Schnellen Schrittes ging Ronny die menschenleere, nebelverhangene Straße entlang. Mit jeder eiskalten Böe, die der Wind ihr erbarmungslos entgegenschlug, beschleunigte sie ihren Gang. Endlich konnte sie die alte Buchhandlung sehen, in der sie arbeitete. Der Lohn, den sie bekam, reichte kaum für die Uni und ihre Mietskosten, dennoch konnte sie sich keinen besseren Job vorstellen. Sie liebte die uralten Bücher und die Ruhe die dort herrschte. Außer ihr arbeitete nur noch der Ladenbesitzer dort, der fast immer nur mit krummen Rücken auf einem der bequemen Sesseln zwischen den Regalen saß und las. Eilig öffnete sie die Tür als die ersten Regentropfen gegen ihr Gesicht klatschten. Der Geruch von vergilbten Buchseiten schlug ihr entgegen. Manche Leute würden bei diesem Geruch ihre Nase rümpfen, doch für Ronny war es wie eine eigene Geschichte. Er erzählte von dem Alter der Bücher, er zeugte davon, was sie schon erlebt hatten und das fand sie mehr als faszinierend. "Ah, Ronja. Schön, dass du da bist!", sagte der alte Mann mit brüchiger Stimme. Er stand gerade an der Theke und räumte so schnell wie, es seine müden Glieder erlaubten, mehrere Bücher aus Kartons. "Guten Tag, Mr. Moonsbay", sagte sie etwas säuerlich. Sie mochte den Ladenbesitzer wirklich sehr, aber sie hatte ihm bestimmt schon zehn mal erklärt, dass er sie nicht bei ihrem echten Namen, Ronja, nennen sollte, sondern Ronny, doch allem Anschein nach hatte er sie immer noch nicht verstanden. "Ich habe wieder ein paar Bücher aus dem Keller geholt, nachdem uns der nette Herr letzte Woche fast ein ganzes Regal leer gekauft hat". Erschrocken blickte Ronny ihn an, hatte er die schweren Kisten alleine nach oben geschleppt? "Keine Sorge, ich hatte Hilfe beim Hinauftragen", sagte er lächelnd, als er ihr Gesicht sah. Erleichtert atmete Ronny aus. "Warten Sie, ich helfe Ihnen beim Einräumen!", rief sie und eilte zu dem Mann, der sie dankbar anlächelte. "Danke mein Kind. Du weißt ja wie das geht.",sagte er, ehe er sich umdrehte und sich mit einem Buch in der Hand in einen Sessel sinken ließ. Ronny freute sich immer, wenn es etwas zu tun gab, entsprechend euphorisch ging sie an die Arbeit. Aus den Kartons kamen die unterschiedlichsten Bücher zum Vorschein, doch genau das machte diese Bücherei aus. Zwar waren alle Bücher alt und vergilbt, doch waren es die unterschiedlichsten Geschichten. Man stieß immer auf etwas neues und wenn man sich darauf einließ, ging man nie mit leeren Händen aus diesem Geschäft.
Ohne ein Muster stellte die junge Frau die Bücher in jede freie Lücke der Regale. Während sie das machte, spähte sie unauffällig, zu Mr. Moonsbay und erschrak als sie sah, das er sie ebenfalls über die Ränder seiner Brille hinweg beobachtete.
Manchmal war er ihr doch etwas unheimlich. Hastig widmete sie sich wieder ganz ihrer Arbeit. Der Regen trommelte mittlerweile gegen die Fenster, es hörte sich fast an, wie winzige Finger die ungeduldig gegen die Scheibe klopften. Ronny atmete tief ein und sog den Geruch der tausenden Bücher in sich auf. Für einen kurzen Moment schloss sie ihre Augen, um sich ganz auf die Atmosphäre einzulassen. Als sie sie wieder öffnete, war Mr. Moonsbay verschwunden. Hastig ging sie auf die geöffnete Kellertür zu und blickte in die Dunkelheit hinab. Vorsichtig stieg sie die steinernen Kellertreppen hinunter und nahm die Taschenlampe, die immer auf dem Boden am Fuße der Treppe lag, um sich in dem Raum umzuschauen.
Den Raum konnte man eigentlich nicht als solchen bezeichnen: Es war eine riesige unterirdische Halle, in der sich Kisten voll mit Büchern türmten. Sie hatte Mr. Moonsbay schon oft gefragt, woher diese Bücher kamen und ob sie aufgrund ihres Alters wertvoll waren, doch er hatte ihr keine Antwort gegeben.
Sie war selten hier, obwohl man im Keller auf die wundervollsten Bücher stieß. Niemals hätte sie erwartet, einmal in so einer außergewöhnlichen Bücherei zu arbeiten wie hier, wo alles seinen Platz hatte und doch ungeordnet war. Wo man wundervolle, alte Bücher entdeckte, Bücher mit einer Geschichte. In zweierlei Hinsicht. Es gab nicht fiele Leute die hier einkauften, doch die wenigen, die sich hierher verirrten, wurden zu Stammkunden.
Suchend streifte sie die Gänge zwischen den Kisten, auf der suche nach
Mr. Moonsbay, durch, als ihr ein kleines, in Leder gebundenes Büchlein ins Auge stach.
Behutsam hob sie es auf und strich über den weichen Einband. Er sah abgegriffen aus, dennoch hätte man das Buch für neu halten können, so gut wie es erhalten war. Sachte drehte sie es, doch konnte sie nirgends den Titel entdecken. Langsam, um es nicht zu beschädigen, schlug sie es auf und las, was auf der ersten Seite mit Handschrift geschrieben stand: Buch der Magie. Ein Lächeln schlich sich auf die Lippen der Jungen Frau, als sie das Buch in ihre Westentasche gleiten lies.
Normalerweise tat sie das nicht, doch würde es niemandem auffallen, sollte dieses, kleiner als ihre Handfläche großes, Buch verschwinden.
Das war der Moment, in dem sich die Magie in ihr Leben schlich. Doch wie sie später erfahren sollte, hatte sie nie eine andere Wahl gehabt.