„Was ist eigentlich mit dem Vater von Hungoloz?" wollte Pia wissen. „Das ist ebenfalls eine sehr traurige Geschichte," antwortete Markuloz und ein Schatten glitt über sein Gesicht. „Er ist eines Tages spurlos verschwunden. Hungoloz, war damals bereits weg. Er weiss noch nicht, was mit Makraloz geschehen ist. Es graut mir schon heute davor, es ihm zu sagen. Er hat schon so viel durchgemacht." Hast du keinerlei Ahnung, wo sein Vater sein könnte?" erkundigte sich Benjamin. „Nein, aber ich habe so eine Vermutung.“ Bei diesen Worten senkte der Waldgnom seine Stimme, als wolle er nicht, dass ihn jemand anderer, ausser den Geschwistern, hören konnte. „Die Nymphe hat ihn vielleicht geholt." „Die Nymphe? Davon hat schon der kleine Runkoloz gesprochen.“ „Das ganze Dorf munkelt schon darüber, doch niemand wagt es wirklich laut auszusprechen, alle haben Angst. Ich habe Makraloz’s Mütze damals als er verschwand, am Ufer des Teiches gefunden. Ausserdem, hat es die letze Zeit schon öfters Vermisste bei uns gegeben. Da wir Waldelfen uns sonst sehr gut im Wald auskennen und ich nicht glauben kann, das mein Volk sich einfach verirrt, oder nicht wiederkehrt ist das mit der Nymphe, beinahe die einzig logische Erklärung. Es soll schon mal beobachtete worden sein, dass sie jemanden hinunter ins Wasser gezogen hat. Ausserdem haben einige meiner Leute, auch schon seltsame Geschichten erzählt, wo auf einmal, bisher sicheres Gelände, in der Nähe des Gewässers, zu Morast wurde, von dem sie irgendwie das Gefühl hatten, er lebe und wolle sie herabziehen.“ Den Geschwistern lief ein Schauder über den Rücken. Besonders Benjamin, dachte mit grossem Unbehagen an das zurück, was er selbst bei Runkoloz’s Rettung erlebt hatte. Er erzählte es dem alten Mann. Dieser meinte, ebenfalls mit grösstem Unbehagen, in der Stimme: „Du hattest also auch den Eindruck dieser Schlamm sei von einer bösen Magie beseelt?“ „Ja…irgendwie schon. Kann man dieser Sache nicht auf den Grund gehen.“ „Ich weiss nicht wie. Die Nymphe lässt sich kaum blicken, ausserdem warum sollte sie uns Leid zufügen? Wir sind doch ein friedliebendes Volk und leben mit dem Wald im Einklang. Er ist unser Leben und die Bäume sind unsere Freunde." „Haben denn die Bäume nichts dagegen, wenn ihr aus ihrem Holz Häuser baut?" wollte Pia wissen. „Nein, denn wir haben eine Abmachung mit ihnen. Mit jedem Baum, den wir fällen, pflanzen wir einen neuen, damit der Geist des Baumes, den wir für unsere Zwecke brauchen, einen neuen Lebensraum bewohnen kann. Wir bitten die Bäume auch um Verzeihung und sprechen jedes Mal ein Gebet, damit ihre Seelen weiterleben können. Ausserdem verwenden wir, wann immer möglich Altholz."
Die Geschwister fanden das sehr schön. Von den Waldelfen konnten sie wirklich noch vieles lernen.
„Aber wie ist es mit der Nymphe?“ frage Benjamin. „Sie gehört ja zu den Wassergeistern, soviel ich weiss, habt ihr auch immer im Einklang mit ihr gelebt?“ Markuloz überlegte und meinte dann: „“Es fällt mir beim besten Willen nichts ein, dass sie erzürnt haben könnte. Wir haben einst die Erlaubnis von ihr erhalten, den Teich zum Fischen, Baden und als Wasserlieferant zu nutzen. Die Wassergeister sind in dieser Hinsicht normalerweise sehr freundlich und aufgeschlossen. Immerhin erfüllen sie damit einen wichtigen Zweck im Omniversum. Ohne Wasser wäre gar kein Leben möglich. Nein…es müsste irgendwann, irgendetwas passiert sein, von dem ich nichts weiss. Ich habe schon oft versucht mit Miowa zu sprechen, doch sie reagierte einfach nicht. Ausserdem, kann es auch sein, dass ich ihr Unrecht tue und dann hätte sie wirklich einen Grund erzürnt zu sein. Ich bin schlicht am Ende meiner Weisheit.“ „Vielleicht kann euch ja die Weisheit der Goldenen Tanne weiterhelfen?“ meinte Benjamin. „Habt ihr mit ihr schon darüber gesprochen. Baumgeister wissen um sehr vieles, das durften wir auf dem Weg hierher erfahren. Wir trafen einen sehr netten Lindegeist an. Doch der Geist der Goldenen Tanne scheint ja noch viel älter und weiser zu sein.“ „Ja, damit hast du schon recht, mein Junge. Allerdingst offenbart sich der Geist der Goldenen Tanne nur sehr selten. Und vor allem nicht allen. „Aber immerhin haben wir ja den Zapfen von Hungoloz bekommen. Du sagtest die Tanne sprach zu ihm. Vielleicht wird sie das bei uns auch tun, wenn wir den Zapfen zu ihr zurückbringen.“ „Nun… ein Versuch wäre es wohl wert“, gab Markuloz mit einem bedächtigen Kopfnicken zurück. „Kannst du uns vielleicht zu diesem heiligen Baum führen?“ fragte Pia, welche auf einmal sehr aufgeregt war. „Ja, das kann ich tun. Aber nicht mehr heute. Es dunkelt schon ein und es wird Zeit, dass wir etwas essen und eine Mütze Schlaf kriegen. Morgen führe ich euch zu der Tanne. Versprochen! Nun kommt aber! Es wird Zeit dass ihr die Gasfreundschaft des Waldvolkes mal richtig kennenlernt!“
Sie verliessen den Baum. Unten auf der Lichtung, loderte bereits ein Feuer. Ein Topf mit dampfender Suppe, hing darüber. Eine alte Frau, schöpfte allen die herkamen, einen Löffel voll in ihre Schalen. Dazu wurde ein eigenartiges Getränk getrunken und Fladenbrot gegessen. Pia und Benjamin erfuhren, dass das Getränk aus verschiedenen Wurzeln und Knollen gebraut war. Es schmeckte ihnen nicht besonders. Die Suppe war jedoch sehr gut. Das Rezept wollte die Köchin nicht verraten. So tranken die Kinder nur etwas Wasser und assen dazu reichlich Suppe und Brot. Auch die Waldelfen, waren sehr lebensfrohe Leute. Die Geschwister erfuhren von Markuloz, dass sein Volk, eng verwandt mit den Erdgnomen war.
Nach dem Abendessen, wurde noch gemütlich beisammengesessen und etwas geredet. Erfreut stellte Pia fest, dass auch der kleine Runkoloz anwesend war. Seine Mutter kam noch zu den Geschwistern und bedankte sich nochmals ausführlich bei den Geschwistern. Sie spendierte ihnen sogar noch ein besonderes, mit Honig gesüsstes Getränk, dass die beiden etwas schummrig im Kopf machte. Der kleinen Runkoloz, war auch beim Abendessen dabei, doch dann wurde er schon ziemlich früh ins Bett geschickt. Auch die Geschwister waren müde und erhoben sich ebenfalls ziemlich bald. Sie wünschten allen eine gute Nacht. Die Waldelfen behandelten sie sehr herzlich, auch hier herrschte eine Liebe und Einheit, die den Jugendlichen sehr guttat. „Wäre es in unserer Heimat nur auch so wie hier," sprach Pia, als sie zusammen mit ihrem Bruder erneut die Leiter zum Baumhaus erklomm. „Es ist alles so friedlich und alle verstehen sich so gut." „Ja, das ist wahr," erwiderte Benjamin
„Trotzdem gibt es hier sicher auch gewisse Probleme. Lumniuz sagte ja, dass es überall böse Wesen gibt, die die Guten quälen." „Meinst du wirklich, diese Teichnymphe ist böse?" „Ich weiss es nicht, vielleicht hat sie auch Gründe für ihr Verhalten. Jedenfalls werden wir das rausfinden." „Was ist mit dem Feuer der ewig, göttlichen Liebe?" Das kann noch etwas warten. Zuerst mal, müssen wir zur Goldenen Tanne." „Ja, das Gefühl habe ich auch, schon Hungoloz zuliebe." „Genau. Ausserdem, sagte man uns ja, dass wir uns auf unsere Herzen verlassen sollen und mein Herz sagt mir im Augenblick, dass wir hier gebraucht werden." „Ja, du hast recht, mein Herz sagt mir dasselbe. Nachdem wir Ululalas Schloss verlassen hatten, wusste ich lange nicht, wohin wir uns wenden sollen, Nun ist alles wieder ganz klar. Ich habe einfach das Gefühl, dass die Goldene Tanne uns weiterhelfen kann." „Da geht's uns wieder mal gleich Schwesterherz!" lachte Benjamin. „Dann lass uns also schlafen und Morgen zu diesem Wunderbaum aufbrechen!"
Durch heiteres Vogelgezwitscher wurden die Geschwister am nächsten Morgen aufgeweckt. Es war noch ziemlich früh und es dämmerte gerade. Der Wald lag unter ihnen. Alles war ruhig und friedvoll. Es machte einem den Eindruck, als würde die ganze Schöpfung erst erwachen. Die Luft, war frisch und rein. Es roch nach Holz, frischem Laub, Harz und Erde. Gerade ging die Sonne über den Kristallbergen auf und tauchte alles in rotgoldenes Licht. Es wirkte, als würde der Himmel in Flammen stehen. Auch Ululalas Schloss erglühte in der Morgensonne. Langsam wurde ihr Schein heller und die Blätter der Baumkronen, begannen in güldenem Licht zu glänzen. Es war herrlich! Die Kinder standen auf dem Balkon und konnten sich kaum satt sehen.
Später packten sie ihre Habe zusammen und kletterten hinunter auf die Lichtung, Die Waldelfen, hatten sich bereits zum Frühstück versammelt. Die Laune war gut, doch die meisten waren noch etwas müde. So wurde nicht soviel gesprochen.
Nach dem Frühstück trafen sie sich mit Markuloz, um sich auf den Weg zur Goldenen Tanne zu machen. Es war ein ziemliches Stück zu Fuss, doch Markuloz schritt ohne Mühe vor ihnen her. Das musste wohl die gesunde Waldluft ausmachen. Es war ein schöner Marsch durch den Wald. Wie ein Dach waren die Zweige der mächtigen Bäume. Sonnenlicht fiel durch sie hindurch und sorgte für ein lebhaftes Licht- und Schattenspiel. Überall hörte man verschiedenste Geräusche die Vögel zwitscherten im Chor und stetig rauschte der Wald. Die Geschwister, blickten sich um. Sie wussten, dass viele Augen sie beobachteten. Ab und zu glaubten sie im Stamm eines Baumes sogar ein Gesicht zu erkennen. Es war ein eigenartiges Gefühl.
Schliesslich, kamen sie zu einer Lichtung. Überall wuchsen Blumen und das hohe Gras, wehte sanft im Wind. Diese Lichtung erinnerte sie stark an jene, auf der sie Nofrete einst gefunden hatten. Inmitten dieser Lichtung jedoch, stand eine einzige, riesige Tanne mit goldenen Nadeln.
So eine Tanne, hatten die Geschwister noch nie gesehen. Eine einzigartige Magie, lag über diesem Ort, welche die beiden bis ins Innerste berührte.
„Das ist sie, die Goldene Tanne," flüsterte Markuloz. „Sie ist schon mehr als tausend Jahre alt. Das Waldvolk verehrt sie sehr." Er trat ehrfürchtig näher an die Tanne heran und verneigte sich vor ihr, dabei murmelte er etwas, das die Kinder nicht verstanden.
Schliesslich trat der alte Waldelf zur Seite und sprach: „Begrüsst sie!" Pia und Benjamin machten einen Schritt vorwärts und sagten: „Sei gegrüsst Goldene Tanne, Wir haben dir etwas mitgebracht." Benjamin nahm den goldenen Zapfen aus dem Beutel und hob ihn hoch, dabei sprach er: „Der Waldelf Hungoloz hat ihn uns geschenkt. Er bat uns die Samen zu deinen Ehren zu säen und dann versprach er, dass du mit uns sprechen wirst. Ausserdem sendet er dir die ehrfürchtigsten Grüsse." Mit diesen Worten bückte er sich und begann ein kleines Loch zu graben. Pia half ihm dabei. Benjamin legte in jedes Loch einen Samen und bedeckte ihn wieder mit Erde. Als sie fertig waren, erhoben sie sich wieder und Pia:
„Wie du siehst, Geist der Goldenen Tanne, haben wir alle Samen des Zapfens gepflanzt. Bitte zeige dich uns nun!" Alle starrten voller Spannung auf den Stamm des mächtigen Baumes. Zuerst tat sich nichts, doch dann plötzlich, löste sich ein Gesicht aus der Rinde! Es war das Gesicht eines uralten Mannes. Schliesslich tauchten wie damals bei der Linde, Arme und Beine auf. Kurz darauf, stand der Geist der Tanne in voller Grösse vor ihnen. „Bei allen Waldgeistern!" stiess Markuloz hervor „noch nie hab ich den Geist der Goldenen Tanne so gesehen! Oh, was für eine grosse Gnade wird mir da zuteil!" Tränen stiegen ihm in die Augen. Pia und Benjamin blieben äusserlich ruhig, blickten den Tannengeist jedoch ebenfalls mit grossem Respekt an. Er war eine sehr eindrückliche Erscheinung und überragte die Kinder, um mehrere Haupteslängen. Sein Gewand, war aus goldenen Tannennadeln gefertigt. Auf dem Haupt trug er eine Krone aus massiverm Gold, welche mit ebensolchen Tannzapfen und Zweigen verziert war. Sein Gesicht war voller Falten. Seine schwarzglänzenden Augen jedoch, blickten die Kinder gütig an. „Seid gegrüsst!" sprach er mit tiefer Stimme. Die drei nickten nur als Antwort. Sie fanden noch immer keine richtigen Worte, besonders Markuloz schien vollkommen durcheinander zu sein. Der Tannengeist fuhr deshalb freundlich fort: „Ich danke euch, dass ihr meine Samen eingepflanzt habt. Dies erfüllt mich mit grosser Freude, denn ich weiss jetzt, dass Hungoloz den Schmerz über den Tod seiner Mutter verkraftet hat und es ihm gut geht."
Er ist zur Zeit bei dem Zauberer Ululala in der Lehre," erzählte Benjamin. Der Tannengeist lächelte. „Ich wusste schon immer, dass dieser Junge etwas Besonderes ist. Als ich vor drei Jahren mit ihm gesprochen habe, war er sehr unglücklich. Ich versprach ihm, dass er eines Tages eine wichtige Aufgabe übernehmen wird und schenkte ihm meinen Zapfen. Er musste mir versprechen, dass er, falls er das Glück wieder neu gefunden hat, er dafür sorgen würde, das meine Samen ausgesäht werden. Ich stellte es ihm auch frei, den Zapfen jemand anderem zu schenken, sofern er aus irgendeinem Grund nicht selbst zurückkehren könne. Nun hat er euch dazu auserwählt, sein Versprechen einzulösen. Ich danke euch. Ihr habt dafür gesorgt, das ich endlich meine Ruhe finde."