Schreckliche Erinnerungen:
Amy bekam ein flaues Gefühl im Magen, als der kleine Waldweg, dem der Bus gefolgt war, sich zu einem Parkplatz von vielleicht dreißig mal zehn Metern vergrößerte. Der Motor stotterte und hustete und erstarb dann. Amy und die drei anderen hielten die Luft an, als die Türen sich quietschend öffneten.
Plötzlich fühlten sie sich auf dem Dach des niedrigen Busses nicht mehr vor Blicken geschützt. Die Holzfällerhütte ragte for ihnen auf, die blinden Fenster aus dem Dachgeschoss, wo sie damals hätten schlafen sollen, starrten auf sie herab.
Erstaunlich leise für eine so große Gruppe stiegen die Gäste aus. Die Begleitung des Rollstuhlfahrers führte sie auf die Veranda. Der Rollstuhl musste von drei Leuten über die Stufen auf die Holzterrasse getragen werden.
Der Fahrer schleppte ihnen die Taschen hinterher.
„Jetzt!“, hauchte Sam und die vier blinden Passagiere lösten ihre Uhren vom rostigen Wagendach und sprangen auf der dem Haus abgewandten Seite herunter. Sie landeten mit vier scheinbar ohrenbetäubend lauten Aufprällen. Sam warf einen Blick durch ein zerschlagenes Fenster und nickte dann. Niemand hatte sie gehört. So leise wie möglich schlichen sie in das Gestrüpp des Waldes und hockten sich hinter einem Baum in einen Dornenbusch. Amy riss ungeduldig an ihren Haaren, die sich an einem Zweig verfangen hatten. Mira betrachtete derweil ihre vom Rost zerkratzten Arme. „Ab wann kriege ich nochmal eine Blutvergiftung?“
„Du kriegst überhaupt keine Vergiftung“, knurrte Sam. „Das können wir uns nicht leisten!“
Mira streckte ihm die Zunge aus, rollte aber ihre Ärmel wieder nach unten über die Arme.
„Da!“, sagte Luca heiser.
Als Amy hoch sah, hatte sich die Tür der Hütte geöffnet und heraus trat der wenig vertrauenerweckende Gastgeber. Er begrüßte die Gäste mit einem Grinsen, das an einen ausgehungerten Wolf erinnerte. Wie die Lämmer folgten ihm die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in die Hütte.
Amy schüttelte sich. Ihr Magen rebellierte, als sie an die Nacht zurück dachte, in der Dimitri hier gestorben war.
„Er ist ein Kannibale“, erklärte Mira gedämpft. „Und ein Mörder, ist ja nicht so, dass er wartet, bis sein Essen von selbst stirbt.“
„Außerdem ist er kein richtiger Mensch“, sagte Samstag und warf ihnen prüfende Blicke zu. „Nachdem wir von Dimitris Tod so gar nichts mitbekommen haben, müssen wir davon ausgehen, dass er übermenschlich schnell oder stark sein kann.“
„Ich glaube, Hannibal Lecter war nur ein normaler Mensch“, sagte Amy schwach. Sie planten ja schon wieder, jemanden umzubringen!
„Eine Figur, die die Fähigkeiten eines normalen Menschen hat“, stellte Sam richtig. „Aber dieses Hotel ist nicht gerade das Originalsetting von `Schweigen der Lämmer´, richtig? Das heißt, unser Killer ist auch nicht unbedingt Hannibal Lecter, nur jemand, der auf ihm basiert.“
„Na toll!“, meinte Amy nicht sehr begeistert.
Sie sahen zu, wie auch der Rollstuhlfahrer durch den Eingang gequetscht wurde und die Tür hinter den unwissenden Gästen ins Schloss fiel.
„Und wie töten wir einen Pseudo-Lecter?“, fragte Luca leise.
„Das finden wir jetzt heraus“, meinte Mira fröhlich.