„Dann also los!“ befahl Nannios und seine Truppe machte sich auf den Weg, Richtung Nordtor. Rechter Hand ragte eine Felswand auf, in deren Schatten man sich etwas verbergen konnte. Dann kamen die ersten, der eindrücklichen Stallungen und die Freilaufgehege, in Sicht. Nannios überlegte sich, dass sein Volk wohl auch bald sowas bauen musste, wenn die Pegasosse bei ihnen blieben. Keine Menschenseele kreuzte glücklicherweise ihren Weg, alles blieb ruhig, nur die Tiere knurrten oder fauchten leise. Sie schwebten an selbigen ehrfurchtsvoll vorbei. Die gewaltigen, mit einer dichten Mähne bewehrten Köpfe der Löwen, drehten sich ihnen zu und die grünen, mit schwarz umrahmten Augen, schauten ihnen misstrauisch hinterher. „Ganz ruhig!“ sprach Nannios, als er an einem besonders mächtigen Löwen vorbeikam. „Wir haben keine bösen Absichten.“ Fasziniert blieb er vor dem Gitter stehen und überlegte, ob er seine Hand nach dem Tier ausstrecken sollte, doch er liess es dann doch lieber bleiben. Er konnte es sich nicht leisten, sich jetzt zu verletzen. Seine Gruppe, welche nun gerade von Irisa angeführt wurde, näherte sich dem Tor von der Seite her. Zwei Wachen standen dort, mit eindrücklichen Äxten, als Waffen. Sie mochten gute Kämpfer sein, aber gegen die Übermacht der Lunarier und Harpyas, hatten sie keine Chance. Wichtig war jedoch auch, zu verhindern, dass sie Alarm schlugen. Irisa wollte einen Plan ausarbeiten, um die Wächter möglichst schnell und risikolos zu beseitigen. Nannios meinte: „Wartet mal! Ich probiere da mal etwas, dafür muss ich aber etwas näher ran. „Am besten wir nähern uns von oben, vom Torbogen her, “ „meinte Irisa. „Ja, ich brauchte nur ein paar Leute, die mich noch zusätzlich absichern, falls irgendwas schief laufen sollte. Doch ich glaube, es sollte klappen.“ „Okay!“ die Harpya winkte zweien ihrer Mitschwestern und ein paar Lunariern, die sie begleiten sollten. „Wenn alle Stricke, reissen, “ wandte sie sich an den Rest, „dann müsst ihr sie mit Pfeilen möglichst schnell erschiessen!“
Die Angesprochenen nickten und Nannios und die andren machten sich auf den Weg. Sie schlichen noch ein Stück der Wand der Nordmauer entlang und dann, erhoben sie sich lautlos in die Lüfte. Sie schwebten, sich immer an der Mauer haltend, bis zum oberen Teil des mächtigen Torbogens. Es gab hier ein metallenes Gitter, das man an einem Art Flaschenzug hinauf oder hinunter ziehen konnte. Gerade war es oben, da ja kein Krieg stattfand. Die Harpyas und Lunarier, landeten auf den Gitter, dass ihnen mit seinen dicken Querverstrebungen guten Halt bot. Nannios nickte den andern zu und gebot ihnen hier zu warten, dann schwebte er etwas weiter herab, dass er die beiden Wachmänner gut sehen konnte. Diese schöpften bisher keinen Verdacht.
Nannios konzentrierte seinen Willen und seine Gedanken und sandte sie in seinen Stab. Der Stein glomm kurz auf und dann wurde eine Art Schockwelle von ihm abgegeben, welche die Wachen traf und sie sogleich zusammenbrechen liess. Irisa nickte ihm anerkennend zu. „Keine schlechte Magie, die du da vorzuweisen hast. Sind sie…“ „ Nein, sie sind nur bewusstlos und werden eine ganze Weile nicht mehr erwachen“, gab Nannios zurück „aber wir fesseln und knebeln sie vorsichtshalber.“
Die Harpya nickte erneut und schwebte dann, den andren voraus, nach unten. Sie fesselten die beiden Wächter und schleppten sie mit sich durch das eiserne, mit einigen Ziernägeln und geschmiedeten Beschlägen versehene Tor herein. Der Rest der Truppe gesellte sich auch wieder zu ihnen
„Mal sehen, wann Trojanas Leute uns empfangen?“ meinte Irisa etwas ungeduldig, da noch niemand zu sehen war. „Sie kommen bestimmt bald“, erwiderter Nannios. „Bisher hat alle sehr gut geklappt…“ Er hielt im Sprechen inne, als sie in ein riesiges Rundgewölbe hinein schwebten. Es war nur mit einigen Fackeln ausgeleuchtet und oben an der Decke befanden sich zwei sechseckige Öffnungen. Eine davon war kleiner, die andere ein Stück grösser. „Durch beide, soll man in die Stadt gelangen“, meinte Nannios. „Die eine Öffnung ist jedoch jene, welche von allen benutzt wird, die andere, kleinere, soll ein Art Aufzugsschacht sein, durch den man Waren nach oben und unten transportiert. Gerade wird er nicht benutzt. Wir können durch ihn unbemerkt, auf die unterste Ebene der Stadt gelangen, dort sind auch die Gefängnisse, wo unsere Frauen festgehalten werden. Ich hoffe, wir kommen noch rechtzeitig, bevor sie…“ Er vollendete den Satz nicht. Die Gesichter der Lunarier verfinsterten sich. „Wenn sie nicht mehr im Gefängnis sind, dann werden wir sie suchen und auf jeden Fall finden und befreien!“ sprach Nannios „auch…wenn das Krieg bedeutet!“
„Wir hoffen, so weit wird es nicht kommen!“ erklang eine Stimme über ihnen. Aus der grösseren Öffnung in der Decke schwebten auf einmal mehrere geflügelte Wesen mit Gefiedern und Schwingen, in allen Schattierungen des Feuers. Ihre Anführerin war eine etwas ältere, aber stattliche, hochgewachsene Frau, mit rot-orangem Gefieder und rotem, von einigen grauen Strähnen durchzogenem, Haar. Sie trug eine Kriegeraxt, mit scharfer Klinge und einer Spitze am oberen Ende. Die anderen, welche ihr folgten, waren vorwiegend Frauen, nur ein paar wenige Männer, waren darunter. Es machte Nannios im ersten Moment den Eindruck, als würden sie wie Bienen aus der Öffnung eines Bienenstockes herausströmen. Das mussten Trojanas Leute sein, welche sie hier empfangen sollten. Aellias Liebster und auch die Harpyas, schauten ihnen voller Erstaunen entgegen. Da es hier so viele bewaffnete Frauen gab, hätten sie nicht erwartet. Da dies doch ein Volk war, bei welchem die Frauen nur sehr wenig geachtet wurden und dementsprechend auch nicht im kämpfen oder dergleichen ausgebildet wurden.
„Seid ihr die Leute, welche uns hier abholen sollten?“ fragte Nannios, auch wenn er eigentlich bereits um die Antwort wusste. „Ja, das sind wir. „Ich seid…alles Frauen, ist das nicht etwas ungewöhnlich, bei den Solianern?“ „Ja, das ist es, aber wir haben unseren eigenen, kleinen Widerstand aufgebaut, ganz im Stillen. Wir haben im Stillen kämpfen gelernt und wollten Solianas eigentlich bald stürzen. Zum Glück ist mein Sohn Trojanas wenigsten zur Vernunft gekommen und jetzt unterstützen wir ihn und euch nach Leibes-Kräften.“ „Trojanas ist dein Sohn?“ fragte Nannios. „Ja, das ist er.“ „Bestimmt hatte er bisher kaum Kontakt mit dir, wenn ich mir die Lebensart eures Volkes genauer ansehe.“ „Nein, wir hatten kaum Kontakt, aber das wird sich jetzt ändern. Es wird Zeit das wir aufbrechen!“ sie lächelte Nannios vielsagend zu „in allen Bereichen, wird es Zeit aufzubrechen.
„Habt ihr die Lunarierinnen vor kurzem noch gesehen?“ frage Irisa. „Ja, als wir das letzte Mal bei ihnen vorbeischauten, waren sie noch im Kerker und man hatte sie noch nicht berührt. Die Solianer wissen alle, dass zuallererst der König sich die Frauen aussucht, die ihm am besten gefallen. Sie kommen dann in seinen Harem. Erst wenn er das gemacht hat, darf der Rest der Männer, sich die Frauen nehmen.“ Nannios spürte ein Würgen, als er daran dachte, wie die Lunarierinnen, vielleicht Mütter von Kindern, Gefährtinnen eines Mannes, oder sonst noch unerfahren, wie auf einem Viehmarkt vor lüsternen Männerblicken feilgeboten wurden. Er wusste nicht mal genau, wie das vor sich ging. Vielleicht stürzten sich die Männer einfach auf die Frauen und taten ihnen, einer nach der andren, Gewalt an. Vielleicht, und das hoffte er, lief das Ganze auch langsamer und zivilisierter ab. „Wir werden eure Frauen befreien!“ sprach Dyandra.
„Der Aufzugsschacht ist die beste Möglichkeit sich beinahe unbemerkt, in der Stadt zu bewegen. Vom Hauptschacht, zweigen noch viele andere Röhren ab, die an verschiedenste Orte führen. Wir zeigen euch, wo es zu den Gefängnissen geht. Es kann manchmal etwas verwirrend sein, denn wir haben hier ein ziemliches Labyrinth an Gängen, wie in einem Bienenstock. Je weiter man nach oben kommt, umso besser werden die Viertel, dementsprechend werden sie auch bewacht. Der Aufzugsschacht reicht bis zur obersten Spitze der Pyramide.“ Aber woher wissen wir, dass diese Aufzug nicht doch noch fährt und uns im schlimmsten Fall zerquetscht?“ meinte Irisa zweifelnd. „Der Aufzug funktioniert nicht mehr. Man muss ihn erst wieder reparieren. Das dauert eine Weile. Wir haben da etwas nachgeholfen und einer unserer bester Mechaniker, ist auf unserer Seite. Er wird sich etwas Zeit lassen mit reparieren.“ Sie schaute zu einem etwas älteren Mann herüber, der ein rotes Gefieder hatte und die beiden nickten sich schmunzelnd zu.