Am nächsten Morgen standen fünfzehn Pferde gesattelt und fertig beladen bereit. Tion hatte ganze Arbeit geleistet und so fand ich es ganz angemessen ihm ein wenig Entgelt zu geben. Seine Reaktion – er hüpfte herum wie ein Jungspund und sang ein zwergisches Loblied – zeigte, dass die fünfzehn Goldstücke für sein Empfinden wohl mehr als genug Entschädigung waren. Wir verabschiedeten uns mit knappen Worten und ritten zügig Richtung Hauptplatz und dann die Hauptstraße entlang, hinaus auf die Felder. Noch am Abend kamen wir vor dem Waldrand an. Dort errichteten wir unser Lager.
Gothank war schon den ganzen Tag ziemlich dösig gewesen und hatte nur schlaff über Funnys Schulter gehangen. Vermutlich fand er es gar nicht nett von seinem Freund Béilo ihn so einfach zurückzulassen, aber was hatte die Liebe nicht schon für Opfer gefordert nicht wahr.
Ich war gerade dabei Decken und andere Schlafsachen von Falums Rücken zu binden, als ein grauer Schatten zwischen meinen Beinen durchflitzte.
"Gothank! Bleib stehen du Ratte!" Chase verfolgte das arme Tierchen wie ein wilder Eber querfeldein und Funny kam halb lachend, halb entsetzt hinterdrein.
"Ach lass ihn doch, er vermisst nun mal seinen Freund!"
"Was ist denn?" fragte ich sie während sie vorbei hastete.
"Der Kleine hat Chase gebissen, weil er mich küssen wollte und Gothank dabei immer noch auf meiner Schulter lag." lachte sie und lief weiter ihrem Verlobten und seiner bemitleidenswerten Beute hinterher.
"Omann... Glück muss man haben..." Sobald ich mit meinem Lager fertig war, suchte ich Usongu auf.
Der saß auf einem großen Stein, sein Schlafplatz war bereits bequem hergerichtet und er starrte summend in den Wald. Ich wollte ihn nicht stören und bin stattdessen zu den anderen gegangen um ihnen beim herrichten zu helfen, aber auch sie waren schon auf die Nacht vorbereitet. Die Schlafplätze waren angeordnet wie ein großer fünfzackiger Stern und als ich Riko fragte, was das zu bedeuten habe, meinte er nur, es diene zum Schutz gegen die Geschöpfe des Waldes. In der Mitte des Sterns war ein großes Feuer entfacht worden. Da wir so viele waren, konnten immer zwei zur Wache eingeteilt werden und ich war nicht mal dabei. Trotzdem war nicht sicher, ob ich diese Nacht überhaupt ein Auge zumachen würde. Als Erster hatte Usongu Wache, aber da die meisten noch wach waren, blieb auch ich noch etwas auf und gesellte mich zu ihm. Er saß mit den anderen im Kreis beim Feuer und sie lachten und machten Blödsinn. Da fing er wieder an sein Lied zu summen, sehr leise nur, so dass nur ich ihn hörte, weil ich direkt neben ihm saß. Unaufhörlich brummte er weiter und als ich ihn fragte wie es hieß, sagte er nur "Ich weiß es selbst nicht mehr, als ich jung war, so wie du ungefähr, gab es viele solcher Lieder, aber nur das kenne ich noch..."
"Warum wurden die Lieder vergessen?"
"Weil niemand mehr gesungen hat, seit es die Monster in unser Gebiet verschlagen hat...es ist zu gefährlich, wenn man sich nicht zu wehren weiß." Ich wusste, dass die Monster schon vor 20 Jahren hier aufgekreuzt waren, aber das würde ja heißen, dass er schon über 40 Jahre alt ist! Und ich dachte, er ist um die 30 oder höchstens 35! Ich wollte schon fragen, dachte dann aber noch mal nach und lies es bleiben, da ich ja um die seltsamen Zeitverhältnisse Bescheid wusste.
"Das Lied, das ihr summt, ist wunderschön und doch entsetzlich traurig. Schade, dass ihr den Text nicht mehr kennt..."
"Warum sagst du eigentlich immer noch Sie und Ihr zu mir? Ich bin Usongu, nenn mich doch beim Namen!"
"Na gut, wenn Ihr... ähm ich meine wenn du wünschst."
"Ich bitte darum." grinste er.
"Darf man fragen, wie lange wir in etwa noch Reisen müssen?"
"Man darf." gackerte er mich nach. "Wir müssen erst mal zu der Stelle kommen, an der du Relkúag begegnet bist, wenn stimmt was er mir erzählt hat, dann war das bei dem Baumstamm auf der Lichtung, richtig?"
"Wann hat er...? Ach so... Gedankenlesen..." seufzte ich. "Ja stimmt. Der Baumstumpf. Und dann?"
Dann geht es weiter nach Osten direkt ins Herz des Waldes. Dort werden wir auf jemanden treffen, der dann entscheiden wird, ob wir weiter dürfen oder nicht. Kuck nicht so, bis jetzt bin ich immer weitergekommen." grinste er. "Wenn wir dann beim Tor des Verderbens angekommen sind, sehen wir weiter...!" Er schien meinen geschockten Gesichtsausdruck zu genießen. Und so schwieg er und ich tat es auch. Wir hörten den Elben zu, die ihre Instrumente mitgebracht hatten und wunderbare Musik spielten, zu der die leicht angeheiterten Zwerge ausgefallene Lieder grölten. Die Menschen waren schon vom Suff niedergestreckt worden und lagen kreuz und quer in ihren Betten...
"Was hab ich mir bloß dabei gedacht euch Chaotentruppe anzuheuern." lachte ich. Dann kam ich auf ein anderes Thema:
"Du sprichst vom Kämpfen und Wehren und trägst dennoch keine einzige Waffe bei dir. Bist du ein Zauberer?"
"Ahahaha... aber nein. Ich brauche keine Waffen außer meinen Körper und meine scharfe Zunge." lachte er. "Dir dürfte ja bekannt sein, wie schwer es ist mit einem Schwert an einen Dämon ranzukommen, nicht wahr?"
"Ja schon, aber deine Leute tragen doch alle Waffen?" hackte ich nach.
"Sicher, sie kämpfen auch nur gegen materielle Wesen mit ihren Eisen und Pfeilen. Zum Beispiel gegen Monster, Oger, Orks und dergleichen. Aber gegen ein nichtphysisches Geschöpf wie einen Dämon nützt das gar nichts. Dafür gibt es andere Methoden. Hm. Wenn ich so überlege, hast du in gewisser Weise doch Recht. Ich bin ein Zauberer, so wie alle anderen hier auch."
"Erklär's mir doch bitte. Ich will es verstehen!" Ein Fünkchen Hoffnung...
"Na ja, im Grunde genommen ist es ganz einfach, man muss sich nur mit Bannkreisen eindecken und seinen Körper mit starken Verwünschungen überziehen." Er zog den Handschuh aus und eine Vielzahl von Tätowierungen kam zum Vorschein. "Es ist ein sehr alter Brauch in einem Land sehr weit östlich von hier, das schon lange vor uns von den Dämonen heimgesucht worden war. Ich war auf einer meiner vielen Reisen dort und habe mir diese Kunst angeeignet. Diese Zeichnungen nennt man Kanji. Es ist eine Art Bilderschrift, gespickt mit Flüchen und Verwünschungen, die den Wesen der Finsternis innerlich den Garaus machen. Indem man sich mit diesen Worten verbindet, hebt man sich auf die gleiche Ebene wie sie und ist dadurch fähig, sie zu berühren, zu verletzen..." Er sah mich an...
"Ich hatte den gleichen Ausdruck von Genugtuung im Gesicht, als ich davon erfuhr. Der Nachteil ist, dass man das Zeug nie wieder loskriegt. Es bleibt einem fürs Leben."
"Haben alle hier diese Zeichnungen?"
"Ja, alle, am ganzen Körper, bis auf Bruno, das wär uns zu teuer geworden..." lachte er.
"Wer hat die denn gemacht?" wollte ich wissen.
"Vergiss es. Pedro hat seinen Job schon längst an den Nagel gehängt. Außerdem reicht es nicht einfach nur angemalt zu werden. Um diese neue Waffe richtig anwenden zu können muss man Techniken beherrschen, die ich dir unmöglich beibringen kann. Zumal ich selbst noch den Status eines Schülers habe und in keiner Weise fähig bin jemandem etwas beizubringen."
"Aber deinen Leuten hast du es beigebracht! Bitte, ich muss es doch irgendwie lernen können!" Ich war so versessen darauf diesem Harzbaum wehzutun, dass mir alles Recht war, was mir dazu verhalf.
"Schon, aber die meisten unter ihnen beherrschen noch nicht einmal die Grundlagen, was auch der Grund dafür ist, dass sie mich immer vorschicken, wenn mal ein echter Dämon kommt." Das Fünkchen Hoffnung erlosch wieder.
"Na gut, dann machst du das mit dem Harzbaum..." schmollte ich.
"Hahaha, jetzt sei nicht gleich eingeschnappt. So wie ich das sehe, gibt’s für dich ohnehin noch genug zu tun. Ein Dämon ist selten allein, meistens versammeln sie eine Gefolgschaft von Monstern um sich herum, um die darfst du dich dann kümmern."
"Wie großzügig. Bleibt mir wohl kaum was anderes übrig." Stur ins Feuer starrend lauschte ich auf die wundersamen Klänge der Elbenmusik, die so schön war, dass man in ihr versank. So hörte ich die Worte Usongus nur wie aus der Ferne:
"Du liebst sie, nicht wahr?" Bevor ich wieder klar denken konnte hatte ich schon bejaht. "Dacht ich mir schon." meinte er nur.
"Ist sowieso egal. Ein Ritter kann keine Fürstin heiraten. Dafür gibt es schicke Fürsten. Vielleicht bekommt sie sogar Adalbert von Plarun! Ha! Dieser aufgeblasene ..." ich hielt die Luft an um nichts falsches zu sagen.
"Boah, nicht den! Der war ja schon als Kind so schrecklich! Jeder Knecht wäre besser als der!" schimpfte Usongu.
"Ja genau!" lachte ich. "Woher kennst du den eigentlich?"
"Hm? Ach so, ja... ähm ich bin da mal ... durchgekommen, durch Plarun..." Mir war schon aufgefallen, dass er nicht gerne von sich erzählte, also ließ ich die Fragerei.
"Wer hat eigentlich diesen dummen Glauben hervorgebracht, Menschen könnten nur in den gleichen Stand heiraten, aus dem sie stammen?" regte sich der Boss auf.
"Niemand, das ist einfach so. Schon immer..."
"Ach was!" unterbrach er mich. "Ich jedenfalls werde Prinzessin Noralia heiraten. Und wenn’s ihrem Vater nicht passt, entführ ich sie eben." Ich lachte, aber er blieb völlig ernst und ich begriff, dass es kein Scherz war.
"Moment mal. Und diese Prinzessin, was sagt die dazu?"
"Die will mich." grinste er bis über beide Ohren. "Weil ich sie vor nem Monster gerettet hab."
"Siehst du?" seufzte ich. "Deine will dich ja wenigstens. Aber ich hab nicht mal die Spur einer Chance, ihr zu zeigen, was ich empfinde." Ponk! "Aua! Wofür war das denn?" Usongu hatte mir auf den Kopf geschlagen.
"Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen. So sagt man zumindest..."
"Ja und?" wütend rieb ich mir die Beule.
"Denk nach. Vielleicht kommst du ja drauf..."
"Hmpf! Also ich geh jetzt schlafen." brummelte ich, ging zu meinem Platz und schlief ein.
*
(Chase)
"So du kleiner Nager, jetzt bekommst du große Probleme mit mir!" Der Mauxie saß fest zwischen meinen Händen. "So einfach lass ich mich nämlich nicht beißen!"
"Lass ihn doch in Ruhe, er vermisst doch nur Béilo." Gothank gurrte wie ein verrückter in allen möglichen und unmöglichen Tonhöhen, zappelte und strampelte, bis ich ihn schließlich auf einem hohen Stein absetzte. Verdattert starrte er mich an.
"Komm mal her, Schatz." forderte ich. Funny stellte sich zu mir und ich legte meinen Arm um ihre Hüften. Dabei beobachtete ich den Kleinen ganz genau. Er fing an zu gurren, oder war es ein Knurren?
"Glaubst du immer noch, dass er nur traurig ist, weil sein Freund nicht mehr da ist?" flüsterte ich ihr zu.
"Ich bin mir noch nicht ganz sicher." lächelte sie. Doch als wir uns küssten, drehte Gothank durch, er sprang von dem Stein, hüpfte auf meinen Kopf und verpasste mir mit seinen Minikrallen kleine Kratzer ins Gesicht.
"So das reicht." Wütend packte und fesselte ich das kleine Biest mit einem der Seile, die wir von Rominos Monatsmarkt mitgenommen hatten. So zugeschnürt lag er dann auf dem Stein, nicht fähig sich zu rühren.
"Wenn du dich nicht zurückhalten kannst, reite ich persönlich zurück nach Romino und verkaufe dich an einen Tierhändler!"
Funny stand nur da, kicherte und konnte es nicht fassen, dass ein Mauxie auf sie und mich eifersüchtig war.
"Oh, hör mal Chase, die schöne Musik!" rief sie plötzlich und tatsächlich kam von der anderen Seite des Feuers ein unnatürlich schöner Klang.
"Das sind bestimmt die Elben." räuspernd trat ich auf sie zu. "Willst du vielleicht tanzen?" Sie reichte mir ihre Hand und wir wiegten uns im langsamen Schritt zu der Abendmusik...
"Wie geht es deiner Wunde? Ist dein Arm wieder verheilt?" fragte ich besorgt.
"Eine Narbe bleibt, aber er ist gesund." Sie umarmte mich und schmiegte sich an. Gothank drehte beinahe durch, aber es störte mich nicht weiter. Auf einer Wiese ein Stück weiter hinten, weg vom Feuer, fanden wir das Glück auf Erden. (Anmerkung von der Autorin: Ja, ich weiß. Blumige Formulierung. Aber ich war 14 Jahre alt, als ich das schrieb. >,