„Nun, dann ist ja alles bestens!“ freute sich Nannios. „Dann los! Es wird Zeit, dass wir unsere Frauen befreien!“ Er wandte er sich nochmals an Dyandra: „Ich danke euch, für eure Hilfe!“ „Das tun wir gern. Wir sind selbst Frauen, wir haben deshalb grosses Mitgefühl für eure Frauen. Es ist eine Schande, dass unsere Männer sowas verwerfliches getan haben. Anstatt dass sie einfach mit euch über ihre Probleme verhandelt hätten, aber Solianas ist viel zu stur und viel zu verblendet. Er ist eines Königs nicht mehr würdig. So nun gehen wir aber. Kommt! Man kann gerade knapp durch den Schacht hochfliegen, achtet dabei gut darauf, dass ihr euch nicht noch an den Flügeln, oder sonst wo, verletzt.“
Nannios schaute den Solianerinnen hinterher. Es waren auch wirklich sehr ansehnliche Frauen unter ihnen. Etwas herber zwar, als die Lunarierinnen, aber das hatte seinen Reiz. Ihre Rüstungen verhüllten nur gerade das Nötigste und da und dort wurden wahrlich attraktive Einblicke gewährt. Eine Frau fiel ihm besonders auf. Sie war etwa in seinem Alter, mit einem gelborangen Gefieder, einzigartigen, goldleuchtenden Augen und langem Haar, welches die Farbe von dunklem Bienen-Honig besass. Ihr Körper, mit der honigfarbenen Haut, war wohlgeformt, ähnlich wie bei Aellia, doch ihre Brüste waren etwas kleiner. Sie hatte schöne, symmetrische Gesichtszüge und ihr Taillen- Hüft Verhältnis, war perfekt. Gekleidet war sie, wie die andern in eine knappe, schwarze Rüstung, welche ihre Rundungen sehr schön betonte. Einen Moment lang, blieb Nannios Blick an ihr hängen. Vielleicht würde er sie später etwas besser kennenlernen…
Der Aufzugsschacht war wirklich eng und seine dunklen Wände ziemlich rau und mit einigen Unebenheiten, welchen man besser auswich, um sich nicht auf einmal mit den kostbaren Flügeln darin zu verfangen. Die Solianerinnen trugen einige Fackeln bei sich, da sie ja im Dunkeln sehr schlecht sahen. Die Harpyas und Lunarier, hatten da einige Vorteile, sie sahen einiges besser und waren nicht auf das spärliche Fackellicht angewiesen.
Nannios vergewisserte sich stets, ob niemand zurückblieb, er hatte sich bereit erklärt, das Schlusslicht zu bilden, währende Dyandra an der Spitze flog und die Harpyas in der Mitte.
Alles verlief gut und ohne grössere Verzögerungen. Schliesslich, tauchte über ihnen die erste Öffnung, welche in die Stadt führte, auf. „Gleich da müssen wir raus!“ rief Dyandra.
Alles folgten ihr. Sie fanden sich in einer ziemlich dunklen Gasse wieder. Es gab hier einige ziemlich ärmliche Häuser, deren einst weisser Verputz, schon anfing abzubröckeln. Die Dächer bestanden aus verwitterten, roten Lehmziegeln. Es hatte hier kaum Leute, ausser einige vereinzelte, sehr junge und sehr alte Solianerinnen, welche ihnen neugierig und zugleich ehrfürchtige entgegenblickten. Sie nickten ihnen zu und einige Mädchen liefen ihnen sogar ein Stück hinterher. „Jene die noch hier sind, sind die einzigen Frauen, welche nicht mit uns in die Schlacht ziehen,“ sprach Dyandra, erklärend an Nannios und die anderen gewandt. „Sie sind entweder zu jung oder zu alt.“
Der junge Lunarier war tief erschüttert, von dem was er hier sah. Die Frauen lebten in der Sonnenstadt, wirklich unter sehr schlechten Bedingungen. Alles war alt und heruntergekommen. „Leben alle weiblichen Angehörigen eures Volkes auf diese…“ er suchte ein gutes Wort „bescheidene Art. „Ja, ausser jenen, welche zum Harem des Königs gehören. Ich habe einst auch dazu gehört, aber…als Solianas meiner überdrüssig wurde, hat er mich wieder zurück ins untere Viertel geschickt.“ Finsternis legte sich über ihr Gesicht und das Gesicht der andern Solianerinnen. „Aber…ihr habt hier wirklich kein gutes Leben! Das ist unrecht!“ Dyandra lachte bitter auf. „Ja, das kann man so sagen. Wir leben schon seit langem so. Niemand kümmert sich um uns, ausser wenn ein Mann gerade das Verlangen verspürt, sich mit uns zu vergnügen, oder wir ihm seine Kinder gebären.“ Die Harpyas schauten unangenehm berührt, als sie diese Worte vernahmen. Nannios sah das und dachte bei sich: „Ob die Männer bei den Harpyas, in ähnlichen Verhältnissen lebten?“ Er verstand die solianischen Frauen. Ihr Aufstand war eine unweigerliche Folge, der schlechten Behandlung und der unwürdigen Lebensart. Es liess sein Blick über die rot, orange und golden gefiederten Frauen schweifen und sein Blick begegnete dem der schönen, jungen Solianerin mit der Honighaut. Sie lächelte ihm zu. Herausforderung und Interesse lag in ihrem Blick. Sie schien Gefallen an ihm gefunden zu haben, wie auch einige andere ihres Volkes, wie er feststellte. Doch eigentlich interessierte ihn vor allem die Frau mit den goldenen Augen. Es lächelte ihr kurz zu und wandte sich dann wieder an Dyandra. „Wir werden euch, nach dem Befreien unserer Frauen, dabei unterstützen eure Rechte und eure Lebensumstände zu verbessern. Wir stehen in eurer Schuld.“
„Wenn mein Sohn Trojanas König wird, dann wird sich sowieso alles zum Besseren wenden“, erwiderte die Seherin. „Doch natürlich werden wir um jede Hilfe froh sein. So, wir sind bald da!“ Sie bogen in eine weitere noch engere, noch dunklere Gasse ein und von dort aus führte eine schmale, finstere Treppe, hinab in die Verliese. Nannios und sein Volk waren zutiefst erschüttert, wenn sie sich vorstellten, dass ihre Frauen dort unten eingesperrt waren.
Die düsteren, unheimlichen Räumlichkeiten waren nur sehr spärlich beleuchtet. Die Zellen die nun zu ihrer Rechten und ihrer Linken auftauchten, waren jedoch recht gross und mit einer schönen Schicht sauberen Strohs, einige Decken und Matten ausgelegt. „Eigentlich sind das hier die besseren Kerker, “ erklärte die junge Solianerin, die Nannios Interesse geweckt hatte, auf einmal unmittelbar neben ihm. Sie hatte sich zurückfallen lassen, um mit ihm zu sprechen. Er war überrascht und auch erfreut darüber. „Die besseren Kerker?“ fragte er „ich finde sie ziemlich schrecklich, bei uns gibt es sowas nicht in dieser Form.“ „Ihr habt keine solchen Kerker?“ „Nein, bisher war das nicht nötig.“ „Ihr seid ja ein interessantes Volk, bei euch gibt es keine Verbrecher, keine Unwürdigen, die eingesperrt werden, weil sie nicht so funktionieren, wie es von ihnen erwartet würde?“ „Nein, letzteres sowieso nicht. Es gibt bei uns keine Unwürdigen und jeder lebt das Leben, das ihm gefällt…“ Es passieren bei uns auch kaum Verbrechen. Alle scheinen soweit zufrieden mit ihrem Leben. Es gibt auch keine grossen Unterschiede zwischen reich und arm. “
Er schaute sich etwas um und ihm fiel auf, dass sich ihnen bisher noch gar keine Wachen entgegengestellt hatten. „Ist aber sehr ruhig hier, “ murmelte er. „Bisher waren alle Zellen leer, hat es hier überhaupt Gefangene?“ „Zurzeit sind die Lunarierinnen gerade die einzigen, welche hier festgehalten werden, die meisten andern Verbrecher, sind in den schlechteren Kerkern. Bei euch gibt es wirklich so wenig Verbrecher? Das ist ja wirklich einzigartig!“ Die junge Frau schien sichtlich beeindruckt, ihre Augen musterten Nannios, mit unverhohlenem Respekt und der Ausdruck in ihrem Gesicht, deutete darauf hin, dass sie ihn in mancherlei Hinsicht an ihm interessiert war. Sie fragte: „Ich hörte, dass ihr bei euch feste Bindungen unter Männern und Frauen eingeht. Ist das wahr?“ „Ja.“ „Wir kennen das nicht. Wie ist es denn bei dir, hast du schon eine feste Gefährtin?“ Diese direkte Frage, überraschte ihn etwas, aber er erwiderte: „Ja, ich habe eine Gefährtin. Sie gehört zum Volk von ihnen.“ Er deutete auf die Harpyas. „Ach so?“ Die junge Solianerin war nun noch beeindruckter.
„Ja. Aber ich weiss noch nicht, ob sie bei uns bleibt. Ich hoffe es sehr, denn ich könnte in der Welt der Harpyas nicht überleben, sie halten sich in einer ziemlich lebensfeindlichen Umgebung auf.“ „Diese Harpyas scheinen sehr gute Kriegerinnen zu sein.“ „Ja, allerdings. Aellia hat es schon mit mehreren Männern gleichzeitig aufgenommen. Sie hat ein einzigartiges magisches Potenzial und beherrscht alle Waffen, die es gibt.“ „Tatsächlich?“ „Ja.“ „Wirklich beeindruckend! Du liebst sie sehr, nicht wahr?“ „Ja sehr und du…hast du dich bisher nie verliebt?“ „Nun ja…bisher eigentlich nicht...vielleicht bis…heute.“ Ihre goldenen Augen schauten ihn mit einem vielsagenden Leuchten an. Wieder staunte er über ihre Direktheit. Das schien eine Eigenart der Solianer zu sein. Er suchte gerade nach einer passenden Antwort, als auf einmal ein Entsetzensschrei vom Anfang des Zuges an ihre Ohren drang. „Bei der Göttin! Sie sind weg! Man hat sie bereits geholt!“