"Achtung Auto. Schnell zur Seite."
"Nein, schiiitt." Gedankensplitter: Bitte glimpflich.
Glück gehabt oder Pech? Beim Ausweichen auf dem abschüssigen Sträßlein bleibt mein Schuh irgendwie am rauen Asphalt hängen. Sturz, mit beiden Händen abgefangen, der linke gerät unter den Körper. "Ahhhhhhhhhhh!" Schluchzer unterdrückt, Angst aufzustehen oder mich zu bewegen. Meine Freundin spricht mich an. Der Arm, die Schulter tut so weh, ich kann kaum sprechen, Tränen steigen auf, unterdrücken den Sprechfluss. Ich schicke sie los, das Auto zu holen.
Im Wartenraum der nächstgelegenen Klinik. Ich habe Angst, dass der Arm gebrochen sein könnte. Eine lange Reihe Wartender. Es ist der 1. Mai.
Endlich zum Röntgen.
Bilder mit dem Arzt besprechen. "Sieht gut aus, hm, nein, da, am Rand der linken Schulter ist ein hauchdünner Riss zu sehen. Das müssen wir operieren. Kommen Sie morgen wieder."
So lange wird der Arm in eine Schlinge gebunden. Ich werde mich auf absehbare Zeit nicht umziehen oder waschen können. Es tut einfach nur weh. Ich würde am liebsten schreien, aber das hilft ja auch nicht.
"Nehmen Sie Schmerztabletten mit, Sie werden Sie brauchen."
"Nein, danke."
"Doch."
"Nein." Ich stecke trotzdem welche ein. Dann ist wenigstens dieses Gespräch zu Ende.
Meine Freundin bringt mich nach Hause. Kocht etwas für mich.
Morgen ist ihr Geburtstag.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil sie meinetwegen aufs Feiern verzichten wird.
Ich schreibe einer Bekannten, die Reiki-Meisterin ist, eine SMS. Ob sie mir "etwas schicken" kann. Was genau sie macht, weiß ich nicht, aber ich habe das Gefühl, das sich energetisch etwas tut, rund um meinen Körper.
Erstaunlicher Weise gelingt es mir in der Nacht, mich einigermaßen in den Schmerz zu entspannen und hin und wieder zu schlafen. Auf die bevorstehende OP habe ich keine Lust. Ich will keinen Nagel in meiner Schulter. Auf jeden Fall sollte noch ein anderer Arzt die Situation begutachten. Ein Bekannter, der Therapeut ist, stellt mir eine Überweisung aus und ruft in einer Klinik an, zu der er Kontakte hat.
Dort werden wieder Röntgen-Aufnahmen gemacht. Diagnose: "Wenn Sie den Arm ganz ruhig stellen, können Sie um die OP herum kommen." Der feine Riss im Knochen sitzt direkt am äußersten Ende des Schulterknochens, dort wo die Muskeln ansetzen.
Seufzen. Das ist noch mal gut gegangen.
"Sie werden allerdings noch lange Schmerzen haben."
"Nein."
"Sie werden mindestens sechs Monate nicht Auto fahren können."
"Nein."
"Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie mindestens sechs Monate Schmerzen haben."
"Nein."
"Sie werden..."
"Ich glaube, dieser Dialog ist sinnlos."
Neuer Termin vereinbart. Etwas komfortablere Schiene.
Die Rezeptionistin zum Abschied: "Oh, davon werden Sie noch lange gut haben. Ich kenne das. Mindestens ein halbes Jahr werden Sie noch Schmerzen haben. Vielleicht für immer."
"Nein."
"Doch. Ich kenne..."
"Nein. Wissen Sie, es ist nicht gut, soetwas zu glauben."
"Sie werden ja sehen."
"Nein."
Die nächsten Wochen immer wieder mal Röntgenaufnahmen.
Meine Freundin fährt mich in der ersten Zeit, hilft beim Waschen von mir und Klamotten. Kocht für mich.
Ich verbringe viel Zeit mit innerem Lauschen.
Die Sonne scheint.
Kleinste Spaziergänge im Park. Sitzen auf Bänken. Die Natur betrachten. Den Bach. Die Wasseramsel. Die Bäume.
Mir geht es gut.
Trotz Unbeweglichkeit.
Mein Arm heilt vorbildlich.
Nach vier Wochen kann die Schiene ab.
Nach sechs Wochen darf ich wieder Auto fahren.
Ich besuche ein Seminar bei einem Heiler.
Nach dem Seminar im Biergarten: "Was hast du denn da gemacht?"
Ich erzähle ihm von dem Sturz. Zurück geblieben ist ein riesiger blauer Fleck am Arm.
"Da kann man die Infos wieder in die Zellen einspielen, die vorher da waren. Wann war denn dein Sturz?" Er legt eine Hand auf meine Schulter. Redet und scherzt weiter mit den anderen. Trinkt Hefeweizen.
Etwas verändert sich im Arm. Mir wird furchtbar übel. Schnell auf Klo.
Der an diesem Abend noch mindestens Hand-große blaue Fleck ist am nächsten Tag verschwunden.
Die restlichen Schmerzen auch.