Leise erhob sich die Fai mit den goldenen Locken, um den neuen Tag zu begrüßen.
Ausgeruht streckte sie sich und legte einen Mantel um ihre schlanken Schultern. Schwungvoll öffnete sie die Fensterläden, um die ersten warmen Sonnenstrahlen einzulassen, die Lad wecken sollten.
Das junge Hermelin lief fiepend zu seiner Herrin hin und strich anhänglich um deren Beine. Liadan selbst holte aus dem großen Kleiderschrank ein Kleid für den heutigen Nachmittag heraus. Ein kurzer, freundlicher Blick galt der noch Schlafenden, die sich später auch ein passendes Kleid aussuchen durfte.
Lad zog die Decke über ihren Kopf, als die Sonnenstrahlen ihr Gesicht berührten. Sie war spät in der Nacht zurückgekehrt und hatte sich leise ins Bett geschlichen. Entsprechend kurz war ihr Schlaf gewesen.
„Guten Morgen meine Schwester. Such dir ruhig ein Kleid aus meinem Schrank, das du bei der Ratssitzung heute tragen möchtest. Aber ich denke, wir werden uns vorher noch ein schönes Bad im Kristallsee und dann ein Essen bei Myrhin, der besten Köchin in ganz Aurenien, gönnen.“, erklang die muntere Stimme Liadans, die an Lad vorbeirauschte und in eine Wildlederhose schlüpfte, eine Bluse trug sie bereits, „Ich werde unten auf dich warten und mich schon mal um die Pferde kümmern.“
Die silbernen Augen Lads folgten ihr und erwiderten den Morgengruß mit einem Nicken.
Allein zurückgeblieben, warf sie sich noch einmal herum und streckte die Glieder. Was für ein munteres Wesen ihre Schwester doch hatte. Ein Schmunzeln stahl sich in ihr Gesicht. Sie war erst spät in der Nacht zurückgekommen. Allein Phil hatte ihre Ankunft bemerkt und war ihr entgegengelaufen. Der Geruch dieses Landes und seiner Bewohner hatte sie gelockt, sowie das Gefühl, einfach an die frische Luft zu müssen. Lad hatte geplant, irgendwo unterzukommen oder im Freien zu schlafen. Dass sie sofort bei ihrer Schwester ein neues Zuhause erhielt, hätte sie nicht gedacht. Nachdenklich legte sich ihre Stirn in Falten. Die Freundlichkeit mit der Liadan sie hier aufgenommen hatte und ihre Freude, sie gefunden zu haben, wurden überschattet von einem eigenartigen Gefühl. Der Anblick der Schlafenden war beruhigend gewesen und irgendwie hatte sie sich schuldig gefühlt, dass sie erst in den frühen Morgenstunden zurück unter die Decke schlüpfte, die ihr so bereitwillig gegeben wurde. Diese Fai mit dem blonden Haar hatte offenbar ein großes Herz. Vielleicht ebenso groß wie ihr Temperament.
Sie schloss die Augen und rollte sich auf die Seite. Es war Zeit sich einen Ruck zu geben, um Liadan nicht warten zu lassen. Mit Schwung kletterte sie aus dem Bett und zog sich an, um, den Stiefel im Gehen mitnehmend und die Treppe hinunter stolpernd, zu ihrer Schwester zu stoßen.
Diese stand bereits mit Korathan und Elenya vor dem mächtigen Baum und strich der Stute über die Flanke, bevor sie sich auf den glatten Rücken ihres Hengstes schwang. Sie wartete gar nicht erst auf Lad, sondern ritt bereits los, dass sie Mühe hatte, ihr nachzukommen.
Liadan beruhigte Korathan am Rande des Waldes und wartete.
„Du bestimmst den Weg!“, rief sie Lad mit einem herausfordernden Lächeln zu.
Lad warf ihr einen Blick zu. „Ich kenne mich hier nicht aus, Liadan. Warum soll ich euch dann führen?“, fragte sie und zog eine Braue hoch.
„Ich sag dir, wo es langgeht und du musst den Weg finden, einverstanden?“, schlug die Fai vor und wies mit der Hand in eine Himmelsrichtung. Sie wusste, dass es die beste Möglichkeit für Lad war, sich hier zu Recht zu finden. Einfach immer selber die Wege suchen, die zu gehen sind und selbst erforschen und entdecken.
Lad strich sanft durch die Mähne ihrer Stute und nickte, woraufhin sie auch gleich Schenkeldruck gab. Immer schneller ließ sie ihr Pferd laufen und hoffte inständig, dass der Weg, den sie genommen hatte auch der Richtige war und tatsächlich erblickten ihre Augen schon bald die vertrauten Weiden. Das Geräusch von plätscherndem Wasser gelang an ihre spitzen Ohren. Ein warmes Gefühl machte sich in ihr breit. Freudig und ungebunden breitete es sich immer weiter in ihr aus bis es schließlich über ihre Lippen als Lachen ins Freie glitt und die Winde es weitertrugen.
Knapp vor dem schimmernden See, hielt sie die Stute an und sprang noch immer lachend ab. In fliegendem Galopp stieß auch Liadan zu ihrer Schwester und sprang neben ihr auf den Boden, um sie sogleich jauchzend, in voller Bekleidung, mit ins kühle Nass zu reißen, wo beide untertauchten und nur wenige Sekunden später prustend die Wasseroberfläche durchbrachen. Die Augen beider blitzten freudig und sie fühlten sich wieder so, als wären sie kleine Kinder.
Das Wasser war eisig um diese frühe Stunde, doch es störte sie nicht. Kurz kletterten sie hinaus, um sich aus der nassen Kleidung zu schälen, nur um erneut ins erfrischende Nass zu laufen.
Die Pferde am Ufer schüttelten nur schnaubend die Köpfe und begnügten sich damit etwas zu trinken und von den Grasbüscheln zu kosten.
„Ich liebe diesen See“, lachte Liadan und ließ sich auf dem Wasser treiben. Mit fließenden Kraulbewegungen gelangte sie ans Ufer und legte sich dort, mit einem Lächeln in den Zügen, im Gras nieder. Lad schwamm noch ein paar kleine Runden, spielte mit den Seerosen und stupste deren Blüten an. Später kroch auch sie an Land und wurde mit einem Handtuch begrüßt, das ihr Liadan an den Kopf warf.
Schmunzelnd legte sich die Braunhaarige das Tuch um die Schultern und kniete sich neben Liadan, begann ihr Hemd und ihre Hose auszuwringen.
„Wann ist die Versammlung zu der wir müssen?“, fragte sie und beobachtete ihre neue Freundin, wie diese die Augenbrauen zusammenzog und kurz zu überlegen schien.
„Am Nachmittag um vier Uhr nach menschlicher Zeitrechnung. Aber wir müssen schon eine Stunde früher los reiten, damit wir nicht zu spät kommen.“, antwortete sie ruhig, „Doch vorher würde ich gern eine Übungseinheit mit dir machen.“
Liadan sprang auf die Beine, schlüpfte in ihre Hose, pfiff nach Korathan und holte zwei Schwerter hervor, die an seinem Sattel befestigt waren. Eines davon reichte sie Lad.
„Ich muss doch wissen, wie gut du kämpfen kannst“, ihre Augen hatten etwas Ernstes.
Lad, die gerade noch ihre Hose hochgezogen hatte, wiegte nun das fremde Schwert in ihrer Hand und überlegte sich, wie gut sie damit umgehen konnte. Es fühlte sich eigenartig an. Gänzlich anders als das, das sie besaß und das Liadan als 'Dunkelschwert' bezeichnet hatte.
„Wie du willst“, sie stellte sich auf und war bereit.
Die letzten Jahre hatte sie allein geübt oder mit Xantha, die aber keine Kämpferin war. Später mit Edwin, als dieser gesund war. Als sie Liadan nun auf sich zu kommen sah, das Schwert bereit zuzustechen, reagierte ihr Körper von selbst. Sie parierte und schlug zurück. Focht mit ihrer wiedergefundenen Schwester einen Tanz der sich kreuzenden Klingen, bis ihnen der Schweiß auf der Stirn stand.
Liadan war als Kriegerin erfahrener und gab ihr ein paar Anweisungen, während die Klingen aufeinanderprallten, doch im Großen und Ganzen schien sie zufrieden zu sein.
Die Sonne stand bereits höher, als Liadan ein Zeichen gab, dass sie es beenden konnten. Keuchend stützte sie sich mit den Händen auf ihren Oberschenkeln ab.
„Du bist gut“, lobte sie Lad und grinste, „Ich glaube, wir müssen noch mal ins Wasser.“
„Du bist besser und ich fürchte es“, Lad wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn, reichte ihr das Schwert und lief in den See hinein.
Der Ritt zurück verwandelte sich in ein Wettrennen der beiden, das sich bis zu den Stallungen zog.
Dankbar gaben sie die Pferde ab und Liadan ergriff Lads Hand, zog sie mit sich zu einer mächtigen Eiche, wo sie durch ein Portal traten. Sie fanden sich in einer kühle Halle wieder, die in den Baum hineingebaut worden war. Lautes Gelächter und Stimmengewirr klang an ihre Ohren.
Viele junge Männer und Frauen hoben ihre Köpfe vom Essen um die eintretenden Schwestern mit einem ehrfurchtsvollen: „Grüße, Kommandant!“, zu empfangen.
„Grüße. Aura sei mit euch allen!“, Liadan strahlte und schob sich hinter Lad, „Dies ist meine lang verloren geglaubte Schwester, Lad í Sathil. Bitte sorgt dafür, dass sie sich wohlfühlt.“
Damit erlangte sie die Aufmerksamkeit des gesamten Raumes. Plötzlich war Lad umringt von Fai, die sie fragten, wie es ihr ginge, wo sie war, warum sie erst jetzt wiedergekehrt war. Sie gab nur ausweichende Antworten und erschrak, als eine kräftige Hand sie am Arm fasste.
„Heben wir uns das doch für später auf. Lasst ihr Luft zum Atmen und Platz zum Essen“, eine tiefere Stimme erklang neben ihr und sie wurde zu einem leeren Tisch in einer gemütlichen Ecke gezogen.
Nun erhaschte sie einen Blick auf ihren 'Retter'. Zwei grüne Augen blitzten sie freundlich an aus einem Gesicht, das umrahmt war von langen roten Haaren. Er streckte die Hand aus und drückte ihre, als sie einschlug.
„Daeron der Name. Ich bin Liadans Stellvertreter“, erklärte er und ließ sich ebenfalls nieder.
Liadan stellte drei Schüsseln mit dampfenden Eintopf vor ihnen, die sie durch den Raum balanciert hatte.
„Frühstück war schon vorbei, darum gibt es Mittagessen und wir sollten uns beeilen“, erklärte die Fai, „Sonst kommen wir noch zu spät.“
„Was habt ihr denn getrieben, dass ihr so spät seid?“, Daeron hob fragend eine Braue und tauchte seinen Löffel in den Eintopf.
Liadan schluckte hastig, „Ich habe mit ihr den Schwertkampf geübt.“
Der Fai hob anerkennend eine Braue und musterte Lad einen Moment lang, bevor er die Frage an Liadan richtete: „Und wie macht sie sich darin?“
„Sie ist gut“, gab die Goldgelockte zwischen zwei Löffeln zur Antwort und hieß Lad, ebenfalls etwas zu essen, denn diese rührte mehr in ihrem Teller, als dass sie etwas davon aß. Ihr Blick schweifte immer wieder durch den vollen Raum.
„Carrakas ist der Ort in Aurenien, wo vermutlich am meisten Soldatenfamilien leben, da hier eine Ausbildungsstätte ist. Meine Familie ist schon seit einigen Generationen hier und Liadans Eltern zogen her, als sie ein Kind war. Mittlerweile wohnst du ja allein in dem Haus, nicht wahr, Lia?“, erklärte Daeron, darum bemüht Lad etwas Erklärung auf ihre fragenden Blicke zu geben.
„Stimmt. Sie sind zurück in die Königsstadt gezogen, als ich meine Ausbildung hier begann“, Liadan lächelte und schob den leeren Teller ein Stück von sich weg, „Wir reiten nachher dorthin, dann zeig ich dir, wo du geboren wurdest, Lad. Es werden viele Leute da sein bei dem Fest heute Abend und morgen stehen Verhandlungen mit den Abgesandten der Skalaner an. Ich hoffe, dass der Krieg dann sein Ende findet. Er dauert schon viel zu lang.“
Lad schluckte ihre Portion hinunter, „Weiß man überhaupt noch, warum der Krieg begann oder schlagen sich beide Völker nur gern gegenseitig die Schädel ein?“
Daeron verschluckte sich bei ihren Worten und stellte hastig den Becher ab, um nichts zu verschütten. „Beide Völker?“, brachte er mit rauer Stimme hervor.
Auch Liadan betrachtete ihre Schwester mit großen Augen. „Lad, du bist auch Teil dieser Völker. Wie kannst du nur so denken?“, ihre Miene war ungläubig.
„Ich bin nicht Teil, Liadan. Du magst Familie sein, aber ich lebe nicht hier. Meine Reise führte mich her, um Antworten zu finden, doch nicht, um mich in irgendeinen Krieg einzumischen.“, Lads Blick war ernst und sie erhob sich, den Teller von sich schiebend, „Entschuldigt mich bitte, ich werde ins Haus gehen und mir ein Kleid aussuchen für heute Abend, wie du es wolltest.“
Sie spürte die Blicke der beiden in ihrem Rücken, als sie durch die Halle nach draußen ging. Innerlich wollte sie schreien, doch nach Außen wahrte sie den Schein eines aufrechten Ganges und einer festen Überzeugung. Jedenfalls so lange, wie sie in Sichtweite war. Außerhalb der Halle begann sie zu laufen und blieb erst stehen, als sie die Treppe zu Liadans Baumhaus hinauf gehechtet war.
Mit bebenden Lippen lehnte sie sich gegen die Tür des Hauses, tastete nach dem Knauf und schob sich ins Innere.