Bertl zeigte sich inzwischen als unschlagbarer Koordinator. Während er Gerd genug Hintergrundinformation gab, um sich nötigenfalls der Medien bedienen zu können, hatte er ganz nebenbei Horst besucht und ihn von Michaels Zustand informiert. Er würde aber persönlich Horsts Interessen wahren, solange Michael dazu nicht in der Lage sein sollte. Selbstverständlich kostenlos, weil er es als Sachwalter und Freund für Michael machte. Horst war ihm sehr dankbar und beruhigt, Bertie an seiner Seite zu haben. Er kannte ihn als Michaels besten Freund schon lange und vertraute ihm blind. Außerdem hatte Bertie telefonisch ein sehr anstrengendes Gespräch mit Mira gehabt, die sich überhaupt nicht mehr einkriegen konnte. Er fragte sie, ob sie vielleicht eine Möglichkeit sähe, Branka ein paar Tage zu entbehren, weil er sich sicher war, das Silvia Michael verlassen würde und Bertie nicht immer an Michaels Krankenbett stehen konnte. Voraussetzung war natürlich, dass Branka dazu bereit wäre, zu kommen. (Bertie wusste natürlich nichts von dem Vorfall am Wochenende.) Er würde glatt Angelika zu ihm schicken aber wenigstens seine Sekretärin sollte in der Anwaltskanzlei verbleiben, wo ohne ihn eh schon alles drunter und drüber ging. Einen Moment lang fragte er sich, ob er Michaels leibliche Mutter informieren sollte. Er erinnerte sich aber dann an eine Gelegenheit, bei der er ihn auf seine Mutter angesprochen hatte. "Meine Mutter lebt in Kroatien!" hatte er damals geantwortet!
Als er wieder in die Krankenstation zu Michael kam, lag Silvias Brief auf dem Nachttisch. Er spielte einen Moment mit dem Gedanken, ihn dort zu belassen, besann sich aber dann auf seine Aufgabe als Sachwalter, Michaels Interessen nach bestem Wissen und Gewissen zu wahren. Er nahm ihn an sich, weil er ahnte, was darin stand und verwahrte ihn für Michael, der keinen Schlag ins Gesicht brauchen konnte, wenn er erwachen sollte.
Noch am selben Abend rief ihn Branka an. Sie versicherte Bertie, auf Abruf nach München zu kommen, wenn es ihm am sinnvollsten erschien. Sie sei selbstverständlich für ihren "Cousin" da. Sie sei sehr froh, dass Bertie sich um alles kümmere und würde ihn bestmöglich unterstützen, soweit ihr das möglich wäre. Bertie bedankte sich und versicherte ihr, baldmöglichst zu erfragen, wann er denn aus dem Tiefschlaf geholt werden sollte. Das sollte jedoch noch geschlagene acht Tage dauern. Da sich Silvia nach ihrem ersten Besuch nicht mehr gezeigt hatte und sich auch bei Mira oder Bertie nicht gemeldet hatte, war Bertie klar, dass der Brief nicht an Michaels Bett liegen sollte, wenn er aufwachte. Schließlich war es soweit, er sollte geweckt werden und Bertl durfte dabei sein. Sein Tubus war entfernt worden, der Kreislauf war stabil, die Sedierung wurde zurückgenommen. Michael wirkte ein paarmal so, als würde er gleich die Augen öffnen, aber er schaffte es noch eine ganze Stunde nicht. Dann endlich blinzelte er und erwachte aus seinem künstlichen Koma. Sofort erkannte er Bertie, so etwas wie der Versuch eines Lächelns zeigte sich auf seinen Zügen, als ihre Blicke sich trafen. Er schien sofort begriffen zu haben, wo er sich weshalb befand. Wie Bertie befürchtet hatte, versuchte er sofort nach seiner Silvie zu fragen. Zwar formte er mit den Lippen das Wort, doch brachte er noch keinen Ton hervor. Bertie überfuhr ihn einfach damit, dass Silvia dagewesen wäre, als er noch im Tiefschlaf gelegen hatte. Er war unglaublich froh, dass Michael über den Berg war. Natürlich hatte er noch einen langen Weg vor sich. Er war natürlich zu schwach, um zu reden aber er schaffte es trotzdem, Bertie zu bitten, Silvia davon zu verständigen, dass er aufgewacht war. Bertie blutete das Herz. "Wart Michl, i muas aussi gehn dazu, wegen die Geräte, woast scho!" Er versuchte wirklich noch einmal , Silvia zu erreichen. Mit Michaels Handy. Ohne Erfolg! Also nahm er sein Handy und verfasste ein SMS. "Michael ist aus dem Tiefschlaf erwacht! Ich habe ihn deinen Brief noch nicht lesen lassen! Ich glaube, das würde ihn töten! Er hat nach euch gefragt. Wenn du möchtest, zerreiße ich den Brief! Bitte komm! Er braucht dich!" doch es kam keine Antwort! Nicht heute , nicht morgen...
Es kam der Tag, an dem Michael, der noch immer kaum sprechen konnte, Bertie sagte, er wisse von einer Schwester, dass eine Dame einen Brief hinterlassen habe, der seltsamerweise verschwunden sei... "Ja, Michl woaßt, des is a so: Wie du s erste Mal aufgwacht bist, da hätt di jede Aufregung sofort umbringa kinna, gell! Und... des wollt i natürlich vermeiden, gell! I moan, des war jetzt vielleicht net ganz korrekt, aber jetzt bringt di vielleicht nimmer glei ois um... moan i halt." Michael sah Bertie fordernd an. Bertie hatte keine Wahl mehr und zog den Brief aus der Tasche. Er sah betreten zu Boden. "Aber du lebst, Michl, du lebst! Woaßt, auf des kummts an!" Michael bedeutete ihm, er wolle den Brief lesen. Bertie gab sich geschlagen und öffnete den Brief. "I hab alles versucht, Michl, sie hat mir net glaubt, dass ihr Bua net in Gefahr is..." Er gab ihm das Blatt in die Hand, doch Michael konnte es noch nicht alleine halten. Also hielt er ihm den Brief so hin, dass Michael ihn zu lesen vermochte. Erst blieb er ganz ruhig, dann begann er schneller zu atmen und dann piepste eines der Geräte, worauf eine Schwester erschien und Bertie hinausbugsierte. Während Bertie hinausging, kam ihm schon ein Arzt entgegen. Bertie war fertig! Er zog sein Handy aus der Tasche und tippte eine Nummer. er hielt es ans Ohr. "Branka, kummst?" - "Ich nehm die nächste Maschine!" - "Du kannst bei mir schlafen! I moan bei mir in der Wohnung halt!" - "Danke Bertie! Ich ruf dich an, wenn ich die Abflugdaten habe! Bis dann!" - "Bis dann, Branka!"