Ankunft:
Der Hans war mehr als erstaunt, die Jugendlichen frühzeitig auf dem Parkplatz vorzufinden. Noch erstaunter war er, als sie ihm die Geschichte von Fay und den seltsamen Wesen in der Dunkelheit erzählten. Aber Luca merkte auch schnell, dass Hans ihnen nicht zu glauben schien. Er nickte zwar, gab ihnen ein paar Pflaster für die Wunden und sagte zusätzlich, er würde nach Fay suchen, aber im Grunde dirigierte er die Jugendlichen nur in den wartenden Kleinbus, auf dessen blauen Sitzen nur Platz für zehn Personen war.
Lucas Bewusstsein versank in Tintenschwärze, als sich der Wagen in Bewegung setzte. Er starrte durch die Scheibe in den kalten Tag hinaus, aber er sah nur Fay vor sich. Ihr Lächeln. Ihr sanftes Gesicht. Den entsetzlichen Anblick ihrer Leiche.
Es war seltsam, dass er nichts fühlte. Keine Trauer, keine Angst, einfach nichts. Er war taub, als wären alle seine Gefühle aufgebraucht. Es war nichts mehr von ihm übrig, das noch fühlen konnte.
Neben ihm saß Mira, die lauthals schluchzte. Fays Schwester schien ihre Umgebung nicht mehr wahrzunehmen, selbst, als Luca versuchte, sie ein wenig zu trösten.
Dem ganzen Trupp ging es so. Samstag sah apathisch aus dem Fenster. Samira drückte Dimitris Aktentasche an die Brust, die sie trotz der Ereignisse nicht losgelassen hatte. Eve lag an Milos Schulter und weinte stumm, Milo kaute wie versessen auf seiner Unterlippe. Tee-jo schnitt mit dem Messer Muster in das Sitzpolster vor sich, Wild Child hatte die Beine vor den Körper gezogen, das Kinn auf den Knien abgestützt und wiegte sich ganz sanft vor uns zurück. Lily saß aufrecht und steif wie eine Statue, den Blick kalt wie Eis und Amy kritzelte abwesend auf einem Block herum. Luca konnte einen Blick auf das Blatt erhaschen. Über den zahlreichen schwarzen Kringeln, Fragezeichen und durchgestrichenen Worten stand: „Logische Erklärung?!??!“
Die Fragezeichen waren wohl später dazu gekommen, ebenso das dicke „Fuck It!!!“, das die Überschrift überdeckte. Dann war Amy dazu übergegangen, sinnlose Achten zu malen, die immer schwärzer und breiter wurden. In die Lücken quetschte sie den Liedtext von „Paint it Black“.
Luca seufzte leise. Das war es. Es gab keine Erklärung. Es war so vieles auf ihn eingestürzt, stürzte immer noch auf ihn ein, dass seine Gefühle nicht wussten, wo sie anfangen sollten. Er fühlte sich, als würde er die Welt durch einen Nebel wahrnehmen. Das mochte an dem Schlafentzug liegen, der ihm mehr und mehr zu schaffen machte. Oder einfach an so vielen Schocks, die zusammen kamen.
Er versuchte, sich klar zu machen, dass Fay fort war. Für immer. Und Dimitri und Liam ebenfalls.
Das konnte nicht sein. Vielleicht war das alles nur ein Trick, und sie würden im letzten Hotel auf sie warten.
Luca spürte ein plötzliches Aufwallen von Sehnsucht. Das musste es sein. Es war nur eine Täuschung gewesen, eine Requisite, Fay und Dimitri waren nicht tot und Liam war nicht verschwunden, sondern direkt ins letzte Hotel gebracht worden.
Die anderen würden dort auf sie warten.
Er erinnerte sich wieder an das, was Samstag gesagt hatte.
Niemand, der die Hell-Hopping-Tour besucht hatte, war danach wieder aufgetaucht.
Aber vielleicht war ja Samstag der Maulwurf vom Hotel. Er war auch Teil der Show. Und die Messer und Sender und alles andere auch.
Luca dachte daran, wie sehr er sich auf die Tour gefreut hatte. Jetzt erschien ihm der Grusel nicht einmal halb so verlockend.
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als der Bus langsamer wurde. Sie fuhren von der breiteren Straße auf einen kleinen Waldweg. Dann lichteten sich die hohen Tannen, und eine große Fläche tauchte auf.
Überall standen Zelte in den unterschiedlichsten Größen und Farben. Es erinnerte an ein Festival, bis Luca das Schild sah.
„Camping- und Zeltparadies Schwarzwald“ las er.
„Camping?“, flüsterte Amy verwirrt.
Ihr Bus hielt am Rand der Menge, dort, wo der Wald begann. Zitternd kletterten die zehn verstörten Gäste aus dem Bus. Ihr Fahrer, ein unfreundlicher, wortkarger Mann mit einer Zigarette im Mundwinkel, deutete auf zwei Zelte am Waldrand: „Eure.“
Er zeigte ihnen die Richtung, in der das Waschhaus und ein paar andere Orte lagen, dann warf er den Motor an und rauschte davon.
Frierend starrten die zehn auf ihre beiden Zelte und dann auf das Lager, in dem sich trotz der vielen Zelte zu wenig Menschen bewegten. Nebel kroch aus dem Wald und legte sich über den Zeltplatz. Es regnete.
„Und da waren's nur noch zehn“, murmelte Luca leise, wie im Traum.