Trojanas machte kein Auge zu, er durchdachte seine Strategie immer und immer wieder. Er beschloss seine Armee in mehrere Gruppen aufzuteilen, welche an verschiedensten Stellen der lunarischen Stadt zuschlugen. Die Löwenreiter, würden über allem schweben und sich bereithalten, die gefangenen Frauen zurück ins Lager zu tragen. Seine Männer sollten systematisch jedes Haus durchkämmen und Frauen in den fruchtbarsten Jahren und mit guten Erbanlagen gefangen nehmen. Alte und sehr junge Frauen und natürlich auch Mädchen sollten verschont bleiben, da erstere sowieso nicht mehr fruchtbar wurden und die ganz jungen noch nicht bereit für eine Paarung waren, oder ihre Fraulichkeit vielleicht erst gerade entdeckten. Trojanas wollte keine halben Kinder gefangen nehmen und Kinders sowieso nicht. Sein Auftrag war klar und er würde ihn wie jeden anderen gut ausführen.
So also begab es sich, dass die Solianer sich nach Mitternacht versammelten, um genauere Anweisungen zu erhalten. Ein schon fast halbvoller Mond stand am Himmel. Es war noch recht dunkel, aber die Fackeln der Stadt wiesen ihnen den Weg. Der Tempel war mit sanftem Licht beleuchtet, alles wirkte irgendwie magisch. Es berührte Trojanas irgendwie und in ihm machte sich erneut dieses seltsame Unbehagen breit, das er schon seit Erhalt dieses Auftrages immer wieder verspürt hatte. Er achtete aber nicht darauf und gab, professionell wie immer, seine Befehle an die Männer weiter.
Diese schwärmten aus und versammelten sich lautlos um die nächtliche Stadt. Die Löwenreiter, welche ja etwas schneller waren, warteten noch etwas länger, bevor sie abflogen. Der junge Königssohn aber, machte sich bereits mit den ersten Truppen auf den Weg. Auf dem Rücken von Typon flog er voraus und gab mal da und mal dort seine Anweisungen.
Als die Armee sich in die geplante Formation gebracht hatte, war bereits der grösste Teil der Nacht vorbei. Sie warteten, bis sich der erste blasse Dämmerschein am Horizont als mattgrauer Schimmer zeigte. Die Sicht war jetzt schon etwas besser, aber es war noch immer so früh, dass die Lunarier zum grössten Teil noch schliefen. Trojanas hatte von seinen Späher erfahren, dass das Volk des Silbermondes, meist sehr spät zu Bett ging, dafür aber auch am Morgen etwas länger schlief.
So hatte sich das im Laufe der Zeit eingependelt. Es war hier nicht wie bei den Harpyas, die nachtaktiv waren, oder wie bei den Solianern selbst, die bereits beim ersten Schein der Sonne aufstanden und dafür etwas früher zu Bett gingen.
Durch das Wissen, welches er sich über die Lunarier zuvor angeeignet hatte, bestimmte Trojanas deshalb die ganz frühen Morgenstunden als ideale Überfallszeit, denn dann konnten seine Leute auch wieder etwas besser sehen.
Als also das erste Dämmerlicht erschien, setzte sich die solianische Armee wie auf einen stillen Befehl hin in Bewegung. Trojanas war stolz darauf, wie gut seine Männer ausgebildet waren, sie bildeten eine Einheit, welche unverzichtbar für erfolgreiche Schlachten war. Die Lunarier hatten ihnen kaum etwas entgegenzusetzen. Er lächelte zufrieden und etwas verschlagen in sich hinein und erhob sich etwa höher in die Lüfte, um alles gut überblicken zu können. Typons Schwingen schlugen beinahe lautlos. Mit Anmut und doch wunderbar kraftvoll, bewegte er sich vorwärts. Trojanas liebte das Löwenreiten, er fühlte sich dabei so geborgen und doch voller Kraft und vollkommen frei. Er und Typon waren auch perfekt aufeinander abgestimmt. Zwischen ihnen bestand ein ganz besonderes Band. Der fliegende Löwe achtete auf jede kleinste Bewegung von Trojanas Händen, jeden noch so sanften, kaum spürbaren Schenkeldruck, der dem Tier die richtige Richtung wies. Alle Löwenreiter besassen ein besonderes Talent mit ihren Reittieren umzugehen, aber keiner hatte bisher jene Perfektion erreicht, welche Trojanas und Typon zu eigen war. Darum bewunderten auch alle Krieger den jungen Königssohn, sie waren ihm loyal ergeben und das Volk liebte ihn, einiges mehr noch, als es den König selbst liebte. Das war auch ein wichtiger Grund, warum Solianas Trojanas zu seinem Nachfolger erwählt hatte.
Trojanas beobachtete von seinem erhöhten Blickwinkel aus, wie seine Männer leise näher an die Stadt heran schwebten. Ihre Sinne waren vollkommen wach, sie achteten auf jeden möglichen Angriff, seitens der Lunarier, aber alles blieb ruhig. Es hatte auch kaum Wachen. Die Lunarier schienen sich sicher zu fühlen.
Ungehindert erreichten die solianischen Krieger die ersten aus verflochtenem Geäst gefertigten Häuser. In ihren Händen trugen sie gebogene Schwerter, meist mit goldverzierten Griffen und teilweise auch Dolche und vereinzelte Schilde mit glänzenden Sonnensymbolen darauf. Dies waren die besten Waffen für einen Überraschungsangriff. Trojanas hatte seine Armee aufgeteilt. Die einen waren die Nahkämpfer, welche direkt in die Häuser eindrangen. Dann gab es eine zweite Gruppe von geübten Speerwerfern, welche den Nahkämpfern den Rücken freihielten. Sie trugen reich verzierte, mit goldigen, roten und orangen Fäden bestickte Köcher bei sich, worin etwa 10- 15 Kurzspeere steckten, die dann jeweils mit hölzernen Speerschleudern geworfen wurden. Das Speerschleudern, war eine verbreitete Taktik unter den Solianern. Etwas weiter oben, unmittelbar zwischen den Nahkämpfern, Speerwerfern und den im obersten Bereich befindlichen Löwenreitern, hatten sich Bogenschützen mit Palmholzbögen versammelt, welche nur dann eingriffen, wenn die Nahkämpfer und Speerwerfer ernsthaft in Bedrängnis gerieten.
Und dann begann der Angriff! Trojanas beobachtete eine Gruppe von Nahkämpfern, welche sich lautlos immer näher an eines der Häuser heranpirschte. Was genau geschah konnte er nicht sehen, aber er konnte es sich vorstellen: Die Männer lauschten einen Moment, dann schoben sie vorsichtig die Tierhaut beiseite, welche den Eingang der Behausung abdeckte. Leises, regelmässiges Atmen drang an ihre Ohren. Es mussten zwei Personen hier drin sein, eine Frau und ein Mann. Sie schwebten näher heran. In dem an der Decke befestigten, breiten Bett lag das Paar. Es schlief tief. Der Anführer der Gruppe, gab seinen Männern einen lautlosen Befehl. Zwei von ihnen näherten sich dem Mann und zwei der Frau. Blitzschnell hielten sie ihnen den Mund zu und ihre Waffen an die Kehle. Das Paar erwachte mit entsetzensgeweiteten Augen und starrte die fremden Männer an. Deren Griffe waren eisern. Der Anführer und die beiden welche die Frau gepackt hatten, zerrten diese ins Licht. Sie war jung, aber nicht mehr zu jung und sehr schön, mit einem weissen Gefieder, von azurblauen Federn durchzogen. Ihr Körper war wohlgeformt und sie schien gute Erbanlagen zu haben. Der Mann indes konnte sich nicht rühren, er wehrte sich verzweifelt, doch gegen die zwei kräftigen Solianer, die ihn festhielten und seinen Hals mit ihren Dolchen und Schwertern ritzten, hatte er keine Chance. So musste er hilflos mitansehen, wie die andern drei Fremden, unter ihnen der Anführer, seine Gefährtin nach draussen brachten und mit ihr einfach davonflogen. Er wand sich verzweifelt, versuchte sich zu befreien, doch die Feinde schoben ihm einen aus Stoff und einem Lederband bestehenden Knebel, in den Mund und fesselten ihn mit seltsamen Stricken, die sich eng um seinen Körper herum legten und ihm gerade noch genug Raum zum atmen liessen. Die Solianer banden ihn an der linken Betthalterung fest und der eine legte seinen Finger auf den Mund, was der Lunarier als schlichte Verspottung wertete, denn er konnte sich überhaupt nicht mehr rühren, geschweige dann schreien. Voll tiefer Verzweiflung wehrte er sich gegen die Stricke, aber diese zogen sich nur noch enger zusammen. Er war vollkommen hilflos. Die Fremden indes verliessen lautlos wie sie gekommen waren wieder das Haus.