Ein schrecklicher Verlust, Begegnung mit Isobia
Erzähler
Pia hatte sich hingesetzt. Entsetzen packte sie. Alles drehte sich in ihrem Kopf, denn ständig musste sie an Manuels Eltern denken. Keiner an der Küste hatte überlebt, keiner…! Sie sprang auf, lief zum Telefon und wählte die Nummer von Manuels Eltern. Nichts... die Verbindung war tot. „Oh Nein!“ rief sie „Das darf nicht wahr sein!“ Was konnte sie jetzt bloss tun? Sie musste doch wissen, was Manuels Familie zugestossen war. Tränen der Verzweiflung stiegen ihr in die Augen. Sie stützte ihre Arme auf den Tisch und begann verzweifelt zu schluchzen.
„Meine Güte Pia! Was ist mit dir?“ fragte eine besorgte Stimme hinter ihr. Es war Benjamin. Die Frau wandte ihrem Bruder ihr verweintes Gesicht zu und sprach: „Die Küste… sie wurde vollkommen überschwemmt! Manuels Eltern… ich glaube sie sind tot.“
„Was sagst du da!?“ Benjamin Augen blickten erschrocken.
„Es ist grade in den Nachrichten gekommen!“ Pia berichtete ihrem Bruder nun alles, was sie gehört hatte.
„Oh Nein!“ flüsterte dieser „Es beginnt also tatsächlich! Hast du schon versucht Manuels Eltern zu erreichen?“
„Ja, aber ich kriege keine Verbindung. Wir müssen doch etwas tun! Diese Ungewissheit ist unerträglich. Wo sollen wir uns bloss erkundigen, wenn die Flutwelle an der Küste, alle Leitungen lahmgelegt hat?“
„Wir müssen sofort zu unseren Eltern und ihnen alles erzählen. Wenn nötig fahren wir hinunter zur Küste. Vorerst sagen wir Manuel lieber noch nichts. Es ist ja noch nicht ganz klar, ob seine Eltern wirklich gestorben sind.“
„Aber er wird bestimmt bald versuchen, sie noch einmal anzurufen.“ „Wenn es so weit ist, können wir uns darüber immer noch Gedanken machen. Jetzt versuchen wir uns erst mal nichts anmerken zu lassen. Wisch deine Tränen ab! Ich glaube er kommt.“
Tatsächlich! Manuel erschien am oberen Teil der Treppe, die hinunter ins Erdgeschoss führte. Pia wischte schnell ihre Tränen ab und wusch sich am Waschbecken das Gesicht. Als ihr Freund hinunter kam, versuchte sie heiter dreinzuschauen. Manuel blickte sie einen Moment lang prüfend an, doch er sagte zum Glück nichts. „Willst du diesmal einen Kaffee?“ fragte Pia und versuchte sorglos zu klingen.
„Ja Kaffee wäre wunderbar!“ erwiderte Manuel dankbar. Irgendwie werde ich heute nicht so richtig wach. Ich konnte kaum mehr schlafen. Ich muss nachher unbedingt nochmals meine Eltern anrufen.“ Die Geschwister zuckten zusammen.
Benjamin sprach: „Ihnen geht es bestimmt gut. Mach dir keine zu grossen Sorgen. Iss zuerst etwas!“ Mit diesen Worten, schob er Manuel eine frisches Stück Brot zu. Es fiel ihm sehr schwer, dem Jungen die Geschehnisse zu verschweigen. Doch er wollte noch abwarten, bis sie Näheres wussten. Zum Glück ließ sich Manuel überreden, zuerst etwas zu sich zu nehmen. Doch niemand hatte so wirklich Appetit.
Gerade als sie sich alle noch eine Tasse Kaffee eingossen, klingelte plötzlich das Telefon! Alle sprangen gleichzeitig auf und Pia hob den Hörer ab. Am anderen Ende vernahm sie eine, ihr fremde, Frauenstimme: „Hier ist Mary Jones. Ich bin eine Freundin von Manuels Familie. Ich… habe leider schlimme Neuigkeiten.“ Die Stimme der Frau, zitterte merklich. Pia meinte einmal mehr, das Herz müsse ihr stillstehen.
„Was… ist passiert?“ fragte sie gepresst.
Die Frau am anderen Ende, begann nun zu weinen. „Es ist einfach nur schrecklich! Haben sie von der gewaltigen Flutwelle gehört, welche die gesamte Küste überschwemmt hat?“
„Ja, in den Nachrichten.“
„Ich habe gerade etwas sehr Schlimmes erfahren. Die Eltern von Manuel sie…. sind… ums Leben gekommen. Die Flutwelle hat sie in den Tod gerissen.“
„Waas! Sind sie auch ganz sicher?“ Pia zitterte am ganzen Körper. „Ja… ich habe sie identifiziert. Sie wurden… unter den Trümmern ihres Hauses begraben und deshalb nicht weggespült. Ich…“ ihre Stimme brach ab und sie schluchzte erneut laut auf.
Pias Augen brannten und sie meinte mechanisch: „Ich danke ihnen für den Anruf. Ich… werde es... Manuel sagen.“ Dann legte sie den Hörer wieder auf.
„Was ist geschehen?“ fragte Manuel aufgeregt „waren das meine Eltern? Geht es ihnen gut?“
Pia war es, als würde eine zentnerschwere Last, ihr Herz zusammenpressen, als sie sich langsam und mit verweinten Augen an Manuel wandte: „Es… tut mir leid… ich habe schlimme Neuigkeiten…! Eine Frau namens Mary Jones war am Apparat. Sie… hat gesagt, dass deine Eltern, bei der schlimmen Flut letzte Nacht…“ Pias Stimme brach.
Manuel starrte sie fassungslos an. „Du meinst… meine Eltern… sie sind…?“ Die Frau nickte betrübt und schluchzte noch mehr. „Es tut mir so unendlich leid!“ Sie wollte Manuel umarmen, doch diese wehrte ab. „Nein, nein… das kann nicht sein, das darf einfach nicht sein! Sie leben noch, bestimmt leben sie noch!“ Er drehte sich um und lief fluchtartig hinaus ins Freie. „Manuel, warte!“ riefen die Geschwister ihm noch nach, doch es nützte nichts. Sie liefen ihrem Freund hinterher, doch dieser war bereits im Schatten der Bäume des Waldes, verschwunden.
Der Junge lief weiter, immer weiter in den Wald hinein! Er schaute weder rechts noch links. Ein fürchterlicher Schmerz zog sein Herz zusammen und er weinte und schluchzte hemmungslos. Seine Eltern waren tot, sie hatte ihn einfach allein gelassen! Er wollte fort, diese schlimme Stunde einfach vergessen! Vielleicht war alles nur ein böser Traum, aus dem er bald wieder erwachen würde.
Schließlich war Manuel so erschöpft, dass er nicht mehr weiter konnte. Er warf sich ins Gras und weinte, weinte immer weiter. Nichts um sich herum, nahm er noch wahr. Es sah nicht mehr die vielen schönen Blumen, über die die zarten Elfen gaukelten, sah nicht mehr die goldenen Strahlen der Sonne, welche durch die grünen Blätter fielen, hörte nicht mehr das Flüstern und Wispern der Baumgeister oder das fröhlich Zwitschern der Vögel.
Ohne es zu bemerken hatte Manuel eine Lichtung erreicht. Noch ganz in seinem Kummer gefangen, lag der Junge mit geschlossenen Augen da. Langsam ging sein Atem wieder etwas ruhiger.
Als er seine Lider jedoch öffnete, wurde er plötzlich von einem überirdischen Leuchten geblendet!
Erschrocken setzte er sich auf. Ein Lichtschein erhellte die ganze Umgebung und vor ihm stand plötzlich eine wunderschöne Dame, mit einem purpurnen Gewand. Ihr makelloses Antlitz strahlte, ihre goldenen Locken, fielen ihre über die Schultern. Sie neigte sich lächelnd zu Manuel herunter und wischte ihm zärtlich die Tränen von den Wangen. „Weine nicht, mein junger Prinz!“ sprach sie mit glockenheller Stimme. „Auch diese Wunde wird wieder heilen.“ „Wer bist du!“ fragte Manuel erstaunt.
„Ich bin Isobia die Wanderfee.“
„Isobia? Hast du vor vielen Jahren nicht Pia und Benjamin geholfen?“ „Ja, das stimmt!“
„Aber warum kommst du zu mir?“
„Weil ich dir nun helfen möchte, mein Prinz.“
„Weshalb nennst du mich Prinz?“
„Weil du einst einer sein wirst.“
„Was meinst du damit?“ Die Fee lächelte erneut „Du stellst schon viele Fragen, das ist gut so. Pia und Benjamin haben auch immer viele Fragen gehabt. Du bist eine sehr gereifte Seelen Manuel. Deshalb sollst du nicht am Tode deiner Eltern verzweifeln. Auch wenn es im Augenblick grausam klingt, kam es wie es kommen musste. Wie du bereits gespürt hast, gehörst du an die Seite der grossen Führer. Und denke daran: Deine Eltern sind nun an einem schöneren Ort. Ihr Aufstieg in höhere Ebenen, hat bereits begonnen. Sie sind glücklich, glaub mir!“
„Ich hätte mit ihnen sterben sollen!“ schluchzte Manuel verzweifelt. „Ich will auch nicht mehr leben ohne sie!“
Die Fee legte die Arme um ihn. „Ach mein lieber Junge! Ich würde dir deinen Schmerz so gerne fortnehmen! Doch leider kann ich das nicht. Aber glaube mir, wenn ich dir sage, dass du noch eine sehr wichtige Aufgabe vor dir hast.“
„Was für eine Aufgabe? Ich verstehe es nicht. Warum wurden mir meine Eltern genommen?“
„Sie gehören leider zu den ersten Opfern der Umwälzungen in der Welt. In dieser neuen Ära jedoch, wirst du eine wichtige Position einnehmen. Du bist stärker als du denkst, viel stärker und viel weiser. Alles wird sich dir mit der Zeit offenbaren und dann wird dein Herz erfüllt werden, von Freude und Dankbarkeit. Du stehst vor großen Enthüllungen. Noch umfängt der Schmerz dein Herz. Doch er wird vergehen, auch wenn deine Eltern immer in deinem Herzen bleiben werden. Die Turners werden gut für dich sorgen und du wirst an der Seite von Pia und Benjamin, wichtige Taten vollbringen. Kehre nun zurück zu deinen Freunden und sei guten Mutes, dass du den nötigen Trost finden wirst! Etwas jedoch, lass dir noch gesagt sein! Nehmt euch vor den drei Rittern in Acht: Schwarz wie die Nacht, Rot wie Feuer und fahl wie der Tod. Sie bringen Not und Verderben, Seuchen Kriege und Hunger. Irgendwann werdet ihr ihnen entgegentreten müssen. Ja, sie werden sich gut zu tarnen wissen, die Macht an sich reissen und sie missbrauchen, für ihre Zwecke! In ihnen wird alles Übel vereint! Nur eine reine Seele, mit klarem Blick, kann vor ihnen bestehen. Geht euren Weg! Ihr werdet ihn mit der Hilfe des Göttlichen finden. Tu was du tun musst, junger Prinz und lass dich nicht von deiner Trauer zerstören!“ Mit diesen Worten verschwand die Fee.
Manuel schaute einen Augenblick lang fassungslos auf die Stelle, wo die wundervolle Dame gerade gestanden hatte. Dort lag nun ein kleines Säcklein, mit glitzerndem Staub darin. Der Junge blieb noch einen Moment lang sitzen, um alles was er gerade erlebt hatte, zu verarbeiten. Die Worte der Fee klangen tief in seinem Herzen nach und tatsächlich fühlte er sich auch etwas getröstet. Seinen Eltern ging es gut und er war dazu berufen, Pia und Benjamin auf ihrem weiteren Weg zu begleiten. Nur das mit den Rittern… das gab ihm schon ziemlich zu denken. Wie nur, würden sie diese erkennen, wenn sie sich so geschickt zu tarnen wussten? Er nahm das Säckchen, mit dem glitzernden Staub, steckte es ein und erhob sich .
In diesem Augenblick kamen Pia und Benjamin auf ihn zugelaufen . „Manuel!“ riefen sie voller Erleichterung. „Wir sind so froh, dass es dir gut geht! Wir haben uns große Sorgen gemacht.“ Sie umarmten den Jungen. Pia sprach: „Es tut mir so unendlich leid! Das mit deinen Eltern ist eine Tragödie! Aber wir werden für dich da sein.“
„Ich weiss,“ erwiderte Manuel. „Die Fee hat mir gesagt, dass ihr für mich sorgen werdet und dass ich an eure Seite gehöre.“
„Die Fee?“ fragte Pia erstaunt.
„Ja, sie stellte sich als Isobia vor.“
„Isobia?!“ riefen die Geschwister ungläubig aus.
„Genau. Ist das nicht diese Fee, die euch auch einst geholfen hat?“
„Das stimmt,“ gab Benjamin zurück. „Sie ist dir tatsächlich erschienen?“ „Ja…“ Manuels Augen leuchteten nun. „Sie war wundervoll und sie hat mich getröstet. Sie hat mich aber auch gewarnt.“ Er erzählte nun den Geschwistern alles, was sich zugetragen hatte.
„Das mit den drei Rittern klingt gar nicht gut. Die beiden Kometen hatten also doch etwas zu bedeuten.“
„Es scheint so.“
„Nun dann gehen wir jetzt erst mal wieder nach Hause und rufen Mum und Dad an. Wir müssen ihnen sagen, was passiert ist.“
„Wollen wir sie in unsere Erkenntnisse einweihen?“ wollte Pia wissen, während sie zu dritt wieder den Heimweg antraten.
„Ich glaube vorerst warten wir damit noch. Ich glaube sie würden uns für verrückt halten, wenn wir ihnen alles erzählen, vor allem das was die bevorstehenden Umwälzungen in der Welt betrifft. Wir müssen uns etwas ausdenken, um sie zu schützen, ohne jedoch alles zu verraten. Zuerst sollten sie vor allem mal wissen, dass Manuel bei uns bleiben wird. Danach überlegen wir, was wir als Nächstes tun sollen.“
Damit waren alle einverstanden.