-Für Eva und David, die mir in Zeiten der fehlenden Worte Mut zusprechen-
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Es war zur Zeit der Feuer und Legenden, als Arkyn, Sohn der Nanéladun und rechtmäßiger Erbe Demorgons, zum König gekrönt und damit alleiniger Herrscher über die weiße Stadt wurde. Noch ein Knabe von jugendlicher Gestalt, schon bald ein Mann von betörender Schönheit. Des Meeres tosende Wellen verneigten sich zu seinen Füßen und die Geschöpfe der Lüfte und der Erde verstummten vor staunender Ehrfurcht, sobald er vorüberschritt, da sie meinten, nie ein schöneres Lebewesen gesehen zu haben. Und der junge König regierte mit sanfter Strenge und kühler Verschlossenheit. Und er machte weder den besten Freund, noch den eigenen Bruder zu seinem Berater, obgleich dies seit jeher Brauch war, denn er selbst zog die Einsamkeit vor.
Nacht wurde zu Tag und Tag zu Nacht. Und die Jahre zogen ins Land, doch ewig währende Schönheit schien von ihm Besitz ergriffen zu haben. Sieben Erdzeitalter waren es an der Zahl, die er durchwanderte. Und es waren sieben Weisheiten- eine jede für ein neues Zeitalter- die ihn die Welt so sehen ließen, wie es nur den Eldern gestattet ist.
Es gab eine Zeit, in der erfreute er sich an der ewig währenden Jugend, an der makellos blassen Haut und dem vollen Haar, das nicht ergrauen wollte. Und er verbrachte das erste Erdzeitalter damit, sich alle Künste anzueignen, die es zu erlernen gab. Und er wurde Meister in allen Dingen, an denen er sich versuchte. Das war die Zeit der Freude.
So fertigte er im zweiten Zeitalter eine Statue aus glänzender Bronze, die seinem Ebenbild glich. Und er bewunderte heimlich die eigene Schönheit. Das war die Zeit Selbstliebe.
Im dritten Zeitalter kam ein Eissturm über das Land, der zwang alles Leben in die Knie. Und der junge König ließ sein Ebenbild von den stärksten Männern in die Kammer tragen und mit teuren Tüchern bedecken, um es vor der beißenden Kälte zu schützen, denn die Statue war ihm das Liebste auf der Welt. Das war die Zeit der Sorge.
Es war das vierte Erdzeitalter, als er eines Tages, als er in der großen Halle an der Tafel speiste, bemerkte, dass er alleine war und die Stille von ihm Besitz ergriff. Und er beschloss ein Stück zu gehen. Als er ins Freie trat, waren da die Geschöpfe der Lüfte und der Erde, die staunend verstummten, als sie ihren König erblickten und das Meer, das sich vor ihm verneigte. Und es war wie Balsam für seine Seele, denn es verdrängte die Stille aus seinem Kopf und die Einsamkeit aus seinem Herzen. Das war die Zeit der Stille.
Als das fünfte Zeitalter anbrach, blickte der König in den Spiegel des Lebens und besah seinen makellosen Körper, die weiche Haut und das dunkle Haar und er behielt den Blick gesenkt, denn zum ersten Mal in seinem Leben, konnte er sich selbst nicht in die Augen sehen. Obgleich er nicht wusste, woran es lag, dass er sich vor sich selbst schämte. Und er lauschte in den Hallen der Väter nach einem Lebenszeichen, doch es blieb still. Das war die Zeit der Selbstverleugnung.
Es war das sechste Zeitalter, als er begriff, dass es die eigene Einsamkeit war, deren wegen er sich schämte. Und er dachte zurück an eine Zeit, in der er mit dem Bruder im weißen Sand gespielt und sich mit dem Freund im Kampf geübt hatte. Viele Schlachten hatte er seitdem bezwungen und viele Spiele gespielt, doch er erinnerte sich nicht mehr daran. Denn obwohl das Alter seinen Körper verschont hatte, so war sein Geist müde. Er wusste nicht mehr, wann er das letzte Mal gelacht hatte. Das war die Zeit der Selbsterkenntnis.
Und das siebte Zeitalter brach an, als er am Strand spazierte. Und da war niemand mehr, der staunend verstummte und das Meer war alt und grau geworden und das ebenmäßige Rauschen der Wellen glich dem Wind, der von Norden her über das Land strich und Schnee mit sich brachte. Und so kehrte er zurück in das weiße Schloss am Meer und öffnete die Kammer, in der das Ebenbild stand. Dieses Bildwerk hatte er mit eigenen Händen geschaffen und es war das Einzige, das er jemals geliebt hatte. Und er nahm das Bildwerk, das er geschaffen hatte, und stellte es in einen großen Schmelzofen und übergab es dem Feuer, mit dem er es einst geschmiedet hatte. Und aus der Bronze seines Ebenbildes schuf er eine Frau, von so wunderbarer Gestalt, wie sie niemals geboren werden konnte und er nannte sie Amia- die Geliebte. Er nahm sie mit sich zu den Klippen und entzündete das letzte Leuchtfeuer am Ende der Welt. Dort, in den Ländereien am Ende des Horizonts. Hoch über den vom Wind gepeitschten Wellen. Dort, wo alle Jahreszeiten gleich waren. Und im Schein des Feuers schien es, als lächelte die Geliebte und es erfüllte das erstarrte Herz des Königs mit einem neuen Gefühl, das er bisher nur dem Ebenbild gegenüber verspürt hatte und ein Lächeln huschte über sein jugendliches Gesicht. Die Zeit der Liebe war angebrochen.