Selina, die bisher geschwiegen hatte, lehnte sich ein wenig vor. Vorsichtig, so als sei es etwas Verbotenes, nahm sie meine Hand. "Weiter!"
"Ich hatte zu diesem Zeitpunkt eine Lebensgefährtin. Ich war zwar viel unterwegs, aber ich nahm mir immer mehr Zeit für die Beiden. Silvia hatte ihren vierjärigen Sohn in die Beziehung mitgebracht und das hat mir sehr viel gegeben. Wir waren fast so etwas wie eine richtige Familie. Und der Junge hat mich gern gehabt. So richtig, meine ich... Als ich aus dem künstlichen Tiefschlaf geholt wurde, lag ein Brief auf meinem Nachttisch. Ich durfte ihn erst ein paar Tage später lesen. Silvia hatte mich verlassen...mit Tommy. Sie konnte nicht verantworten ihren Sohn in meinem Umfeld aufwachsen zu lassen!" Das war vor sechs Jahren. Verlegen wischte ich mir eine Träne aus dem Augenwinkel. "Der Verlust meines Lebenswerks, die körperlichen Schmerzen, das war schlimm! Aber da kannst du wieder aufstehen und sagen: Und jetzt erst recht! Ich bin so, Selina, glauben sie mir, so bin ich gestrickt. Aber das mit Silvia und Tommy, das sind keine normalen Schmerzen! Es hat mir das Herz gebrochen! Alle anderen Wunden sind verheilt, Aber sowas... verheilt nie! Verzeih'n sie bitte, Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen! Es tut mir leid! Ich weiß nicht warum ich sie jetzt damit belästige..."
"Mir tut es nicht leid, im Gegenteil! Tut es nicht gut, endlich einmal darüber zu reden? Es ehrt mich, das sie mir ihr Vertrauen entgegenbringen! Sie brauchen nicht verlegen zu sein. Ich bewundere Sie, Michael!"
Inzwischen hielt sie meine Hand mit beiden Händen und so unangenehm mir mein Gefühlsausbruch von vorhin auch war, ihre gefühlvolle Geste meine Hand zu halten, ihre Art mit meinem Schmerz umzugehen, beeindruckten mich!
"Als sie vor ein paar Stunden bei mir auftauchten und mir klar wurde, wer da hinter ihnen her ist, hab ich mir geschworen, dass ich sie davor bewahre. Ich möchte mir nicht vorstellen, was diesen beiden Schweinen alles einfallen würde, um sie zu quälen! Die werden sie nicht kriegen! Nur über meine Leiche! Das versprech ich ihnen!"
"Das weiß ich, Michael! Das spüre ich und ich bin ihnen sehr dankbar. Aber wie gehen wir jetzt weiter vor?"
"Wenn die beiden in mein Haus eingedrungen sind - und das werden wir bald wissen - dann haben sie auch versucht in mein Labor zu kommen. Nun ist es zwar gesetzlich verboten, Einbrechern tödliche Fallen zu stellen, aber erstens ist mir das bei den beiden völlig egal, weil ich es für mich persönlich als Notwehr betrachte und zweitens ist es forensisch nicht nachweisbar, warum sein Herz stehenblieb. Außerdem wird niemand außer dem Überlebenden seinen Tod mit mir in Verbindung bringen, weil der Überlebende sich nicht leisten kann, die Leiche zurückzulassen. Er selbst wird freundlicherweise wohl oder übel seinen Spezi für mich aus meinem Haus entfernen. Und er wird wissen, dass ich nicht mehr das leichte wehrlose Opfer von damals bin... "