Es war ein sonniger Frühlingsmorgen, als ich neulich durch den Wald spazierte. Die Vögel sangen begeistert ihr Frühkonzert, die Sonne malte Lichtkringel auf den Waldboden und es duftete nach frischer Erde. Erste Blumenköpfchen lugten bereits aus dem Braun des Bodens heraus und an den Bäumen waren zarte Knospen zu erahnen.
Auf einmal meinte ich eine Bewegung zu sehen auf einem Baum. Doch als ich genauer hinsah, war da doch nichts. Ein Eichhörnchen vielleicht?, sinnierte ich beim Weitergehen.
Da! Wieder dünkte mich, ich sehe etwas zwischen den Ästen. Doch so sehr ich die Augen zusammenkniff, nichts war zu erkennen.
Ich beschloss, mich etwas auszuruhen und setzte mich unter eine Buche. Ihr Stamm war warm, dankbar lehnte ich mich an. Entspannt streckte ich die Beine aus, schloss die Augen und genoss diesen Moment des Hierseins.
Ein leises Zupfen an meiner Hose liess mich erst blinzeln und dann vor Verwunderung die Augen weit aufreissen. Da sass ein handgrosses Tierchen, welches zuerst einmal durch sein crèmefarbenes, samten wirkendes Fell auffiel. Sein Körper war äusserst filigran, ja, er wirkte beinahe zerbrechlich. Freundlich schaute es mich aus seinen dunklen Knopfaugen an.
"Wer bist du denn?" fragte ich erstaunt.
"Ich bin ein Lichthörnchen", antwortete es.
Eine Weile lang sassen wir still da. Ich traute kaum mich zu bewegen, da ich das scheu anmutende Tierchen nicht vertreiben wollte.
"Keine Angst! Ich laufe dir nicht davon!" Silberhell erklang nach einer Weile ein fröhliches Lachen. "Vor dir fürchte ich mich nicht. Mehr noch: Ich habe dich soeben adoptiert."
Adoptiert? Mich? Ich wusste nicht, wie mir geschah. Wo war ich denn da gelandet?
Doch als ich mich umsah, sass ich immer noch zu Füssen der Buche im frühlingshaften Wald.
Das Lichthörnchen lächelte.
"Ja, du hast mein Vertrauen gewonnen. Wir zeigen uns nur selten. Doch du – du scheinst eine Waldhexe zu sein. Da fällt es uns leichter. Mit dir zusammenzuarbeiten kann ich mir gut vorstellen."
Natürlich fühlte ich mich geschmeichelt, überlegte aber immer noch, was es wohl bedeutete, nun "adoptiert" zu sein.
Das Lichthörnchen kam etwas näher. Da entdeckte ich auf seinem Kopf zwei winzig kleine Hörnchen, welche sich unablässig bewegten. Als ich genauer hinsah, fiel mir auf, dass sie sich genau Richtung Sonne bewegten.
Als hätte das Lichthörnchen meine Überlegungen erraten, begann es zu erklären: "Lichthörnchen heissen wir, weil wir uns nach dem Licht ausrichten. Mit diesen Fühlern, welche du fälschlicherweise als Hörnchen bezeichnet hast, spüren wir alle Lichtquellen auf, sammeln deren ausgehendes Licht und verströmen es dann weiter."
"Aha. Und was hat dies mit meiner sogenannten Adoption zu tun? Und wie verströmt ihr das gesammelte Licht?"Ich war neugierig und etwas verstört zugleich.
Das Lichthörnchen begann zu lachen. Es lachte und lachte und hielt sich bald einmal den Bauch vor Lachen. Ganz offensichtlich schien es sich zu amüsieren.
Obwohl ich nach wie vor nicht verstand, was hier eigentlich so lustig sein sollte, liess ich mich von dem Gelächter anstecken. So sassen wir zusammen unter der Buche und lachten.
Auf einmal hielt ich inne, denn ich hatte etwas entdeckt.
"Was ist denn das da auf deinem Rücken?" fragte ich neugierig.
"Oh! Das ist meine Aller-Leier. Ohne sie gehe ich nirgends hin. Möchtest du mal hören?"
Das Lichthörnchen setzte sich bequem auf meinen Beinen zurecht, nahm die Aller-Leier vom Rücken und begann zu spielen. Mit gekonnten Griffen entlockte es dem Instrument sonnenlichtgleiche Töne, die mich verzauberten und in wunderschöne Traumwelten entführten.
Als das Lichthörnchen fertig gespielt hatte, sass ich noch lange da, versonnen, glücklich.
Nach einer Weile begann sich das Lichthörnchen zu regen und hüpfte schliesslich auf meine Schulter. Es war federleicht und sein ganzer Körper schien zu leuchten.
Da fiel mir meine Frage wieder ein.
"Was bedeutet es, dass du mich adoptiert hast?"
Das Lichthörnchen klatschte vergnügt in seine Pfötchen. Seine Fühler bewegten sich aufgeregt hin und her.
"Das ist doch ganz einfach! Wir gehen nun zusammen Licht einsammeln und verteilen!"
Viele Jahre waren wir gemeinsam unterwegs, das Lichthörnchen und ich, und durchstreiften Städte und Dörfer. Es zeigte mir, wie man Licht einsammelt und verteilt.
Als ich aber eines Morgens im Herbst aufwachte, war das Lichthörnchen weg. Spurlos verschwunden. Ich suchte es überall, auch in jenem Wald, in welchem wir uns das erste Mal begegnet waren. Doch es blieb unauffindbar.
Traurig setzte ich mich wieder unter die Buche, die sich heute zwar tröstlich, aber kühl anfühlte und griff in meine Tasche. Das Lichthörnchen hatte nämlich etwas vergessen bei seiner Abreise.
Gedankenverloren begann ich auf der Aller-Leier zuerst herumzuzupfen, dann zu spielen. Leise, zarte Töne erklangen, die mich so sehr an meinen Licht einsammelnden und verteilenden, fröhlichen Gefährten und unsere gemeinsame Zeit erinnerten.
In diesem Moment rissen die Wolken auf und die Sonne begann, wärmende Strahlen zu schicken.
Auf einmal verstand ich.
Dankbar wandte ich ihr mein Gesicht zu und lächelte.
Es war Zeit, auf eigenen Füssen weiterzugehen und selber Licht einzusammeln und zu verteilen.
Falls ihr das Lichthörnchen irgendwo antreffen solltet: Bitte grüsst es von mir. Und sagt ihm doch, es habe seine Aller-Leier bei mir vergessen.
Mit Elles Erlaubnis hier noch der Link zu den engsten Verwandten der Lichthörnchen, den Leichthörnchen: https://belletristica.com/de/text/leichth%C3%B6rnchen-33380