Durch die Wucht des Aufpralls warf der Drakbär Bengolfs Pferd um, welches unglücklicherweise auf dem stürzenden Begolf landete. Die andere Pranke des Bären hatte ihn schwer an der Schulter erwischt. Blut strömte seinen Arm hinunter. Er war nahe daran, das Bewusstsein zu verlieren und ein höllischer Schmerz durchzog seine Schulter.
Den Bogen und die Pfeile hatte er beim Sturz verloren. Er war verletzt und eingeklemmt. Sein Pferd war tot. Der Hieb des Bären hatte ihm den Kopf halb weggerissen. Das Gewicht des Pferdes trieb ihm die Luft aus den Lungen. Dann kam der Bär langsam auf ihn zu. Er baute sich zu voller Körpergrösse auf und stiess ein gewaltiges Gebrüll aus, dass Bengolfs Haare nach hinten bliess. Wenn er sich auf seine Vorderpranken fallen liess, würde er zubeissen und ein Ende machen. Schwindel erfasste Bengolf. Plötzlich spürte er den Griff seines Schwertes an seinen Fingern. Er griff danach. Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte zog er es heraus. Der Bär war über ihm. Dann kam er herab....
Bengolf holte mit allerletzter Kraft sein Schwert hervor und stiess es dem aufschlagenden Drakbären mitten ins Herz. Der schrille Todesschrei des Bären war meilenweit zu hören. Der schwere Fleischberg fiel auf das Pferd.... auf Bengolf....dann wurde es schwarz um ihn. Die Ohnmacht erlöste ihn.
Den Harathen war das mächtige Gebrüll und der Schrei des Bären trotz der Entfernung nicht entgangen. Sie hatten ein kleines Boot ausgesetzt und wollten nachsehen, was dort vor sich ging. Das Gebrüll von Bären war ihnen vertraut und sie waren bekannt dafür, mutige und exzellente Bärentöter zu sein. So machten sich einige der besten und mutigsten Jäger von ihnen auf den Weg, um heute vielleicht noch ruhmreiche Beute zu machen. Sie erreichten den Platz des Kampfes kurz darauf und staunten über die Szene. Der Anführer der Harathen stiess vorsichtig mit seiner Lanze in den Körper des Bären, um festzustellen, ob er tatsächlich tot war. Er rührte sich nicht.
Dann fanden sie Bengolf. Blut sickerte noch aus seiner Wunde. Ein Zeichen, dass er noch lebte. Bewundernd blickten sie auf Bengolf, der dieses Riesentier alleine erlegt hatte. Er musste ein grosser Kämpfer sein, obwohl er schon sehr alt schien. Rasch befreiten sie ihn von der Last der zwei schweren Tiere und versorgten ihn auf das Nötigste. Sie nahmen seine Waffen an sich und trugen ihn zurück auf ihr Boot. Kurze Zeit später machte das kleine Boot längsseits an einem der grossen Kriegsschiffe der Harathen fest und Bengolf wurde an Bord gebracht. Während seine Wunden versorgt wurden, betrachteten die umstehenden Krieger Bengolfs edle Waffen. Ihr Anführer nahm sie in seine Obhut. Er würde auf die Waffen dieses grossen Kämpfers aufpassen - das war Ehrensache unter grossen Kriegern.
Bengolf bekam nicht mit, dass er sich nun in Feindeshand befand....